Julius Wolff
Lurlei
Julius Wolff

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Im Burschenband.

                      Die Zeiten wechseln und jagen,
Umwandelnd waren schon
Seit König Ruprechts Tagen
Vierhundert Jahr entflohn.
Die Burgen waren verfallen
Zu Trümmern, wüst und leer,
Und Ritter und Vasallen
Dahin mit Schild und Speer.
Und Rost und Würmer nagten
Im Städtchen an Riegel und Tor,
Bemooste Türme ragten
Aus bröckelnden Mauern empor.
Wohl andre Ratsherrn gingen
Zu Rate nun und Wein,
Und andre Fischer fingen
Den Salmen aus dem Rhein,
Als da in Herrlichkeiten
Graf Dieter hielt Lehensschau
Zu Peter Sandrogs Zeiten
Und Frei's von Paffenau.
Doch in dem alten Bette
Floß noch der breite Strom
Durch seiner Berge Kette
Vorüber an Stadt und Dom.
Er hatte Kriegsgefahren
Und Mord und Brand gesehn,
Von räuberischen Scharen
War ihm viel Leids geschehn.
Doch sein Gelände grünte
Von Reben hoch hinauf,
Mit Traubenblute sühnte
Er schwerer Zeiten Lauf.
Der Sorgen schnell vergaßen
Leichtherzigen Geschlechts
Die lustigen Zecher und saßen
Am Ufer links und rechts.
War Frieden nur im Lande,
So war auch Fröhlichkeit,
Und an des Bechers Rande
Hing Leben und Seligkeit.

So war denn nach dem Lesen
Mal wieder in Sankt Goar
Ein guter Herbst gewesen;
Ein Weinchen, frisch und klar,
Versprach der Most zu werden,
Der aus der Kelter floß,
Und den zum Trost auf Erden
Man in die Fässer goß.
Schon ward das Laub der Reben
Am Berge goldig braun,
Der Sommerfäden Weben
Flog über Dach und Zaun.
Durchdringend schien mit Locken
Der Morgensonne Strahl,
Die Luft ging warm und trocken
Durchs herbstlich bunte Tal,
Daß man den Staub sah streichen,
Der auf den Wegen lag, –
Es gab nach allen Zeichen
Heut einen durst'gen Tag.
Drum ward er auch gesegnet
Den Braven in Sankt Goar,
Denn was nicht oft begegnet,
Ward ihnen freudig wahr.
Beim Zollhaus, das am Rheine
Aus alten Zeiten stand,
War's, wo die halbe Gemeine
Sich heut zusammenfand.
Sie lachten und trieben Possen
Und jubelten, dicht gedrängt
Um einen, der geschlossen
Ins Burschband war gezwängt.
Es war an die Mauerfließen
Geschmiedet ein breiter Ring
Zum Öffnen und zum Schließen,
Daß er den Hals umfing.
Der Fremde kam gegangen
Und frug nach einem Wirt,
Da hatten sie ihn gefangen
Und in das Eisen geschirrt.
Wie an den Pranger gekettet,
Stand er voll Ungeduld,
Als hätt' er das Leben verwettet
Durch eine schwere Schuld.
»Spielt also man zu Lande,«
Rief er, »dem Gaste mit?
Führt hier zu Schimpf und Schande
Des freien Wandrers Schritt?
Nichts hab' ich angezettelt,
Was Sitte nicht erlaubt,
Gestohlen nicht, noch gebettelt,
Gemordet oder geraubt;
Hab' einen Paß zum Reisen
Von löblicher Polizei,
Drum aus dem verwünschten Eisen
Gebt gleich den Hals mir frei
Und lasset meine Straßen
Mich weiter ziehn in Ruh!«
Da lachten sie über die Maßen
Und riefen ihm spöttisch zu:
»Daß du zum Morden und Rauben
Nicht hergekommen bist,
Das wollen wir dir glauben,
Doch bist du auch ein Christ?
Wir lassen dich nicht laufen
Als Heiden in die Welt,
Wir müssen dich erst taufen,
Das Becken ist bestellt.
Die Ehre seit Karl dem Großen
Man hier dem Gast erweist,
Du mußt dich nicht dran stoßen,
Daß sie das Hänseln heißt.«

»Ich nehme sie für genossen
Und sag' euch allen Dank.
Auch eh ihr mich begossen
Mit Karls des Großen Trank!«

»Nein, nein! es muß was fließen,
Eh zu den Christen du zählst,
Sag' nur, ob zum Begießen
Du Wein oder Wasser wählst.«

»Nun gar noch! ich und Wasser?
Und darum an den Rhein?
Ist mal eu'r Brauch ein nasser,
Tauft wenigstens mit Wein!«
Da jauchzten sie ohn' Ende
Und schlossen ihn los im Nu
Und schüttelten ihm die Hände
Und lachten und sprachen dazu:
»Die Antwort war nicht übel,
Denn hätte das Wasser gesiegt,
Hätt'st einen vollen Kübel
Du über den Kopf gekriegt.«
Sie zogen in hellem Haufen
Mit ihm zur ›Lilie‹ hin,
Und da begann das Taufen
Erst recht nach ihrem Sinn.
Er hielt die wackern Zecher
Dort auf sein Kerbholz frei
Und trank aus silbernem Becher
Aufs Wohl der Kumpanei.
Ihm ward die Kehle zum Lohne
Fürs Burschband brav genetzt,
Und eine goldne Krone
Ward ihm aufs Haupt gesetzt.
Und haften mit ihnen blieb er
Im uralten Wirtshaus am Rhein,
Ins Hänselbuch aber schrieb er
Clemens Brentano sich ein,
Poet von Stand und Wesen; –
Sie glotzten ihm ins Gesicht,
Denn keiner hatte gelesen
Von ihm ein einzig Gedicht.
 

Und wie sie nun so saßen
Ums aufgelegte Faß,
Die Trinkerkräfte maßen
Und plauderten dies und das,
War heimisch bald geworden
Der Fremdling im Verein
Und sprach. »Vom Hänselorden
Ihr lieben Brüder mein,
Habt ihr so schöne Sachen,
Die einem den Aufenthalt
So angenehm hier machen,
Nicht mehr noch der Gestalt
Wie eure Mordskravatte,
Fein zierlich, fest geknüpft,
Die um den Hals ich hatte,
Und draus ich kaum entschlüpft?
Ich möchte den Ruhm euch mehren
Um andre Dinge noch,
Als um das Heidenbekehren
Im runden Eisenjoch.«
Sie horchten auf mit Staunen,
Ob das sein Ernst wohl sei,
Dann ging durch sie ein Raunen,
Sie dachten an Lorelei.
Und einer vom Gelage
Erbat das Wort für sich.
»Uns wundert deine Frage,
Denn, Bruder Clemens, sprich,
Hast du noch nichts erklingen
Von Lorelei gehört,
Der Zauberin, die mit Singen
Die Männerherzen betört?
Auf jenem Fels dort hauset
Die schöne, schlimme Fei,
Vor der dem Schiffer grauset,
Fährt unten er vorbei.
In Unglück und Verderben
Lockt sie mit ihrem Lied,
Vor Liebesweh muß sterben,
Wer's hört und wer sie sieht.«
Die Reihe, zu erstaunen,
Nun an Herrn Clemens kam,
Hoch zog er die Augenbraunen,
Als er die Rede vernahm.
Und schnell mußt' er erwidern:
»Eine schöne Zauberin?
Und die mit Liebesliedern
Berückt der Männer Sinn?
Hat nie ein kühner Streiter
Den Kampf mit ihr gewagt?
Spinnt mir das Märlein weiter,
Und was ihr wisset, sagt!«

»Du wirst nicht viel erfahren;
Nur noch zu künden bleibt,
Daß hier seit grauen Jahren
Sie schon ihr Wesen treibt.
Und vielen hat sie, vielen
Gebracht den Untergang
Mit Locken und mit Spielen
Und zaubersüßem Sang.
Es steht im Totenbuche
Bei manchem, der verschied:
›Gestorben an Lurleis Fluche,
Verdorben von Lurleis Lied‹.«
»Hört,« sprach Herr Clemens wieder,
»Ich fahr' in Fröhlichkeit
Durchs Reich und fahnd' auf Lieder
Aus altvergangner Zeit.
Sie quellen in aller Runde
Aus unversieglichem Born
Und tönen in Volkes Munde
Gleich einem Wunderhorn.
Könnt singen ihr oder sagen
Ein Lied der Lorelei,
Daß ich es heim kann tragen
In meine Bücherei?«
Sie schüttelten mit Verneinen:
»Nicht einer, dem sie sang,
Kam lebend zu den Seinen,
Weil ihm das Herz zersprang.
So konnte keiner melden
Das Lied, dem er gelauscht,
Von all den jungen Helden,
Die sie damit berauscht.
Drum laß den Rat dir taugen:
Bleib ihrem Felsen fern,
Daß nicht vor ihren Augen
Dich läßt dein guter Stern!
Sie sitzt im Abendscheine
Und strählt ihr langes Haar,
Blickt lauernd hinab zum Rheine
Und singt dich in Gefahr.«

Des Dichters Tiefblick klebte
An seines Römers Rund,
Ein sinniges Lächeln schwebte
Um seinen blühenden Mund.
Sie weckten ihn aus Träumen.
»Wohlauf, du grübelnder Mann!
Laß klingen, laß brausen und schäumen,
Was über die Seele dir rann!
Das ist das beste beim Trinken
Hier unter den Reben des Rheins,
Daß Grillen und Sorgen versinken
Wie nirgends in Wellen des Weins.
Hier schwinden die schwersten Bedenken,
Heimweh und Kummer und Schmerz,
Hier wird beim Becherschenken
Dir federleicht das Herz.
Stoß an auf Freiheit und Leben,
Auf Lust und Liebesglück!
Du hast dich uns einmal ergeben,
Sehnst immer dich wieder zurück.«
Anstimmten die fröhlichen Zecher
Das Lied ›Bekränzt mit Laub
Den lieben vollen Becher!‹
Und löschten den brennenden Staub.

So saßen sie in der Lilie
Und hielten mit Bedacht
Weltlustige Vigilie
Bis spät nach Mitternacht.
Sie tranken, die Römer schwingend,
Dem Bruder fleißig zu
Und trugen ihn auch singend
Ins Bett hinein zur Ruh. –
 

Die liebe Sonne lachte
Schon hoch am Himmelsraum,
Als Clemens ächzend erwachte
Aus einem schweren Traum.
Ihm träumt', er wäre voll Würde
Ein Bischof, fromm und reich,
Von vieler Jahre Bürde
Sein Scheitel silberbleich.
Und zu ihm käme geschritten
In seine Sakristei
Mit flehentlichen Bitten
Die schöne Lorelei.
Die Augen blitzten und blinkten,
Es glänzt' ihr goldnes Haar,
Die Lippen lockten und winkten
Ach! süß und wunderbar.
Sie bat ihn, sie vom Bösen
Und von dem ewigen Fluch
Zu retten und zu lösen
Mit seinem heiligen Buch.
Sie wollte nicht mehr auf Erden
Verführen der Männer Herz,
Sie wollt' eine Nonne werden
Und büßen in Pein und Schmerz.
Er aber schrak zusammen;
Vor ihren Blicken stand
Sein eignes Herz in Flammen
Trotz seinem Bischofsgewand.
»Ich kann den Zauber nicht bannen,
Der dir in den Augen liegt;
Zieh ungelöst von dannen,
Du hast auch mich besiegt!
Erst blickte sie stumm und traurig
Ihm in sein frommes Gesicht,
Dann lachte sie schrill und schaurig:
»Herr Bischof, verfangt Euch nicht!
Wollt wahren Ihr Herz und Glauben,
Kommt niemals an den Rhein
Und trinkt in rheinischen Lauben
Nie einen Tropfen Wein!
Die Reben und die Minne,
Sie geben Euch nimmer frei,
Und um Verstand und Sinne
Bringt Euch die Lorelei.«
Sie wandte sich, ihn zu lassen;
Doch plötzlich wieder jung,
Wollt' er sie rasch umfassen
Mit seiner Arme Schwung.
Da fühlt' er mit Schrecken und Schnaufen
Am Hals ihre würgende Hand,
Als wär' er noch einmal zum Taufen
Ins Burschband eingespannt.
Die Hänselbrüder umstunden
Ihn wieder, ein ganzer Hauf,
Doch Lurlei war verschwunden, –
Und keuchend wacht' er auf.
 

Fürbaß die Wanderpfade
Zog Clemens frank und frei
Und machte die Ballade
Von der schönen Lorelei.
Das Lied ging in die Runde,
Kehrt' allerwegen ein
Und brachte der Welt die Kunde
Von der Zauberin am Rhein.
Die sitzt in Ewigkeiten
Auf ihrem Berg und singt
Und sieht das Schifflein gleiten,
Das euch vorüberbringt.
Wenn ihr sie seht und höret,
So nehmt eu'r Herz in acht,
Daß sie euch nicht betöret
Mit ihrer Liebesmacht!


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