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Vorwort

Wer auf achtzig Jahre eines empfangenden und tätigen Lebens zurückblickt, das, wenn auch in bescheidener Weise, zum Teil der Öffentlichkeit angehört hat, wird mit dem Streben nach Selbsterkenntnis, das er sich schuldig ist, auch das Bedürfnis empfinden, sich alles, was er äußerlich und innerlich erlebt und vielleicht auch gewirkt und geschaffen hat, ins Gedächtnis zurückzurufen, um es, zunächst für sich und die Seinen, zusammenfassend aufzuzeichnen.

Ob diese Aufzeichnungen belangreich genug sind, die Teilnahme weiterer Kreise zu beanspruchen, wird zunächst der erfahrene Verleger zu beurteilen haben. Wenn ich mit der Verlagsanstalt dieses Buches darin übereinstimme, dies für möglich zu halten, so liegt das vor allem an der Vielseitigkeit und Farbigkeit meines Lebenslaufes, der freilich ohne dramatische Verwicklungen in ruhiger epischer Entwicklung dahingeflossen ist, doch aber als Ausschnitt aus dem vielgestaltigen staaten- und sittengeschichtlichen Weltbild der letzten achtzig Jahre angesehen werden kann.

Daß diese Erinnerungen aus eigenem Erleben die großen fünfzig Jahre unseres teuren Vaterlandes von 1864 bis 1914, den unerhörten Aufstieg, aber auch den jähen Zusammenbruch Deutschlands und unsere Herzenshoffnung auf seine Wiederauferstehung umfassen, mag dem Buche zum Vorteil gereichen.

Nur erwarte man nicht, die weltgeschichtlichen Ereignisse als solche in ihm erzählt oder auch nur die sitten- und kunstgeschichtlichen Zustände der Länder und der Städte, in die mein Leben mich verschlagen, vollständig in diesen Blättern geschildert zu sehen. Die Lebenserinnerungen eines einzelnen können, eben wenn sie Erinnerungen sein und bleiben wollen, nur die Ereignisse und Persönlichkeiten schildern, die sich in seinem Lebenslaufe widergespiegelt haben, und auch ihr Spiegelbild nur wiedergeben, soweit sie sein Wollen und Sollen, sein Denken und sein Empfinden beeinflußt haben.

Daß das Denken und Empfinden des Verfassers dieses Buches in dem seiner Zeit und seines Volkes wurzelt, wird man ihm anfühlen. Daß sein äußeres und inneres Leben sich zunächst im Rahmen des Familien-, Geschäfts- und Geisteslebens einer deutschen Welthandelsstadt entfaltet hat, von dem es unzertrennlich ist, zugleich aber, stets von der Verskunst begleitet, von der Überzeugung der Nährkraft der altgriechischen Sprache, Sitte und Kunst ausgegangen ist, um sich dann allmählich zu neuzeitlich und volklich bedingten Anschauungen hindurchzuarbeiten, verleiht ihm einige Ähnlichkeit mit dem Leben der deutschen Humanisten des 16. Jahrhunderts.

Wenn man dementsprechend diese Lebenserinnerungen als die eines deutschen Humanisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anspräche, der im 20. Jahrhundert den Übergang zu abermals neuzeitlicherem Denken und Empfinden in sich mitgemacht hat, soweit dies möglich ist, ohne das Menschentum als Maßstab seines Eigenempfindens preiszugeben, so würde man dem Geiste, in dem sie niedergeschrieben sind, am nächsten kommen.

Die hier und dort eingefügten Verse, die früher veröffentlichten Gedichtbüchern des Verfassers entlehnt sind, mögen, an der Stelle ihrer Entstehung, wenn auch nicht immer ihrer Ausführung eingereiht, die ruhige Erzählung beleben und erläutern, aber auch von ihr belebt und erläutert werden.

Allen, die dem Verfasser behilflich gewesen sind, seine Erinnerung aufzufrischen, und der Verlagsanstalt, die auch gütigst die Auswahl der Abbildungen übernommen hat, spricht er seinen verbindlichsten Dank aus.

Dresden, im September 1924.
Karl Woermann.


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