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Hübsch, wenn man so einregnet und nicht einmal ein Buch auftreiben kann«, sagt Gabriele und blickt herunter auf ihren Fuß, von dem Elise den letzten Umschlag mit essigsaurer Tonerde abnimmt.

Vor drei Tagen hat sich Gabriele bei einem Ausflug in die Berge des Allgäu leicht den Fuß verstaucht und mußte in dem nächsten Ort in einem Gasthof absteigen. Die herrliche Aussicht auf das wellige Tal mit den fruchtstrotzenden Bäumen, den saftigen Wiesen und dem silbernen Geriesel eines ganz in der Ferne herabfallenden Wasserfalls entschädigt sie für das Primitive der Zimmer.

»Ein wundervoller Fleck Erde!« meinte sie damals. »Ich könnte mir denken, daß ich mich da wo anbaue.«

Aber am Abend setzt ein Gewitter ein, und die Landschaft bleibt wie hinter Schleiern verborgen.

Ob die Wirtsleute nicht etwas zu lesen hätten, sollte Elise fragen. Sie bringt einen Jahrgang alter Zeitschriften herauf und einzelne zerlesene Nummern eines ländlichen Witzblattes. Gabriele zieht es vor, in den strömenden Landregen hinauszuschauen.

Heute, am dritten Tage, verliert sie die Geduld. Wenn sie wenigstens in die Gaststube hinuntergehen könnte ...!

Elise ist geradezu beleidigt:

»Wo denken Miß Schorneder hin! Da unten verkehren ja nur Bauern ...«

»Ja, ich vergaß, Fräulein Elise – daß Sie jetzt zur englischen Aristokratie gehören!«

Elise beißt sich auf die Lippe: nein, mit Lady Carwell ist jetzt nicht gut Kirschen essen – –

Die Wirtin kommt herauf, mit dem Kaffeegeschirr.

»Sagen Sie mal, Frau Bublinger, regnet das etwa hier so wochenlang weiter?«

»Ja, gnä' Frau, 's is halt a Kreuz mit dem Reg'n. Ein Glück, daß mir's Heu im Schober hab'n! Aber wenn der Reg'n uns das Schützenfest verpatzt, is auch net schön. Und grad' in dem Jahr! Gnä' Frau muß nämlich wissen, so an Schützenfest – das gleicht so manches aus unter den Leuten hier ... Denn im Lauf eines Jahres, da sammelt sich soviel an an Bosheit und Neid ... und ein jeder will den Karr'n auf seine Seite ziehn ... wie das eben so üblich ist. Aber wann dann das Schützenfest da is, dann vergessen's beim Suff und beim Tanz ihren Hader, und wann's auch a paar Rippenstöß' setzt und a paar Stuhlbeine kost', zum Schluß gibt's doch a Verständigung.«

»Setzen Sie sich doch, Frau Bublinger«, sagt Gabriele, die das Gespräch belustigt. »Warum ist denn aber gerade in diesem Jahre das Schützenfest so nötig?«

Die Wirtin streicht sich ärgerlich über die Schürze:

»Ja, schaun's, gnädige Frau ... da drüben ... aber jetzt sieht man ja nix ... da hat die Gemeinde ein Riesengrundstück, das sie gern gut verkaufen möcht'. Nun hab'n sich Leut' g'funden ... aus Preußen ... die's kaufen wollen, um ein Sanatorium zu bau'n. Was glauben's, gnä' Frau, wie das dem Ort zugute käm'! Aber da ham' mir halt hier einen Großbauern, dem fast der halbe Ort g'hört, und der hat die Hand drauf! Selber kaufen braucht er's vor zwei Jahr'n net, weil er a Option hat ... und daß es an die Sanatoriumleut' verkauft wird, das gibt er net zu! Na, und da is der Streit halt da.«

»Ja, warum will denn der Bauer das nicht, wenn er schon selbst soviel Land hat?«

»Er mag halt die Großstädter net. Er will die stinketen Autos net hab'n, sagt er, und die eleganten Leut' net ... und die ewige Tanzerei ... und die neumodischen Läden, die dann vielleicht hier aufg'macht werden ...«

»Ist wohl ein alter Mann?«

»Nein, net g'rad'. Zwei große Bub'n hat er freili und a Madl. Der eine Bub lernt Ingeniör, der andre d' Landwirtschaft. Sind beide brav. Nur 's Madl ... die hat so bißl leichtes Blut. Putzt sich gern und singt und tanzt vor dem Spiegel und möcht' gern zum Theater – na, das könnt' ihm grad' passen, dem Großbauern! ...«

»Und die Mutter von den Kindern?«

»Die is schon vor vier Jahr' g'storben. Eine brave Haut. Hat aber nur a Freud' g'habt am Sparen und am Landkaufen. Um die Kinder hat sie sich net soviel 'kümmert, und vom Mann hat sie eh' net viel g'habt ...«

»Es war keine gute Ehe, wie, Frau Bublinger?«

»Sie waren ja fast nie zusammen. Er kam immer nur auf a paar Monat' her. Er muß da irgendwo draußen riesige G'schäft' g'macht hab'n. Ist überall in der Welt herumgekommen! ... In Amerika ist er ja auch gewesen! Und a Batzen Geld hat der sich z'sammg'spart, daß ihn drum der Erzbischof beneiden könnt'. Aber stolz is er net. Nur tun muß man, was er will. Wie dann d' Frau g'storben is vor vier Jahr', da is er herkommen und net mehr fort'gangen. Und ein schönes Haus hat er sich gebaut. – Jeh – was mir einfällt! Der könnt' Ihna a paar Bücher geb'n! ... Der hat a ganze Bibliothek und städtisch eing'richtete Zimmer droben – da komm' wir gar net hin! Denn wann er Gäst' hat vom Ort, dann sehen's nur drunten die großen schönen Bauernstub'n.«

»Ja also, Frau Bublinger ... können Sie da nicht hinüberschicken und um ein paar Bücher bitten, für einen Gast?«

Frau Bublinger macht ein bedenkliches Gesicht:

»Besser wär's schon, gnä' Frau, Sie schriebeten ihm selber a paar Wört'l. Denn – wie ich schon a mal um a paar Bücher gebeten hab', für ein'n Gast, der auch so eing'regnet war hier, da hat er sie geb'n, aber nachher a Krach g'macht, weils a bißl beschädigt waren.«

»Na also, geben Sie mir eine Visitenkarte, Elise, und meinen Füllfederhalter.«

Der goldene Füllfederhalter macht auf Frau Bublinger entschieden Eindruck.

»I hol' schon am besten die Bücher dann selber. Sonst läßt er am End' sagen, er is net da oder so ...«

»Wie heißt der Großbauer?«

»'s is der Miller Toni. Aber auf'm Brief is schon besser, Sie schreiben: Herrn Anton Miller ... Net Müller – Miller mit 'n i!«

»Schön, Frau Bublinger.«

Und Gabriele schreibt auf der Visitenkarte, die den Namen Gabriele Schorneder trägt und in Klammern darunter (Lady Carwell):

»... wäre Ihnen dankbar für leihweise Überlassung einiger Bücher während der Regentage. Sorgfältigste Behandlung wird zugesichert!«

Eine Stunde später bringt Elise die inzwischen geholten Bücher herauf. Das in Wachstuch eingeschlagene Paket enthält zwei Bände von Dekobra, ein Band Jacques London und einen Band Wallace. Alles uneingebunden, in deutscher Übersetzung, wie sie auf den Bahnhöfen als Reiselektüre erhältlich sind.

»Nun – wenn die ›Bibliothek‹ des Herrn – wie heißt er doch – Miller keine anderen Bücher enthält, dann ist es auch keine große ressource«, sagt Gabriele und wirft Elise den Wallace zu.

An diesem Tage macht sie mehr Gehübungen als Leseversuche. Denn sie hat jetzt nur einen Gedanken – aus diesem gottverlassenen Nest herauszukommen. Abends besteht sie darauf, in die Gaststube zu gehn. Oder aber: Elise soll ihr eine hundertkerzige elektrische Birne heraufbringen. Elise kommt mit leeren Händen und achselzuckend zurück:

»Solche Lampen hat nur der Herr Miller, sagt die Bublinger.«

Gabriele wird kribbelig:

»Ich kann diesen Herrn Miller doch nicht auch noch um eine Lampe bitten ...! Also es bleibt dabei – ich gehe hinunter. Wenn es Ihnen zu ordinär ist, liebe Elise, können Sie ja wieder hinaufgehn!«

»Allein kann Miß Schorneder doch nicht die Treppe hinuntersteigen!«

»Das nicht. Aber ich ärgere mich lieber allein als zu zweit.«

Elise antwortet nicht. Sie ist tief verletzt. Aber nun besteht sie ihrerseits darauf, daß Miß Schorneder wenigstens »ein anständiges Kleid« anzieht, damit man sie nicht für eine hält, mit der man anbandeln kann – denn »die Zutraulichkeit der Bauern zu den Fremden ist manchmal von Unverschämtheit nicht zu unterscheiden ...«

»Meinetwegen ...«

Gabriele nimmt für alle Fälle noch ein Buch und wird von Elise hinuntergeführt.

Frau Bublinger rennt zu einer Ecke im großen Gastzimmer, denn das Extrastübl wird mit Hinblick auf das bevorstehende Fest frisch gestrichen. Es ist übrigens eine ganz behagliche Ecke mit einer Hängelampe und gepolsterten Stühlen, die aus dem Stübl herübergestellt wurden.

»Soll ich bleiben?« fragt Elise. »Sonst sehe ich die Reisegarderobe von Miß Schorneder durch – ich glaube, da ist manches zu richten.«

»'s ist recht, Elise. Gehen Sie nur. Die Bublinger bringt mich dann herauf.«

Elise geht ihr manchmal auf die Nerven. Fühlt sich anscheinend verpflichtet, die Bevormundung des Sanatoriums fortzusetzen. Zählt ihr jede Zigarette nach und jedes Glas Wein! Sie ist doch jetzt gesund – muß sie immer an die Zeit erinnert werden, da sie wie ein hilfloser Jammerfetzen zu jeder freien Willensbetätigung unfähig war? ... An die Zeit, da sie nur nach Vorschrift aß, schlief, dachte – – an die Zeit, da zurückgedrängte Triebe ihres Frauentums sie jedem hätten in die Arme werfen können ... an die Zeit, da sie vor sich selbst Angst hatte und doch noch soviel Vernunft übrig behielt, sich aller Rechte über sich zu begeben? ... Treu hatte Elise damals zu ihr gehalten, treu ihr beigestanden in der fast noch schwereren Nachkurzeit, hatte vielleicht nur darum immer wieder Gabrielens Rang betont, um ihr einen beschämenden Abstieg zu ersparen! ...

Aber das war alles vorbei – vorbei ...! Jetzt ist sie gesund!! Will nur Licht und Luft und Sonnenwärme haben ...! Möchte wieder was schaffen! Was erstehen sehen! Neu und zum Nutzen vieler! Wie damals auf der Fabrik – –

Am langen Bauerntisch an der Wand gegenüber wird es langsam lebhaft. Gabriele kann den Dialekt nicht verstehn und verfällt immer mehr in Rückerinnerungen. Der Wirt, Herr Bublinger, ist eifrig mit dem Spülen und Füllen der Biergläser beschäftigt, die seine Frau mit der Gewandtheit einer Münchener Kellnerin an den Tischen verteilt. Hinter der Theke im Glasschrank steht eine Batterie Flaschen.

Gabriele winkt die Wirtin heran: »Haben Sie guten Rotwein?«

»Schon, gnä' Frau. Was extra Feines sogar: a echten Bordeaux, den mein Mann zum Fest hat kommen lass'n. Den trinkens sonst hier nur bei Hochzeit und Kindtauf' ...«

Gabriele lacht leise: »Nun, dann geben Sie mir von dem Bordeaux.«

»Ein klein's oder a großes Glas?«

»Nein, nein, Frau Bublinger – eine Flasche.«

»Was denn, gnä' Frau? ... Eine ganze Flasche? ... Mir hab'n nämlich keine halben ...«

»Macht nichts.«

Aber unwillkürlich sieht sich Gabriele nach der Tür um, durch die Elise verschwunden ist.

»Sie müssen nur die Flasche vorher ein wenig warm stellen, Frau Bublinger. Und ein belegtes Butterbrot können Sie mir dazu geben.«

Hunger hat eigentlich Gabriele nicht. Aber seit langem wieder mal Durst – – Durst nach dem roten flüssigen Feuer, das ihren ganzen Körper mit Wärme erfüllt ... das leichte Schleier herabsinken läßt vor die Vergangenheit und rosigen Flackerschein auf die Zukunft wirft!

Nur um sich Haltung zu geben, blättert sie in dem Buch, das vor ihr liegt, und immer häufiger schweifen ihre Blicke von ihm ab, in die Gaststube hinein, aus deren immer dichter sich ballendem Pfeifenqualm einzelne kräftige Bauerngestalten hervortreten. Sie sind im Werktagsgewand, ohne Kragen. Einige haben ihre Joppen abgeworfen und sitzen in ihren derben Leinwandhemden da, die ein schmaler Riemen über den kurzen Lederhosen zusammenhält. Der Anblick all dieser kragenlosen Hälse, gelockerten Gurte, vielfach unrasierten Gesichter löst keinen Widerwillen in ihr aus. Nur eine Welle von Kraft und Gesundheit strömt ihr von ihnen zu, und wenn sie Peinlichkeit empfindet, so ist es nur ihres eigenen städtischen Kleides wegen – – Wie herrlich muß es sein, leben zu dürfen unbeengt von jeder gesellschaftlichen Fessel, sich durch tätige Arbeit Herr zu fühlen über das Stückchen Erde, das einem gehört! ... Heißer kreist das Blut durch ihre Adern. Tausend Pläne durchkreuzen unklar ihr Hirn ... unmögliche Vorstellungen umgaukeln sie ... Vielleicht hätte Elise doch dableiben sollen ... vielleicht –

Plötzlich fährt sie zusammen, da ihr das Glas aus der Hand genommen wird.

»Jetzt haben's aber genug getrunken, Lady Carwell!«

Ein Mann steht vor ihr – ein Bauer wie die anderen. Wie die anderen ohne Kragen, ohne Joppe ... Nur daß sein Hemd blütenweiß ist, so blütenweiß wie die Hemdbrust des Mannes, in dessen Arme sie sich vor Jahren zu kurzem Tanz geschmiegt. Übernatürlich weiten sich ihre Augen.

»Har–ry Mil–ton ...« murmelt sie. Und schüttelt selbst ungläubig und wie um Entschuldigung bittend den Kopf.

»Anton Miller ist mein Name – oder, wie sie mich hier nennen: der Miller Toni.«

»Ich ... verstehe Ihre ... Maskerade nicht – –«

»Maskerade war's nur damals. Sie erlauben wohl ...?«, und mit dem Fuß schiebt er sich einen Stuhl zum Tisch.

Sie greift zum Glas – es ist mehr eine Verlegenheitsgeste. Aber er rückt das ganze Tablett aus ihrer Reichweite.

»Jetzt lassen S' endlich das verfluchte Saufen!«

Im Leben hat noch kein Mensch so zu ihr gesprochen. Sie ist wieder völlig nüchtern, aber von einer plötzlich erwachten jungmädchenhaften Zaghaftigkeit, die sie kaum je auch in ihres Vaters Hause gekannt.

»Wie kommen Sie denn hierher, Herr ... Miller?«

»Wie kommt man in seine Heimat? ... Eher könnt' ich fragen: wie kommen Sie hierher, Lady Carwell? Oder – eine kuriose Visitenkarte haben Sie ...! Aber hätt' nicht drunter g'standen Lady Carwell – ich hätt' nicht g'wußt, von wem sie kommt! ... Muß Ihnen ehrlich sagen, daß ich erst eine Wut hatte auf Sie. Dachte nicht anders, als ...«

Er bricht plötzlich ab. Dann:

»Na ja – 's gibt halt immer Nachklänge aus jener Zeit ... die nicht grad' zu Ehren der Damen sind ... und – meine Heimat, die muß ich mir sauber halten von alledem ...«

Sie versucht zu lächeln:

»So sauber – daß Sie nicht einmal ein Sanatorium hier dulden wollen?«

»So – das wissen Sie auch schon? ... Die Bublinger ist eine alte Tratsch'n. Aber es hat schon seine Richtigkeit – ein Sanatorium kommt mit meiner Zustimmung nicht hierher! Das fehlte mir noch, daß alle hysterischen Weiber aus den Amüsierlokalen der ganzen Welt hier antanzen! Daß mich einige erkennen würden und es sich herumspräche, daß der selig entschlafene Harry Milton ein bayrischer Großbauer ist, der seinen Acker bestellt! Könnt' mir passen!«

Die selbstherrliche und weltgewandte Gabriele Schorneder ist plötzlich ganz kleinlaut geworden.

»Ja also ... dann muß ich wohl meine Sachen packen und mich aus dem Staub machen ...? Aber – ich kann Ihnen mein Wort geben, daß ich nichts von Ihnen hier wußte ... Die Zeit freilich müssen Sie mir geben, meinen Fuß auszuheilen, den ich mir verknaxt habe.«

Und Gabriele denkt: diesmal ist es keine Lüge mit dem Fuß – –

Er fragt ziemlich barsch: »Was haben S' denn für Schuhzeug an? Bei uns in den Bergen kann man nicht mit Tanzschuhen herumlaufen!«

Da muß sie lachen:

»Schuhe habe ich nur jetzt an. Sonst trage ich hier derbe Lederstiefel. Und benagelt sind sie auch!«

»Schön ung'schickt müssen Sie sein, wenn Sie sich da den Fuß verknaxen ... Na, legen S' mal den kranken Fuß auf den Stuhl daher ... so! Unsereins weiß mit Fußpflege Bescheid. Also nicht herabhängen lassen! ... Na na, keine Angst – ich faß schon vorsichtig an. Frau Bublinger, geben S' mal 'ne Kotzen her!«

Die Wirtin bringt eifrig eine Pferdedecke herbei, kann sich vor Verwunderung kaum lassen, wie sorglich der Miller Toni die fremde Dame behandelt!

»Können mir glei' a Maß Bier bringen, Frau Bublinger, und a recht ein frisches Wasser für die Gnädige.«

Gabriele denkt: jetzt fehlt nur noch, daß er der Frau verbietet, mir Wein zu verkaufen ...! Aber sie ist so glücklich dabei, als ginge sie ein in das Paradies der Seligen.

»Na also, Mylady, jetzt erzähl'n S' mir mal ein bissel was aus Ihrem Leben! ... Daß Ihr Mann sich erschossen hat, weiß ich ja aus den Zeitungen. Spleen. Suff.«

»Ja. Während des Hochzeitsdiners«, sagt Gabriele, und ihre Stimme wird dunkler.

»G'schieht Ihnen ganz recht. Was heiratet so ein junges, blühendes G'schöpf so einen ausg'fransten Weinschlauch! ... Geld? ...«

Sie schüttelt unwillig den Kopf.

»Ich habe Ihnen doch schon einmal gesagt, daß ich reich bin ... Ich brauche keines Menschen Geld!«

Er zieht nachdenklich seine Stirn in Falten:

»Daß Sie reich sind, haben S' mir gesagt? ... Wann denn? ... Ach so! Ja – beim Tanzen einmal haben S' mir den Vorschlag g'macht, Ihr Geld in einem Tanzlokal anzulegen ... Auf was für verrückte Ideen die Frauen so kommen! ...«

Seine Grobheit macht sie zutraulich: »Sie haben mir damals geraten, mein Geld in Grund und Boden anzulegen ... wissen Sie noch?«

Er nickt lachend:

»Schon möglich – das rat' ich jedem! ... Ist mir ja selbst gut bekommen. Alles, was ich verdient hab', hab' ich hier in den Boden gesteckt!«

»Wie sind Sie aber – zu dem Beruf gekommen damals?«

»Tja ... wie kommt man zu einem Beruf? ... Ein bissel ein Trieb, ein bissel ein Zufall. Auf den Tanzboden bin ich schon als ein Fünfzehnjähriger gegangen, war groß und stark, über meine Jahre hinaus, und die Mädeln tanzten am liebsten mit mir ... Mein Vater war Schullehrer und hat mirs Tanzen mit dem Stock ausprügeln wollen. Da bin ich ihm durch'gangen ... bin auf die Walze 'gangen ... immer mit hungrigem Magen ... Aber am Sonntag, da war ich überall auf'm Tanzboden, und weil ich ein armer Bursch war und net nur mit den Madeln, sondern auch mit den Müttern tanzte, da kriegt' ich zu trinken und zu essen, soviel ich Lust hatte. Na – und so bin ich langsam nach München gekommen. Und wie ich da so in einer Gass'n steh mit meinem Binkel am Stock über der Schulter und mir Bilder anschau' in einer Auslage, da kommt so ein Maler auf mich zu und fragt, ob ich ihm nicht Modell stehn würde. Er würd' mir auch was zahlen dafür ... Ich hab' keine langen G'schichten gemacht und bin gleich mit'gangen. 's war kein großer Maler und kein kleiner – so Mittelware ... hat seine Bilder immer ganz brav verkauft und immer was zu essen g'habt. Erst hat er mich als Bergsteiger g'malt, dann hat er mir seine bunten Fetzen angehängt, dann – nacket als Athlet – bin schon gar nicht mehr aus 'm Atelier herausgekommen. Und wann er fort war, da kamen seine Kollegen und wollten mich ihm abspenstig machen. Da hab' ich die erste Gemeinheit der Menschen kennengelernt: eines Tages hat mein Maler ein großes Fest gegeben, mit Lampions und Musik ... und da hab' ich zum erstenmal Damen g'sehn in ausgeschnittenen Kleidern, daß ich mich g'schämt hab' ... Aber wie sie dann zu tanzen angefangen haben, da hat's mir doch g'fallen. Und einer war dabei ... ein junger Bildhauer, dem mußt' ich immer auf die Füß' schauen – so schöne Figuren hat er g'macht! Und da hab' ich selber die erste Gemeinheit begangen. Denn wie mich der Bildhauer gefragt hat, ob ich zu ihm wollte, ihm Modell stehn für ein' Achilles, da hab' ich ja gesagt – unter der Bedingung, daß er mich lehren sollt' tanzen – auf seine Art. Ich hätt' ja auch wieder zu meinem Maler zurückgehn können, aber so Aufg'wärmtes bekommt nie gut. Der Bildhauer war schon ein bissel reicher, und seine Feste waren großartiger ... Ich durft' immer dabei sein, und er hat mir sogar einen Smoking bauen lassen, unter der Bedingung, daß ich mit den älteren Damen tanze! ... Erst behandelten sie mich als Kavalier und dann als ein Kind ... streichelten mich, fuhren mir übers Haar und entdeckten – mütterliche Gefühle für mich! Ich hab' damals viel für bare Münze gehalten, und 's ging mir ganz gut ... Eine hat sich sogar erboten, mich weiterzubilden, als sie erfuhr, daß ich der Sohn eines Schulmeisters bin. Von der hab' ich ein bissel Englisch gelernt und ein paar Brocken Französisch und gute Bücher zu lesen bekommen. Beim Bildhauer verkehrten auch viele Leut' vom Theater. Da haben s' mich oft zum Statieren in der Oper mitgenommen, und da hab' ich mich an den Ballettmeister 'rang'macht. Aber fürs Ballett, sagt' er, wär' ich schon zu alt und zu schwer – die modernen Tänze aber, die wollte er mir mit aller Finesse beibringen. Mit dem Cakewalk hat's angefangen und mit der Matschitsche ... Er sagte, ich könnt' am Varieté ein gutes Stück Geld verdienen und ihm dann die Stunden bezahlen, die er mir gegeben hat. Das hab' ich dann auch getan ... Als ich dann meinem Vater den ersten Hunderter schickte, als Weihnachtspräsent, da bekam ich den ersten Brief von ihm, mit der Aufforderung, wieder nach Haus zu kommen. Na, und – was soll ich Ihnen sagen, Mylady, – wie ich die ersten Bäum' wiedergesehn hab' in meiner Heimat, da hätt' ich einem jeden ein Pussel geb'n können! Und die Luft, die hab' ich förmlich eingesoffen in mich – wie Sie da den Wein vorhin! ... Wir hatten schon ein hübsches Stück Land, und ich spürte zum erstenmal, wie gut das tut, wenn man auf seinem eigenen Grund und Boden steht und keiner einem was zu befehlen hat! Und des Todes bin ich erschrocken, als der Vater vom Verkaufen sprach! Nie und nimmer durfte das geschehn! Da mußte ich halt wieder an die Arbeit! Schickte dem Vater, was ich ersparen konnte. Schon weil die dreijährige Dienstzeit bevorstand! Na – die wurde auch überstanden ... Im Jahre 1910 hab' ich dann g'heiratet: die Tochter vom Bürgermeister hier. Sie war ein paar Jahr älter als ich, aber eine Kindheitsfreundin. Nicht schön, aber tüchtig und brav. Und ein gutes Stück Geld hat's auch mitgebracht. Das hab'n wir natürlich auch in Land angelegt! Und ordentlich g'schafft! ... Zwei Buben hat s' mir g'schenkt ... und als grad' das dritte Kind unterwegs war, mein Mädel – da brach der Krieg los. Hab' ihn vom ersten bis zum letzten Tag mitgemacht. Heldentaten hab' ich keine vollbracht und kugelfest bin ich auch geblieben! ... Die böse Zeit kam erst nachher – der Vater gestorben, der Schwiegervater auch ... keine Leut' zur Feldarbeit ... Wie die Frau das alles zusammengehalten hat – ich kann's jetzt noch nicht verstehn! ... Vom Land allein konnten wir nicht leben ... und da hab' ich halt wieder müssen in die Stadt! Tanzen! ... Mittlerweile hatten s' da einen neuen Beruf entdeckt für die Tänzer: den Eintänzerberuf. Na – – und das Übrige wissen S' ja ...!«

Gabriele hat während der ganzen Erzählung kein Auge von ihm gewandt.

»Daß Sie es aber solange bei dem Beruf ausgehalten haben?«

»Ja, schaun S', Mylady – das ist halt die Macht des Geldes. Und wenn man noch soviel hat – man hat nie genug.«

»Hat Ihre Frau Sie denn nie zurückgerufen?«

»Ich war ja jedes Jahr drei, vier Monate zu Haus!«

»Und dann hatten Sie wohl Freude aneinander?«

»An dem, was wir geschafft hatten, hatten wir Freude. Immer mehr Land. Kinder gesund und brav. Da gab's zu reden und zu besprechen. Von Morgen bis Abend – ich glaub', wir haben net einmal gewußt, wie wir ausgeschaut hab'n! ... Und ehrlich gesagt, mir hat's wohl getan, daß meine Frau nix war als ein guter Kamerad ... Hab' zuviel von der andren Sorte am Nacken g'habt! ...«

Er klopft seine Pfeife aus, die er sich mittlerweile angezündet hatte, und sieht den gequälten Ausdruck in Gabrielens Zügen nicht. Wie vor sich selbst hinsprechend, fährt er fort:

»Erst vor vier Jahren, als ich ans Sterbelager meiner Frau gerufen wurde ... warten S', ich glaub', das war kurz nachdem ich in der ›Villa Borgia‹ mit Ihnen getanzt hab' ... ja ja ... und als ich sie dann auf dem Totenbett sah, mit einem Gesicht wie aus Stein und wo nix mehr drin war von einer Frau, da ist mir das Gefühl einer Schuld gekommen ... Denn – das Gefühl der Lust an mir hab' ich in ihr getötet ... durch meine Gleichgültigkeit ... und meinen Ekel, den mir die sogenannten Damen beigebracht haben! ...«

Gabriele denkt: es ist doch am besten, ich fahre weg. Packe auf und fahre weg – weit weg! ...

»Verzeihung, Fräulein Schorneder ... aber es ist spät und ich war unruhig.«

Es ist Elise.

Ein maßlos erstaunter, empörter Blick fällt auf den Großbauern – – hat doch so ein Kerl gewagt, sich mit der brennenden Pfeife am Tisch von Lady Carwell festzusetzen!! Oder sollte am Ende Fräulein Schorneder wieder ...?

»Erlauben ...«, sagt sie fast drohend und stellt sich zwischen ihre Herrin und den Bauern.

»Es ist meine Jungfer, Herr Miller ...«

»So, Ihr Fräulein Jungfer? ... Na, Fräulein, da woll'n wir mal jetzt die Lady in ihr Zimmer hinaufbringen. Ist überhaupt ein Unfug, daß sie heruntergekommen ist.«

Gabriele wirft rasch ein: »Herr Miller war so freundlich, mir Gesellschaft zu leisten.«

»Wir danken auch schön für die Bücher«, sagte Elise hoheitsvoll.

»Bitt' schön, bitt' schön, gern geschehn.« Und zu Gabriele gewendet: »Sie können auch was Bessres kriegen. Zuviel kann man ja von dem Zeugs nicht lesen! ... So – und nun stehn S' mal auf ... können S' auftreten? ... Aha, 's geht net gut ... na, stützen Sie sich nur auf mich. Nehmen S' die andere Seite, Fräulein! ... Geht's? ... Aber nun die verdammte Treppe ...? Auch so eine Hühnersteig'n, wie sie verboten sein sollten in den Häusern! ... Gehn S' mal voraus, Fräulein! Da machen wir keine langen Umständ' ...«

Gabriele weiß nicht, wie ihr geschieht. Sie weiß aber, daß sie sehr groß und schwer ist ... und daß dieser Mann sie aufhebt wie eine Feder ... Sie hält den Atem an, um sich leichter zu machen.

»Halten Sie sich lieber fest an meinem Hals«, fährt er sie gutmütig an.

Und dann, ganz sacht, legt er sie auf ihr Bett nieder.

»So – da wär'n wir! Und morgen um zehn, da schau ich selber nach. Bin ja so ein halber Fußdoktor. Für heut noch ein paar Umschläg' ... net wahr, Fräulein? Und – hübsch droben bleiben im Zimmer! ... Ich schick' Ihnen eine Chaiselongue von mir zu Haus. Na ... gute Nacht, schlafen S' gut.«

Elise schaut ihm entgeistert nach. So etwas ist ihr doch in ihrer ganzen Praxis noch nicht vorgekommen –! Und der verklärte Ausdruck in Fräulein Schorneders Zügen – –? In schwer verhaltenem Unmut beginnt sie, Gabriele auszukleiden, im Kampfe mit sich selbst, ob sie fragen, um eine Erklärung bitten soll.

Aber als Gabriele, bequem gebettet, in den Kissen liegt, winkt sie noch einmal Elise zu sich heran:

»Setzen Sie sich ... ich muß Ihnen etwas sagen ... Sie wissen so viel von meinem Leben, daß Sie auch das wissen sollen ...«

Und Gabriele Schorneder offenbart ihrer Jungfer, was ihr bisher keinem Menschen gegenüber je über die Lippen gekommen – – –

*

Elise sitzt am Fenster ihres Zimmers in Bublingers Gasthof und kaut an ihrem Federhalter. Vor sich auf dem Tisch hat sie einen bereits datierten Briefbogen und daneben ihr Opernglas.

Sie sieht gerade hinüber auf den Hof des Großbauern Anton Miller und das schöne, weit ausladende Bauernhaus.

Wie soll sie es nur denen in Lörnach beibringen ...?

Sie selbst hat es ja noch nicht richtig verdaut! ... Na also, in Gottes Namen ...

*

Semperbach, den 26. Juli 19 ..

Sehr geehrte Frau Doktor!

Die Karte von Fräulein Schorneder, auf der sie für die Teilnahme an dem kleinen Unfall dankt, haben die Herrschaften wohl erhalten. Die Herrschaften glauben gewiß, die Geschichte ist nun bald zu Ende und wir setzen unsere Reise fort. Aber davon ist jetzt keine Rede mehr.

Fräulein Schorneder will sich hier ankaufen und auf dem Grundstück eine Milchkuranstalt für Kinder aus wenig bemittelten Ständen errichten. Der Ort ist ja auch wunderschön, und ich selbst soll dann später die Leitung der Anstalt übernehmen. Fräulein Schorneder denkt eben immer an andere, und es wird mir schwer, mich so recht auszulassen über das, was sich hier begeben hat.

Also die Sache war so. Fräulein Schorneder hat hier einen alten Bekannten getroffen, mit dem sie vor Jahren in Berlin mal getanzt hat, und der ihr schon damals sehr gut gefallen hat. Sein Name war damals Harry Milton. Jetzt heißt er Anton Miller und ist der reichste Bauer weit und breit.

Unten in der Gaststube hat Fräulein Schorneder ihn wiedergesehn, und er hat sich gleich mit ihrem Fuß befaßt, ihr bequeme Möbel in den Gasthof geschickt, ihr Bücher zum Lesen gegeben und sie oft besucht. Mir hat das damals alles nicht sehr gefallen! Die Herrschaften wissen ja, wie ich seit dem Sanatorium besorgt war, es könnte wieder ein Rückfall in die Aufregungszustände eintreten.

Aber Fräulein Schorneder war gar nicht mehr aufgeregt, sondern nur so sehr glücklich und froh. Da habe ich denn nichts mehr zu sagen gewagt und mir gedacht, die Sache würde von allein einschlafen, wenn wir erst abreisen könnten. Aber zu dieser Abreise ist es eben nicht gekommen. Sowie Fräulein Schorneder ausgehen konnte, hat dieser Herr Miller uns zu sich in sein Haus eingeladen, denn seitdem wir aus England fort sind, begleite ich Fräulein Schorneder überall hin. Ich muß sagen, das Haus ist wunderschön: die unteren Räume sind ganz einfach, ländlich und nach Entwürfen von einem Münchener Künstler hergerichtet. Die oberen Räume aber sind städtisch, mit dicken Teppichen ausgelegt und mit alten englischen Möbeln ausgestattet, wie Fräulein Schorneder sie immer so gern hat. Ganz moderne Badezimmer hat das Haus, Ankleideräume, eine große Bibliothek – also gegen das Haus läßt sich wirklich nichts entwenden. Den Herrn Miller hätte ich auch kaum erkannt, wie er uns entgegenkam. Lord Carwell hätte ihn um seinen Schneider beneiden können! Von den seidenen Socken bis zum Schlips war alles von einer ausgesuchten und wirklich vornehmen Eleganz. Fräulein Schorneder hatte ein kornblumenblaues Kleid angelegt, aus dickem Leinen, mit irischen Spitzen. Und wie sie so mit Herrn Miller voranging – ich muß sagen, ein schöneres Paar habe ich mein Lebtag nicht gesehen! Gegessen haben wir vom feinsten Porzellan und aus herrlich geschliffenen Kristallgläsern getrunken. Aber es gab nur selbstgekelterten Obstwein.

Herr Miller ist Witwer und hat drei Kinder. Seine zwei Söhne studieren, der eine Landwirtschaft, der andere auf dem Polytechnikum in Darmstadt. Es war nur die Tochter anwesend. Ein bildhübsches junges Ding, das zum Film oder zum Theater will, vom Vater aber nach England geschickt werden soll, damit ihr die Mucken vergehn!

Nach dem Essen, das ganz vorzüglich war, mußten wir, ob wir wollten oder nicht, Nachmittagsschlaf halten. Dann gab es auf der großen Terrasse unten Kaffee mit dem hausgebackenen vielerlei Kuchen. Er hat eben eine Wirtschafterin, wie sie sich nur die Rittergutsbesitzer leisten können. Beim Kaffee ging nun das Gerede wegen des Grundstückkaufes los. Er selber hat nämlich die Option auf das in Frage kommende Terrain, und Fräulein Schorneder hätte es fast mit dem Weinen gekriegt, als er sagte, für eine Spielerei gäbe er das Grundstück nicht her, das sei hier kein Spekulationsobjekt wie die Grundstücke in den großen Städten. Da müßte man »Liebe mitbringen für das Land, den Ort und die Bewohner«. Und Fräulein Schorneder sagte darauf, ich würde es nicht glauben, wenn ich's nicht mit eigenen Ohren gehört hätte: »Mit mehr Liebe im Herz ist wohl kein Mensch hierhergekommen!« Darauf hat er geschwiegen und nur so ganz sonderbar gelächelt.

Ja und dann sind eben zwei Wochen vergangen, und ein Notar ist gekommen und hat die Verträge ausgefertigt. Am Abend dieses Tages aber kam die kleine Grit zu mir gelaufen und hat mich, ganz rot im Kopf, gefragt, ob's wahr ist, daß die Fräulein Schorneder ihren Vater heiraten wird. Da bin ich nun fast umgefallen! Eine Laune konnte sich eine Lady Carwell wohl leisten, aber ihren Titel und Rang ablegen, um die Frau eines Bauern zu werden – – Frau Doktor werden begreifen, daß mich das ganz außer Fassung gebracht hat!

Und nun habe ich weiter nichts hinzuzusetzen. Die Hochzeit soll schon in vier Wochen stattfinden, Fräulein Schorneder hat sich's selbst ausbedungen, daß es eine richtige große Bauernhochzeit wird, und will die Herrschaften dieser Tage selbst dazu einladen.

Übrigens sagte mir heute unsere Gasthauswirtin, die Frau Bublinger, daß bei der nächsten Wahl im Ort wahrscheinlich Herr Anton Miller zum Bürgermeister gewählt wird. Das ist doch ein kleiner Trost!

Mir geht noch alles rundherum im Kopf. Die Herrschaften werden daher verzeihen, wenn der Brief ein bißchen konfus ist.

Ich verbleibe mit bester Empfehlung

Ihre ergebene, dankbare
Elise.

Der Briefbogen sinkt in Tonis Schoß.

»Ein Bauer ... Gabriele und ein Bauer ... murmelt sie leise.

Alles, was ihrem kleinbürgerlichen Ehrgeiz Nahrung gegeben, ist einem Luftschloß gleich zusammengebrochen.

Ein Gigolo ... Gabriele und ein Gigolo! ... denkt Kurt Kemper.

Um seine Mundwinkel zuckt ein kaum merkliches, nervöses Lächeln, und er sieht »Berlins berühmtesten Eintänzer«, der Bestellung des Kellners folgend, auf die kleine Loge zuschreiten – – –

Der heulende Pfiff der Sirene hallt über den Fabrikhof.

Kurt Kemper steht auf und zündet sich eine Zigarette an.

Aber Toni ist noch nicht fertig mit sich: wie nur Gabriele Gefallen finden kann – an einem Bauer? – –

»Nicht am Bauer – am Manne! ... Und diesen Mann zu finden, war für eine Gabriele Schorneder nicht leicht ...!«

Zum zweiten Male tönt der Pfiff der Sirene herüber. Kurt Kemper hat es gelernt, sich ihrem Ruf zu fügen, wie es seine Arbeiter tun ...

»So – jetzt muß ich ins Büro.«

In der Tür wendet er sich noch einmal um:

»Und abends wollen wir dann eine Flasche Burgunder leeren – auf Gabrielens Wohl und das unseres künftigen Schwagers! ...«


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