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IV.

Lesen und Schreiben

Tage, Wochen, Monde schwanden
In des Klosterlebens Ruhe,
Wo das Heute glich dem Gestern,
Und der Winter war im Anzug.
Früh schon sank der Abend nieder,
Und Sanct Blasii fromme Söhne,
So des Lesens kundig, saßen
Ueber Büchern nun und Schriften,
Auch Tannhäuser hatte deren
Nach der Vorschrift seines Lehrers
Vom Armarius erhalten.
Zwar die ernsten Kirchenväter,
Augustinus und Ambrosius
Und Hironymus den herben
Las Albanus selber mit ihm
Sie erläuternd und erklärend
Nach Bedürfniß und mit Auswahl;
Das Kapitel Sechsunddreißig
In des klugen Augustini
Buch de civitate Dei
Ueberschlug der Pater weislich.
Sehr zu Statten kam dem Schüler
Nun sein gut lateinisch Wissen,
Das ihn Sumidus gelehret.
Doch ihm blieb für Mußestunden
Auch noch andre Geistesnahrung,
Ezzo's Sang von Christi Wundern,
Das Marienlied, der Heliand
Und das Lob des heil'gen Anno.
Willirams, des Ebersbergers,
Commentar zum hohen Liede,
Selbst die alte Kaiserchronik
Und noch Manches, das erbaulich,
Doch nicht grade sehr vergnüglich
Schien dem jungen Laienbruder.
Hatt' er sich dran satt gelesen,
Ging er gern zum Bruder Frutus,
Um mit ihm vertraut zu plaudern.
Einmal, als er seit drei Tagen
Ihn nicht zu Gesicht bekommen,
Zog's ihn ganz besonders zu ihm,
Und er trat in dessen Zelle.
Da saß Frutus nun am Tische,
Und dem Kommenden entgegen
Wandt' er ein Gesicht, so traurig,
So voll Kummer und Verzweiflung,
Daß Tannhäuser Schlimmstes ahnte.
»Ja, was machst Du denn da, Frute?«
Frug er, schon mit Lachen kämpfend.
»Schreiben!« sagte Frutus kleinlaut.
»Schreiben? Du?!« Tannhäuser lachte
Grad' heraus, »für welche Sünde
Mußt Du denn so schrecklich büßen?«
»Kaum der Rede werth!« sprach jener,
»War so elend durstig neulich,
Daß der Teufel mich verführte
Und ich in die Vorrathskammer
Unsers Bruder Küchenmeisters
Mich hineinschlich und ihm heimlich
Da zwei Krüge Weines leerte,
Der zum Kochen doch bestimmt war.
Na, da gab's ein kleines Räuschchen;
Rumold aber, dieser Arge,
Den ich längst schon im Verdacht hab',
Daß er selber von dem Kochwein
Mindestens die Hälfte aussäuft,
Lief in Wuth, daß ich dabei ihm
Ohne seinen Dank geholfen,
Hin zum Schaffner und verklagte
Mich um mein unschuldig Räuschlein.
Dieser klatscht's dem Sakristane,
Und da Hab ich nun den Segen
Für den Trunk, – muß wieder schreiben.«
»Und was schreibst Du denn? laß sehen!«
Fragte Heinrich nun und blickte
Auf die Schrift, »ei wie? lateinisch?
Und mir sagst Du, Du verständest
Nicht Latein?« Frutus ergrimmte:
»Nicht ein Wort! das ist ja eben
Des Albanus Bosheit, daß ich
Nicht mal weiß, was ich da schmiere!
Hier! da steht des Autors Name:
Publius Ovidius Naso!
Bruder, kennst Du diesen Heil'gen?
War gewiß ein Kirchenvater
Oder sonst ein frommer Bischof.«
»Ist wohl möglich,« sprach der Jüngre,
Nahm das Büchlein, – » Ars amandi
Las erstaunt er auf dem Titel,
»Was ist das? die Kunst zu lieben?«
Uebersetzt' er für sich leise,
Ohne daß es Frutus hörte,
Und begann darin zu blättern
Und zu lesen, so vertieft bald
In die Schrift, daß er nicht merkte,
Was der Andre auf ihn einsprach.
Endlich sagt' er: »Frater Frute!
Kannst Du das die Nacht entbehren?«
»Nacht und Tag könnt' ich's entbehren,
Hätt' ich's nur nicht abzuschreiben,«
Lachte Frutus, »ist's so hübsch denn?
Freilich, die latein'schen Bücher
Halten sie geheim im Kloster,
Lassen sie von Ungelehrten,
Die vom Inhalt gar nichts ahnen,
Wieder stets und wieder schreiben
Und verkaufen sie dann theuer
Oder tauschen andre Bücher
Dafür ein von andern Klöstern,«
»Also giebt's hier mehr dergleichen?«
Frug gespannt der Laienbruder
»O die Menge! und ich weiß auch,
Wo sie stehn im Büchersaale,«
Sagte pfiffig blinzelnd Frutus,
»Habe manche schon geschrieben,
Sanct Propertius und Tibullus,
Juvenalis und Horatius,
Und wie sonst sie heißen mögen,
Wer kann alle Heil'gen kennen!«
»Wenn Du mir die Bücher herschaffst,
Helf' ich Dir beim Schreiben, Frute!«
Sprach fast flüsternd der Novize.
»Mit Vergnügen! ist ein Leichtes!«
Gab der Bruder ihm zur Antwort,
»Ungehindert zu den Büchern
Kann ich, meine Wißbegierde
Ist hier Allen unverdächtig.
Willst Du mir beim Schreiben helfen,
Schlepp' ich Dir so viel Lateiner,
Als Du haben willst, zusammen;
Komm' und lies hier nach Belieben,
Denn in meiner Zelle sucht man
Keine Bücher und Dich auch nicht.«

Manche Stunde saß nun Heinrich
Bei dem Bruder Frutus lesend,
Nein verschlingend, was ihm dieser
Insgeheim zusammen schleppte.
Ei! das waren andre Dinge,
Als der heilige Gregorius
Oder Meister Otfried lehrte!
Noch verstand er zwar nicht Alles,
Was er las, und Manches schien ihm
Sehr gelehrt in den Episteln,
Elegieen und Satiren;
Doch was er begriff zur Hälfte
Oder ganz: der Sitten Schildrung
In der kaiserlichen Roma
Und die vielen lust'gen Fabeln,
Die Verwandlungen und Mythen,
Wie die Griechengötter lebten
Und in täuschenden Gestalten,
So als Stier, als Schwan, als Wolke
Oder auch als goldner Regen
Schöne Sterbliche berückten,
Und vor Allen die Erscheinung
Und die holden Aventiuren
Einer schaumgebornen Göttin
Venus, die von höchster Anmuth
Und voll Liebreiz das Entzücken
Aller, die sie schauen durften, –
Das drang tief in seine Seele
Mit einschmeichelnden Gewalten,
Und des Lesers Wangen glühten.
Fruto blieb es nicht verborgen,
Welche Freude seinem Schützling
Die verpönten Bücher machten,
Und er witterte wohl etwas
Von dem süßen Gift des Inhalts,
Denn er meinte ganz bedenklich:
»Höre, Kleiner, wenn sie merken,
Was ich Dir da zugetragen,
So verbrennen sie mich wahrlich
Und verdammen mich auf ewig
In der Hölle noch zu schreiben.«
Und doch bracht' er ihm noch Andres,
Deutsches auch, das Märlein Morolt
Von der schönen Salome,
Dann das Lied von Flos und Blancflos
Und die Enëit Herrn Veldecks,
Voll von Leidenschaft der Dido
Zu dem blühenden Aeneas.
Und es waren dieser Handschrift
Angefügt die Liedlein Veldecks,
Die von Lust und Macht der Minne
Lieblich lockend Kunde gaben.

Stürmische Gedanken wühlten
In des Jünglings Hirn und Busen,
Und er grübelte und frug sich:
Giebt es denn noch andre Freuden
In der Welt, als reiten, jagen,
Kämpfen und beim kühlen Weine
Lieder singen zu der Harfe?
Was ist Liebe? was ist Minne,
Die die Götter und die Menschen,
Mann und Weib in engem Bunde
Trunken macht und überglücklich?
Einem Fremden, Unbekannten
Stand er rathlos gegenüber
Wie vor festverschlossnem Thore,
Das geheimnißvolle Zauber
Ihm verbarg, die Neugier reizend.
Lag ein Paradies dahinter
Mit verbotnen süßen Früchten
Von dem Baume der Erkenntniß?
Stak in jedes Weibes Hülle
Eine Eva, deren Lächeln,
Deren Kuß zur Sünde führte?
Doch von Freuden nur und Wonnen,
Nicht von Sünde war die Rede
In den köstlichen Gedichten,
Die in ihm die Lust erweckten,
Jenen unbekannten Freuden
Nachzuforschen und wo möglich
Zu genießen, was erlaubt war.
Niemals hatte er im Weibe
Etwas Anderes gesehen,
Als ein Wesen wie er selbst war,
Nur in einem andern Kleide.
Auf dem Kürenberge galt ihm
Irmengard als eine Schwester,
Die er anders nie betrachtet;
Selbst an jenem letzten Morgen,
Da sie schlummernd vor ihm ruhte.
Fand er ihren holden Körper
Nicht dem seinen gleich gebildet,
Doch im staunenden Entzücken
Bei dem Anblick wie auch später
In der seligen Erinnrung
Hatte er den Unterschieden
Ihres Bau's nicht nachgesonnen,
Und so wüßt' er nichts vom Weibe,
Doch da stand es ja geschrieben,
Wie sich Mann und Weib hienieden
Eines nach dem Andern sehnten,
Wie nur jedes in dem Andern
Fand sein höchstes Glück auf Erden,
Wie der Mann um Minne wagte
Leib und Leben, Gut und Ehre,
Wie in Schuld fiel Frau und Jungfrau
Einzig um der Liebe willen.
Aus dem hochgewachsnen Jüngling
War beinah ein Mann geworden,
Der im stolzen Bau der Glieder
Muth und Kraft der Jugend spürte,
Der verstand, ein Roß zu zügeln,
Mit dem Schwerte kühn zu fechten,
Dessen Arm wohl auch im Stande,
An die Brust ein Weib zu drücken.
Wie er dessen sich bewußt war,
Sprühte Feuer ihm vom Auge,
Jede Muskel fühlt' er schwellen,
Und ihm pocht' es in den Schläfen.
Da zum ersten Male ward es
In dem Kloster ihm zu enge,
Und er sehnte sich nach Freiheit,
In die Welt hinaus zu stürmen,
Sich zu messen, sich zu schlagen
Und die Minne aufzusuchen,
Die mit dunkelm Trieb ihn lockte.
Doch er schwieg, und Niemand ahnte,
Was den jungen Laienbruder
In des Herzens Grund bewegte;
Nur der Sakristan Albanus
Blickte tiefer als die Andern.

Mehr als sonst schloß der Novize
Sich in seine stille Zelle,
Und von Pergament und Schreibsaft,
Was er sich von Frutus holte,
Macht' er anderen Gebrauch noch,
Als zur Abschrift des Ovidius.
Denn die Lieder Heinrich Veldecks
Waren ihm ins Herz gedrungen
Also, daß es ihm nicht Ruh ließ
Und er machte heimlich Verse,
Baute Strophen, sann auf Töne,
Wie der Ritter einst ihn lehrte;
Aber was er schrieb, versteckt' er
Sorglich vor der Brüder Augen.
Hatt' er dann, was in ihm wogte,
Schwärmerisch sich von der Seele
Erst herunter so gedichtet,
Ward er ruhiger und dachte
Ueber Gegenwart und Zukunft.
Zwischen zwei verschiednen Mächten,
Unverträglich mit einander,
Stand er zweifelnd in der Mitte.
An der einen Hand zog Hoffnung
Ihn verlockend in die Ferne,
Wo auf sonnenhellen Pfaden
Kampf und Sieg und Ruhm ihm winkten,
Mit der andern aber war er
Hier im Kloster festgebunden
An sein Wort, das er gegeben.
Dort die Freiheit und das Leben,
Hier Gehorsam und Entsagung,
Hier der Glaube, dort die Minne,
Was ist stärker? wer wird siegen?
Oftmals bäumte sich sein Wille
Trotzig auf vor dem Gedanken,
Daß er hier sein ganzes Leben
Dienend, thatenlos vertrauern,
Seine junge Kraft vergraben,
Seines Herzens Lust und Fülle
Trüb' und stumm verläugnen sollte.
Ritterblut und Minnegehren,
Seines Daseins einzig Erbtheil,
Brausten, ohne daß er's wußte,
Drangvoll ihm durch alle Adern,
Und die dicken Klosterwände
Lagen drückend ihm wie Berge
Auf der leichtbeschwingten Seele.
Doch er konnte sie nicht sprengen,
Wagte nicht daran zu rütteln,
Denn des Klausners strenge Lehren
Waren ihm noch festgewurzelt,
Klosterzucht war Lebensregel
Ihm geworden, und noch wirkte
Kindlich fromme Glaubensdemuth
Mächtiger, als die Versuchung
Zu den unbekannten Freuden.
Aber häufiger und stärker
Suchten diese Herzenskämpfe
Ihn schon heim, und er getraute,
Seines Schwankens fast sich schämend,
Sich doch nicht, sie irgend Einem
Hier im Stift zu offenbaren
Liebstes wäre ihm gewesen,
Wenn Abt Isenricus selber
Die unausgesprochnen Zweifel
Wie mit Seherkraft errathen
Und für ihn entschieden hätte.
Spräche der ihn los, dann freilich
Wär' er seines Wortes ledig.

Wieder war es Lenz geworden,
Grün der Wald und bunt die Wiesen,
Und die Prüfung des Novizen
Nahte balde ihrem Ende,
Doch er wußte nicht den Jahrstag,
Wann er in das Stift gekommen
Und bei dessen Wiederkehr
Er für Bleiben oder Gehen
Selber sich entscheiden sollte.
Wie er jetzt gesonnen, war er
Hier zu bleiben fast entschlossen
Und galt auch bei allen Brüdern
Längst schon als der Ihren Einer.
Nur der Abt und auch Albanus
Ließen noch von seiner Weihe
Nichts verlauten, Frutus aber
Schüttelte den Kopf und brummte.
Eines Tages ward Tannhäuser
Ausgesendet, um zu Pferde
Nach dem nächsten Stadelhofe,
Der im Paltenthal gelegen,
Eine Botschaft zu besorgen.
Fröhlich sprang er in den Sattel,
Und sein ganzes Antlitz strahlte,
Als das Roß, das lang gestanden,
Und das guter Klosterhafer
In die Beine stach, sich muthig
Unter seinem Reiter bäumte.
Doch er zwang es ruhig lächelnd,
Ließ es munter kurbettiren
Und leisiren auf dem Hofe,
Trabte wohlgemuth von dannen.
Sinnend, mit geheimen Freuden
Schaut' ihm nach der Abt, der alles
Das mit angesehen hatte
Und dann etwas vor sich hinsprach,
Wovon nur die letzten Worte
Hörbar, – » tamen usque recurret«.
Als nun Heinrich seinen Auftrag
Bei dem Meier ausgerichtet,
Ritt er langsam wieder heimwärts
Und ließ Rößlein und Gedanken
Sorglos ohne Zügel schweifen.
Plötzlich springt das Roß zur Seite,
Scheut und tänzelt. Nah dem Wege
Unter einer alten Eiche
Saß ein Fahrender im Grase,
Der an seinem Wamse flickte.
War ein Mann von starken Gliedern
Und, man sah's, kein Wettersorger,
Denn gebräunt, gefurcht, verwittert
War sein Antlitz, klare Augen
Blitzten unter busch'gen Brauen,
Seine langen Haare waren
Wie der Vollbart halb ergraut schon.
Griffbereit und handlich ruhte
Lang und breit und aus der Scheide
Um ein weniges gelüpfet
Ihm ein Ostersachs zur Rechten,
Doch zur Linken lag ein Rucksack
Und daneben eine Fiedel.
»Grüß Dich Gott, Du künftig Päpstlein
In Sanct Blasii: flottem Stegreif!«
Rief der Spielmann, denn das war er,
»Wart' ein Credo, wir Zwei haben
Einen Weg, will nur die Nadel
Und den Zwirn bei Seite packen.«
Dicht heran nun ritt der Reiter
Und den Mann sich scharf betrachtend
Rief er froh bewegt: »Spervogel!
Bist Du's wirklich, alter Weghart?«
»Bin's, bei meiner armen Seele!
Und, Herr Ohnebart, Du kennst mich?«
Sprach der Fiedelvogt und suchte
In des Laienbruders Zügen.
Der sprang schnell vom Pferd und band es
An ein Bäumchen, saß dann nieder
Bei dem Fahrenden und lachte:
»Kennst Du mich denn nicht mehr, Jonas?
Haben uns zuletzt gesehen
Dicht bei Regensburg vor Jahren,
Weißt, wo sie Dich hängen wollten, –
Bin ja Heinz von Ofterdingen!«
»Junkherr, Ihr? – na, Ihr müßt's wissen!
Kaum erkenne ich Euch wieder,
Doch in tausend Teufel Namen!
Sagt, wie kommt Ihr in die Kutte?«

»Willst nach Adamunt ins Kloster?
Thu, als ob Du mich nicht kenntest,
Nenne auch nicht meinen Namen,
Einen andern führ' ich jetzo,
Merke Dir: Tannhäuser heiß' ich,
Denn ich mußte mich verstecken,
Weil ich auf dem Dürrensteine –«
»O den Casus kenn' ich, Junkherr!«
Unterbrach ihn schnell der Spielmann,
»Stammt Eu'r Sonnenhaß von daher?
Diese Bahn ist rein gefegt,
Da ist nichts mehr, dran Ihr stolpert.
Ungebüßt liegt ein Erschlagner,
Der mit Fug und Recht gefällt ist
Wie der Knecht von Euch im Kampfe,
Sachsenrecht und Frankenweise
Ist das schon aus alten Zeiten,
Und in Oestreich gilt dasselbe.
Weiter kann ich Euch vermelden'
Lange frei ist König Richard,
Und sein Feind, der edle Herzog
Leopold der Tugendhafte,
Hat zum letzten Mal genieset,
Als er sich aufs Glatteis setzte
Gnädigst im Turnier zu Grätze,
Und nun thront der fromme Friedrich
Auf dem Herzogsstuhl zu Oestreich.«
»Weißt Du nichts vom Kürenberge?«
Fragte Heinrich. »Nein,« sprach jener,
»Bin dort nicht vorbei gekommen,
Doch nachdem ich Euch berichtet,
Daß Ihr sicher und gewiß seid,
Nimmermehr belangt zu werden,
Werft nur ab den schwarzen Plunder,
Denn noch seid Ihr nicht geschoren,
Und fahrt selber nach der Burg hin.«
»Niemals!« sagte fest der Andre,
»Heimlich bin ich dort entwichen,
Niemals kann ich wiederkehren.«
Dann erzählte er dem Spielmann
Kurz sein Schicksal seit dem Tage,
Und daß er entschlossen wäre;
Mönch zu werden und zu bleiben.
Eh' von seinem tiefen Staunen
Sich der Fiedelvogt erholte
Und ein Wort erwidern konnte,
Fuhr Tannhäuser fort: »Spervogel,
Thu mir Eines noch zu Liebe!
Sing ein Lied mir zu der Fiedel,
Denn die Lust entbehr' ich lange.«
»Gerne will ich's, kann auch neue,«
Sprach der Spielmann, nahm die Geige,
Sang ein Lied, das also anhub:
»Ich grüße mit Gesange die Süße.«
Ganz entzückt von dem Gehörten,
Frug der Jüngre: »Woher hast Du's?«
»Kaiser Heinrich hat's gedichtet,
Der dem Friedrich Rothbart folgte;
Ist ein Herrscher, klug und eisern,
Schrecklich haust er in Sicilien,
Ist auch drum gebannt vom Papste,
Aber Lieder machen kann er,«
Sprach der Fiedelvogt und stimmte
Jetzt ein andres an mit Worten:
»Ihr sollt sprechen Willekommen!
Der euch Mären bringt, das bin ich.«
»Kennt Ihr das?« frug er nun weiter,
»Das ist von dem größten Sänger
Aller Liederkunst im Reiche,
Walther von der Vogelweide
Heißt der Ritter, und ich kenn' ihn!«
Staunend mit hochrothen Wangen
Saß der junge Laienbruder,
Und ihm funkelten die Augen,
Als der Andere dann wieder
Ihm von seinen ungebundnen,
Lustig freien Wanderfahrten
Durch das ganze Reich erzählte.
Endlich sprach er: »Gieb die Fiedel!
Will doch sehn, ob ich's verlernte.«
Leise strich er erst die Saiten,
Doch bald klang es fest und sicher
Und mit reinem Ton, allmählich
Faßt' er eine sanfte Weise,
Und mit süßem Wohllaut sang er:

Merke, Vögelein, mein Sorgen,
Heimlich sei es dir vertraut,
Wo ein sehnend Leid verborgen,
Wird zum Trost der Klage Laut.

Flatterst frei um meine Zelle,
Meldest mir des Maien Gruß,
Weißt es, über diese Schwelle
Setzt nicht Sälde ihren Fuß.

Raste nicht am Fenster länger,
Zwitschre deinen Brüdern vor,
Daß hier ein verstrickter Sänger
Seinen hohen Muth verlor.

Sage ihnen, daß viel gerne
Ich wie ihr die Welt durchflög'
Und mit euch in alle Ferne
Ueber Berg und Meere zög'.
Bringe treulich Botschaft wieder
Aus dem Walde mir zurück,
Seine Ruh und eure Lieder
Sind Gnade mir und Glück.

Nur noch wenig langgezogne,
Wehmuthsvolle Saitenklänge
Ließ er seinem Liede folgen,
Und dann senkte er den Bogen
Und sah träumend vor sich nieder.
Da mit warmem Drucke legte
Sich des Spielmanns Hand auf seine.
»Junkherr,« sprach der Fiedelvogt,
»Euer Lied hat Eures Herzens
Wahre Meinung mir verrathen,
Und ich bin so wild und pfadlos
Nicht, wie Manche von mir glauben,
Nimmer kann ich es mit ansehn,
Daß Ihr Euch so jung an Jahren
Hier vergrabt, Euch einzusalzen
Zum Geruche heil'gen Nachdufts.
Mit dem alten Höhlenschuhu,
Der Euch das in Kopf gesetzt hat,
Möcht' ich mal ein Wörtlein reden,
Und bei den zwei Fiedelbogen,
Die zu Strich und Streich ich führe,
(Dabei griff er nach dem Schwerte)
Ihr dürft nicht im Kloster bleiben!«
Und nun fing er an und malte
Ihm die Welt mit reichen Worten,
Schilderte ihm alle Freuden
Eines freien Ritterlebens,
Wie 's nur Spielmannsmund vermag.
Traurig und mit bitterm Lächeln
Auf die Blumen starrend lauschte
Der Novize auf des Sängers
Farbenglühende Beschreibung.
Manchmal nickt' er leise, manchmal
Zuckt' er auf, die Blicke flammten,
Und dann rang ein schwerer Seufzer
Sich aus seinem Busen wieder.
Als der Fiedelvogt geendet,
Sprach der Jüngre ernst und ruhig:
»Mach' mir nicht das Herz noch schwerer,
Und Du weißt ja noch nicht Alles.
Schicksalsfügung ist's, mein Leben
Ist nächst Gott der heil'gen Jungfrau
Nur geweiht, die meiner Mutter
In der Nacht, da ich geboren,
Solches selber prophezeite.«
Dann erzählte und beschrieb er
Ganz genau den Traum der Mutter.
»O Du dummes Kind! Du Einfalt!«
Rief der Fiedelvogt und lachte,
Daß des Andern Stirn sich wölkte,
»Jenes übermenschlich schöne
Götterweib im Sternenkranze,
Das wie Schaum und Wellenrauschen
In dem Rosenlicht dahinfloß,
Das, das war' die heil'ge Jungfrau,
Meinst Du Nygramant, gewesen?
Besser weiß ich's, will Dir's sagen,
Wer die Heil'ge war, – Frau Venus,
Aller Lieb' und Schönheit Göttin
Hat Dir Sieg und Ruhm geweissagt,
Und daß ihr Dein Herz gehöre
Und der Minne, thöricht Mönchlein!« –
Und der Minne?! Heinrich blickte
Auf den Fiedelvogt wie sprachlos,
Als ob er des Traumes Deutung
Langsam nur begriff; dann aber
Sprang er auf, mit beiden Händen
Packt' er zitternd den Gesellen
Und frug wie mit fremder Stimme:
»Mann! bei allen höchsten Wundern,
Die im Himmel und auf Erden
Je geschehen! sprichst Du Wahrheit?«
»Meiner Treue Sicherheit,
Leib und Leben Euch zum Pfande,«
Sprach der Fiedelvogt gelassen,
»Die Ihr also mir beschrieben,
Und die jene Worte sagte
In der Stunde Eurer Ankunft,
Das war Venus! wenn Ihr zweifelt,
Fragt die Weisen und die Thoren.«
Tief erregt stand der Novize,
Mit der Brust in voller Arbeit.
Endlich sprach er: »Komm! zum Abte!«
Band das Pferd los, und am Zügel
Führt' er's langsam; beide schritten
Jetzo schweigend mit einander.
In der jugendlichen Seele
War mit eins ein Sturm entfesselt.
Venus, jene holde Göttin,
Die die Sterblichen beglückte
Mit der Liebe höchsten Freuden,
Sie, sie hatte ihn gesegnet,
Schwebte über seinem Leben,
Und der Minne, o der Minne
Hatte sie mit Götterausspruch
Selbst sein Herz geweiht! entschieden
War es jetzt, in Klostermauern
Hielt ihn keine Macht der Erde.
Fort! hinaus! der großen Göttin
Zauberischem Ruf zu folgen
Und der Minne nachzustreben!
Kampf und Zweifel war beseitigt,
Und im Muthe des Entschlusses
Fühlt' er schon zu Freud' und Freiheit
Wie auf Schwingen sich getragen.
Als der Fiedelvogt bemerkte,
Daß sein jüngerer Gefährte
Wieder ruhiger geworden
Und wie nach gefaßtem Plane
Froh und heiter um sich blickte,
Frug er: »Mit Verlaub, Junkherre!
Jenes Lied, das Ihr mir sanget,
Habt Ihr's selbst gesetzt?« Der nickte:
»Will noch andere Dir geben,
Die ich diesen Winter alle
Heimlich in der Zelle machte;
Kannst sie singen nach Gefallen,
In die Welt hinaus sie tragen, –
Balde folg' ich ihnen selber.«
»Wirklich?« und des Spielmanns Augen
Glänzten auf in heller Freude.
»Ja, ich schwör' es Dir!« rief jener,
»Aber schweige noch im Kloster;
Ist mein Probejahr zu Ende,
Kann ich frei mich selbst entscheiden,
Und Dir dank' ich's, was ich wähle.«
Also kamen sie zum Stifte,
Wo der Fiedelvogt bekannt war
Lange schon und stets willkommen.

In dem großen Refectorium
War beim Abendtrunk der Spielmann
Gast des Klosters, und man zählte
Nicht die Krüge, die er leerte.
Fröhlich saß er neben Frutus,
Seinem lustigen Kumpane,
Lachte, schwatzte und erzählte.
Beide ärgerten und neckten
Viel den dicken Küchenmeister
Bruder Rumold, den Spervogel
Mit befremdlichen Gerichten,
Wundersamen Kochrezepten
Und Gewürzen waidlich anlog.
Manches neue Lied auch sang er
Dem Konvente mit Behagen,
Und vom jungen Klosterweine
Schon erheitert, rief er plötzlich:
»Domine und würd'ge Fratres!
Einen weiß ich, der kann singen
Wie die Lerche überm Kornfeld,
Das ist dort der Tannhusäre,
Wenn Ihr ihm Dispens heut Abend
Für ein weltlich Liedlein gebet.«
Halb beschämt und halb erschrocken
War Tannhäuser, dem Begehren
Selbst der Brüder sich verschließend,
Bis der Abt gebot mit Lächeln:
»Ei so sing doch, Tannhusäre,
Wenn Du kannst! wir hören's gerne;
Alles, was Du Lust hast, singe,
Nimm dem Fiedelvogt die Fiedel,
Daß wir Deiner Kunst uns freuen!«
»Dann, hochwürd'ger Herr und Vater,«
Sprach Tannhäuser sich erhebend.
»Laß mir eine Schwalbe bringen.«
Bald, im Arm die kleine Harfe,
Stand er da in Saales Mitten
Und griff kräftig in die Saiten,
Daß sie laut und rauschend tönten
Und die Mönche sich verwundert
Alle ansahn bei dem Vorspiel.
Röther ward des Sängers Wange,
Heller blitzten seine Augen,
Und es wuchs im dunkeln Kleide
Die Gestalt, als nun zu singen
Er begann und ihm die Worte
Klangvoll von den Lippen schwebten.

Der Lenz ist gekommen
Ins harrende Land,
Hat um sich genommen
Sein Blumengewand,
Es schallt von den Zweigen
Der Vögel Gesang,
Nach Trauern und Schweigen
Ein grüßender Klang.
Da regt sich ein Sehnen, da blühet die Lust,
Heraus, du mein Lied, aus der klopfenden Brust!

Es dränget zur Ferne,
Was frei und geschwind,
Es wandern die Sterne
Und Wasser und Wind.
Es wallen und weben
Die Wolken im Raum, –
Mit ihnen zu schweben,
Mein seligster Traum.
Ihr greifet den Blitz nicht am schmetternden Schaft,
Mich haltet ihr auch nicht in Fessel und Haft.

Ich habe getragen
Den heimlichen Schmerz,
Nicht länger in Klagen
Vertröst' ich mein Herz.
Den Speer will ich schwingen
Auf schnaubendem Pferd
Und singen und klingen
Soll Harfe und Schwert.
Ich fahre wie Sturm, der die Eiche zerspellt,
Hinaus in die Freiheit, hinaus in die Welt!

Mächtig war des Liedes Wirkung,
Doch verschieden bei den Hörern.
Manche runzelten die Stirne
Ueber die verwegnen Worte,
Andre saßen still und seufzten,
Viele aber jauchzten Beifall,
Und der Fiedelvogt und Frutus
Thaten stolz auf ihren Liebling.
Mit dem Sakristane tauschte
Einen Blick der Abt, den jener
Wohl verstand, und beide pflogen
Bald darauf im Klostergarten,
Wo der Mond die warme Lenznacht
Hell durchschien, geheime Zwiesprach.

Andern Morgens zog Spervogel
Ab mit einem Bündlein Lieder,
Das Tannhäuser ihm gegeben;
Denn der Spielmann konnte lesen,
Stand auch sonst in manchem Wissen
Merklich über seines Gleichen.
Heinrich ward zum Abt beschieden,
Und es klopfte voll Erwartung
Ihm das Herz auf diesem Gange,
Doch der Abt empfing ihn freundlich.
Auf dem Tische im Gemache
Lag ein Schwert und auf dem Schwerte
Jene schöne kleine Harfe,
Die in dieser Nacht erklungen.
»Heinrich,« sprach Herr Isenricus,
»Zwar noch wenig Tage fehlen
An des Probejahrs Vollendung,
Das ich selber Dir bestimmte,
Doch Du mußt Dich heut entscheiden,
Ob Du bleiben willst, ob gehen,
Und ich weiß, Du hast entschieden.«
Dann ans offne Fenster tretend
Fuhr er fort: »Komm her und schaue!
Siehst Du dort den Falken fliegen
Hin gen Morgen? Folg' ihm, Heinrich!
Hebe so wie er die Schwingen,
Daß sie weit hinaus Dich tragen
In das Leben, in die Freiheit!
Du bist nicht zum Mönch geboren,
Nur ein Ritter kannst Du werden,
Wie Dir Kaiser Friedlich sagte.
Vorwärts! wandle Deine Bahnen,
Suche Ruhm im Glanz der Waffen,
Finde Freude am Gesange,
Habe Glück in holder Minne!
Bring' zu Ehren Deinen Namen,
Ob Du Dich Tannhäuser nennest
Oder Heinrich Ofterdingen;
Keinen hast Du zu verbergen,
Denn von Deiner Schuld vor Jahren
Spreche ich Dich los und ledig,
Wenn Du mir zur Hand gelobest,
Mit dem nächsten Heereszuge
In das heil'ge Land zu fahren
Und als wackrer Gottesdegen
Dort die Heiden zu bekämpfen.«
»Ich gelob' es!« sagte Heinrich
Und schlug in des Abtes Rechte.
»Wohl! doch in der nächsten Stunde
Mußt Du scheiden,« sprach der Abt,
»Deine Lieder sind gefährlich
Für die Brüder, Du weckst Sehnsucht,
Die verbannt aus Klostermauern.
Nimm das Roß, das Du geritten,
Hier die Harfe, die Du schlugest,
Auch dies Schwert hier, das ich selber
Auf der Kreuzfahrt einst getragen,
Und dies Säcklein Gold zur Reise.
Wirst jetzt auch in Deiner Zelle
Ritterliche Kleidung finden,
Leg' sie an; darauf im Hofe
Wird gesattelt und gezäumet
Auch das Roß schon Deiner harren
Und zum Abschiedsgruß wir selber.«
Helle Thränen in den Augen,
Aber keines Wortes mächtig,
Beugte sich der Hochbeglückte
Auf des Abtes Hand zum Kusse,
Nahm, was jener ihm geboten,
Und verließ des Gebers Wohnung.

In der Zelle fand er staunend
Neue, prächtige Gewänder,
Wie sie adelige Knappen
Reicher nicht begehren können,
Und die Kutte flog in Winkel.
Wie er dastand, schwertgegürtet,
In den schönen, hellen Farben
Einer ritterlichen Kleidung!
»Freiheit!« rief er, »Flügel! Flügel!
Offen ist die Kerkerthüre,
Und da draußen lacht der Frühling.
Welt, wie weit sind deine Grenzen?
Minne, unbekanntes Wesen,
Wo dein Horst, dein Haus, dein Lager?«
Unaussprechlich glücklich war er,
O wie schlug sein Herz in Freuden!
O wie dehnt' er Brust und Glieder!
Und wie andern Schrittes ging er
Jetzt den langen Gang hinunter,
Als wie damals, wo er mühsam
Mit dem dunkeln Mönchsgewande
Sich im Klosterschritte übte!

Auf dem Angesicht der Brüder,
Die im Hof versammelt waren,
Zeichnete sich unverhohlen
Die Bewunderung und Freude
Ob der herrlichen Gestalt
Ihres scheidenden Novizen.
Herzlich, innig war der Abschied,
Namentlich vom edlen Abte
Und vom weisen Sakristane.
Als der Knappe schon im Sattel,
Trat an ihn heran noch Frutus,
Einen Becher in den Händen,
Und vor Rührung stotternd sprach er:
»Ich war hier im Stift der Erste,
Der Dir einen Trunk geboten,
Nimm aus meiner Hand den letzten
Auch zum freundlichen Gedenken!
's ist kein Kochwein!« fügt' er schelmisch
Noch hinzu mit Seitenblicken
Auf den dicksten aller Mönche.
»Danke, Frute!« sprach Tannhäuser,
»Und ich wünsche Dir von Herzen,
Daß der Himmel Dich in Gnaden
Vor dem Schreiben stets bewahre!«
Küchenmeister Rumold knüpfte
Ihm zur Rechten und zur Linken
An den Sattelbausch ein Päcklein;
Alsdann tranken Abt und Brüder
Mit ihm Sanct Gertruden Minne,
Und er gab dem Roß die Schenkel.
Doch eh' er den Hof verlassen,
Nahm vom Rücken er die Harfe
Vor sich, ließ die Saiten tönen,
Und vom Adamunter Stifte
Ritt er spielend ab und singend:

»Den Speer will ich schwingen
Auf schnaubendem Pferd
Und singen und klingen
Soll Harfe und Schwert.
Ich fahre wie Sturm, der die Eiche zerspellt,
Hinaus in die Freiheit, hinaus in die Welt!«


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