Julius Wolff
Lurlei
Julius Wolff

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X.
Auf Burg Katz.

              Der Tag stieg auf; die Hand erhebend
Griff Lurlei zu der Stirn empor,
Ob sie den Kranz, der leicht und schwebend
Ihr Haupt umwand, auch nicht verlor.
Sie fand ihn nicht, er war verschwunden;
Sie sprach zu sich: »Er war doch da,
Von Wasserrosen dicht gebunden!
Nein, nein! dein Brautkranz war es ja!«
Doch wie sie weiter nachgesonnen,
Da lächelte sie still beglückt, –
Ein Traum nur, der sie bald umsponnen,
Hatt' ihr den Kranz aufs Haupt gedrückt.
Sie hatt' auf goldnem Stuhl gesessen
In weitem, gastgefülltem Saal,
Umringt von Reichtum, unermessen,
Fürstlich bedient beim üpp'gen Mahl.
Doch wo? bald oben war's im Glaste
Der Fackeln auf dem Grafenschloß,
Bald unten in des Rheins Palaste,
Wo blauer Dämmer sie umfloß.
Sie wußt' es nicht; jetzt war sie wieder
Im engen Fischerhaus erwacht,
Und vor ihr wogten auf und nieder
Die Abenteuer dieser Nacht.
Sie hatte sich in Furcht und Zagen
Erst nicht ins Boot hineingetraut
Und kehrte, himmelhoch getragen,
Heim als Lothars verlobte Braut,
Einst Herrin über Land und Leute,
Gebietend mit des Blickes Strahl,
Ein armes Fischermädchen heute
Und nächstens ein gekrönt Gemahl.
Und als, kaum fähig, sich zu wahren
Vor Glück nach des Geliebten Kuß,
Sie durch die stille Nacht gefahren
Stromauf den mondbeglänzten Fluß,
Da ward ihr in derselben Stunde,
Was ihr bisher verborgen war,
Nun die erschütternd große Kunde
Von ihrer Herkunft offenbar.
Göttlicher Kraft war sie entsprungen,
Die Enkelin des Vater Rhein,
Und wäre nicht ihr Herz bezwungen,
Sie könnte selber Nixe sein.
Sie hatte nur zu wählen brauchen
Und um der Liebe hohen Preis
Nur in die Flut hinab zu tauchen
Zu ew'ger Jugend Zauberkreis.
Das war nicht Traum; dort auf dem Tische
Igornes Wasserrose lag
In leuchtend weißer Blütenfrische
Als Zeugin auch am hellen Tag.
Oh daß sie es verschweigen mußte,
Was sie mit Lust und Stolz empfand,
Daß sie sich nun als Wesen wußte,
Das über Menschenleben stand!
Vielleicht sah man's ihr an von weiten,
Warum ihr Herz in Freuden schlug,
Vielleicht verriet's ihr kühnes Schreiten,
Wenn sie das Haupt nun höher trug.
Flink auf und schnell bekleidet, wandte
Zuerst zum Garten sie den Fuß,
Da schien's ihr, jede Blume sandte
Und jeder Vogel einen Gruß.
Ihr wallte süßer Duft entgegen,
Tau blitzte, wo sie ging und stand,
Die Zweige nickten an den Wegen,
Tagfalter küßten ihr die Hand.
Des Stromes Wellen rauschten leise,
Sanft fächelte der Morgenwind,
Als rief' und wispert' es im Kreise:
Das ist sie, unser Königskind!
 

Lurlei bemerkte bei den Netzen
Dort Heinrich auf dem Gras allein,
Sie für den Fang instand zu setzen,
Und unzufrieden schaut' er drein.
Nun doch ihr Bruder nicht! – sie blickte
Bewegt zu ihm vom Garten her.
Wer weiß, wie sich das anders schickte,
Hätt' ich's gewußt! und er erst, er!
Sie trat herzu, er aber dankte
Kaum ihrem Gruß, sah sie nicht an,
Und zwischen Spott und Mitleid schwankte
Sein herber Ton, als er begann:
»Nimm, Schwester, einen Rat entgegen!
Vergiß doch nicht, nach nächt'ger Fahrt
Das Boot gehörig anzulegen,
Daß man am Morgen nichts gewahrt!«
Lurlei, so ins Gebet genommen,
Fuhr auf: »Ich bin nicht . . .!« stockte dann,
– nicht deine Schwester! sollte kommen,
Als sie noch zeitig sich besann.
»Ich will dir auch nichts unterschlagen,«
Fuhr Heinrich fort, »den Edelstein,
Wie reiche Herren nur sie tragen,
Fand ich im Nachen; ist er dein?
Wenn nicht, so wirst du ja wohl wissen,
Wer ihn verlor aus Unbedacht,
Er wird ihn sicherlich vermissen,
Drum gib ihn ihm die nächste Nacht!«
Die nächste Nacht! glutübergossen
Stand Lurlei da, dann wieder blaß,
Und aus den großen Augen schossen
Ihr Blitze voller Wut und Haß.
»Wenn von der vor'gen Nacht du wüßtest,«
Rief sie, »und was ich lernte dort,
Du kecker Bootdurchschnüffler müßtest
Verstummen, spräch' ich nur ein Wort!«

»Oh sprich es doch! ich werde schweigen,
Sag's nur: wann darf der Fischerssohn
Vor ihrer Gnaden sich verneigen,
Der Gräfin Schwester auf dem Thron?«
Sie sagte streng und ungescheuet:
»Ich hoffe, daß du's balde darfst,
Und daß dich dann das Wort gereuet,
Das du mir einst ins Antlitz warfst.«
Dann wandte sie ihm stolz den Rücken
Und ging und ließ ihn seiner Not,
Er mußte sich zum Netze bücken
Und schleppt' es mühsam in das Boot.

Doch Lurlei schlug sich aus dem Sinne
Den neu vom Zaun gebrochnen Streit
Und dachte fröhlich ihrer Minne
In tief versteckter Heimlichkeit.
Und als sie nun die beiden Alten
Im Stübchen antraf fromm und schlicht,
Des Peters wetterbraune Falten
Und Dankmods freundlich Angesicht,
Da dachte sie: wie lange wohnen
Wirst du noch bei dem treuen Paar?
Willst ihnen ihre Wohltat lohnen
Dankbar und liebreich immerdar!
Sie sprang zu Peter hin und legte
An seine Brust sich fest und warm
Und dann zu Dankmod, herzt' und hegte
Sie endlos lang' in ihrem Arm.
Die Alten frugen, weicher Regung
Der Tochter ungewohnt, erstaunt,
Aus welcher Ursach und Bewegung
Sie denn so zärtlich heut gelaunt.
Da lachte sie: »So wild durchtrieben,
So kühn und trotzig oft mein Mut,
So sonder Schranken auch, ihr lieben,
Bin ich euch doch von Herzen gut!«
Salvete kam, und es verstummte
Das trauliche Gespräch zu drei'n,
Die Fliege, die am Fenster summte,
Behielt das Wort für sich allein. –
 

Die Tage, ja die Wochen schwanden,
Es wechselte des Mondes Licht,
Lurlei, verstrickt in Liebesbanden,
Bereut' ihr Schicksalskiesen nicht.
Sie hatt' ihr Bündnis mit dem Grafen
Salveten – doch mehr nicht! – erzählt,
Mit Fragen, die Lothar betrafen,
Von jener bis aufs Blut gequält.
Doch war's gewiß der schlauen Alten:
Etwas Besondres war geschehn,
Was Lurlei ihr noch vorenthalten
Und nicht gewillt war zu gestehn.
Sie merkt' es an des Mädchens Wesen
Von ganz verändertem Gewicht,
Sie konnt's ihr aus den Augen lesen,
Doch was es war, das riet sie nicht.

Wenn Lurlei am bestimmten Tage
Den Waldweg zum Geliebten ging,
Klopft' ihr das Herz mit lautem Schlage,
Weil er so feurig sie umfing.
Frug sie jedoch mit sanftem Triebe:
»Wann holst du mich? wann werd ich dein?«
So sprach Lothar: »Kind, unsre Liebe
Muß noch der Welt verschwiegen sein.«
Sie hört' es ungern und vergeblich
Nach Gründen suchend hier und dort,
Ein Vorwand deucht' ihr, unerheblich,
Graf Dieters mangelnd Segenswort.
Warum wollt' er's ihm nicht gestehen?
Und stieß er dort auf Widerspruch,
War, seinen eignen Weg zu gehen,
Er nicht als Ritter Manns genug?
Wie? oder war dem Hochgebornen
Die Fischermaid doch zu gering?
Bestimmt' er der für ihn Erkornen
Der beiden Väter seinen Ring?
Doch was, so mußte sie sich fragen,
Hatt' er mit ihr im Sinn dabei?
Sollt' er es nur zu denken wagen,
Sie sei ihm gut zur Tändelei?
Auch ihre Ahnen waren Grafen,
War auch der edle Stamm dahin,
Wer durfte mit Verachtung strafen
Lurlei, Rheinkönigs Enkelin?!
Drum stand sie mit gehobnem Mute
Wie eine Herrin vor ihm da,
Die, ebenbürtig seinem Blute,
Ihr Recht in seiner Liebe sah.

»Nun ist bald Lehnstag auf dem Schlosse,«
Sprach Lurlei, »dann bin ich's vielleicht,
Die deiner Mutter vor dem Trosse
Das Blumensträußchen überreicht.
Ich will mir alle Mühe geben,
Ihr zu gefalln, und bist du dort –«
»Der Mühe will ich dich entheben,«
Fiel ihr Lothar sogleich ins Wort,
»Sie kennt dich, sprach zu deinem Preise
Schon viel, eh ich dich selbst erblickt,
Doch mußt du in der Gäste Kreise
Vorsichtig handeln und geschickt.«
Der Hocherfreuten war's entgangen,
Daß, wie sie auf den Lehnstag wies,
Lothar gedrückt schien und befangen
Und dies Gespräch schnell fallen ließ.
Er schlug ihr vor, am nächsten Morgen
Mit ihm auf seine Burg zu gehn
Und sich, wo künftig sie geborgen,
Das Nest dort oben anzusehn.
Sie wünscht' es lange, voll Vertrauen
Stieg sie mit ihm hinan zur Katz
Und ward nicht satt, hinab zu schauen
Ins Tal von einem freien Platz.
Grad gegenüber tief am Rheine
Lag Sankt Goar, das Elternhaus,
Der Garten, und im Sonnenscheine
Wie lieb und freundlich sah es aus!
Und seitwärts auf des Hügels Rücken
Schloß Rheinfels, mächtig von Gestalt,
Mit Palas, Türmen, Tor und Brücken
Weit ausgedehnt und hoch umwallt.
Und auf dem Strome windgetrieben
Die Segel – ach! sie stand und stand
Und wär' am liebsten gleich geblieben
Hier oben an des Grafen Hand.
Die Burg von außen und von innen,
Gemächer, Hallen und den Saal,
Besah sie dann bis zu den Zinnen
Und sah sich selbst nach Wunsch und Wahl
Schon schalten hier in diesen Räumen
Voll hoher Pracht, voll Schmuck und Zier
Und dachte sich: wie will ich träumen
Im bunt verglasten Erker hier!
Wie will von dieser Bank ich lenken
Den Blick, wenn er zu Tale schwebt,
Hinüber und der Zeit gedenken,
Die ich im Hüttchen dort verlebt! –

Zuletzt betrat sie im Geleite
Lothars ein Zimmer, hell und licht,
Das hatte von der Giebelseite
Stromauf den Lurlenberg in Sicht.
Großartig, malerisch im Bilde
Erhob sich mit dem scharfen Rand
In ihrer ganzen Höh' und Wilde
Die ungeheure Felsenwand.
Lurlei am Fenster stehend schaute
Hinüber ernst, gedankenvoll,
Wie sich der Fels so trutzig baute
Und brausend ihn der Rhein umschwoll.
Tief unten dort, da war die Klippe,
Auf der Igorn in jener Nacht –
Da fühlte sie des Freundes Lippe
Auf ihrem Nacken sanft und sacht.
Sie lehnte sich zurück im Schweben,
Bog weit sich über, wiegte sich
In seinem Halt, ihm hingegeben,
Und lächelte so wonniglich.
Er sah der Augen Glanz und Schimmer,
Zog ganz herum sie nach und nach
Und flüsterten »Lurlei, dies Zimmer
Ist unser künftig Schlafgemach.
Oh wären wir erst hier vereinet!
Der weiche Teppich dämpft und bricht
Den lauten Schall, und mild bescheinet
Uns dieser Ampel rotes Licht.«
Sie barg verschämt die heißen Wangen
An seiner Schulter, und er hielt
Sie lange schweigend so umfangen,
Von einem Sonnenstrahl umspielt.
Und sie, an seine Brust sich drängend
In ihrer Sehnsucht Kraft und Glut,
Berauscht an seinem Munde hängend,
Erbebt' in tiefster Liebesflut.
Sie wußte nichts von ihren Sinnen,
Nicht was sie tat, nicht wo sie war,
Als sollte sie ins Nichts zerrinnen;
Doch plötzlich fuhr sie auf, – »Lothar!!«
Es klang, wie wenn's der Wahnsinn riefe,
Sie riß sich los, – »hinweg! hinaus!
Hörst du das Donnern in der Tiefe?
Hörst du des Rheines wild Gebraus?
Er schwillt, er steigt, die Wasser tosen
Um deine Burg von Ort zu Ort;
Ist's Wellenschaum? sind's Wasserrosen?
Sind's Nixenarme dort und dort,
Die mich umzingeln, nach mir greifen,
Von deinem Herzen mich zu ziehn,
Mich in den Grund hinabzuschleifen?
Lothar! Lothar! ich soll dich fliehn;
Du bist dem Tod verfalln auf Erden,
Der dich aus meinen Armen nimmt,
Drum soll ich nicht dein eigen werden,
Mir ist ein ander Los bestimmt!«
Sie war ganz bleich, die Augen traten
Mit grausig starrem Blick hervor,
Die ausgestreckten Hände baten:
Rühr' mich nicht an! doch sie verlor
Nun fast den Halt, als sie gesprochen,
Not tat's, daß er sie schnell umfing,
Die wie in Ohnmacht, kraftgebrochen
Gleich einer welken Blume hing.
Dann sich erholend sprach sie wieder:
»Verzeih, was du vernommen hast!
Ich sah die Steile dort hernieder,
Ein Schwindel hatte mich erfaßt;
Hier im Gemach ist dumpfe Schwüle,
Und ich war fürchterlich erregt, –
Ich liebe dich! – doch komm ins Kühle,
Wo sich die freie Luft bewegt!«
Sie ging hinaus, das Tor war offen,
Sie schritt hindurch, blieb wieder stehn,
Und sprach. »Laß nicht umsonst mich hoffen!
Lebwohl, Lothar! auf Wiedersehn!«
Ein Blick noch traf aus ihren Brauen
So seltsam ihn, eh sie entschwand,
Daß wieder er ein heimlich Grauen
Vor ihrer Liebeshuld empfand.


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