Julius Wolff
Lurlei
Julius Wolff

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XVII.
Heinrich.

                Frühsommer war's im Tale wieder,
Der Wald geschmückt, der Himmel blau,
Im Laube wogt' es auf und nieder,
Und an den Gräsern hing der Tau.
Weit ausgespannte Segel blinkten
Stromauf, stromunter auf dem Rhein,
Die Kränze vor den Schenken winkten,
Und durst'ge Wandrer kehrten ein.
Es war das alte lust'ge Leben
Mit seinem schwärmenden Genuß,
Wie's rauscht und rollt im Land der Reben
Und an dem ewig jungen Fluß.
Nur Heinrich wollte nichts erfreuen,
Nicht Vogellied, nicht Blütenglanz,
Und nichts verschlug, ihn zu zerstreuen,
Nicht Becher oder Kirmestanz.
Ihm wollte Lurlei seit dem Tage
Der Königswahl nicht aus dem Sinn,
Auf Schritt und Tritt trug er die Frage
Mit sich herum: wo war sie hin?
All die unzähligen Geschichten
Von ihrem Nixentum am Rhein,
Die mit ausführlichen Berichten
Todbringend arger Zauberei'n
Das Tal durchschwirrten allerwegen,
Vermochten nicht, sein treues Herz
So aus dem Tiefsten aufzuregen,
Als wie der eine große Schmerz
Seit der Entdeckung an ihm nagte,
Daß Lurlei, die er zwanzig Jahr
Als Bruder nur zu lieben wagte,
Nun doch nicht seine Schwester war.
Zwar lindernd Öl war's auf den Wogen,
Die wild durchstürmten seine Brust,
Daß ihn doch Lurlei nicht betrogen,
Weil sie es selber nicht gewußt.
Doch hätten sie's zur rechten Stunde
Gewußt, daß sie nicht blutsverwandt,
Sie hätten sich zum Lebensbunde
Wohl längst geeint mit Herz und Hand.
Und hätt' auch, wenn der Wunsch erwachte,
Der Vater offen ihm vertraut,
Was er von ihrer Herkunft dachte,
Er hätte fest darauf gebaut,
Daß er mit seiner Lieb' und Treue
Sie von der Nixenart geheilt,
Und wenn das nicht, auch ohne Reue
Das schlimmste Los mit ihr geteilt.
Nun war's zu spät; was beide trennte,
Unwiderruflich war's geschehn,
Und doch, ein Stern am Firmamente,
Stand Hoffnung noch auf Wiedersehn
In Heinrichs Nacht mit hellem Schimmer,
Der ihm aus Lurleis Augen kam;
Das war kein Abschied schon für immer,
Den sie bei Rhense von ihm nahm.
In ihrem Blick hatt' er's gelesen,
Dem letzten, den er vor ihr sah;
Er kannte sie, klar lag ihr Wesen,
Ihr ganzes Leben vor ihm da.
Daß einst im Wasser es begonnen,
Erfuhr er staunend hinterher,
Doch daß es darin auch zerronnen,
Das glaubt' er nun und nimmermehr.
Die kühne Schwimmerin ertrinken,
Die Taucherin in Strom und Bucht?!
Ihr bot des Rheines Wellenblinken
Nur einen sichern Weg zur Flucht.
Was in der Wut sie da gesprochen,
Da man als Hexe sie verschrie'n,
Den Stab schon über sie gebrochen,
Gab ihr Verzweiflung ein im Fliehn.
Was aber jetzt man von ihr sagte,
Daß sie sich hie und da gezeigt,
In Not und Tod die Männer jagte,
War er zu glauben sehr geneigt.
Seit Winters Ende spülte wieder
So manchen Toten aus der Rhein,
Und immer sollten Lurleis Lieder
Die Mörder der Ertränkten sein.
Das Suchen hatt' er aufgegeben,
Das lange Zeit er rastlos trieb,
Doch hofft' er, daß ihr Widerstreben,
Sich ihm zu nah'n, nicht dauernd blieb,
Und wünschte sich, ihr machtvoll Singen
Einmal zu hören, sollt' es auch
Unfehlbar ihn ums Leben bringen
Und er vergehn in Klang und Hauch.
 

An jener kühlen Uferstelle
Genüber grad der Felsenwand,
Wo einstmals, starrend in die Welle,
Sie ihn im vor'gen Sommer fand,
Lag Heinrich nun im Busch und dachte
Sein Leben durch von Jahr zu Jahr,
Wie er's von Kindheit an verbrachte
Mit Lurlei hier in Sankt Goar.
Ihm stiegen aus vergangnen Tagen
Ach! sonnenhelle Bilder auf
Mit muntren Spielen, keckem Wagen
Und mit dem glücklichen Verlauf
Von manchem lust'gen Abenteuer
Das er zu Wasser und zu Land
In ungedämpftem Jugendfeuer
Mit Lurlei frohgemut bestand.
Vor Augen war ihm, wie sie blühend
Zur Jungfrau reifte schön und schlank,
Und wie dann mehr und mehr erglühend
Sein Herz ans Herz der Schwester sank.
Von Liedern, die sie ihm gesungen,
Manch eins ihm ins Gedächtnis kam,
Das ihm so seelenvoll erklungen,
Wie's nie ein andrer noch vernahm.
So ließ er die Erinnrung walten
Und lag mit ihrem Perlenschatz,
Die Hände unterm Haupt gefalten,
An seinem alten Angelplatz.

Der Tag versank; die Berge hüben
Beschatteten bereits das Tal,
Nur Kamm und Kuppen waren drüben
Beleuchtet noch vom Abendstrahl.
Tief dunkelgrün erschien die Halde
Mit ihrem Laub an Strauch und Baum,
Nur von dem hochgelegnen Walde
Erglänzte noch ein breiter Saum.
Die Wände dort und scharfen Kanten
Vom nackten, braunen Felsgestein
Entzündeten sich nun und brannten
In einem rosenroten Schein.
Das Wasser floß um Bänk' und Riffe,
Die Wirbel schäumten zwischendrein,
Zum Hafen steuerten die Schiffe,
Und einsam ward es auf dem Rhein.
Nichts störte mehr den Abendfrieden,
Kein Streit, kein lärmendes Getön,
Die tiefste Ruhe war hienieden
Im Tal und oben auf den Höh'n.
Die Zweige über Heinrich schwebten
So still, daß sich kein Ästlein bog,
Kaum daß die Blätter leise bebten,
Wenn sie ein Lüftchen überflog.
Durch sie hindurch erblickt' er oben
Aufragend in des Himmels Blau
Und wie von eitel Gold umwoben
Des Lurlenberges stolzen Bau.
Just dort, wo Lurlei hausen sollte,
Sucht' er sie niemals, sah nicht ein,
Wie sie das Leben fristen wollte
Hoch auf dem obdachlosen Stein.
Doch heute trieb's, hinauf zu dringen,
Ihn mächtig aus der stillen Bucht,
Er wünschte sich des Falken Schwingen,
Sein Auge maß die finstre Schlucht,
Die zackig aufstieg aus dem Rheine,
Wo, wie ihm dünkte, Fuß und Hand
Hier am Gestrüpp, dort am Gesteine
Notdürftig Halt und Stütze fand.
Wenn er im Boote nicht verzagte,
Mit dem er hergekommen war,
Sich durchs Gewirr hinüberwagte,
Vielleicht bestand er die Gefahr.
Wie er noch sann und überlegte,
War's ihm, da er zum Gipfel sah,
Als wenn sich dort etwas bewegte;
Ein Flattern ward im Winde da,
Wie wenn Gewand sich bauscht' und blähte
Und vorgebeugt im Abendschein
Lurlei dort oben stünd' und spähte
Vom Fels hernieder auf den Rhein.
Sein Atem flog, sein Atem stockte,
Sein Blick nicht von der Höhe schied;
Wie, wenn sie nun ihn rief' und lockte –?
Da klang schon ein ergreifend Lied.

              Am Berge blinkt das Abendrot,
Die Sonne geht zur Ruh,
Fahr' unten dort in deinem Boot
Mir nicht vorüber du!
Einsam hier oben halt' ich Wacht
Und harr' in Liebe dein,
Und meine Sehnsucht Tag und Nacht
Ist tiefer als der Rhein.

Oh kämest du herauf zu mir,
Wie wollt' ich dich empfahn!
Mit offnen Armen wollt' ich dir
Und heißem Herzen nahn.
Ich preßte dich und küßte dich
Ach! viele tausend Mal,
Und deine Huld erlöste mich
Aus meiner Unrast Qual.

Wo auf der Erde festem Grund
Dein Fuß auch geht und steht,
Es lächelt nimmer dir ein Mund
So süß, wie meiner fleht.
Und wo auch immer weit und breit
Dich Wogengang umsprüht,
Find'st nirgend soviel Seligkeit,
Wie mir am Busen blüht.

Komm, laß uns beide wohlgemut
In Liebesbanden sein!
Mit meiner ganzen Seele Glut
Bin ich in Freuden dein.
Komm, flüstre Wonnen in mein Ohr
Und ruh' an meiner Brust,
Blick' auf und schwinge dich empor
Zu dein' und meiner Lust!

                        Auf und hinab wie halb von Sinnen
Von dem berückenden Gesang,
Das andre Ufer zu gewinnen,
Heinrich in seinen Nachen sprang.
Zum höchsten spannt' er alle Kräfte
Wie ein Verfolgter auf der Flucht,
Es bogen sich die Ruderschäfte
Am Bord von seiner Stöße Wucht.
Er fuhr um Strudel hin und Schnellen
Und steuerte mit fester Hand
Durchs tosende Gesprüh der Wellen
Zum mühevoll erreichten Land.
Dann wandt' er sich in Hast und Eile
Seitwärts zu jener engen Kluft
Und kletterte hinan die Steile,
Als ging' es senkrecht in die Luft.
Wo Strauch und Wurzel halten wollte,
Krallt' er sich mit den Händen ein,
Und unter seinen Füßen rollte
Hinunter Erdreich und Gestein.
Vermessen war's, doch ward's gewonnen,
Das wolkenhoch gewagte Spiel,
Und eh er des sich recht besonnen,
War Heinrich am ersehnten Ziel.
 

Die Sonne drüben war gesunken,
Grau stand der Felsen, öd und leer,
Kein Strahl, kein goldner Himmelsfunken
Beglänzte seinen Scheitel mehr.
Heinrich erblickt kein lebend Wesen,
Wohin sein suchend Auge schaut,
Nur Ginster wächst und Hexenbesen,
Schwarzdorn und bräunlich Heidekraut.
Er schreitet vor, und an der Spitze,
In kaum verhüllendem Gewand,
Reglos gleich ihrem Felsensitze –
»Lurlei!!« – am luftumgebnen Rand
Wirft er sich taumelnd vor ihr nieder,
Und in des Glückes Überschwang
Jauchzt er: »Hab' ich dich endlich wieder?!
Dein Lied war's, Lurlei! dein Gesang!«
Mit einer Inbrunst ohnegleichen
Schaut er ihr strahlend ins Gesicht,
Doch ihr Erschrecken, ihr Erbleichen
Sieht er in seinem Jubel nicht.
»Wie hab' ich dich gesucht im Tale,
Das du geheimnisvoll durchschwebst,
Seit deiner Flucht vom Königsmale!
Nun seh' ich's, fühl' es, daß du lebst!
Doch wenn du nicht im Grabe schliefest,
Was hielt dich, welches Zweifels Scheu,
Daß du mich nicht schon eher riefest?
Du weißt es doch, ich bin dir treu!«

»Heinrich! Dich hab' ich nicht gerufen,
Nicht dir sang ich mein lockend Lied,
Da ich auf diesen Felsenstufen
Von allen dich am meisten mied.«
Die Augen mit der Hand bedeckend
Seufzt sie wie unter Bergeslast,
Derweil er auf den Knien sich reckend
Mit beiden Armen sie umfaßt.
»Warum willst grade den du meiden,
Der so dich über alles liebt,
Daß es für ihn nach deinem Scheiden
Kein Glück mehr auf der Erde gibt?«
So forscht er mit verhaltner Klage.
Doch sie, das Antlitz abgeneigt:
»Erlaß mir Antwort auf die Frage!«
Erwidert sie und sitzt und schweigt.
»Mir,« spricht er, »schweben auf der Lippe
Mehr Fragen noch; oh sage nur:
Was schaffst du hier auf wüster Klippe,
Wo keines Menschenschrittes Spur?
Lurlei, die Rede geht am Rheine,
Du brächtest Tod dem, der dich sieht,
Und dem auch, der im Abendscheine
Erklingen hört dein schmelzend Lied.«
Sie stutzt, ein grausam Lächeln gleitet
Ihr triumphierend durchs Gesicht,
Dann wallt sie auf, und heftig streitet
Es in ihr, bis sie trotzig spricht.
»Wenn nun die Rede keine Märe,
Wenn's ohne Rettung, Wahl und Rat
Nun wirklich mein Verhängnis wäre,
Jäh zu verderben, was mir naht?
Und keinen, keinen dürft' ich schonen,
Den hierher sein Verlangen führt,
Und müßte Treu wie Untreu lohnen,
Von Gnad' und Mitleid ungerührt?«
Sie ist vom Sitz empor gesprungen,
Scheint ihm unnahbar, hünenhaft
In ihrer Schönheit, doch durchdrungen
Von alles Bösen Willenskraft.
Er ist vor ihr zurückgewichen,
Sie blickt ihn gar zu schrecklich an,
Als käm' die Tücke schon geschlichen,
Die auch auf sein Verderben sann.

»So hättest – hättest wirklich alle,
Die jüngst in voller Kraft geknickt,
Verlockt von deines Liedes Schalle,
Du, Lurlei, in den Tod geschickt?!
– Oh sprich! sag' mir's mit einem Worte!
Bin ich denn auch verloren nun?
Du schaust so wild am wilden Orte,
Mein Blick kann nicht in deinem ruhn.«

»Verlange nicht nach weitrer Kunde,
Zu wissen, wie das Schicksal wägt,
Und wann auch dir die letzte Stunde,
Du einzig Lieber, einmal schlägt.«
»Liebst du mich –« »Frage nicht!« sie schneidet,
Schon wieder kalt und hart, das Wort
Ihm ab, den herben Ton umkleidet
Kein Mitgefühl; streng fährt sie fort:
»Mir ist vergiftet und verdorben
Das Blut, das in den Adern kreist,
In meinem Herzen ist gestorben,
Was Lieben und Erbarmen heißt,
Und nun kommst du daher und weckest
Begrabnes auf mir in der Brust,
Und was, Unsel'ger, du entdeckest, –
Oh würd' es nimmer dir bewußt!«
Er lächelt trüb. »Ich kann es raten;
Was, Lurlei, dich um mich bedrängt,
Ist, daß wie andern, die dir nahten,
Auch mir der Untergang verhängt.
's ist Schicksals Hohn; – ich hatt' das Leben
Schon satt, weil's freudlos mir verrann
Und nun es gilt, es hinzugeben,
Lacht's mich auf einmal gnädig an.
Kannst du ihr noch ein Weilchen wehren,
Der Hand, die schon sich nach mir streckt,
Kannst du den Würger warten lehren,
Bis mich sein Kommen nicht mehr schreckt,
O dann, so tu's! noch säh' ich gerne
Des lichten Himmels freundlich Blau,
Den breiten Strom, die goldnen Sterne,
Den grünen Wald in Duft und Tau!
Und dich, dich, Lurlei, möcht' ich sehen
Noch diesen einen Sommer lang,
Hier oben knien, dort unten stehen
Und selig lauschen deinem Sang.
Laß mir dies holde, süße Leben,
Nur deinetwegen wünsch' ich's mir,
Sieh doch das Tal, den Rhein, die Reben,
Wie wunderschön sind sie mit dir!«
Sie schweigt, und nur ein frostig Schaudern,
Das fieberartig sie durchfährt,
Bekundet, wie's mit Zwang und Zaudern
Gewaltig in ihr braut und gärt.
Ihr ganzes Innre will sich wenden
Und bäumt sich auf in Kampf und Scheu,
Auch diesen in den Tod zu senden
Für alle seine Lieb' und Treu.
Und Heinrich fragt: »Sind diese Bande
Zu brechen so entsetzlich schwer?
Komm mit! weit weg in ferne Lande!
Dein Bruder bin ich ja nicht mehr!
In kleiner Hütte, still geborgen,
Wirst du mein Weib an meiner Brust,
Des Tages Müh'n, ja Not und Sorgen,
Doch, Lurlei! namenlose Lust –«

»Reiß' mir das Herz in tausend Stücke,
Weil dir es nicht zu Dienst und Dank,
Doch sprich mir nicht von einem Glücke,
Heinrich, das uns in Nacht versank!
Flieh! flieh! ich will die Augen schließen,
Nicht sehn, wo du hinunter klimmst,
Kein Laut soll mir von Lippen fließen,
Wenn unten du im Nachen schwimmst.«
»Du liebst mich!!« – doch eh' er umwunden
Sie, die wie aus sich selbst entrückt,
Hält sie erbebend ihn gebunden
Und fest an ihre Brust gedrückt.
Ihr Busen stürmt, und hochgeschwungen
Ihr langes Haar im Winde weht,
Wie er mit ihr in eins verschlungen
Am schroffen Klippenhange steht.
Er will sie küssen, doch zu halten
Weiß sie abwehrend ihn geschwind,
Er ist in ihren Ringgewalten
Gefangen wie ein hilflos Kind.
Dann packt sie wie mit Löwenklauen
Ihn an den Schultern, hält ihn steif
Weit von sich ab, ihn anzuschauen,
Er fühlt im Schreck sich todesreif.
Gespenstisch funkeln ihre Augen
Und bohren sich in ihn hinein;
Will jetzt sie seine Seele saugen?
Ihn niederstoßen vom Gestein?
Sie aber schreit. »Ich dich verderben?
Niemals! und stünd' der Rhein drum still!«
Und schüttelt ihn, »du sollst nicht sterben!
Es komme draus, was kommen will!«
Dann reißt sie ungestüm ihn wieder
Verlangend an sich und erstickt
In Leidenschaft ihm Brust und Glieder,
Hält wie mit Klammern ihn umstrickt.

Dumpf aus der offnen Tiefe schallet
Des Rheines Brausen an ihr Ohr,
Und überm Bergesrücken wallet
Blutrot der volle Mond empor.
Da läßt sie ihn aus ihren Schlingen,
Preßt sich die Brust, aus Wonn' und Weh
Ihr rasend Herz in Ruh zu bringen
Und winkt ihm schweigend, daß er geh'.
Er zögert; doch den Arm erhoben,
Weist nach der Schlucht sie hin und steht
Starr, unbewegt, von Grau'n umwoben,
Und Heinrich wendet sich und geht.
 

Im Öden ihrer Felsenwohnung
Bleibt Lurlei sinnend, und es tagt
In ihr, was sie mit Heinrichs Schonung
Dem Schicksal gegenüber wagt.
In einem menschlich letzten Triebe,
Aufflackernd ihr noch einmal nur,
Hat sie dem Jugendfreund zuliebe
Verletzt der Tiefe heil'gen Schwur.
Und kaum allein, merkt sie ein Flirren,
Das durch die Lüfte huscht und flaut,
Es fliegt einher ein zuckend Schwirren,
Und furchtbar ist es, was sie schaut.
Aus Nebeln, die zur Höhe steigen,
Sieht sie entstellt und leichenfarb
Heranziehn in geschlossnem Reigen
Die alle, die sie schon verdarb.
Wie Geier kommen sie geflogen,
Aschgrau von Staub und Moderduft,
Umkreisen Lurlei hoch im Bogen
Und halten dann in freier Luft.
Lothar voran den Unheilbringern,
Versammelt hier aus Gruft und Grab,
Und alle deuten mit den Fingern
Auf Heinrich hohlen Blicks hinab.
Die Toten fordern den Lebend'gen
Blutdürstig als ihr Opfer ein,
Er soll wie sie dem unabwend'gen,
Wahllosen Fluch verfallen sein.
Lurlei erkennt die Spukgestalten,
Rafft sich empor und will die Hand
Beschirmend über Heinrich halten,
Doch eben biegt er um die Wand.
Sie weicht um keines Schrittes Länge,
Steht aufrecht wie aus erznem Guß,
Und vor dem grausigen Gedränge
Bleibt unerschüttert ihr Entschluß.

»Was wollt ihr?« spricht sie zu den Schemen,
»Ihr aus des Todes Gastgemach?
Ihr sollt mir nicht den Liebsten nehmen,
Und nimmer send' ich ihn euch nach.«

Die Schatten flattern hin und wider
In zappelnd unruhvollem Flug,
Sie zeigen auf zerbrochne Glieder
Und wo das Herz einst ihnen schlug.

»Bringt sie doch her aus Brust und Kammer
Und türmt und schichtet sie zu Hauf!
Sie wiegen mir mit ihrem Jammer
Die Treue nicht des einen auf,
Das mir nur schlägt und stets geschlagen,
Das nichts von Glück und Hoffnung weiß,
Und das ich für sein mutig Wagen
Nicht brechen will auf eu'r Geheiß.«

Die Geister in den Wolken strecken
Die Arme wie zum Schwur empor,
Und ihre bleichen Häupter recken
Sie grinsend aus dem Dunst hervor.

»An meinen Schwur wollt ihr mich mahnen?
Was kümmert's euch? ihr schwuret auch.
Der dort sich rettet, soll nicht ahnen,
Daß tödlich meines Mundes Hauch.«

Sie schütteln ihre blut'gen Locken
Und rücken näher noch heran,
Und wie sie rings auf Klippen hocken,
Ist Lurlei ganz in ihrem Bann.
Gleich unverschämten Bettlern starren
Sie lechzend, lauernd, totenstill,
Wie sie der Beute räubrisch harren,
Die ihre Gier ertrotzen will.
Lurlei erhebt die Hand, beschwöret
Und ruft. »Aus meinem Angesicht!
Hinab mit euch! ihr seht und höret,
Ich kann's nicht! und ich will es nicht!«

Da regt der Wind die breiten Schwingen,
Die Schatten fliehn, der Nebel weicht,
Der Grund erdröhnt von einem Klingen,
Das murrend um den Felsen streicht.
Von unten kommt's herauf gezogen,
Es rauscht im Strome, sprüht und schäumt,
Es scheint, daß da mit Wall'n und Wogen
Die Tiefe wunderwirkend träumt.
Doch was sich nun in Wirklichkeiten
Begibt, ist über Traum und Trug:
Zum Richter im verbissnen Streiten
Berufen von der Geister Zug,
Hebt langsam sich von seinem Throne
Und taucht empor der Vater Rhein,
Im Mondlicht funkelt seine Krone,
Auf Wellen tanzt ihr Widerschein.
Er reckt sich, übersteigt die Wipfel,
Frei, mitten aus des Tales Schoß,
Wächst höher als des Berges Gipfel,
Gleich einer Säule, riesengroß.
Ein schleppend Nebelkleid umschließet
Die Schultern und des Körpers Rund,
Ein silberweißer Schleier fließet
Vom Bart hinab bis auf den Grund.
Darüber ragt, vom Mond beschienen,
Das mächt'ge, goldumblitzte Haupt
Und blickt mit drohend ernsten Mienen
Auf Lurlei, die der Kraft beraubt,
Die Augen kaum zu ihm erhebend,
Dem Zorn im Götterangesicht
Nicht widerstehen kann und bebend,
Von Schreck gelähmt, zusammenbricht.
Sie liegt am Boden, ringt und windet
Sich vor des Hohen Machtgebot,
Das streng an ihren Schwur sie bindet,
Und stöhnt: »Ich sing' ihn in den Tod!«
 

Heinrich, des Abstiegs Fährlichkeiten
Entronnen an des Ufers Saum
Und noch in allen Herzenssaiten
Den Nachklang vom erlebten Traum,
Beschritt sein Boot und fuhr vom Lande
Ins wilde Wasser grad' hinein
Zur Rückkehr nach dem andern Strande
Noch in des Mondes vollem Schein.
Denn Wolken stiegen auf und flogen
Erst einzeln, Schwänen gleich daher,
Gesellten dann sich und bezogen
Den Sternenhimmel mehr und mehr.
Der Wogen Sturz und Schwall umspülte
An Bug und Bord den leichten Kahn
Und brandete und schäumt' und wühlte
Auf klippenübersä'ter Bahn.
Heinrich bedarf zu neuem Wagen
Vorsichtigster Besonnenheit
Und aller Kraft, sich durchzuschlagen,
Wo rings Verderben nah bereit.
Und jetzt, im Kampfe mit den Wellen,
Mit denen er ums Leben ringt,
Hört er Gesang die Nacht durchschwellen,
Er horcht zur Höhe, – Lurlei singt!
Es schallt in diesen Felsenwänden
So mächtig, daß er, flutumrauscht,
Die Riemen lässig in den Händen
Und die Gefahr verachtend lauscht.

        Am Himmel wandelt
Der Sterne Heer
Und strahlt und leuchtet
Auf Land und Meer.
Sie messen die Zeiten,
Sie wissen und leiten
Mit ewigem Blick
Der Menschen Geschick.

Mal schließet einer
Sein Auge zu,
Dann geht auf Erden
Ein Herz in Ruh.
Doch weiter wandern
Im Raume die andern
Und schauen herab
Aufs blumige Grab.

Wer aus den Armen
Der Liebe schied,
Dem singt die Liebe
Das letzte Lied.
Und hört er's schallen,
Weiß er, gefallen
Ist ihm das Los
Aus dunklem Schoß.

        Beim schwebenden Gesang erzittert
Ihm schwer und ahnungsvoll das Herz,
Von der Geliebten Hauch umwittert,
Fühlt er der Trennung bittern Schmerz.
Die Wogen werfen nach Belieben
Den Nachen, weil er ungelenkt,
Von Strom und Gegenstrom getrieben,
Sich zwischen Wirbeln hebt und senkt.
        Was blüht, das welket,
Vom Winde zerstiebt;
Dich hielt ich am Herzen,
Dich hab' ich geliebt.
Nun mußt du geben
Dein Blut und Leben,
Hoch oben hier
Versing' ich's dir.
   Heinrich, von Liebesweh ergriffen,
Hat nur für Lurlei Aug' und Ohr,
Sehnsüchtig, mitten in den Riffen,
Schaut er zur Sängerin empor.
    Die Wellen brausen
Um deinen Kahn,
Und ihr Vollbringen
Ist rasch getan.
Sieh her! noch blinket –
Und jetzt schon sinket
Dein Stern zur Ruh, –
So sink' auch du!
                  Da packt im Augenblick den Nachen
Ein Strudel, daß er sausend kreist,
Sich aufbäumt und der schwarze Rachen
Heinrich hinab zur Tiefe reißt. –
 

Auf weiß umschäumter Klippenbarre,
Um die hochan die Wellen gehn,
Liegt Heinrich nun in Todesstarre,
Und jede Welle will ihn sehn.
Die Luft bestreicht ihn lind und leise,
Geruhig scheint des Mondes Licht
Aus eng gewordnem Wolkenkreise
Ihm in sein friedlich Angesicht.
Und Lurlei kniet am Rand daneben,
Beugt sich hinab und horcht und späht,
Ob sich noch eine Spur von Leben
Durch einen Atemzug verrät.
Und als er endlich im Erwachen
Die schweren Augenlider hebt
Und durch die Züge nun, die schwachen,
Ein halb verklärtes Lächeln schwebt,
Umschlingt sie sanft ihn, legt dann wieder
Ihn leise bettend auf den Grund,
Wirft in Verzweiflung selbst sich nieder
Auf ihn und – küßt ihn auf den Mund.
Da zuckt er auf, noch einmal sammelnd
Die letzte Kraft, »Lurlei! – o du!
In deinen Armen –« haucht er stammelnd,
»Ach! stirbt's sich süß –« schnell fährt sie zu
Und preßt so lange Lipp' auf Lippe,
Bis sie kein Leben mehr verspürt
Und er sich endlich auf der Klippe
Im Kusse sterbend nimmer rührt.
 

Lurlei erhebt sich, sitzt noch lange
Bei dem Entseelten hier und sinnt,
Doch über ihre blasse Wange
Nicht eine warme Träne rinnt.
Dann nimmt den Toten im Umfassen
Sie mit sich in die Flut hinein,
Ihn nicht dem Spiel der Well'n zu lassen,
Und schwimmt mit ihm hinab den Rhein.
Sie wiegt und hält in stummen Schmerzen
Den jungen Leib mit Arm und Hand
Und trägt ihn so an ihrem Herzen
Zu seinem heimatlichen Strand.
Und wie sie durch des Stromes Schwellen
Hinfließend ihn zur Ruhe bringt,
Da singen um sie her die Wellen,
Daß es im Wasser leise klingt:

        Still trage den Toten
In unserm Geleit,
Hast selbst ihn entboten
Und uns ihn geweiht.
Wir Trauernden können
Nun endlich dir gönnen,
Von Lieben und Leiden
Auf ewig zu scheiden.
Nun throne hoch oben
Nach Martern und Müh'n,
Laß Sturm dich umtoben
Und Lenz dich umblühn.
Jahrhunderte spinnen
Ihr Garn und verrinnen,
Kalt wirst du sie sehen
So kommen wie gehen.
Wir Wellen im Rhein
Beim sinkenden Schein,
Wir wollen den süßen
Liedern dir lauschen
Und wollen zu Füßen
Dir fluten und rauschen
Und rauschen und rauschen. –
            Nun will die Nacht im Finstern walten,
Der ganze Himmel ist bedeckt,
In des Gewitters schwere Falten
Hat schüchtern sich der Mond versteckt.
Es blitzt, die ersten Donner rollen;
Hoch wieder auf dem Felsen steht
Bewegungslos im Schauervollen
Lurlei und spricht, vom Sturm umweht:
»Ich hab' mein blutend Herz bezwungen,
Dem Liebsten auch beim Wiedersehn
Hab' ich das Todeslied gesungen,
Hab', unerweicht von seinem Flehn,
Ihn um der Liebe Glück betrogen,
Im Wellenkampf ihn rasch besiegt
Und selbst ihm aus der Brust gesogen
Den letzten Hauch, – das Opfer liegt!
Nun, Schicksal, laß hier oben hausend
Mich meinen Schwur erfülln mit Macht,
Gib tausend nun und aber tausend
Mir für den einen dieser Nacht!
Ich will sie fangen und verderben
Mit listig lockendem Gesang,
Gebrochnen Herzens solln sie sterben,
Ersticken in der Sehnsucht Drang.
So lang dort unten noch im Grunde
Die Wellen rauschen ums Gestein,
So lang solln auch aus Lurleis Munde
Noch Lieder klingen auf dem Rhein!«

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