Julius Wolff
Lurlei
Julius Wolff

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Den Kranz auf!

                  Den Kranz auf! daß mit breitem Ringe
Der Rebe grünes Laub euch rund
Das sorgenfreie Haupt umschlinge
Zu Zier und Zeichen unserm Bund!
Wenn sein Geflecht sich kühl und bauschig
Beschattend um die Stirne biegt
Und an die Schläfen leicht und lauschig
Die schöngezackten Blätter schmiegt,
Da schauen gleich noch eins so helle
Die Augen drunter vor, da kommt
Das rechte Wort noch mal so schnelle,
Das einer guten Stunde frommt.
Denn wisset, volle grüne Ranken,
Weinlaub zumal, ums Hirn gelegt,
Macht frisch und freudig die Gedanken
Und Sinn und Seele froh bewegt.
Drum Kranz auf! daß zu Gunst geneigter
Ihr meinem Sang die Ohren spitzt,
Zu glauben dünket angezeigter
Dem, der bekränzt beim Weine sitzt.
Und kann auf Erden wohl zum Dichten
Ein bessrer Ort als dieser sein
Und zum Erzählen von Geschichten?
Bedenkt, Gesell'n, – wir sind am Rhein!
Romantik ist ja hier zu Hause,
Treibt ihren Zauber aus und ein,
Durchglänzet tags Palast und Klause,
Geht nächtens um im Mondenschein.
Im Kreuzgang spuken Mönchsgespenster,
Auf Türmen Ritter ohne Ruh,
Aus jedem alten Bogenfenster
Winkt eine Geisterhand euch zu.
Nie kommt ihr aus dem Kreis der Sage,
Fahrt ihr den Rhein zu Berg, zu Tal,
Euch mahnt bei jedem Ruderschlage
Am Ufer ein bedeutsam Mal.
Da schauen in des Stromes Spiegel
Die Zeugen der Vergangenheit,
Und alles hat mit Brief und Siegel
Schicksal und Urkund alter Zeit.
Efeubewachsne Steine reden,
Des Ritterschlosses zäher Rest
Und unter ihm, ergraut in Fehden,
Das kleine, trotz'ge Bürgernest.
Hoch jenes über steilem Pfade
Mit Turm und Zinnen aufgereckt,
Und dies behäbig am Gestade
Mit seinem Bollwerk hingestreckt.
Die Burgen aber und die Städte,
Fast zahllos an des Rheines Lauf,
Sind sein Geschmeid und Ziergeräte,
Wie Perlen reihen sie sich auf.
Schaut nur von dieses Hügels Runde,
Wie ruhig dort der Strom sich wiegt,
Wie freundlich hier im Vordergrunde
Uns Sankt Goar zu Füßen liegt!
Hier hüben dehnt sich an der Halde
Das stolze Rheinfels mächtig aus,
Und drüben ob der Schlucht am Walde
Da sitzt die Katz und dort die Maus.

Jetzt kommt auf schmalen Eisensträngen
Das Dampfroß schnaubend angesaust,
Daß es auf beiden Uferhängen
Dumpf donnernd aus der Ferne braust.
Die Eisenglieder rolln und klirren,
Es krümmt sich der geschuppte Schweif,
Es stöhnt und faucht, und Funken schwirren
Im langgezognen Wolkenstreif.
Da gähnt am Berg mit offnem Rachen
Entgegen ihm ein finstrer Schlund,
Es ist die Höhle wohl des Drachen
In des Gesteines tiefem Grund.
Der schwarze Lindwurm kreischt, und knatternd
Stürzt er sich in der Erde Bauch,
Taucht unter, und den Fels umflatternd
Verliert sich seines Atems Hauch.
Da klingt vom Rhein her eine Glocke,
Das Schiff; das Schiff! es kommt zu Land,
Und lustig weht am Flaggenstocke
Vom Topp des Wimpels rotes Band.
Die Räder schaufeln, daß am Buge
Die scharf durchschnittne Flut sich bäumt
Und hinterher im Doppelzuge
Langhin noch Well' auf Welle schäumt.
Ins Sprachrohr ruft auf seinem Stege
Der Kapitän, daß sich genau
Der Dampfer an die Brücke lege,
Und weit hinüber fliegt das Tau.
Die einen gehn, die andern kommen,
Laut zischt der Dampf aus dem Ventil,
Bis Sack und Pack an Bord genommen,
Und wieder vorwärts rauscht der Kiel.
Es quirlt und brodelt in den Wellen,
Und aller Blicke schau'n zurück.
Die Tücher wehn, die Herzen schwellen
Von Wanderlust und Reiseglück.

Gesprengt im Rheine sind die Riffe,
Daß nicht wie sonst er brausend geht,
Und sicher fahrt ihr, wenn zu Schiffe
Der Lotse hoch am Ruder steht,
Wo einst im Tiefen Bänke ragten
Bis hin zum Binger Mäuseturm,
Stromschnellen über Klippen jagten
Mit Wirbelsturz und Wogensturm.
Der Wald, wie's früher war, erstrecket
Sich nicht mehr bis zum Uferwall,
Von andern Tönen wird erwecket,
Als ehemals, der Widerhall.
So weit jedoch die Blicke reichen,
Habt ihr von hier aus, Zoll um Zoll,
Ein Bild vor Augen ohnegleichen,
Hochherrlich, heiter, anmutvoll.
Weit müßt ihr gehn und lange suchen,
Bis wieder ihr des Himmels Blau,
Das Grün der Reben und der Buchen,
Des Wassers Glanz, der Felsen Grau
Noch einmal so beisammen findet,
Wie's hier in farbenreicher Pracht
Zum vollen Einklang sich verbindet
Und lockend euch entgegen lacht.

Doch wie auch Werb und Wellen blinken,
Die Berge sonnen ihren Schatz,
Wie Städtlein auch und Burgen winken
Und manch ein trunkgerechter Platz
Gleich diesem hier, – ich seh' euch spähen
Nach jener schauerlichen Wand,
Die von dem First, dem schwindlicht jähen,
Schroff abfällt zu des Stromes Rand.
Man spricht seit vielen hundert Jahren
Von diesem Berg, ein altes Wort
Nennt ihn den ›Lurlenberg‹, bewahren
Soll er den Nibelungenhort.
Wüst ist die Wand und kahl der Gipfel,
Der Fels gefurcht von Spalt und Kluft,
Da grünt kein Strauch, da rauscht kein Wipfel,
Und keine Blume spendet Duft.
Nichts rührt und regt sich hoch dort oben
Tagsüber auf dem nackten Stein,
Und alles Leben scheint verstoben,
Der Wind weht über Gras und Grein.
Doch glänzt vom Abendrote wider
Der Berg im letzten Sonnenstrahl,
So tönen oftmals süße Lieder
Vom Felsenjoch herab ins Tal.
Es ist ein zauberstarkes Klingen,
Das einsam durch die Lüfte schallt,
Und wer es hört, das holde Singen,
Dem greift's ans Herz mit Wunschgewalt.
Er strebt hinauf mit allen Sinnen,
Von Sehnsucht höllenheiß erfaßt,
Die Sängerin sich zu gewinnen,
Hat nirgend Ruhe mehr und Rast.
Doch wehe, weh, wenn er sie schauet,
Wenn ihn umfängt die schöne Fei!
Sie herzt und küßt ihn, daß ihm grauet,
Die liebeslist'ge Lorelei!

Ihr wollt nicht an die Hexe glauben
Und lächelt spöttisch, wenn ihr trinkt?
Nein, Brüder! bei dem Blut der Trauben,
Das hier in unsern Römern blinkt!
Die Lurlei lebte, lebt noch immer,
Saß auf dem Felsen schon und sang,
Bevor des Mondes Glanz und Flimmer
In die gebrochnen Burgen drang.
Geschichte waltet, Sage webet,
Und jede wird zur Dichterin,
Doch was durch Mit- und Nachwelt schwebet,
Das hat auch einen Grund und Sinn.
Und wie und wo in Volkes Munde
Nun Mären kommen oder gehn,
Von der Verführerin die Kunde,
Die konnte nur am Rhein erstehn,
Am Rhein, wo allezeit der Glaube
An seltsam Abenteuer siegt
Und überall zu Rausch und Raube
Versuchung auf der Lauer liegt.
Denn eingewurzelt mit den Reben
Ist, was ein hurtig Herz beglückt,
Ein unverwüstlich flottes Leben,
Das wie der Lurlei Sang berückt.
Es lockt mit Wein und Lied und Liebe,
Und wer nicht fest sich weiß und frei,
Tät besser, wenn er ferne bliebe
Ihm und der Zaubrin auf der Lei.
Schwer wird es jedem zu entrinnen,
Den einmal traf ihr Minnegruß,
Und schwer bringt wiederum von hinnen
Der Wandrer den bestaubten Fuß,
Weil, was er manchmal sieht und höret,
So dicht ans blaue Wunder grenzt,
Daß jeder Trunk ihn hold betöret,
Als hätt ihn Lorelei kredenzt.
Denn wie im Wein des Weines Blume,
Sein Geist und innerster Gehalt,
So nistet in des Rheines Ruhme
Der Nixe schillernde Gestalt.
Sie halten treulich, ungetrennet
In eurem Denken gleichen Schritt,
Und wo man seinen Namen nennet,
Tönt auch der ihre leise mit.
Vom Süden ist sie bis zum Norden,
Gehüllt in sagenhaft Gewand,
Des Volkes Eigentum geworden
Im ganzen deutschen Vaterland.

Erlaubt mir, daß ich euch berichte
Ausführlich, wie ich kann und mag,
Der Lurlei Leben und Geschichte
Von Anfang bis zum heut'gen Tag!
Ein Märchen ist's aus alten Zeiten;
Ihr wißt ja, ich beschwöre gern
Gestalten und Begebenheiten,
Die manches Säkulum uns fern.
Schon lange hat es mich getrieben
Zu diesem Sang hin ohne Ruh;
Nehmt's hin, wie ich's hier aufgeschrieben,
Als tränk' ich fröhlich eins euch zu!
Rückt euch den Kranz, daß hier im Bunde
Die Lust euch aus den Augen blitzt!
Und voll die Römer in der Runde,
Wie Bruder neben Bruder sitzt!
Nur daß ich erst die Lippen netze,
Heb' ich das Glas mit goldnem Wein,
Und eh' ich's wieder niedersetze –
Stoßt an! gesegnet sei der Rhein!


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