Julius Wolff
Lurlei
Julius Wolff

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VII.
Im Fischerhause.

                    Als der Tag, an welchem Lurlei
Zwiesprach mit dem Monde pflegte,
In die Nacht hinab gesunken
Und die Jungfrau, noch beseligt
Von dem Gruße des Geliebten,
Lächelnd sich aufs Lager streckte,
Hielten sehnende Gedanken
Lange noch den Schlummer ferne.
Und als schmeichelnd er dann nahte
Und sie seinem sanften Drängen
Aufgelöst sich hingegeben,
Wiegt' er sie in süße Träume.
Auf die Burg Lothars als Herrin
Führt' er sie und legte leise
Sie in des Geliebten Arme,
Ließ sie ruhen dort die Nacht durch,
Daß des Busens lieblich Schwellen
Ihres Traumes Glück und Wonnen
Noch dem Morgenstrahl erzählte,
Als er kam, sie lang' umschwebte
Sich am holden Anblick weidend,
Bis er zögernd noch und zitternd
Auf die Schlafende sich senkte,
Um sie endlich wach zu küssen.
Oh wie wohlig und behaglich
Reckte sie die schlanken Glieder!
Und wie rosig und vergnüglich
Blickte sie dem neuen Tage
In das heitre Sonnenantlitz!
Noch ein Weilchen blieb sie ruhend
In nachträumendem Besinnen,
Dann erhob sie sich vom Lager
Mit dem köstlichen Gefühle
Frischer, kerniger Gesundheit,
In entzückender Erinnrung
Und in schwelgerischer Hoffnung
Gleichermaßen herrlich blühend.
 

Sonntag war und also Kirchgang
Für die Leut' im Fischerhause.
Peter, Dankmod und Salvete,
Heinrich und auch Lurlei gingen
Hin zum Hochamt in dem Stifte
Mit des heiligen Goar
Enger, spitzgewölbter Zelle.
Nach dem frommen Gottesdienste
Schienen die fünf Hausbewohner
Alle sorgenfrei und fröhlich.
Lurlei namentlich war wieder
In der besten Sonntagsstimmung,
Allen freundlich und gewogen
Und voll Lustigkeit und Anmut.
Bei dem Mittagsmahl, das heute
Reichlicher als sonst bestellt war,
Neckte Peter seine Blonde:
»Lurlei, heute kommt der Schreiber;
Willst du nicht dein Herz erweichen
Und dem lieben, guten Zacher
Der schon lange darauf wartet,
Endlich Trost und Hoffnung geben?«
Lurlei lachte. »O der Zacher!«
»Ist ein wohlgeborner Mann doch,«
Scherzte Peter Sandrog weiter,
»Führt auch seinen schönen Namen
Ganz mit Fug, du würd'st bei Zacher
Warm und weich im Neste sitzen.
Frau Zollschreiberin zu heißen,
Nun ich dächte –!« Lurlei lachte,
Daß die weißen Zähne glänzten.
»Schreibersfrau und ohne Sorgen!
Schreibersmann mit grauen Haaren!«

»Graue Haare? hat er die schon?
Nun, so sei doch froh, du Törin,
Wenn er sie schon hat! da brauchst du
Sie ihm nicht erst anzuärgern.«

»Und so dünn, so spindeldünne!
Wenn ich mich einmal vergäße
Und ihn unversehens herzhaft
In die Arme nähme, fürcht' ich,
Möcht' das Männlein mir zerbrechen.«
»Füttr' ihn dir nur 'ran und pfleg' ihn,
Sollst mal sehn, wie quick und rundlich
Der noch wird!« versetzte Peter.

»Will's mir überlegen, Vater!
Aber gib ihm nicht das Jawort,
Eh' ich selber ihn begehre.«
»Überlegen, überlegen!«
Wiederholte Peter Sandrog,
»Das sagst du schon seit dem Tage,
Da du, ein halbwüchsig Mädchen,
Ihm sein Schreibbuch an den Kopf warfst
Und er dich in Sanftmut fragte,
Ob du denn statt seiner Schül'rin,
Die durchaus nichts lernen wollte,
Wohl sein Weibchen werden möchtest.«
»Ausgelacht hab' ich ihn weidlich,«
Sagte Lurlei, »und nun war es
Mit dem dummen Lesenlernen
Vollends aus zu meiner Freude.
Andern Tags doch kam er wieder,
Hielt die Hand mir hin und fragte
Noch einmal nach meinem Herzchen.
›Wart', ich geb's Euch, Zacher!‹ sprach ich,
Griff zum Troge schnell und drückte
Einen nassen, kalten Frosch ihm
In die Hand, daß er fast graulich
Sich entsetzte, stracks davonlief
Und mich lange Zeit in Ruh ließ.«
Alle lachten drob am Tische.
»Aber, Mädchen!« drohte Dankmod,
»Wie abscheulich! und der Gute
Kommt doch immer, immer wieder,
Schweigt und hofft und harrt geduldig.«
»Ja, ich seh's, ich muß das Mittel
Mit dem Frosch noch mal versuchen
Oder auf ein bessres sinnen,
Ihn zu heilen,« lachte Lurlei.
 

Zacharias Ohnesorge
War in Sankt Goar am Zollhaus
Angestellt als Oberschreiber
Und kein Jüngling mehr an Jahren.
Sparsam, knausrig fast und knickrig
Lebt' er still im eignen Häuschen,
War gewissenhaft und peinlich
In den Pflichten seines Amtes
Und erfreute sich, sein kleines,
Ihm einst zugefallnes Erbe
Klug verwaltend, eines sichern,
Unverächtlichen Besitzes.
Etwas trocken zwar und hölzern
Im Benehmen wie im Reden,
Doch nicht auf den Kopf gefallen
War der brave Junggeselle,
Dem Natur, was sie an Schönheit
Ihm verleihen konnt' und wollte,
In sein Innres wohl versteckte,
Denn sein Äußeres – das Antlitz
Mit der langen, spitzen Nase,
Einem Mund gleich einem Knopfloch,
Und der knochendürre Körper –
War nichts weniger als blendend
Und bezaubernd anzusehen.
Von versöhnlicher Gemütsart
War Zachrias; jeden Sonntag,
Den Gott werden ließ, erschien er
Nachmittags im Fischerhause,
Saß inmitten der Familie,
Der Gevattern und Gefreunde,
Die sich möglich auszusprechen
Und ein übriges zu hören,
Gern sich hier zusammen fanden.
Zum Besuch im Elternhause
Kamen dann mit ihren Männern
Pünktlich auch die beiden Töchter,
Und dann war es Mutter Dankmod
Größtes Glück, ihr Enkelkindchen
Schäkernd auf dem Schoß zu haben.
War Christinens Kind, der Ältsten,
Und ein hübscher, muntrer Junge,
Aller Liebling, der von jedem
Willig auf den Arm sich nehmen,
Hätscheln, tätscheln ließ und herzen..

Peter war des ganzen Kreises
Würdig Oberhaupt; die Männer,
Über Fischfang, Fahrt und Wasser,
Werk und Handel sich beredend,
Merkten sehr auf seine Worte,
Die auf gründlicher Erfahrung
Und verständ'gem Urteil fußten.
Dankmod aber war der Frauen
Stets bereite Herzenszuflucht,
Die für jegliches Ereignis
In der Wirtschaft und im Haushalt
Rat und Tat und Hilfe hatte.
Zwischen drin, bald hier, bald dorten,
Bei dem Alter, bei der Jugend
Mit Behagen war Salvete,
Horchte, tuschelte und klatschte.
Denn an Jugend fehlt' es auch nicht.
Sonders nicht an jungen Männern,
Heinrichs Gäste und Gesellen,
Die von ihren Freunden sprachen,
Und von denen wohl die meisten
Einzig Lurleis wegen kamen.
 

Peter Sandrogs Garten zog sich
Bis zum Rheine, wo ein großes
Und zwei kleine Boote lagen.
Ein paar Schritte weit ins Wasser
Führt' ein Brettersteg auf Pfählen
Zu durchlochten Fischbehältern,
Die hier angekettet schwammen.
Größtenteiles war der Garten
Mit Gemüse, Kohl und Kappes
Und Salat bepflanzt, mit Blumen
Aber nur am Rand der Beete;
Rote Nelken, blaue Lilien,
Klafterhohe Sonnenblumen
Mit den goldnen Zackenkronen
Auf den schwarzen Mohrenköpfen,
Salbei, Rittersporn und Rosen
Blühten dort. Auch einen Grasplatz
Gab es noch mit Apfelbäumen,
Zwischen denen man zum Trocknen
Die gebrauchten Netze aufhing.
Hier im Gras und auf dem Wege
Lagen wie gesät die Schuppen,
Perlgrau oder silberblinkend,
Von den eingebrachten Fischen.
In der Reih am Zaune standen
Bienenkörbe, deren Honig
Man zum Köder vielfach brauchte.
Nah beim Hause hatte Peter
Eine Laube sich gezimmert,
Schlicht und kunstlos, doch geräumig
Und von Reben grün umsponnen.
Um den Tisch auf rohen Bänken
Saßen sie dann Sonntags plaudernd
Oder auch nach Feierabend
In den warmen Sommerwochen,
Ruhten von der strengen Arbeit
Und genossen ihren Anteil
An des Lebens Lohn und Labung
In Zufriedenheit und Wohlsein.
 

Heute kam als allerletzter
Der gewohnten Sonntagsgäste,
Zacharias Ohnesorge,
In der Hand ein Bündel tragend,
Eimergroß, doch kantig, eckig,
Unten breiter, oben schlanker.
Nach umständlicher Begrüßung
Peters, seiner wackern Hausfrau
Und der andern, die voll Neugier
Auf das Eingehüllte schauten,
Nähert' er sich schüchtern Lurlei
Und begann, zu ihr gewendet:
»Willst du mir's nicht übelnehmen,
Daß ich heut so spät erst komme –,«
»Nein! ach nein! durchaus nicht Zacher!«
Unterbrach ihn Lurlei spöttisch.
Über Zacharias' Antlitz,
Das vorher so freudig glänzte,
Ging ein Schatten, und der Blonden
Sein Paket entgegen haltend
Sprach er jetzt unsichern Tones:
»Ward erst eben damit fertig,
Mußte leimen noch und kleben
An dem Ding, daran ich lange
Fleißig mit dem Messer schnitzte.
Dacht', es könnte dir am Ende
Eine kleine Freude machen,
Wenn du's von mir nehmen wolltest
Als ein freundlich Angedenken
Und im Kämmerlein ein Plätzchen
Oben auf dem Schrank ihm gönntest.«
Währenddem hatt' er das Bündel
Auf den Tisch gestellt und knüpfte
Selbst die Knoten auf am Tuche,
Bis daraus ein hölzern Schnitzwerk
Nun zum Vorschein kam, das allen
Ein bewundernd Ah! entlockte.
»Was ist das?« frug Lurlei stutzig.
»'s ist Burg Katz, wie sie da drüben
Auf dem Felsen steht!« versetzte
Der Zollschreiber, und geschmeichelt,
Daß sein Kunstwerk Eindruck machte,
Fuhr er fort, indes die andern
Ihn umdrängend es beschauten:
»Palas, Bergfried, Wall und Mauern,
Tor und Turm und jedes Fenster
Seht ihr treulich nachgebildet
Und an seiner rechten Stelle.
Hier der Ritter auf dem Burghof,
Der hier! soll der Graf Lothar sein,
Und der hinter ihm das Roß hält,
Ist sein Leib- und Schildknecht Rauschard.«
»Herrlich! wunderschön! erstaunlich!«
Riefen alle durcheinander,
Sahen nach der Burg hinüber
Und verglichen, voll des Lobes,
Mit der Wirklichkeit das Abbild.
Lurleis Wangen glühten purpurn,
Tief erregt war sie im Herzen
Und vor Überraschung sprachlos.
Niemand merkt' es, weil ein jeder
Noch vertieft war im Betrachten.
Welch ein Zierat! welche Deutung
Mußte dem Geschenk sie geben!
Des Geliebten Burg erhielt sie
Dargebracht, wenn auch zum Scherze
Nur im kleinen nachgebildet,
Doch am Tage nach dem Traume,
Der auf diese Burg als Herrin
Sie geführt! War das ein Zufall?
Oder war es Wink und Ahnung,
Daß ihr Traum Erfüllung fände?
»Kind, was sagst du?« fuhr Salvete
Nun heraus, »ist das nicht seltsam?
Kriegst, mein Seel! ein Schloß zu eigen,
Dem Herrn Grafen seins! was sagst du?
Sag, was soll man davon denken?«
Durch die Alte wachgerüttelt
Aus den wogenden Gedanken
Und erst recht verwirrt und ratlos,
Weil auf sie jetzt alle blickten,
Sprach verlegen Lurlei: »Dank' Euch!
Dank' Euch vielmals, Zacharias!«
Und gab zitternd eine Hand ihm.
Doch der Schreiber, schon zufrieden
Und belohnt durch ihre Milde,
Sah ihr liebevoll ins Auge,
Legt' ihr sichtliches Erröten
Sich zugunsten aus und konnte
Ihr doch nichts darauf erwiedern.
Heinrich, eingedenk des Streites,
Den er unlängst mit der Schwester
Um des Grafen willen hatte,
Blickte finster auf das Schnitzwerk,
Auf den Schreiber und auf Lurlei.
Darauf stieß Salvete wieder
Lurlei mit dem Arm und raunte:
»Bring in Sicherheit dein Schlößlein,
Trag's hinauf, und wenn du erst mal
Auf der Burg da drüben hausest,
Stellst du es auf deinen Putztisch.«
Lurlei tat, wie ihr geraten,
Und im Kämmerlein das Bildwerk
Noch einmal betrachtend sprach sie:
Hier dies Bogenfenster war es,
Draus sein Licht mich traf und festhielt;
Und mit welchem Herzensjubel
Will ich diese Treppe steigen,
Wenn er erst mich hier hinauf führt!
Da! da steh und sei ein Zeuge
Und ein Nährer meiner Hoffnung!«
Damit schob sie's aufs Gesimse
Ihres Schranks und ging hinunter.
 

Als sie wieder aus dem Haus trat,
Strahlte sie von Glück und Freude,
Und der jungen Männer Blicke
Hingen alle wie bezaubert
An dem wunderbaren Mädchen.
Lurlei sah es, ließ im Kreise
Ihrer dauerhaften Freier
Blinzelnd rings die Augen schweifen.
Und ein hochmutsvolles Lächeln
Kräuselte die stolzen Lippen.
Plumpe, blöde Schmachtgesellen!
Ihr mit eurem Fischblut ahnet
Nimmerdar die Glut der Liebe,
Die in meinem Herzen lodert,
Und die ich vom Manne fordre!
Also dachte sie und wandte
Sich zu einem jungen Fischer:
»Robert Herpel, deine Bienen
Bringen wohl kein Wachs mehr fertig?
Hast mir wahrlich seit dem Winter
Keine Kerze mehr gespendet,
Und so lange deine letzte
Mir im Kämmerlein geleuchtet,
Dacht' ich deiner immer zärtlich,
Wenn ich mich zu Bette legte.«
»Tatst du das?« erwidert' eifrig
Der Beglückte, »o so weih' ich
Bald dir wieder eine neue.«
»Ja ich dachte, – weil ich's wußte,«
Sprach sie listig, boshaft lächelnd.
»Draußen steht er nun, der ärmste,
Steht und starrt herauf zum Fenster,
Holt sich klipperkalte Füße,
Und du hausest hier im Warmen
Und läßt ihn da unten frieren!«
Ärgerlich, vor den Genossen
So sich bloßgestellt zu sehen,
Murrte Robert: »Schönen Dank auch
Für dein warm und zärtlich Mitleid!«
»Ich kann rote Kerzen machen!«
Rief ein andrer, »rot' und blaue!
Welche möchtest du am liebsten?«
»Hast du rote Farben übrig,«
Höhnte Lurlei den, »so färbe
Dir dein Mehlgesicht und male
Rosenrot dir beide Wangen,
Daß du menschenähnlich aussiehst!«
Da verlachten ihn die Burschen,
Doch das Wort nahm schnell ein dritter:
»Lurlei, kämen alle Menschen
Dir an Schönheit gleich, was hätt'st du
Dann voraus noch vor den andern?
Hättst du dann an jedem Finger
Einen Freier zum Verspotten?«
Lurlei sah ihm hell ins Antlitz
Und gab ihm bestimmt zur Antworte
»Hast wohl recht, Goswin! das wäre
Grad so'n Unglück, als wenn alle
Fast so klug und witzig wären
Wie du selber, denn dann gäb' es
Zum Verspotten keine Dummen.
Und doch wollt' ich, mancher wäre
Noch ein kleines bißchen klüger
Und ersparte Zeit und Mühe,
Wort und Weg und bliebe ferne,
Wo doch nichts für ihn zu holen.«
»Wenn wir gehen sollen, sag's nur!«
Ließ der vierte sich vernehmen,
»Haben's satt! allein du brauchst uns,
Willst es hören, daß du schön bist,
Willst dich angebetet wissen,
Fühlst dich wohl dabei und würdest
Ohne uns vor Langerweile
Bald vergnittern und vergrämeln.«
Lurlei lachte wie ein Kobold;
»Hast's getroffen, süßer Seibert!«
Rief sie, ihre beiden Hände
Ihm um seinen Nacken legend
Und mit ihrem schönen Körper
Und Gesicht so nah ihm kommend,
Als ob sie ihn küssen wollte.
»Nein! ich kann euch nicht entbehren,
Bitte, bitte, liebt mich weiter!
Ich, ich lieb' euch alle wieder,
Bin nur noch nicht mit mir einig,
Wem von euch ich mich ergebe.
Jetzt vertragt ihr euch, da keinen
Ich begünst'ge, doch ich fürchte,
Wenn ich einen, dich zum Beispiel,
Mir erwählte, würden alle
Auf dich eifersüchtig werden,
Und es gäbe Mord und Todschlag.«
Übermütig lachend warf sie
Dabei jedem einen Blick zu,
Worin soviel List und Lockung,
Soviel schmeichelnd und betörend
Minniges und Keckes flammte,
Wie nur je aus Weibesaugen
Zielen kann und blitzend treffen,
Manneslust herauszufordern.
»Seht, ihr müßt ja selber lachen!«
Sprach sie, wieder hoffnungsvolle,
Heitre Mienen rings bemerkend.
»Einen kann ich doch nur nehmen..
Und der beste von euch allen
Ist mein Zacher doch; der wollte,
Wie es nun einmal sein Amt ist,
Schon der Liebe Zoll und Zehnten
Für sich selbst von mir erheben,
Als ich noch ein halbes Kind war.
Zacher, nicht? Ihr seid der Treu'ste!«
Wandte sie mit leichtem Sprunge
Nun sich zu dem ganz Verdutzten.
»Doch das müßt Ihr einsehn, Zacher,«
Fuhr sie fort, sich üppig, neckisch
Auf den Zehen vor ihm wiegend,
»Daß ich immer noch zu jung bin
Für die Würde und die Bürde,
Die auf Euren Schultern lastet.«
Zacher seufzte, und die andern
Lachten über ihn und stritten,
Wieviel Jahre schon er zählte,
Was er selbst nicht sagen wollte.
Als sie aber ihre Possen
Gar zu täppisch mit ihm trieben,
Fuhr sie Lurlei an. »Jetzt schweiget.
Dreimal spöttischer und lauter,
Als ihr über Zacher lachet,
Lach' ich über euch, ihr Narren!«
Darauf nahm sie ihn und führt' ihn
Zu den Alten in die Laube. –
 

Peter Sandrog war wie immer,
Wenn er Freunde, Kinder, Enkel
Um sich hatte, guter Dinge.
Aus den wetterbraunen Zügen
Sprach mit einer heitern Ruhe
Das Bewußtsein seines Ansehns
Und die innere Befried'gung
Über sein und seiner Dankmod
Freundlich Los. Die beiden hingen
In bewährter alter Liebe
Unverbrüchlich an einander,
Wenn sie auch darüber längst schon
Weiter keine Worte machten.
Dazu kam, daß Peters Handwerk
Mit dem Spürsinn und den Listen
Bei dem Fang des scheuen Wildes
Und mit seiner Lust und Frohheit
Über die erhaschte Beute
Etwas von den hohen Reizen
Und der Freudigkeit des Weidwerks
In sich trug, die Leib und Seele
Frisch und wohlgemut erhalten.
Und weil Segen seine Mühen
Und Behaglichkeit sein Ausruhn
Dauernd krönten und versüßten,
Hatt' er wahrlich Grund und Ursach,
Sich beglückt und froh zu fühlen.
Aber eine ganz besondre,
Große Freude ward ihm heute
Erst zuteil, als gegen Abend
Sein geliebter Bruder Ratsherr
Noch von Oberwesel eintraf.
Hergeritten war der Würd'ge,
Weil zu Fuß den Weg er scheute,
Hatte schon beim Wirt zur Lilie,
In den Stall geführt sein Rößlein
Und kam allen überraschend
Und aufs herzlichste willkommen
Nun zu Peter in den Garten.
Das Erscheinen des am Rheine
Weit Bekannten und Beliebten
Brachte Leben und Bewegung
In das Fischervolk und machte
Viel Geräusch; das Händeschütteln,
Nicken, Fragen, Antwortgeben
Wollte gar kein Ende nehmen.
Denn der Höfliche begrüßte
Alt und jung hier nach der Reihe,
Sie von früher wirklich kennend
Oder sich den Anschein gebend,
Als wenn Name, Stand und Herkunft
Eines jeden ihm vertraut sei,
Was die so von ihm Geehrten
Äußerst schmeichelhaft berührte.
In der Laube unterdessen
Harrte, flink besorgt von Heinrich,
Allbereits ein voller Weinkrug
– Freilich war's kein Engehöller –
Des vielwerten, edlen Gastes,
Eh vor lauter Artigkeiten
Dieser selbst dazu gelangte,
Auf der Bank nur Platz zu nehmen.
Endlich saß er fest und sicher
Hinterm Tische neben Peter,
Der nun an des Freundes Becher
Fröhlich mit dem seinen anstieß.
Als Herr Henne Peters Enkel
Angelegentlichst bewundert
Und dazu des Sprößlings Mutter,
Großmutter und Urgroßmutter
Nach Gebühr beglückwünscht hatte,
Glaubten sämtliche Besucher,
Daß der Ratsherr doch am liebsten
Wohl allein mit Sandrogs bliebe.
Töchter, Freier, Schwiegersöhne
Nahmen also nach einander
Kurzen oder stillen Abschied
Und verschwanden aus dem Garten.
Nur Zachrias ward gebeten,
Da zu bleiben und gefälligst
Einen Becher mit zu trinken,
Welchen Vorzug er auch dankbar
Und in stiller Hoffnung annahm.
Danach saßen sie zu sieben
Um den Holztisch in der Laube
Der Vergangenheit gedenkend
Und der Gegenwart sich freuend.
 

Bei den mancherlei Gesprächen,
Die sie mit einander führten,
Blickte Henne viel auf Lurlei.
Wiederholt hatt' er das Mädchen,
Wenn beim Freund er eingekehrt war,
Nicht im Fischerhaus getroffen,
Weil sie jedesmal dann grade,
Wie's so häufig ihr beliebte,
Einsam in den Bergen schweifte
Oder auf dem Rhein herum fuhr.
Und so hatt' er sie vier Jahre
Nicht gesehn, in welchem Zeitraum
Sie so voll und schön erblüht war,
Daß er nun an ihr sein Wunder
Und sein Wohlgefallen hatte.
Wie er auch sie heimlich prüfte
In bezug auf das, was Peter
Ihm von ihr gebeichtet hatte,
Konnt' er doch von Nixenwesen
Keine Spur an ihr entdecken.

»Nun, wie steht es mit den Salmen?«
Frug er, um vom Gegenstand
Seiner Neugier abzulenken.
»Gut!« erwiderte der Fischer.
»Mehr als jemals hat der Seehund,
Der ihr Feind ist und Verfolger,
In den Rhein hinein getrieben,
Und darunter sind dir Kerle
Wie die Welse! über mannshoch
Springen sie in Walm und Wirbel.«
»Ist es wahr,« frug Henne weiter,
»Was Salvet' in meiner Kindheit
Öfter mir vom Salm erzählte,
Daß er seinen Schwanz ins Maul nimmt,
Wenn er springen will, und federnd
Aus dem Ringe sich empor schnellt?«
»Glaub's nicht, hab's auch nie gesehen,«
Sagte Peter; Heinrich lachte,
Lurlei kicherte, auch Dankmod
Blickte lächelnd auf Salvete.
»Vete!« neckte sie der Ratsherr,
»Also war's ein Ammenmärchen
Was du mir da aufgebunden.«
»Ach, ihr junges Volk, was wißt ihr,
Wie's zu meinen Zeiten zuging!«
Wehrte sich die Alte, »damals
Sprangen immer so die Lachse;
Ob sie das jetzt anders machen,
Weiß ich nicht; was war denn aber
Mit dir kleinem, dickem Schreihals,
Wenn du endlich schlafen solltest,
Anzufangen, als Geschichten
Auf Geschichten zu erzählen?
Denn aufs Singen hab' ich leider
Mich mein Lebtag nicht verstanden
Da hat's Lurlei künftig besser,
Wenn sie erst –« »Großmutter, laß nur!«
Schnitt ihr Lurlei schnell das Wort ab,
»Mir hast du erzählt, die Aale
Gingen nachts bei hellem Mondschein
In die jungen Erbsenbeete,
Um sich an den grünen Schoten
Satt zu fressen; ist das etwan
Auch so'n Stück wie mit dem Lachssprung?«
»Höre du! im Vollmond trägt sich
Manches zu, nicht bloß die Aale
Gehn dann auf verbotnen Wegen,«
Sprach Salvete mit Bedeutung,
Doch verständlich nur für Lurlei,
Die darob erschrak und rot ward.
»Das ist richtig,« sagte Peter;
»Sommers, wenn die Schoten blühen,
Kommt nach Sonnenuntergange
An das Land der Aal, geht aber
Stets vor Sonnenaufgang wieder
Auf demselben Weg ins Wasser,
Wenn der Tau noch auf dem Gras liegt.
Streut man Asche oder Sand ihm
Auf den Weg, kann er nicht rückwärts.«
»Seltsam! auf verbotne Wege
Asche oder Sand zu streuen!
Ob das wohl ein Mittel wäre,
Manchem auf die Spur zu kommen,
Was im Mondschein heimlich umgeht?«
Sprach, die Hand am Kinn, der Ratsherr
Lurlei scharf ins Auge fassend,
Deren plötzliches Erröten
Ihm verdächtig vorgekommen.
»Ohne Zweifel!« lachte Lurlei,
»Nehmt Euch nur in acht, Herr Ratsherr,
Daß auf Euren Mondscheinwegen
Euch die Spuren Eurer Schritte
Nicht einmal im Sand verraten!«
»Ei du aalglatt Schlänglein,« drohte
Ihr der Ratsherr mit dem Finger,
»Nimm du selber nur in acht dich,
Daß man dich nicht mal ertappt noch
Und mit scharfem Griffe festhält!«
Jetzt frug Dankmod, der die Wendung
Des Gespräches nicht behagte:
»Peter, ob vielleicht der Ratsherr
Gerne Krebse ißt? wir haben
Rechte fette grad im Kasten.«
»Wird er wohl! Was meinst du, Bruder?
Magst du sie?« frug ihn der Fischer.
»Ich verschwör' es nicht, Frau Dankmod!«
Lächelte ihr zu der Ratsherr.
»Das gefällt mir!« sagte Dankmod,
»Heinrich, bring mir aus dem Kasten
Zwei Schock von den allergrößten!
Ich geh schnurstracks in die Küche,
Feuer auf dem Herd zu machen.«
So geschah's, die beiden gingen.
»Sind jetzt grade gut,« sprach Peter,
»Mausern eben und bekommen
Neuen Magen! neue Schalen –«
»Neuen Magen!?« rief der Ratsherr,
»Peter! einen neuen Magen?«
»Jedes Jahr,« versetzte Peter,
»Wächst dem Krebs ein neuer Magen.«
»O beneidenswertes Schaltier!
Jährlich einen neuen Magen!«
Sprach mit einem vorwurfsvollen
Blick zum Himmel auf der Ratsherr,
»Und wir armen Menschenkinder
Haben unser ganzes Leben
Uns mit einem durchzuschlagen,
Der von Jahr zu Jahre schlechter
Und erbärmlicher sich ausweist!«
»Mit dem Magen,« lachte Peter,
»Hat's das Krebstier freilich besser,
Und den alten, abgenutzten
Frißt es selber auf, das Viehzeug.«
»Brüderlein, – wer weiß, was ich tät,
Wenn ich einen neuen Magen
Für die lieben Tafelfreuden
Wieder mir verschaffen könnte!
Einen nur! denn alle Jahre
Wollt' ich's gar nicht mal verlangen,«
Sprach der Ratsherr, seinen Becher
Rasch mit einem Zuge leerend.
»Ach, das harte Fell, den Panzer
Neid' ich fast noch mehr dem Krebse,«
Gab Zachrias seinen Segen
Jetzt dazu. »Warum?« frug Lurlei.
»Weil der Krebs die scharfen Stiche,
Die ihm andre gern versetzen,
Und von denen weichre Wesen
Bitter oft zu leiden haben,
Nicht empfindet,« sprach der Schreiber,
Ohne Lurlei anzublicken.
»Oder auch, er wehrt sich wacker,
Wenn ein andrer ihm eins auswischt;
Wozu hat er denn die Scheren?«
Gab ihm diese spitz zur Antwort.
»Krieg und Fehde nimmt kein Ende,
Alles sticht drauf los und schlägt sich
Stets herum mit seinesgleichen,
Und die Großen auf der Erde
Treiben's ärger, als die Kleinen,«
Sprach mit ernstem Ton der Ratsherr.
»Sagt, Zachrias, Ihr beschauet
Und durchsuchet doch die Schiffe,
Die den Rhein hinauf, hinunter
Täglich hier vorüber fahren;
Habt Ihr nichts bemerkt von Fürsten
Oder höfischen Gesandten?«
»Ja gewiß!« entgegnen eilig
Und mit Nachdruck Zacharias,
»Mancherlei Geheimnisvolles
Sieht man jetzt am Rheine, Fremde,
Vornehm von Gesicht und Haltung,
Doch in Tracht so schlicht und ärmlich
Wie verkleidete Verschwörer,
Andre wieder frei und offen
Und mit stattlichem Gefolge.
Jüngst erst fuhr ein Mainzer Domherr
Mit dem Ritter Brand von Lahnstein
Und bewaffnetem Geleite
In den bischöflichen Farben
Auf dem Schiff nach Köln hinunter.«
»Richtig! richtig!« nickte Henne,
»Gebt mal acht! in deutschen Landen
Wird sich bald etwas ereignen,
Etwas Großes, das im Stillen
Lange schon sich vorbereitet;
Auf dem Königsstuhl zu Rhense
Wird es schon zutage kommen.«
»Nun was meinst du denn?« frug Peter.

»Im Vertrau'n: den König Wenzel
Wollen sie vom Throne stoßen;
Seine Völlerei und Schlaffheit,
Seine Grausamkeit und Habgier
Sei nicht länger zu ertragen,
Meinen sie, und tu' dem Reiche
Und dem kaiserlichen Ansehn
Abbruch, Niedergang und Schaden.
Deshalb pflegen jetzt die Fürsten
Heimlich unter sich Verhandlung,
König Wenzel Deutscher Krone
Für verlustig zu erklären
Und sich einen andern Kaiser
Auf den Königsstuhl zu küren.«
»Wann denn? wen denn?« frugen beide,
Peter Sandrog und Zachrias.

»Ja, wer's wüßte! das hängt alles
In der Schwebe noch, am Ende
Einen von den Wittelsbachern,
Die dem Haus der Luxemburger
Mit Gewalt die Kaiserwürde
Ganz und gar entziehen wollen.
Doch des Böhmen schlimmster Gegner
Soll der Erzbischof von Mainz sein.«
»Der allmächt'ge Gott,« sprach Peter,
»Lenke dann die Wahl der Fürsten,
Daß sie einen tapfern, milden
Und gerechten Kaiser küren!«
»Amen! darauf laßt uns trinken!«
Schloß der Ratsherr, und sie tranken.
 

Jetzt erschien Salvete wieder,
Die sich während des Gespräches
Unbemerkt entfernt, und brachte
Irdne Teller, Brot und Messer,
Heinrich einen neuen Weinkrug
Und von Zinn fünf kleine Becher.
Dann kam Dankmod mit der ersten
Hochgehäuften Schüssel Krebse,
Dampfend ach! und würzig duftend.
»Solcher hab' ich drei im ganzen,«
Sprach sie mit dem Stolz der Hausfrau,
»Langet zu! und Gott gesegn' es!«
Die so tröstlich Eingeladnen
Ließen sich's nicht zweimal sagen,
Sie liebäugelten ein Weilchen
Mit den roten Ungetümen
Und erwiesen dem Gerichte
Alle Ehre dann, das Henne
Gleich beim Kosten schon der Wirtin
Als in Brühe, Salz und Kümmel
Ganz unübertrefflich lobte.
Eine Freude war's, zu sehen,
Wie's dem lieben Gaste schmeckte.
Mit zurückgestreiften Ärmeln
Saß er da, geschäftig schmausend.
Und sein rundlich Antlitz glänzte,
Wenn er sich die Lippen leckte
Und hinan mit spitzen Fingern
Säuberlich den Becher führte.
Beim gemächlichen Verspeisen
Der vorhandnen Hüll' und Fülle,
Wozu jeder Hand und Auge,
Zahn und Zunge fleißig brauchte,
Ging es schweigsam her, man hörte
Lange Zeit nicht andre Laute,
Als ein Krachen, Knicken, Knistern
Von den harten Panzerschalen
Oder auch ein schlürfend Saugen
An dem Fleisch und Saft der Krebse.
Endlich als die dritte Schüssel
Auch geräumt war, sagte Lurlei,
Der die Mitteilung des Ratsherrn
Allerhand Gedanken machte:
»Welchen Zudrang wird es geben,
Was für einen Prunk und Aufwand,
Wenn sie einen Kaiser küren!
All die Fürsten, Grafen, Ritter
Mit dem glänzenden Gefolge
Und den schönen, stolzen Frauen
In den prächtigsten Gewändern, –
O wer das mit ansehn könnte!«
»Nun,« erwiderte der Ratsherr,
»Das versteht sich doch von selber,
Zu der Königswahl in Rhense
Gehn wir alle samt und sonders;
Wer wird da zu Hause bleiben!«
Peter aber saß bedenklich,
Schüttelte das Haupt und sagte:
»Bruder, zwar dein Wort in Ehren!
Doch was du da meldest, will mir
Noch in meinen alten Kopf nicht;
Von wem hast du nur die Kunde?«
»Nun, von einem,« sprach der Ratsherr,
»Der es wissen kann, der selber
Mit dem Erzbischof verwandt ist.
Adalbert, der Graf von Schönburg,
Hat mir so was angedeutet.«
»Wohl beim Becher?« fragte Peter,
»Denn der Oberwes'ler Burgherr,
Hört' ich schon die Glocken läuten,
Wär' dem Wein nicht eben abhold.«
»Und ich wär' es auch nicht, meinst du?«
Lachte Henne, »und da hätten
Inter pocula wir beide
Es dem höchsten aller Zecher
In dem heil'gen Röm'schen Reiche,
König Wenzel, eingetränkt so?
Gott bewahre! nicht beim Becher!
Wirst's erleben, was ich sagte.
Öfter jetzt zu ernster Zwiesprach
War ich auf der Burg beim Grafen,
Der in Rechts- und Lehenssachen
Meines Rates sich bediente.
Und – es ist zwar noch Geheimnis,
Doch ihr, meine lieben Freunde,
Werdet ja wohl schweigen können,
Und so mögt ihr denn erfahren,
Was für ein Geschäft wir treiben,
Weil es euch auch und die Grafschaft
Katzenellenbogen angeht.
Euer Graf hier auf dem Rheinfels,
Dieter, und der Graf von Schönburg
Stehen ihrer Kinder wegen
In Verhandlung, und ich helfe
Adalbert beim Ehvertrage.
Gräfin Gisela von Schönburg,
Seine Tochter, wird in kurzem
Sich mit Dieters Sohn vermählen,
Graf Lothar, der gegenüber
Auf der Katz dort oben hauset.
So! nun wißt ihr's, doch ich bitt' euch,
Das Geheimnis wohl zu hüten.«

Peter, Dankmod und Zachrias
Sahn mit Neugier und Erstaunen
Unverwandt auf den Erzähler,
Fragten dieses noch und jenes
Und besprachen das Ereignis.
Heinrich aber und Salvete
Lugten seitwärts hin auf Lurlei
Zwischen sich in ihrer Mitte,
Um zu sehen, welchen Eindruck
Wohl auf sie die Nachricht machte.
Lurlei saß mit offnem Munde,
Starrem Blicke, wie versteinert
Bei der unerwünschten Meldung,
Die ihr näher an das Herz ging,
Als das Wohl der ganzen Grafschaft.
Die besorgte Alte legte
Ihre dürren Knochenfinger
Spinnig um die Hand der Jungfrau,
Sie zu mahnen, zu beschwicht'gen,
Und das kühle Mittel wirkte.
Lurlei schrak bei der Berührung
Zuckend auf, erwachte davon
Augenblicks aus der Betäubung
Und fand mühsam sich beherrschend
Wieder Fassung, eh' die andern
Ihr verstörtes Wesen merkten.
Bald danach, als schon die Dämmrung
Sich ins Tal hernieder senkte,
Brach der Ratsherr auf, bedankte
Für die Gastfreundschaft sich vielmals
Und die froh verlebten Stunden,
Nahm von allen in der Laube
Abschied und begab mit Peter
Sich zur Lilie, für den Heimritt
Dort sein Rößlein zu besteigen.
Schon den Fuß im Bügel sprach er:
»Höre, Bruder, Eure Blonde
Ist ein wunderherrlich Mädchen.
Und das sag' ich: wenn die Lurlei
Eine Nixe ist, – wahrhaftig!
Ja! dann bin ich selber eine!«
Darauf hob er sich mit Lachen
Schwer und wuchtig in den Sattel,
Drückte Peter warm die Hand noch
Und ritt wohlgemut von dannen.
 

Auch Zachrias nahm bald Urlaub,
Denn man ging im Fischerhause
Regelmäßig früh zur Ruhe.
Lurlei bot dem Schreiber freundlich
Gute Nacht, verhielt sich schweigsam
Für den kurzen Rest des Abends
Und ging Heinrich und Salvete,
Die allein um ihre Liebe
Zu dem jungen Grafen wußten,
Aus dem Wege, um der einen
Trost und Mitleid und des andern
Spott und Hohn sich zu ersparen.
Aber als in ihrem Stübchen
Sie die Sonntagskleider auszog,
Zitterte sie mit den Händen,
Zog und zerrt' an Schnur und Senkel,
Daß sich feste Knoten schlangen
Und sie wütend die Gewänder
Sich herunterriß vom Leibe.
»Gräfin Gisela von Schönburg?«
Murmelte sie dann und blickte
Trotzig die geschnitzte Burg an
Auf dem Schranke dort. »Ich komme!«
Drohte sie die Hand erhebend,
»Und, Herr Graf, ich werd' Euch fragen, –
Übermorgen ist ja Vollmond!«


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