Julius Wolff
Lurlei
Julius Wolff

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II.
Am Ufer.

                      Abend war es nun geworden,
Heller, heitrer Sommerabend,
Der des Tages Glut allmählich
Mit ersehnter Kühlung löschte.
Die bewachsne Bergeshalde
Zu der beiden Wandrer Linken
Und der breite Strom zur Rechten
Lagen in willkommnem Schatten.
Drüben aber auf die Höhen
Schien die Sonne noch und wob
Um die braunen Felsenzinnen
Einen Goldglanz, daß sie leuchtend
Wie aus Erz gegossen standen.

Die vieltürm'ge Stadt im Rücken,
Wandelten die beiden Alten
Nun gemächlich ihre Straße;
Doch Gespräch in Gang zu bringen
Mühten beide sich vergebens,
Weil jedwedem die Gedanken
Noch von dem gefesselt waren,
Was so lebhaft in der Laube
Sie vorher beschäftigt hatte.
Endlich drängte eine Frage
Sich dem Ratsherrn auf die Lippen,
Daß er stehen blieb, die Linke
In die Hüfte stemmt' und anhub:
»Peter, hast in meinem Hause
Manches mir erzählt von Lurlei,
Wie sie bitten kann und schmeicheln,
Wie sie lachen kann und necken
Und mit ihrem schönen Singen
Euch bezaubert; aber Peter,
Sag mal, – kann sie denn auch beten?
Glaubt sie auch in frommer Demut
Fest an Gott und an Maria,
Unsre benedeite Jungfrau?
Dieses scheint mir bei dem Zweifel,
Ob sie nicht ein Kind der Hölle,
Doch zu wissen sehr vonnöten.«
Peter stutzte vor der Frage,
Und doch war's ihm lieb, daß Henne
Ganz aus sich heraus die Rede
Noch einmal auf Lurlei brachte,
Über die sich mitzuteilen
Weiter noch ihn selbst verlangte.
Er erwiderte dem Freunde:
»Wir erzogen unsre Kinder
Von kleinauf in Gottesfurcht,
Frömmigkeit und tiefer Demut,
Und seit Lurlei von sich selbst weiß,
Ehrt und übt sie unsrer Kirche
Heil'ge Bräuche, geht zur Messe,
Kniet mit uns in stiller Andacht,
Regt die Lippen und bekreuzt sich.
Nie das kleinste Widerstreben,
Irrsal oder Mißbehagen
Merkten wir an ihrem Wesen
Bei geweihtem Wort und Werke,
Das wir Christenmenschen brauchen
Zu der Seele Heil und Notdurft.«
»Damit könntest du doch füglich
Dich zufrieden geben, Peter,«
Sagte Frei. »Ist Lurlei gläubig,
So gehört sie nicht dem Bösen
Und hat nicht geringre Hoffnung
Auf die Seligkeit im Jenseits,
Als wir beiden alten Sünder.«
»Ja, wer weiß denn,« sprach der Fischer,
»Ob sie auch in Geist und Wahrheit
Und mit rechter Inbrunst betet,
Oder ob es Schein und Trug ist
Und sie alles nur so mitmacht
Uns zu Liebe, weil wir's wünschen,
Während sie vielleicht im Herzen
Glaubenslos ist und verworfen?«
»Muß man denn vom lieben Nächsten
Stets das Schlimmste denken, Peter?«
Frug der Ratsherr, »ich vermag's nicht.
Doch nach dem, was ich vernommen,
Möcht' ich euch vor allem raten,
Lurlei weislich zu verschweigen,
Wie und wo ihr sie gefunden,
Und daß nicht als eure Tochter
Sie der Himmel euch bescherte;
Sonst verliert ihr allen Einfluß
Auf das Mädchen, und sie wandelt
Trotzig ihre eignen Wege.«
»Schweigen? schweigen?« rief der Fischer,
»Meinem Schöpfer dank' ich, Henne,
Daß von Anfang ich geschwiegen!
Damals tat ich es aus Mitleid,
Und jetzt muß ich's – Heinrichs wegen!«
»Heinrichs wegen?« wiederholte
Auf dem Flecke stehen bleibend
Höchlich überrascht der Ratsherr,
»Deines Sohnes Heinrich wegen?«
»Ja, so sagt ich!« sprach der Fischer,
»Wohlerwogne, wicht'ge Gründe
Zwingen mich, ihm zu verschweigen,
Daß er Lurleis Bruder nicht ist,
Denn von Stund an, da er's wüßte,
Würd' er sie zum Weib begehren.«
»So sehr liebt er sie?« frug Henne.
Peter nickte Ja! zur Antwort.
»Und sie ihn? sie liebt ihn wieder?
Anders noch, als eine Schwester
Liebe fühlt für ihren Bruder?«
»Ob sie ihn liebt,« sprach der Fischer,
»Und mit anderen Gefühlen,
Als es einer Schwester zukommt,
Weiß ich nicht und glaub's nicht, Henne.
Lurlei ist und bleibt ein Rätsel,
Von gemeinem Menschensinne
Nicht zu lösen. Sie und Heinrich
Sind im Grunde so verschieden
Von Gemütsart, daß der eine
Fast zum Widerspiel des andern
Scheint geschaffen und berufen,
Und doch waren sie als Kinder
Schon sich zugetan von Herzen.
Heinrich hütete die Schwester,
Schützt' und schirmte sie und trug sie,
Selbst als sie schon groß und stattlich,
Oft noch auf den starken Armen.
Mit den Jahren ist die Freundschaft
Der vermeintlichen Geschwister
Immer inniger geworden,
Und sie haben vor einander
Kein Geheimnis, denn so züchtig
Lurlei sonst trotz ihrer Necklust
Sich benimmt, so aller Zagheit
Ist sie ledig vor dem Bruder
Und enthüllt wie keinem andern
Ihm ihr Denken und Empfinden.
Aber er auch tut mit Freuden
Alles wieder ihr zu Liebe,
Was sie bittet, was sie fordert,
Was er ihr an Augen ansieht.
Auch ihr unaufhörlich Necken
Läßt er ruhig und geduldig
Von dem Unband sich gefallen.
Hat sie es ihm aber endlich
Doch einmal zu arg getrieben,
Daß er unwirsch wird und aufbraust,
Oh dann leuchten ihr die Augen,
Und sie steht und hört sein Schelten
Lächelnd an, als ob sie innen
Recht sich seines Zornes freute,
Und dann fliegt sie an die Brust ihm,
Preßt ihn an sich, herzt und küßt ihn,
Daß der Atem ihm vergehet.
Mit unsichern, heißen Blicken
Sieht er dann das schöne Mädchen
Träumrisch an, und tief im Herzen
Scheint sich ihm der Wunsch zu regen,
Daß er nicht ihr Bruder wäre. –
Sieh, so steht es mit den beiden;
Heinrich fühlt schon jetzt zuweilen
Stille Leidenschaft für Lurlei,
Die er Schwester nennt, nun denke,
Wenn er wüßte! wenn er wüßte!«
Als der Ratsherr eine Weile
Drüber nachgesonnen, stieß er,
Wie von einem guten Einfall
Nun erleuchtet mit dem Rücken
Seiner Hand den Freund am Arme
Und sprach haltend: »Höre, Bruder!
Eigentlich das beste wär' es,
Wenn sie's alle beide wüßten.
Liebt sie ihn und wird sein Weib sie,
Läßt sie folgsam auch und ehrbar
Sich von ihm zum guten lenken,
Wird mit ihm und macht ihn glücklich,
Schenkt ihm Kinder, lockt ihm Fische
In das Netz und –« »– seine Seele
In das ewige Verderben!«
Fuhr der andre wild dazwischen.
»Das ist ja mein ganzes Sorgen,
Das der Grund, weshalb ich jetzt noch
Über Lurleis Herkunft schweige;
Denn ich leid' es nicht, daß Heinrich
Sich mit Nixenbrut verbindet,
Die sie ist in meinen Augen,
Will's nicht, weil ich überzeugt bin,
Wer in innigster Gemeinschaft
Mit ihr lebt, der ist verloren.
Drum gereicht es mir zum Troste,
Daß bis jetzt auch keinen andern
Sie als Liebsten noch umschlungen.«
 

Wieder eine Strecke schweigend
Gingen sie nun mit einander,
Nicht des Wegs zu ihren Füßen,
Nicht des schönen Abendglühens
Oben auf den Bergen achtend,
Sondern in den grauen Köpfen
Zwiegeteiltes Denken schichtend.
Bald jedoch begann aufs neue
Frei von Paffenau und sagte:
»Keinen Liebsten also, meinst du,
Hätte noch bis jetzt die Blonde?«
»Sicher nicht!« versetzte Peter.
»Alle neckt sie, keinen liebt sie,
Läßt sich keinen nahe kommen.
Seit ich bei den klugen Leuten
Im Geruch des Reichtums stehe,
Hat's in Sankt Goar an Freiern
Meinen Töchtern nie gemangelt,
Und wenn's brave Jungen waren,
Hab' ich ihnen und den Mädchen
Nie verwehrt, in Zucht und Ehren
Sich des Abends und am Sonntag
Mit einander zu vergnügen.
Ob nun Lurlei, zwar die Jüngste,
Aber dafür auch die Schönste,
Wirklich glaubte, daß die Burschen
Einzig ihretwegen kämen, –
Ja, wer weiß das? doch sie tat so,
Scherzt' und tändelte mit allen
Und erkühnte sich, verlockend
Bald mit diesem, bald mit jenem
Zu liebäugeln, um zuletzt ihn
Unbarmherzig auszulachen.
Zum Verdruß und Tort der Burschen
Und zum Leid der beiden Schwestern
Trieb sie dieses Spiel ohn' Ende,
Aber keinem war's so schmerzlich,
Es mit anzusehn, als Heinrich;
Und weil er allein von allen
Ein'gen Einfluß hat auf Lurlei,
So verwies er's ihr mit Sanftmut.
Anfangs lachte sie, dann aber
Fuhr sie heftig auf und sagte:
›Wenn ich einen lieben wollte
Oder könnte, wie ich möchte,
Lag' ich längst in seinen Armen!‹
Zufall war's, daß ich die Antwort
Selbst vernahm, jedoch behielt ich
Schweigend bei mir, was ich dachte.«
»Und das war?« bemerkte Henne.
»Lurlei kann nicht lieben! dacht' ich,
Hat kein Menschenherz im Leibe,
Einen andern je zu lieben,
Als sich selber,« sprach der Fischer.
»So viel Weibsnatur ist in ihr,«
Fuhr er fort, als jener stehn blieb,
»Daß ein unbestimmtes Sehnen
Sie erfüllt, doch das ist alles.
Sie versteht es, – nein, was sag' ich!
Wie der Glühwurm abends leuchtet,
Leuchten muß, also entströmet
Ihr die Kraft, die ihr verliehn ist,
Andern Liebe einzuflößen;
Aber selber sie im Herzen
Zu empfinden, zu erwidern,
Dazu ist sie nicht imstande.
Reizen kann sie nur und narren
Und läßt jeden, der kopfüber
Sich verliebt in ihre Schönheit,
Hoffen erst und dann sich trollen,
Aber wehe, sag' ich, wehe,
Wenn ein andrer sie betröge!«
»Meinst du?« lächelte der Ratsherr,
»Nun, dann geb' ich auch die Hoffnung
Noch nicht auf und sage nochmal:
Laß nur erst den Rechten kommen!«
Aber mit dem Haupte schüttelnd
Sprach der Fischer. »Niemals, niemals
Wird für sie der Rechte kommen;
's ist ihr Erbteil, ihre Mitgift
Von der kalten Nixenmutter,
Deren Schoße sie entsprossen.«
»Wie die Katz' auf die vier Beine
Fällst du immer wieder, Peter,
Auf denselben Fleck, und niemals
Werden wir uns drüber ein'gen,«
Sprach der Ratsherr. »Jetzt, hier scheid' ich,
Will zurück noch, eh' es dämmert.
Du gehab' dich wohl in Treuen,
Grüße Dankmod und Salvete,
Balde komm' ich einmal selber
Und besehe mir das Wunder,
Euer Nixenkind, die Lurlei.«
 

Auf dem Wege nah dem Ufer,
Das von hohem Schilf bewachsen,
Standen nun die beiden Alten
Hände schüttelnd, Abschied nehmend.
Frei von Paffenau, der weiter
Mitgewandert war, als anfangs
Er sich vorgenommen hatte,
Wandte schon den Fuß zum Gehen,
Als zur Seite hinterm Schilfe
Voll und klar Gesang ertönte.
Wie von Fittichen getragen
Schwebten ausdrucksvoll die Klänge
Durch die abendliche Stille.
»Horche!« flüsterte der Fischer,
»Das ist Lurlei! mit dem Nachen
Muß sie dort sein oder badet.«
Beide lauschten nun dem Liede
Der vom hohen Schilf Verdeckten,
Und so klang's in reinen Tönen:

                      Es glänzt die Flut und senkt und hebt
Sich leise nur im Ried,
Und überm stillen Wasser schwebt
Des Windes säuselnd Lied.
Er küßt die Welle, singt und summt
Ihr zu ein schmeichelnd Wort,
Dann wieder ist sein Hauch verstummt,
Und weit schon ist er fort.

Die Welle springt empor im Fluß
Und schaut sich um und schäumt;
Ihr hat des Liebsten Gruß und Kuß
Doch wahrlich nicht geträumt?
Sie rauscht ihm nach, in Hast gespannt,
Ob sie ihn nicht erreicht,
Und findet ihn, wie er entbrannt
Um eine Rose streicht.

»Sieh da, du fahriger Gesell!
Ist das nun deine Treu?
Du wechselst deine Liebe schnell,
Knie' nieder und bereu'!«
Die Rose bricht der Wind jedoch,
Wirft sie der Welle hin.
»Da hast du sie! nun sage noch,
Daß ich dir untreu bin!«

                  Als der letzte Ton verhallt war,
Sprach der Ratsherr voll Bewundrung
Zu dem Freunde: »Wahrlich, Peter.
Damit sollst du recht behalten –
Singen kann das böse Mädchen!
Solchen zaubersüßen Wohllaut
Hab' ich nie in meinem Leben
Noch aus Menschenmund vernommen.«
»Wußt' es wohl,« versetzte sicher
Und mit hellem Augenblinken
Peter Sandrog; »aber Henne,«
Fügt' er gleich hinzu, »nun sage.
Deucht es dir nicht selber seltsam?«
»Übermenschlich! höchst verdächtig!«
Spöttelte vergnügt der Ratsherr.
Jetzt erscholl ein leises Plätschern
Dort im Wasser; schnell verbargen
Hinter einem Erlenbusche
Sich die Lauscher, damit Lurlei
Sich nicht scheute, mehr zu singen
Oder badend zu erscheinen,
Wie der Ratsherr heimlich hoffte.
Doch es klangen Ruderschläge,
Und ein Nachen fuhr vom Schilfe.
Lurlei lenkt' ihn selbst mit Rudern
In den Strom, ihr gegenüber
Saß ein Mann, noch jung an Jahren
Der Gestalt nach, denn er kehrte
Den Beschauern just den Rücken.
»Dein Sohn Heinrich?« frug der Ratsherr.
Peter aber stand und starrte
Nach dem Boot und gab nicht Antwort,
Bis Herr Henne nochmal fragte.
»Nein!« erwiderte der Fischer
In ersichtlichem Verdrusse,
»Heinrich ist es nicht, ich weiß nicht,
Wer es ist, mit dem das Mädchen
Einsam auf dem Rhein herumfährt.«
»Bruder,« lachte nun der Ratsherr,
»Sollte das vielleicht am Ende
Gar der Rechte sein für Lurlei?
Sieh, so kann der Mensch sich irren!
Warst so sicher, daß als Liebsten
Sie noch keinen Mann umschlungen,
Und was sagst du nun, mein Alter?«
»Narrenspossen!« brummte Peter,
»Was weiß die von Herzensneigung!«
Da vom Boot erschallte lustig
Ein durchdringend helles Lachen.
»Hörst du's? das ist ihre Antwort,
Echtes, rechtes Nixenlachen!
Übermenschlich! übermenschlich!«
Höhnte wiederum der Ratsherr.
»Nun denn, Gott befohlen, Peter!
Denk' an mich: die Blonde dreht dir
Eine ellenlange Nase!«
Sprach's und machte sich von dannen.
 

Peter Sandrog stand und strengte
Seine Augen an, den Fremdling
Dort im Boote zu erkennen.
Doch umsonst, in der Entfernung
Konnt' er das Gesicht des Mannes,
Der kaum älter schien, als Heinrich,
Nicht mehr deutlich unterscheiden.
Und sich nun im allgemeinen
Über Hennes Vorhaltungen,
Über das, was er mit Augen
Vor sich sah hier, im besondren
Mancherlei Gedanken machend
Murmelt' er im Weiterwandern:
»Sollt' ich in dem Teufelsmädchen,
Das mir in den zwanzig Jahren
Schon soviel zu raten aufgab,
Dennoch mich von Grund aus irren?
Hat sie wirklich einen Liebsten?
Ist sie doch ein ganz natürlich
Menschenkind wie alle andern
Trotz des ersten Bads im Rheine?
Nun, ein Wunder bleibt ein Wunder,
Alles ist des Himmels Fügung
Und bei Gott kein Ding unmöglich.«


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