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Es war wie bei ihrem ersten Zerwürfnis: Kurt Vollbrecht ließ nichts von sich hören. Lisbeth schlug sich die ganze Woche über mit verzweifelten, niederziehenden Gedanken herum. Die Unruhe und Sorge in ihr wurden immer größer, je mehr sie sich alle Vorgänge der letzten Zeit in die Erinnerung rief und eingehend bei sich prüfte. Sie konnte sich der Erkenntnis nicht mehr entschlagen, daß er nicht mehr gegen sie so war wie in den ersten Monaten ihrer Beziehungen. Zuerst waren es nur kleine Anzeichen gewesen einer Umwandlung seines Verhaltens gegen sie, die sie in ihrem ersten glühenden Liebesrausch nicht beachtet hatte, die ihr aber jetzt doch bedeutungsvoll erschienen. Mehr und mehr hatte er sich gegen sie gehen lassen, und an Stelle des früheren zarten Werbens war immer fühlbarer und sichtbarer eine gewisse Nachlässigkeit getreten. Die Artigkeiten, das Bestreben, ihr zu gefallen, hatten allmählich aufgehört, und statt zu schmeicheln, zu bitten, hatte er angefangen, zu fordern und zu befehlen. Ja, sie hatten gewissermaßen die Rollen getauscht: er hatte aufgehört zu werben, sie aber hatte sich ängstlich bemüht, sich seine Zufriedenheit zu erhalten. Warum und wie war das nur so gekommen?

Da fiel es wie ein Blitz in ihre Seele, der mit einemmal das Dunkel erleuchtete. Seit die letzten Schranken ihrer weiblichen Zurückhaltung gefallen, seit sie sich ihm ganz hingegeben, hatte er sich allmählich gegen sie geändert. Die Grübelnde faßte sich voll Verzweiflung an die Stirn. War das möglich? Irrte sie sich auch nicht? War es denn anders bei dem Mann als bei der Frau, die dieses restlose Einanderhingegebensein noch viel tiefer, stärker und unentrinnbarer an den Partner ihrer Liebe fesselte? Wirkte die Hingabe der Frau bei dem Mann in entgegengesetzter Weise? Ja, dann hatte sie also eine Torheit, einen großen, nicht wieder gutzumachenden Fehler begangen, während sie doch das Gefühl gehabt, daß nun nichts mehr in der Welt sie voneinander scheiden konnte. Dann hatte sie selbst seiner Liebe das Grab gegraben.

Ruhelos rannte die stürmisch Erregte in ihrem Zimmer auf und ab. Was würde nun werden? Wenn er sich nun zürnend von ihr zurückzog, was dann? Sie blieb, wie gelähmt von diesem Gedanken, mitten im Zimmer stehen und starrte verstört um sich. Nein, nein, das konnte, das durfte ja nicht sein! Sie liebte ihn ja doch, sie würde nie aufhören, den Mann zu lieben, dem sie alles, das Höchste gegeben. Ohne ihn hatte sie ja keine Zukunft, war das Leben öde und leer, ohne Glanz und Freude. Sollte sie es etwa so machen wie die Verkäuferinnen im Geschäft, die es den Männern gleich taten, und die sich mit einem anderen trösteten, wenn sie von einem Liebhaber im Stich gelassen wurden oder selbst eines Verhältnisses überdrüssig geworden?

Empört über sich selbst, ging Lisbeth Glümer schnell über diese Frage hinweg, die für sie gar nicht in Betracht kommen konnte. Nein, sie konnte, sie durfte nicht mehr daran denken, Beziehungen zu irgendeinem anderen Manne anzuknüpfen, seit sie ihre Mädchenehre der Liebe zu Kurt Vollbrecht geopfert hatte. Ebenso unmöglich aber erschien es ihr, sich mit fast fünfundzwanzig Jahren mit der Vorstellung abzufinden, ihr ganzes Leben lang einsam, ohne Liebe zu leben und in Abhängigkeit von fremden Menschen zu bleiben, und nie ein eigenes Heim zu besitzen.

Und so sagte sie sich, daß sie auch diesmal wie nach dem ersten Zwist, den ersten Schritt tun müsse, so sehr auch ihr Gefühl sich dagegen empörte; es blieb ihr nichts übrig, sie mußte an den Geliebten schreiben und sich seinem Willen unterwerfen.

Schon an einem der nächsten Abende ließ sie sich, tief gedemütigt, nichts weniger als zu einem Schäferstündchen aufgelegt, von Kurt Vollbrecht in eins jener Häuser führen, die sich von Bordellen nur insoweit unterschieden, als die Besucher sich die Objekte ihrer Lust mitbrachten. Die Unerfahrene dünkte es, als müßte sie vor Scham vergehen, als ein Mädchen das Haus aufschloß und ihren Begleiter und sie in die im oberen Stockwerk gelegene Wohnung hinaufführte, wo eine Frau in mittleren Jahren im saloppen Schlafrock sie empfing, mit der Kurt Vollbrecht erst eine Weile über den Preis des Zimmers feilschte. Bloßgestellt, wie beschimpft und entehrt kam sie sich vor, während sie danebenstand und die dreisten, prüfenden und auf ihre Qualität sie abschätzenden Blicke der Kupplerin auf sich ruhen fühlte.

Als sie endlich allein waren, konnte sie das in ihr würgende Schluchzen nicht mehr zurückhalten. Wie verstört ließ sie sich in einen Stuhl fallen und weinte bitterlich. Der Geliebte aber schalt zornig auf sie ein.

»Sei doch nicht kindisch! Du tust ja, als ob du noch – na ja, über solche albernen Anwandlungen solltest du doch längst hinweg sein! Laß doch das Flennen! Dazu sind wir doch nicht hergekommen! Das hätten wir anderswo billiger haben können. Na komm, sei nett und verdirb mir nicht die Laune!«

Und während noch die Tränen über ihr Gesicht strömten, zog er sie an sich.

*

Es schien, als ob dieses Erlebnis sie auch in seinen Augen herabgewürdigt hätte, denn er legte sich ihr gegenüber immer weniger Zwang auf. Ja, es kam vor, daß er Verabredungen, die sie getroffen hatten, einfach nicht einhielt und sich hinterher noch nicht einmal entschuldigte, sondern nur kurz erklärte, daß er es vergessen habe, oder daß ihm etwas dazwischen gekommen sei. Mit heißschmerzender Bitterkeit empfand sie, daß sie ihm nicht mehr dasselbe bedeutete wie früher, ja, daß sich eine Gleichgültigkeit ihren Empfindungen gegenüber immer offener bemerkbar machte, die Schauer geheimer Angst in ihr erzeugten. Wenn sie gelegentlich bescheiden schüchterne Vorstellungen wagte, schnitt er ihr brüsk die Rede ab oder trumpfte mit ätzendem Hohn auf:

»Du keifst ja schon, als wenn wir ein altes Ehepaar wären! Du willst mir wohl beizeiten die Ehe verekeln?«

So gewöhnte sie sich, alle seine Lieblosigkeiten und Rücksichtslosigkeiten stumm hinunterzuschlucken. Ihre Nerven litten entsetzlich. Es war ein fortwährendes Hangen und Bangen; mit Zittern und Zagen sah sie jeder Zusammenkunft mit dem Geliebten entgegen. Er war so furchtbar launisch und nörgelig; nichts, was sie tat, war ihm recht. Zwang sie sich gelegentlich mit Aufbietung ihrer Willenskraft zu einer vergnügten Miene und erzählte ihm komische Vorfälle im Geschäft, nur um ihn aufzuheitern, so wehrte er gähnend und verdrießlich ab: »Hör' doch endlich auf mit den albernen Geschichten! Überhaupt ihr Mädchen habt keinen Ernst; immer kindisch und dalberig seid ihr!«

War sie aber still und zeigte eine ernste Miene, so brauste er ärgerlich auf: »Herrgott, sei doch nicht so langweilig und miesepetrig! Kannst du gar nicht einmal ein bißchen fröhlich sein und lachen?«

Lisbeth mußte seelisch förmlich einen Eiertanz aufführen, um bei dem Geliebten kein Mißfallen zu erregen und seinen Zorn nicht herauszufordern. Ja, sie mußte auch das Bitterste, Herbste herunterwürgen und ihre Menschenwürde und Frauenehre bis zum letzten Rest preisgeben, wenn er während ihrer regelmäßigen Besuche des Absteigequartiers Anforderungen an sie stellte und erotische Gefälligkeiten von ihr verlangte, die er ihr früher nicht zugemutet hatte und die sie mit Ekel und Abscheu erfüllten. Als Frau würde sie ihn mit Entrüstung zurückgewiesen haben, aber in ihrer Lage mußte sie ja alles ergeben hinnehmen und ihm zu Willen sein, um ihn nicht ernstlich zu erzürnen, denn gelegentlich hatte sich ihr schon die Empfindung aufgedrängt, daß er nach einem Vorwand suchte, um mit ihr zu brechen. Dazu durfte sie es ja doch nicht kommen lassen, denn ihre ganze Zukunft war ja vernichtet, ihr Leben zerstört, wenn er sie verließ. Alle tränenvolle Reue, daß sie sich durch ihre erste Willfährigkeit ganz in seine Hand gegeben, nützte nun nichts.

Und eines Tages mußte sie dennoch erfahren, daß alle ihre Bemühungen vergebens gewesen. Eine Landsmännin, mit der sie sich hin und wieder traf, lud sie zum gemeinsamen Theaterbesuch ein. Sie sagte gern zu, um so mehr, da es an einem Sonntag war und sie sich gerade an diesem Tage immer doppelt verlassen fühlte, denn Kurt Vollbrecht, der ihr früher immer seine Feiertage gewidmet hatte, brachte neuerdings die Sonntagabende fast immer bei einem Jungverheirateten Kollegen und Freunde zu. So hatte er ihr gesagt, und sie hatte ja keine Veranlassung, an der Wahrheit dieser Erklärung zu zweifeln.

Als sie mit ihrer Freundin während der größeren Pause vor dem letzten Akt im Foyer promenierte, erblickte sie plötzlich den Geliebten, der an der Seite einer jungen Dame schritt, mit der er sich angelegentlich unterhielt Lisbeth Glümer war wie vom Donner gerührt. War er ihr untreu geworden, war das seine neue Geliebte? fuhr es ihr in heißer Erregung durch den Kopf. Aber nein, das war ja unmöglich. So schändlich konnte er ja nicht handeln, und so sagte sie sich, daß es wahrscheinlich die Frau seines Freundes wäre, die ja, wie er erzählt hatte, noch sehr jung war. Aber wo war denn der Gatte der jungen Frau? Da bemerkte sie, daß sich die junge Dame nach einem hinter den beiden schreitenden älteren Paar umdrehte und mit diesem ein paar Worte wechselte, und daß dann Kurt Vollbrecht ebenfalls für ein paar Sekunden nach rückwärts sprach. Offenbar handelte es sich um ein Ehepaar, und Kurts Begleiterin war die Tochter. Hatte er die drei Personen hier zufällig getroffen und war der ältere Herr ein Angestellter aus der Fabrik? Aber wenn Kurt die Absicht gehabt hatte, das Theater zu besuchen, warum hatte er es ihr nicht mitgeteilt und sie aufgefordert, ihn zu begleiten? Aber auch hierfür fand die eifrig Grübelnde, der alles das blitzschnell durch den Kopf wirbelte, eine Erklärung. Wahrscheinlich hatte der Kollege, den der Geliebte in seiner Häuslichkeit hatte besuchen wollen, erst am Sonntag abgesagt, und da sie selbst schon den ganzen Nachmittag bei der Freundin gewesen, so hatte er sie nicht mehr rechtzeitig benachrichtigen können.

Jetzt näherte sie sich dem Paare; es war, als wenn ihr forschender Blick ihn magnetisch anzog, denn er wandte das Gesicht, das er eben noch seiner Begleiterin zugekehrt hatte, plötzlich ihr zu. Mit Erstaunen sah sie, daß ihm zuerst eine glühende Röte ins Gesicht schoß, die im nächsten Moment von einem ebenso jähen Erblassen abgelöst wurde. Zugleich neigte er sich wieder der fremden jungen Dame zu, ohne sie selbst zu grüßen.

Die Überraschte durchrann es heiß und ein brennender Schmerz durchzuckte sie. Eine neue Demütigung zu all den übrigen. Er verleugnete sie. Schämte er sich ihrer? War sie in seinen Augen nichts weiter als ein loses Verhältnis, das man vor seinen Bekannten geheimhielt?

Mit Mühe bemeisterte sie ihre Erregung, um sich vor ihrer Freundin nichts anmerken zu lassen. Die Nacht brachte sie wieder einmal schlaflos zu, immerfort über den einen Gedanken brütend: Verhielt es sich wirklich so, wie sie glaubte, und steckte nichts Ernsteres dahinter? –

Am anderen Vormittag war sie im Geschäft so zerstreut, daß es allen auffiel.

»Herrgott, sehen Sie schlecht aus, Fräulein!« sagte die dicke Erna Wernicke halb spöttisch, halb mitleidig.

Und die freche Alma Röpke neckte: »Na, Fräulein, Sie haben wohl einen vergnügten Sonntag mit dem Schatz verlebt?«

Es ereignete sich sogar der seltene Fall, daß sie wegen einer groben Unachtsamkeit von dem Geschäftsführer einen ernstlichen Verweis erhielt.

Am Abend faßte sie einen energischen Entschluß. So ging es nicht mehr weiter. Sie würde Kurt Vollbrecht aufsuchen und von ihm fordern, daß er sich nun endlich wenigstens mit ihr verlobte, damit sie den Verlobungsring tragen konnte und den höhnischen Reden im Geschäft entging, und damit sie endlich einmal ihr seelisches Gleichgewicht wiederfand. Schon lange hatte sie das auf dem Herzen gehabt, sie hatte es sich nur bei dem ständig mürrischen Wesen des Geliebten bisher nicht getraut. Aber der gestrige Vorfall im Theater hatte den Rest der schwer verletzten Selbstachtung in ihr aufgerüttelt; das war der letzte Tropfen gewesen, der das Faß zum Überlaufen brachte.

Als sie bei dem Geliebten eintrat, zog er eine krause Stirn und begehrte zornig auf.

»Habe ich dir nicht gesagt, daß ich nicht wünsche – ?«

»Du entschuldigst«, unterbrach sie ihn, »aber es scheint mir dringend nötig, daß wir uns einmal gegeneinander aussprechen, und dazu ist ein öffentliches Lokal wohl nicht der geeignete Ort.«

Sie nahm, ohne seine Einladung oder eine Widerrede abzuwarten, einen Stuhl und setzte sich, ohne Hut und Jackett abzulegen. Er biß sich auf die Lippen, sah sie betroffen an, entgegnete aber dann nach kurzem Überlegen: »Du hast recht. Auch ich habe den Wunsch, dir eine Erklärung abzugeben.«

Sie stutzte und erschrak. Was würde er ihr zu sagen haben? Sie hob fragend den Blick zu ihm. Er war bei ihrem Eintritt von seinem Sitz auf dem Sofa aufgesprungen. Jetzt lehnte er sich gegen die eine Seitenlehne und schlug das eine Bein über das andere. Er zwirbelte an seinem Schnurrbart, sann vor sich hin und schien nicht recht den Anfang zu finden.

Sie konnte die innerliche Spannung nicht mehr ertragen und fragte: »Bezieht sich das, was du mir zu sagen hast, auf unsere gestrige Begegnung im Theater?«

Er nickte.

»Auch, gewiß, auch darauf.«

Und dann schlug er die Arme übereinander und begann: »Du kennst meine Lage. In der Fabrik bleibe ich nicht länger, denn da habe ich nun, nachdem ein jüngerer Verwandter unseres Direktors zum Prokuristen ernannt ist, keine Zukunft. Ich muß mich etablieren, das sagte ich schon. Das ist die einzige Möglichkeit, zu einem anständigen Einkommen zu gelangen. Aber zum Etablieren gehört Geld, ich habe keins und du auch nicht. Also –« er tat einen tiefen Atemzug; das eine Bein sank ihm in der Erregung, die ihn erfaßt zu haben schien, herab; seine Augen vermieden den in fieberhafter Spannung auf ihn gerichteten Blick der im Gegenübersitzenden. »Also es ist, so leid es mir tut, an eine Heirat zwischen uns, liebe Lisbeth, nicht zu denken.«

Ihre Rechte preßte sich krampfhaft auf die Stirn; sie starrte ihn an wie eine übernatürliche Erscheinung. Unfaßbar schien ihr das, was er eben zu ihr gesagt hatte.

»Das – das kann doch nicht dein Ernst sein, Kurt!« schrie sie auf.

Und dann ergoß sich alles, was seit Monaten in ihr gegärt und getobt und was sie immer wieder in sich zurückgedrängt hatte, in unaufhaltsamem Fluß aus der schwer ringenden Brust:

»Das könntest du doch nicht verantworten, Kurt. Habe ich dir nicht alles gegeben, meine Seele, meinen Körper? Habe ich dir nicht hunderttausendfältig meine Liebe bewiesen? Bist du mir nicht alles gewesen, alles? Habe ich in all der Zeit einen anderen Willen gekannt als den deinen? Bin ich dir nicht alles gewesen, was ein Weib dem Manne sein kann? Und dir, Kurt, gelte ich dir denn nichts mehr? Hast du mir nicht hundertmal gesagt, daß du mich liebst, von ganzem Herzen und von ganzer Seele?«

Er wollte sie unterbrechen, aber sie war so erfüllt von all dem, was in ihr wogte, was all ihr Denken und Sinnen beherrschte, daß sie nicht darauf achtete.

»Hast du mir nicht beteuert, daß du nie eine andere lieben könntest? Und nun sollen wir einfach auseinandergehen für immer, als wäre nichts gewesen? Das könntest du, Kurt, das könntest du, das brächtest du übers Herz? Ich könnte es nicht, Kurt, ich könnte es nicht, ich würde daran zugrunde gehen.«

Die Tränen, die jetzt unaufhaltsam hervor drängten, erstickten ihre Stimme, und schluchzend weinte sie in ihre Hände.

Er war hinter ihren Stuhl getreten; nervös zupfte er an seinem Schnurrbart; es zuckte und wetterte in seinem Gesicht; am liebsten wäre er zornig losgebrochen. Aber er brachte doch nicht fertig; ihre so wohlberechtigten Klagen im Ohr, angesichts ihrer wilden Verzweiflung, regte sich doch das Gewissen und das Mitgefühl in ihm.

»Du – du hast ja recht, Lisbeth«, stammelte er. »Es ist ja scheußlich, es ist hundsmiserabel! Aber so ist das Leben! Gewiß ich liebe dich, nie werde ich aufhören, deiner mit Herzlichkeit zu gedenken. Man kann doch so eine Liebe sich nicht einfach aus dem Herzen reißen. Die andere, die – die begehre ich doch nicht aus Liebe, sondern weil ihre Eltern wohlhabend sind, weil ihr der Alte sofort dreißigtausend Mark mitgibt. Denke doch, was soll denn aus mir, aus uns beiden werden? Soll ich dir denn noch Hoffnungen machen, die sich nicht erfüllen werden? Soll ich schuld sein, daß du deine Jugend hinbringst in vergeblichem Warten? Noch bist du jung, noch bist du schön und begehrenswert, und auch dir wird es gelingen, eine gute Partie zu machen wie so viele andere –«

Sie wandte das tränenüberströmte Antlitz ihm zu.

»Du weißt doch, daß ich das nicht kann.«

»Nicht? Ach so!« Ein zynisches Lächeln begleitete die folgenden Worte: »Wie viele, die sich dem Geliebten geschenkt, gingen wie du in die Ehe und haben den Ehemann über ihre Vollkommenheit hinweggetäuscht.«

Ein heftiger Unwille sprühte ihm aus ihren Augen entgegen.

»Und wenn ich es könnte, ich würde es nicht wollen.«

Er trat von ihrem Stuhl hinweg und nahm seine Wanderung durch das Zimmer wieder auf. Eine Weile herrschte ein unbehagliches, peinliches Schweigen zwischen den beiden. Endlich hemmte er, in einiger Distanz von ihr, seine Schritte abermals.

»Du mußt es nicht so schwer nehmen!« sagte er und bemühte sich, seiner Stimme einen beschwichtigenden, überredenden Klang zu geben. »Denkst du, mir ist es lieb und recht? Aber kann ich denn anders? Sind wir denn die einzigen? Geht es nicht Tausenden, aber Tausenden so wie uns? Die wenigsten Ehen werden aus Liebe geschlossen. Das Leben ist eben kein Paradies, kein Liebesgarten. Es ist so ernst, so furchtbar ernst. Aber wir haben doch wenigstens das Bewußtsein, daß wir die Liebe genossen haben, die himmlische Liebe mit allen ihren Seligkeiten. Ist das nichts? Manchen Mädchen geht es nicht so gut; sie steigen in die Ehe und wissen nicht, was Liebe ist. Und oft kommt sie erst in der Ehe, aber zu einem anderen, und dann gibt es in der Regel Ehebruch, Mord und Totschlag oder Scheidung.«

Sie heftete wieder die flackernden Augen auf ihn wie in Fieberglut. Das, was er ihr soeben auseinandergesetzt, machte keinen Eindruck auf sie. Beschwörend, flehentlich erhob sie ihre Hände. »Nein, Kurt, du kannst es nicht tun, du kannst mich nicht verlassen. So grausam kannst du nicht sein. Ich bitte dich, Kurt, bei allem, was dir heilig ist: zerstöre mein Leben nicht! Du wirst es nicht bereuen. Ich will ja arbeiten von früh bis spät. Ich brauche keine fremde Person zur Hilfe. Alles will ich tun, unsere Wirtschaft ganz allein besorgen. Wir werden uns einschränken, es wird schon gehen. Ich werde ja keine andere Aufgabe kennen, als dich glücklich zu machen. Das verspreche ich dir, Kurt. Nur sage dich nicht los von mir, laß mich nicht im Stich!«

Er wechselte die Farbe; er biß sich heftig auf die Lippen. Seine Stimme klang gepreßt.

»Mach es uns doch nicht so schwer, Lisbeth! Das sagst du jetzt so, das malst du dir so schön aus. Nachher kommt doch alles anders. Wie oft hat man das schon gesehen: erst wollten sie sich vor Liebe auffressen, und dann, wenn die Kinder kommen und die Sorgen, dann zanken sie den ganzen Tag und am Ende schlagen sie sich.«

»Ach Kurt«, stöhnte sie, »ach Kurt! Kennst du mich so schlecht? Bei dem Andenken an meine Eltern, das mir heilig ist, schwöre ich dir: nie wird eine Klage über meine Lippen kommen. Habe doch Erbarmen, habe doch Mitleid mit mir!«

Er machte eine heftige Bewegung und stieß dann mit der rücksichtslosen, krampfhaften Entschlossenheit eines Menschen, der sich von seinem Ziel unter keinen Umständen abbringen läßt und der alle Hemmnisse rücksichtslos beiseiteschiebt, heraus:

»Zu ändern ist nichts mehr! Meine Stellung habe ich schon gekündigt. Gestern mittag haben wir Verlobung gefeiert. Ich habe mit meinem Schwiegervater schon alles besprochen und abgemacht. Am ersten April wird ein Laden in seinem Hause leer, da mache ich eine Eisenwarenhandlung auf.«

Sie saß noch eine Weile stumm, regungslos wie unter einer Betäubung, während er sich noch weiter, bis zum Fenster zurückzog und von hier beobachtend zu ihr hinübersah.

Endlich richtete sie sich langsam auf, heftete noch einen langen Bück auf ihn, der mit trotziger Stirn, harten Augen und mit auf der Brust ineinander verschränkten Armen dastand, dann wandte sie sich, ohne ein Wort zu sagen, und schlich zum Zimmer hinaus.

*

Es war noch nicht ganz acht Uhr, als die Unglückliche ihr Zimmer erreicht hatte. Mechanisch steckte sie die Gaslampe an und legte Jackett und Hut ab. Dann sank sie auf einen Stuhl und brütete stumpf vor sich hin. Mit Grübeln und Entschlußfassen hielt sie sich nicht auf. Schon während sie den Weg nach Hause gleich einer Nachtwandlerin zurückgelegt, hatte nur immer der eine Gedanke sie beherrscht: Sterben! Mit diesem vernichtenden, entsetzlichen Bewußtsein der ihr angetanen Schmach weiterzuleben, dünkte sie eine Unmöglichkeit. Wahrscheinlich hatte er die fremde Familie während seines Aufenthaltes im Riesengebirge kennengelernt und inzwischen um des jungen Mädchens Liebe mit Eifer geworben, zur selben Zeit, wo er mit ihr noch immer Verkehr, intimsten Verkehr unterhalten. Mußte sie nicht wahnsinnig werden mit dieser Gewißheit im Herzen? Nur der Tod konnte sie von dem unerträglichen Gefühl ihrer Schande befreien.

Ruhig, gelassen, fast apathisch schob sie den Riegel vor. Ein paar Sekunden überlegte sie und schüttelte dann müde, resigniert mit dem Kopf. Nein, sie hatte niemand mehr etwas zu sagen, an niemand ein paar letzte Zeilen zu richten, sie besaß ja keinen Menschen, den ihr Schicksal bekümmern würde. Kurt würde ihr Sterben ja nur als Erlösung empfinden. Dann entkleidete sie sich, löschte das Licht und drehte wieder den Gashahn auf. Darauf legte sie sich ins Bett um den Tod zu erwarten. –

Plötzlich schreckte Lisbeth aus dumpfem Hindämmern. Ein heftiges Rütteln an der Türklinke von außen drang an ihr Ohr, und eine weibliche Stimme rief dringlich:

»Mach' doch auf, Lisbeth! Ich bin's ja: Kusine Else – Else Hauf!«

Immer mehr wich die Betäubung von der Auffahrenden, und sie hörte, wie die Kusine, nachdem sie mit beiden Fäusten an die Tür getrommelt hatte, in den Korridor schrie: »Was ist denn nur? So fest kann sie doch jetzt um Viertel neun noch nicht schlafen. Es muß ihr was passiert sein. Holen Sie doch mal schnell einen Hammer und ein Stemmeisen!«

Stöhnend bemühte sich Lisbeth, die lähmende Betäubung von sich abzuschütteln, und jetzt erinnerte sie sich auch: ihre Kusine Else Hauf hatte ihr vor ein paar Tagen geschrieben, daß es ihr gelungen sei, in einem Berliner Krankenhaus die Stelle einer Assistenzärztin zu erlangen. Am Montagabend würde sie in Berlin eintreffen; sie – Lisbeth – möchte sie doch gegen acht Uhr vom Bahnhof abholen und eine Nacht bei sich beherbergen. In der furchtbaren Aufregung, in der sie sich seit gestern abend befunden, hatte sie das total vergessen und nun – nun würde Else in ihrer energischen Weise die Tür aufsprengen.

Schon ertönte der erste Hammerschlag. Da rappelte sich die Unglückliche mit dem Aufgebot des Restes ihrer Willenskraft auf und taumelte zur Tür, schob den Riegel zurück und sank im nächsten Moment ohnmächtig zu Boden.

Als sie wieder zu sich kam, lag sie in Frau Winklers Wohnstube auf dem Sofa, und das kluge, forschende Auge ihrer Kusine beugte sich über sie.

»Komm, trinke!« gebot sie und rückte zugleich den Oberkörper der Liegenden mit kräftigem Griff in die Höhe. Dann winkte sie der mit einem Tassenkopf hinter ihr stehenden Frau.

Es war Milch, die Lisbeth, mechanisch gehorchend, in kurzen Schlückchen trank. Darauf folgte heftiges Erbrechen, und darauf mußte sie wieder Milch trinken.

»Ich kam zur rechten Zeit!« sprach die junge Ärztin weiter. »Das bißchen Gas, das du eingeatmet hast, wird dir nicht weiter schaden. Aber nun sage mal: wie konntest du nur so leichtsinnig sein? Du hast den Gashahn nicht ordentlich geschlossen, die kleine Flamme ist durch den Luftzug, den du beim Fortgehen von der Lampe verursacht hast, erloschen, und nun drang das Gas in das Zimmer.«

Lisbeth starrte die Sprechende verständnislos an. Die Kusine zwinkerte listig mit den Augen und machte eine kaum merkliche Bewegung mit dem Kopf nach hinten, wo Frau Winkler neugierig stand.

»Wie gesagt«, fuhr die junge Ärztin fort, »der Gashahn stand nur ein ganz klein wenig auf, und so konnte nur ein ganz geringes Quantum Gas ausströmen. Aber warum bist du so früh zu Bett gegangen? Vermutlich warst du nicht ganz wohl?«

Ton und Blick wirkten suggestiv auf die von all der überstandenen Gemütsbewegung stärker als von dem mißlungenen schwachen Selbstmordversuch Angegriffene.

Sie nickte.

»Ja, mir war schon den ganzen Tag über nicht gut!« stammelte sie.

»Na, das werden wir gleich kriegen. So'n bißchen Handwerkszeug führe ich auf Reisen immer bei mir. Nervenschwache Damen trifft man ja stets auf der Eisenbahn, die das Rütteln während der Fahrt und die Aufregungen der Reise nicht vertragen und eines Stärkungsmittels bedürfen.«

Sie richtete sich auf und drehte sich nach der Vermieterin um.

»Holen Sie mir doch mal, bitte, meine Reisetasche; ich habe sie auf den Tisch im Zimmer meiner Kusine gelegt«

Und als die Frau gegangen war, drohte sie der beschämt zu ihr Aufblickenden mit dem Finger.

»Solche Dummheiten zu machen! Du! Na, du wirst mir nachher erzählen, was dich, die Fünfundzwanzigjährige, schon so lebensmüde gemacht hat.«

Frau Winkler kam zurück mit der Tasche. Das Fräulein Doktor nahm eine kleine Tropfenflasche heraus und ein Stückchen Zucker. Sie zählte laut zwanzig Tropfen ab und steckte den Zucker der Kusine in den Mund.

»Das tut gut, was?«

Eine halbe Stunde später konnte Lisbeth Glümer allein, auf den Arm ihrer Retterin gestützt, in ihr gelüftetes Zimmer zurückkehren. Frau Winkler hatte schon auf dem breiten Sofa für die Besucherin ein Lager bereitet.

»Also nun beichte!« forderte die junge Ärztin auf und setzte sich an das Bett der Kusine. »Eine Liebesgeschichte natürlich? Er ist dir untreu geworden, abgeschnappt, wie der terminus technicus lautet, nachdem er dich verführt und dir die Ehe versprochen hatte.«

Die Überraschte staunte die mit ihrer selbstbewußten Miene neben ihr Sitzende an.

»Du weißt – ?«

Die andere lächelte überlegen.

»Du Schäfchen! Das ist leicht genug zu erraten. Von tausend Mädchen, die sich umbringen oder einen Selbstmordversuch machen, befinden sich neunhundertneunzig in deiner Lage. Törinnen, die ihr seid! Deshalb wirft man doch nicht sein Leben fort, das Kostbarste, was der Mensch hat, und das einzige, was nicht mehr zu ersetzen ist. Die Männer tun das doch nicht, die schaffen sich in solchen Fällen einfach eine andere an. Es gibt ja doch so viele nette Mädchen und auch so viele nette Männer in der Welt!«

Die Unglückliche stöhnte nur; sie legte ihren Kopf, den sie ein wenig zu der Sprechenden erhoben hatte, in die Kissen zurück und schloß die Augen; in ihren blassen, abgespannten Zügen zuckte es verzweiflungsvoll.

Die in ihrem Beruf abgehärtete, realistisch denkende junge Ärztin aber blickte zornig.

»Ist denn solch ein Halunke eines so tiefen Gefühls würdig? Habt ihr denn gar kein Selbstgefühl, keine Selbstachtung, daß ihr glaubt, ohne einen so gewissenlosen Patron nicht leben zu können? Das einzige, was solch ein Schurke, der mit einem unerfahrenen, ahnungslosen jungen Mädchen sein Spiel getrieben, verdient, ist Verachtung, Gleichgültigkeit. Die Männer sind alle Schweinehunde, wenigstens in Liebessachen.«

Den düsteren, noch immer ihre ganze Hoffnungslosigkeit widerspiegelnden Mienen der so schmählich in ihren heiligsten Gefühlen, in ihren berechtigten Erwartungen Betrogenen war anzusehen, daß die Worte der anderen keinen Eindruck auf sie gemacht hatten.

»Ich hatte doch meine ganze Zukunft auf ihn gesetzt!« erwiderte sie schwach. »Ich kann doch nie wieder froh werden. Du weißt ja nicht, wie es ist, wenn man einen von Herzen liebgehabt hat und dann –«

Ein grelles Lachen der Ärztin unterbrach sie.

»So, das weiß ich nicht, meinst du? Bin ich nicht zwei Jahre älter als du? Kenne ich! Ebensogut wie alle anderen oder doch die meisten armen jungen Mädchen in unseren Jahren. Aber deshalb am Leben verzweifeln? Du Närrin! Es gibt doch nichts auf Erden, das nicht ersetzt werden könnte.«

Doch die andere bewegte nur trübselig den Kopf.

»Ich könnte nie wieder einen Mann heben.«

Das Fräulein Doktor faßte die Hand der Daliegenden, beugte sich in ihrem Eifer weit zu ihr hinunter, und mit jener Überlegenheit, die ihr Beruf ihr den meisten Mitschwestern gegenüber gab, rief sie:

»Das Schlimmste ist, daß ihr verliebten Weiber alle nicht logisch denken könnt, sonst müßtet ihr doch ohne weiteres einsehen, daß auch das Leben und die Fähigkeit, zu lieben, noch lange nicht verschüttet ist, weil es einem der sogenannten Herren der Schöpfung gefallen hat, euch zwar zu lieben, was sie so lieben nennen, aber nicht auch zu heiraten, weil ihr keine Mitgift gehabt habt, ohne die diese tapferen, immer so selbstbewußt tuenden Männer den Kampf ums Dasein nicht aufzunehmen wagen. Die jammervollen Feiglinge, pfui Teufel! Und nun statt euch zu sagen: solch ein armseliger Tropf ist nicht wert, auch noch einen einzigen Gedanken, die Spur eines Gefühls an ihn weiter zu verschwenden, bildet ihr euch ein, daß euch nun nichts mehr übrigbleibt als zu verzweifeln und zu Gift zu greifen oder ins Wasser zu gehen.«

In ihrer Erregung und in dem tiefen Interesse, das ihr der Gegenstand offenbar einflößte, drückte sie die Hand der Schwachen und rüttelte sie mit der anderen Hand an der Schulter.

»Siehst du denn nicht ein, daß das der reine Wahnsinn ist? Du glaubst dich beschimpft, entehrt. Quatsch! Solch ein Schubbejack kann dich ja gar nicht beschimpfen. Du mußt doch einsehen, daß solch ein Mensch nichts von dir verdient, als vergessen zu werden. Donnerwetter, seid doch stolz! Fort mit solchem Kerl aus dem Gedächtnis, aus der Erinnerung! Das ist eine Erfahrung, die dich ebensowenig beugen oder gar vernichten darf, wie irgendeine andere im Leben, etwa als wenn dir dein Chef die Stellung kündigt, oder als wenn eine vermeintliche gute Freundin dich hinter deinem Rücken verklatscht und verlästert hat. Man schafft sich dann eben eine andere Stellung, eine andere Freundin, einen anderen Geliebten an.«

Die Ruhende rückte sich mit einem Ruck in eine sitzende Stellung.

»Das kann doch nicht dein Ernst sein, Else!« wandte sie mit tiefer Überzeugung ein.

»Nicht mein Ernst? Ja, gewiß ist das mein Ernst. Meinst du denn, daß es in der ganzen Welt nur diesen einen Mann gab und gibt, den du lieben konntest und den du lieben kannst?«

Die andere nickte stumm.

»So« Das Fräulein Doktor lächelte wieder überlegen.

»Was hast du denn an ihm so Unvergleichliches, nie wieder Auffindbares geliebt? Willst du mir das einmal sagen!«

Ein ironisches Lächeln umspielte die Lippen der Fragenden, während ihre Blicke sich erwartungsvoll in die Mienen der sinnend vor sich Hinstarrenden bohrten.

»Das – das kann ich dir nicht so erklären!« versetzte die Gefragte nach einer Weile. »Sein ganzes Wesen, seine ganze Art – ich weiß ja selber nicht, was es eigentlich war.«

»Dann will ich es dir sagen: Du warst, wie alle jungen Mädchen in deinem Alter, bereit, zu lieben. Eine Unruhe, eine Leere war in dir, ein Sehnen nach etwas nie Erlebtem, nach etwas Schönem, Süßem, das deinem Leben Inhalt, Wert, Glück geben sollte. Da kreuzte dieser Herr – ?«

»Kurt Vollbrecht!« hauchte die gespannt Zuhörende verschämt.

»– dieser Herr Kurt Vollbrecht deinen Weg. Er machte dir süße Augen, raunte schmeichelnde, kosende Worte in dein begierig aufhorchendes Ohr. In deiner Brust regte sich ein wonniges Gefühl, das dich bald ganz beherrschte. Wäre zufällig ein anderer gekommen, du hättest dich mit derselben Glut und Hingabe in ihn verliebt.«

Die andere machte eine unwillkürlich protestierende Geste.

»Ich meine natürlich: ein anderer von demselben Typ!« fuhr das Fräulein Doktor lächelnd fort. »Kein Ekel, kein mürrischer Griesgram, kein ungeschickter, wortarmer, gefühlskalter Tölpel, sondern irgendeiner vom Typ der gefällig Aussehenden, süß und gefühlvoll flunkernden Schwadroneurs. Vielleicht war er blond, oder war's ein Brünetter?«

Lisbeth Glümer verneinte mit dem Kopf.

»Also blond, schlank, nicht wahr? Blaue Augen – oder waren's braune? – mit sanft überredendem, treuherzigem Blick. Nun, du Närrchen, das ist doch klar, daß es Tausende und aber Tausende von dieser Art gibt. Es war doch nicht gerade dieser Kurt Vollbrecht, der in dein zur Liebe bereites, weitgeöffnetes Herz triumphierend einzog, sondern einer von dem Typ, von deinem Typ. Hätte er Gottlieb Schulze oder Traugott Müller geheißen und hätte ähnliche liebe blaue oder braune Augen, eine gleich nette Figur besessen, und hätte er dir ebenso gewandt etwas vorzugaukeln verstanden von ewiger Liebe und Treue, du hättest dich genau so kopflos ihm an den Hals geworfen, wie diesem Herrn Kurt Vollbrecht, ohne danach zu fragen und auch nur imstande zu sein, zu ergründen, ob in diesem seichten, leichtfertigen oder gewissenlosen Schwätzer und Schöntuer, der wahrscheinlich eben einem Verhältnis den Laufpaß gegeben hatte und nun ein neues suchte, ein guter Kern steckte oder nicht. Siehst du das ein, du Törin?«

Die Überraschte sah die so eindringlich, überzeugend auf sie Einredende verblüfft an.

Die junge Ärztin lachte.

»Ja, daran hast du noch nicht gedacht, das hast du dir noch nicht überlegt. Aber es dämmert jetzt in dir, es beginnt dir einzuleuchten, daß du eine kapitale Dummheit zu begehen im Begriff gewesen.«

Sie strich der mit widerspruchsvollen Gefühlen zu ihr Aufblickenden die Wangen, in die bei dem erregten Geplauder eine leichte Röte gestiegen war. Ihre Arme um den Hals der so beredten Trösterin schlingend, erwiderte Lisbeth:

»Ach, Else, ich bin ja noch so benommen, so verwirrt, daß ich nicht weiß, ob du recht hast oder nicht.«

»Nun also, dann schlaf! Morgen wirst du ruhiger über alles nachzudenken imstande sein. Gute Nacht!«

*


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