Ernst von Wildenbruch
Der Astronom
Ernst von Wildenbruch

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Neuntes Kapitel

Das Fest war vorüber, und wie es vor Weihnachten gewesen war, so wurde es nach Weihnachten wieder. Der Winter schritt dahin, von Woche zu Woche, ohne Hast und ohne Rast, und während er dem Professor wie ein Wundertäter vorüberging, der ihm schweigend eine Gabe nach der anderen in den Schoß legte, sah das Weib des Professors in ihm einen greisenhaften Bettler, vor dessen ödem Angesicht ihr graute, und dessen schlurfender Schritt ihr Entsetzen einflößte.

Endlich aber ward es Frühling; die Wärme, die so lange der Kälte das Feld hatte räumen müssen, machte ihre Rechte energisch geltend, und mit frühlingsrauschendem Besen fegte sie den verhaßten Winter vom Erdboden hinweg.

Einem warmen April folgte ein heißer Mai, und als der Juni anbrach, lag sommerliche Glut über Stadt und Land. Für alle, welche zu Pfingsten hinausfuhren, war heißes Reisewetter. Darum wählte Klemens zu seiner Fahrt die Nacht. Er berechnete, daß er dann in den ersten Nachmittagsstunden auf der Sternwarte eintreffen würde. 122 Angekündigt hatte er sein Kommen ja bereits im Winter; einer nochmaligen brieflichen Anmeldung hielt er sich, in Übereinstimmung mit seiner Brieffaulheit, für überhoben.

Als er sich auf der Bank im Eisenbahncoupé ausstreckte und den Sommermantel, den er über dem Arm getragen hatte, unter den Kopf schob, fühlte er einen leichten Druck. In der Brusttasche des Mantels, in dem er seine Reise nach Heidelberg gemacht, und den er seitdem nicht mehr angelegt hatte, mußte etwas stecken. Er griff in die Tasche und zog eine ganz vertrocknete, hart gewordene Rose hervor; am Stiele derselben befand sich noch ein Überbleibsel von Silberpapier, das sich jetzt ablöste. Wo kam denn die her? Konnte er sich doch gar nicht besinnen – endlich fiel es ihm ein. Es war ja die Rose, die Lucie ihm damals über den Tisch zugeworfen hatte. Er erinnerte sich, wie er die Blume während der ganzen Zeit nachher in der geschlossenen Hand gehalten und dann beim Weggehen in die Brusttasche seines Mantels gesteckt hatte – dort hatte sie bis heute geschlummert, und heut erstand sie wieder auf.

Eine Zeitlang drehte er die vertrocknete Blume gedankenlos zwischen den Fingern, dann erhob er sich, um sie hinauszuwerfen. Das Coupéfenster sperrte sich, als er es hinunterlassen wollte, er mußte mit beiden Händen zugreifen und nahm währenddem den Stengel zwischen die Lippen. Nun deuchte ihm, als ginge von den vertrockneten Blättern ein leiser, letzter Duft aus – konnte das sein? Er prüfte genauer – und wirklich – es war kein Blumengeruch mehr, sondern ein anderer, der Duft, den er geatmet hatte, als er Luciens Brief geöffnet, und der ihn angeweht hatte aus ihrem Kleide – damals – nach dem Hochzeitsmahle – als er sie – 123

Er zog das Fenster wieder hinauf; die Rose ward nicht hinausgeworfen, er verschränkte die Finger über ihr und legte sich wieder nieder.

Und als er nun so mit geschlossenen Augen durch die laue Sommernacht dahinfuhr, war es ihm, als verwandelte sich das einförmige Klappern der Räder in ein weiches, leises, unablässiges Rauschen, als umwehte ihn fortwährend der feine, berauschende Duft, und als bewegte sich in weiter Ferne vor ihm etwas Weißes, Knisterndes – halb wie ein Schwanenfittich anzusehen und halb wie ein bräutliches Frauengewand.

Wachte er? Träumte er? Er wußte es nicht. Er sah nur, wie er dem weißen Gewölk näher und näher rückte, und fühlte nur in seinen Adern den heißen schweren Schlag seines Blutes.

Vom Bahnhofe, an dem er um drei Uhr nachmittags anlangte, machte er sich zu Fuß auf den Weg nach der Sternwarte. Überraschend wollte er kommen, kein Wagengerassel sollte ihn verraten; außerdem war eine fröhliche Ungeduld in ihm, die es ihm unmöglich machte, sich, nachdem er so lange gesessen, wieder in Wagenpolster zu setzen. Ein Gepäckträger sollte im Laufe des Nachmittags seinen kleinen Handkoffer hinaufbefördern. So schritt er, das Herz ganz erfüllt von der Wonne des Wiedersehens, den altbekannten Weg zwischen den Anlagen dahin. Büsche und Bäume standen regungslos in der schwülen, brütenden Mittagssonne, geflügelte Käfer schwammen in der weichen Luft; die ahnungsvolle Stille des Sommermittags, in der man das leise Jauchzen des Erdinnern aus unendlicher Tiefe zu vernehmen glaubt, lag über die Fluren gebreitet.

Mit geräuschlosem Druck öffnete Klemens die Gitterpforte 124 – und da lag er vor ihm, der schöne, geliebte, schattenreiche Garten – noch einige hastige Schritte – und da war es, das Heimatshaus, das mit den freundlichen Fenstern wie ein teures, vertrautes Antlitz auf ihn niederblickte.

Kein Laut regte sich in dem Gebäude, mittägliche Ruhe, so schien es, umfing alle Insassen.

Mit zwei Sprüngen war er die Stufen zur Eingangspforte hinauf, und nun stand er klopfenden Herzens auf dem Flur, vor der Tür zum Arbeitszimmer des Bruders.

Offenbar hielt der Professor Mittagsrast; er wollte ihn nicht zu hastig stören; vorsichtig drückte er die Klinke nieder, zog die Tür auf – und mit weitgeöffneten Augen blieb er auf der Schwelle stehen. Einen Augenblick – dann drückte er die Tür ebenso vorsichtig wieder ins Schloß und trat zurück. Seine Brust atmete tief – – flammende Röte bedeckte sein Gesicht.

Er hatte etwas gesehen – etwas Unerwartetes, Wunderbares.

Der Raum, in den er hineingeblickt, war nicht mehr das Arbeitszimmer seines Bruders – eine Frau wohnte darin, und diese Frau hatte er gesehen – gesehen, wie er noch nie ein Weib gesehen hatte.

Auf einem Ruhebett, das gerade gegenüber der Tür vor dem Mittelfenster stand, hatte Lucie, aufgelöst im Schlafe, gelegen. Von der Hitze belästigt, hatte sie die Schuhe von den Füßen gestreift und das Kleid geöffnet, und auf ihre nackte Brust war Klemens' erster Blick gefallen.

Er hatte zurückspringen, hatte fliehen wollen – aber es hatte ihn festgehalten wie mit Gewalt, und mit einem aus Grausen und Entzücken gemischten Gefühle hatte er das Bild 125 des Weibes in sich aufnehmen müssen, das berückende Bild. Er hatte gesehen, wie ihr rechter Arm unter das Haupt geschoben war, so daß ihr Antlitz ihm, dem Eintretenden, halb zugewendet erschien, während der linke Arm vom Lager niederhing. Und dieses Gesicht – war es nur die Wonne der Ruhe, die ihm solchen Zauber verlieh, oder hatte er früher denn keine Augen gehabt?

Mit hämmernden Schläfen schritt er im Flure auf und ab; leise, leise, indem er auf dem Teppichläufer ging, damit er die Schlafende nicht störe.

Was sollte er tun? Fort und zum Bruder hinauf? Das mußte er, das fühlte er. Er wandte sich zur Treppe, die in die oberen Räume führte; aber als er die Hand ans Geländer legte, blieb er stehen und blickte zu der Pforte zurück, hinter der sie lag.

War es seine Schuld gewesen, daß er sie in diesem unbewachten Augenblick geschaut? Nein. Was ihm heute der Zufall geboten, würde er es je im Leben wieder finden, wieder genießen? Nein! Nein!

Von der Treppe wandte er sich um; auf den Fußspitzen, wie ein Verbrecher, kam er den Weg zurück; an der Tür blieb er stehen, das Ohr zum Schlüsselloch gebeugt, ob er ein Geräusch, auch nur die Ahnung eines Geräusches vernehmen würde – nichts regte sich in dem Gemach – und mit fiebernder Hand ergriff er noch einmal die Klinke, und leise, leise, leise öffnete er noch einmal die Tür.

Sobald Klemens das erste Mal die Pforte hinter sich geschlossen hatte, war die Schläferin dort drinnen erwacht. Hatte sie geträumt oder war es Wirklichkeit, daß jemand soeben hereingeschaut hatte und dann lautlos verschwunden war? 126 Nein, sie hatte deutlich noch gesehen, wie sich die Klinke langsam wieder hob, und hatte das leise Einschnappen des Schlosses gehört. Wer konnte es gewesen sein? Ihr Mann? Oder einer von den Dienstboten? Unmöglich, die wußten, daß sie den gewohnten Schlaf nach der Mahlzeit hielt, und würden sie nicht gestört haben. – Wer war es gewesen? Indem sie noch darüber nachdachte, war es ihr, als käme es draußen mit unhörbaren Schritten wieder an die Tür geschlichen; dann glaubte sie einen heißen, verhaltenen Atemzug am Schlüsselloch zu vernehmen. Sollte sie aufspringen? Das mußte sie, das fühlte sie. Aber ein unbezwingliches Verlangen, zu erfahren, wer der unbekannte Lauscher sei, hielt sie bleiern an das Lager gefesselt.

Jetzt sah sie die Klinke langsam niedergehen; ein letzter Instinkt sagte ihr, daß sie genau die vorige Stellung bewahren müsse, um den Anschein zu erwecken, als hätte sie geschlafen; nur eine unmerkliche Öffnung des geschlossenen Augenlides ließ ihr den Blick frei, den Eindringling zu erkennen. Und jählings ging ihr ein strömender Schauer vom Nacken bis in die Fußspitzen – auf der Schwelle stand Klemens, mit weit aufgetanen Augen, das ganze Gesicht bis über die Stirn, bis unter die Haare mit lodernder Glut bedeckt.

Nun hieß es aushalten; nun hieß es, die zitternden Nerven zur Ruhe zu zwingen und das pochende Herz, damit keine verräterische Glut in ihren Wangen aufstiege und ihm ihr Wachen verkündete.

Sie drückte die Augen fest zu; ihre ganze Willenskraft raffte sie zusammen und regungslos lag sie da, in einem Zustande dumpfer Qual und dumpfer, betäubender Lust. 127

Klemens stand wie gebannt auf der Schwelle; aber über den Raum hin wirkte seine Seele zu ihr hinüber; trotz der geschlossenen Augen fühlte sie, wie sein Blick auf ihr lag, sie umfaßte von Kopf bis zu Füßen, so daß ihre ganze Gestalt wie in Glut gebadet war, und endlich fühlte sie, wie ihre Kraft zu versagen begann, wie die Glut der Scham in heißer Welle ihre nackte Brust überströmte – sie seufzte unwillkürlich auf und bewegte sich – im nämlichen Augenblick huschte er von der Schwelle hinweg, und die Tür ging lautlos ins Schloß.

Lucie setzte sich auf, drückte das heiße Gesicht in die Hände, und die krampfhafte Spannung ihrer Nerven löste sich in einem Tränenstrom auf.

Nach Verlauf einer halben Stunde klopfte es an ihre Tür.

»Lucie, bist Du munter?« ertönte die Stimme des Professors, »wir haben Besuch bekommen.«

Sie öffnete selbst; draußen stand Doppnau, Klemens an der Hand haltend.

»Willkommen und herein!« sagte sie, indem sie dem jungen Schwager, der gesenkten Hauptes vor ihr stand, unbefangen die Hand bot. Alle drei traten ein. »Du findest einige Veränderungen bei uns,« wandte sie sich an Klemens, indem sie sich auf das Ruhebett setzte, auf dem sie vorhin gelegen, »ich wohne jetzt hier, wie Du siehst; wirst Du nicht böse sein über solche Entweihung des Allerheiligsten?«

Klemens ließ die Augen im Zimmer umhergehen, das unter Luciens Pflege zu einem Raum voll Anmut und Behaglichkeit geworden war.

»Nein,« sagte er, »ich finde es reizend hier.«

»Aber nun sag' mir nur, warum Du uns wie ein 128 Dieb in der Nacht überfallen mußtest,« sagte der Professor, der mit übereinandergeschlagenen Beinen bequem im Lehnstuhl saß.

»Weil ich Euch überraschen wollte,« entgegnete Klemens.

»Nun, das ist Dir gelungen,« meinte lachend der Professor, »es ist der reine Glückszufall, daß Du nicht bei Lucien eingebrochen bist; wie bist Du denn gleich auf den Gedanken gekommen, mich da oben zu suchen? Wir hatten Dir, soviel ich weiß, nichts von dem Umzuge geschrieben?«

Klemens verstummte einen Augenblick; seine Augen bohrten sich auf das Ruhebett, auf welchem Lucie saß. Voller Spannung, die sie unter einem gleichgültigen Lächeln verbarg, und nicht ohne eine gewisse grausame Neugier blickte ihn Lucie an. Was würde er sagen?

»Ja, siehst Du,« sagte Klemens nach einiger Zeit, indem er an den Augen des Bruders vorbeisah, »es muß die alte Gewohnheit gewesen sein, die mich wie früher dort oben hinauf trieb; und dann – vielleicht –« er sah den Bruder lächelnd an – »hatte ich mir gedacht, daß es so kommen würde.«

Doppnau schlug sich lachend aufs Knie. »Das muß ich sagen,« rief er, »so hast Du den Pantoffelhelden in mir vorausgeahnt?«

Luciens Augen ruhten schweigend auf Klemens, der jetzt feuerrot geworden war. Sie verstand dies Erröten; es war das des Schuldbewußtseins.

Aber sie zürnte ihm nicht, im Gegenteil, eine geheimnisvolle lüsterne Freude stand in ihrem tiefsten Innern auf: der Panzer keuscher Unnahbarkeit, der ihn dereinst umhüllte, war gesunken, zerschmolzen im Gluthauche der erwachten Sinne; der kalte Marmor war Fleisch geworden, zugänglich für das Verlangen, zugänglich für Sünde und Schuld. 129

War nicht in ihrer Seele einstmals ein Sehnen gewesen, daß diese Mannesknospe, die sich so streng verschloß, die Blätter öffnen und ihr den Duft ihres Kelches spenden möchte? Jetzt war ihr, als klopfte ein unsichtbarer Finger an ihr tiefstes Herz, und als flüsterte es da drinnen: »Die Stunde ist gekommen.« Zwischen ihnen beiden war etwas Gemeinsames, für keinen dritten Bestimmtes, ein Geheimnis – war es bereits eine Schuld? Sie gab sich noch keine Rechenschaft darüber; als sie sich aber jetzt vom Ruhebett erhob und die mechanische Bewegung ihrer in der Seelenspannung erstarrten Glieder empfand, fühlte sie, daß eine dunkle Gewalt in ihr Leben getreten war, die sich dahin gesetzt hatte, wo vordem ihr freier Wille gewesen war, und die sie treiben würde – wohin –?

»Wollen wir in den Garten gehen?« fragte sie, zu Klemens aufblickend.

»Gern,« erwiderte dieser. »Kommst Du mit?« wandte er sich an den Professor.

»Geht voraus,« antwortete Doppnau, »ich komme Euch nach.«

In stummer Befangenheit wandelten Lucie und Klemens den breiten Laubgang nebeneinander dahin, dann bogen sie in den engen Seitenweg, der zu den Blumenanlagen führte; hier blieb er hinter ihr zurück.

Lucie hatte keinen Hut aufgesetzt: sie deckte das Haupt mit dem kleinen Seidenschirm; Klemens, der hinter ihr herging, keinen Blick von ihr verwendend, sah, wie die leise Luft in ihrem schönen Haar spielte, wie die volle, weiche Gestalt sich im Schreiten wiegte, fest getragen von den kleinen Füßen, die er vorhin, nur von den weißen, beinah durchsichtigen 130 Strümpfen bedeckt, auf dem Ruhebette anmutig übereinander gelegt gesehen hatte.

Tiefe, regungslose Stille herrschte ringsumher; das leise Rauschen ihres Kleides, das an die Hecken des Weges streifte, war das einzige Geräusch, das man vernahm. Klemens fühlte sich von einem beinah unwiderstehlichen Verlangen erfaßt, dieses Kleid nur einmal mit der Hand berühren zu dürfen. Er war wie in einer Verzauberung. War das wirklich dasselbe Weib, das er einstmals gehaßt?

An einem Nelkenbeete machte Lucie Halt.

»Siehst Du,« sagte sie zu Klemens, der an ihre Seite trat, »hier beginnt das Feld meiner Tätigkeit; es waren so wenig Blumen im Garten; ich habe alle möglichen Arten davon gepflanzt; und mit Nelken habe ich angefangen. Liebst Du Nelken auch?«

»Sehr,« erwiderte er eifrig, »sehr! – und daß Du unserem Garten soviel Aufmerksamkeit zuwendest,« fuhr er hastig fort, »dafür muß ich Dir ganz besonders danken; ich hatte es gar nicht erwartet, und mein Bruder hat nie Zeit gehabt, sich darum zu bekümmern, und ich fürchtete schon, er würde ganz verwildern, wenn ich fort wäre.«

Lucie hörte ihm mit halbem Lächeln zu. Sein Lob kam so ungeschickt heraus, und gerade das gefiel ihr; es war so aufrichtig. »Du solltest recht oft kommen und nachsehen, ob Du mit mir zufrieden sein darfst,« sagte sie mit anmutigem Kopfnicken.

Sie setzten ihren Weg fort.

»Aha – jetzt kommen wir an die Rosen!« rief Klemens. Sie bogen vom Wege durch eine Öffnung in der Hecke zur 131 Rechten ab und umwandelten ein breitläufiges Rund, das ringsumher mit Rosenstöcken besetzt war.

Als sie wieder in den Weg einbiegen wollten, blieb Klemens am letzten Stocke stehen.

»Da wir bei den Rosen sind, so – so möchte ich Dir doch einmal zeigen –«

Lucie, die in der Heckenöffnung stand, blickte zu ihm zurück; sie sah, wie er in die Brusttasche griff. »Du wirst es kaum mehr erkennen,« fuhr Klemens fort, indem er auf sie zutrat und einen grauen Gegenstand auf der offenen Handfläche ihr entgegenhielt.

»Was hast Du denn da?« fragte sie, da sie das Klümpchen wirklich nicht erkannte.

Er versuchte zu lächeln, aber ein flammendes Erröten brannte das Lächeln von seinem Antlitz fort. »Die Rose,« brachte er stockend hervor, »die Du mir damals zugeworfen hast.«

Mit einem Griff hatte Lucie die vertrocknete Rose an sich gerissen – sie gab keinen Laut von sich, ihr war, als hätte ein elektrischer Funke ihren ganzen Leib durchzuckt.

»Die hast Du aufbewahrt?« fragte sie mit heiserer Stimme. Dann schlug sie ein Gelächter an; aber es klang grell und kurz und kam nur aus dem Halse, nicht aus dem Herzen. »Wer wird sich an den Staub hängen?« sagte sie und warf die verdorrte Blume seitwärts ins Gebüsch. Klemens machte eine Bewegung. »Ich werde Dir eine frische dafür geben,« beruhigte sie ihn.

»Aber jetzt wachsen keine Rosen,« wandte er ein.

Lucie, die sich wieder in Gang gesetzt hatte, blieb plötzlich stehen und sah ihm voll ins Gesicht. »Also komm zum Sommer wieder,« sagte sie, »wenn die Rosen blühen.« 132

Sie waren auf dem schmalen Wege in einen breiten Laubgang gelangt. »Komm,« wandte sich Lucie an ihn, »es ist warm, gib mir Deinen Arm.« Sie hing sich in seinen linken Arm.

Klemens hielt ihren Arm in dem seinigen, mit einer Vorsicht, als fürchtete er ihn zu zerbrechen. Lucie spürte es und lächelte vor sich hin. Sie lehnte sich auf ihn, sie fühlte, wie das Herz in seinem jungen Leibe schlug.

»Du bist müde?« fragte er nach einiger Zeit.

»Nein,« sagte sie. »Weshalb? Bin ich Dir zu schwer?«

»O nein – nein!« entgegnete er; der abgebrochene Ton seiner Worte klang beinah wie ein Jauchzen.

Man hatte die Stelle erreicht, von wo sich der schöne Blick über Fluß und Stadt bot, den Lucie so liebte; an dieser Stelle hatte sie eine Bank anbringen lassen, und hier nahm sie mit Klemens Platz. Lange saßen sie schweigend nebeneinander.

»Sieh da,« sagte Klemens alsdann, indem er nach vorn zeigte, »da ist ja die alte Agave noch; das freut mich, daß ich die wiederfinde.«

Lucie sah ihn von der Seite an. »Liebst Du die Agaven?« fragte sie. »Es sind doch eigentlich traurige Gewächse; ohne Duft und ohne Blüte?«

»Sag' das nicht,« rief Klemens voller Eifer, »sie treiben Blüten! Freilich, nur einmal – und an der Blüte sterben sie –«

»Daran sterben sie,« wiederholte sie gedehnten Tons – »nun, ist das nicht ein trauriges Leben?«

»Nein,« erwiderte er, »gerade das gefällt mir! Die Blüte, die die Agave treibt, siehst Du, ist vier-, fünfmal so hoch als sie selbst, ein vollständiger Baum. Alle Kraft, die 133 sie seit Beginn ihres Daseins gesammelt hat, setzt sie daran und gibt sie aus – und nun es erreicht ist – was soll sie dann noch weiter leben?«

Lucie sah ihn unverwandt an, während ihm die Worte von den Lippen schossen, und sagte sich, daß sie nie einen schöneren Menschen und nie einen schöneren Ausdruck in eines Menschen Antlitz gesehen hatte. »Das nenne ich stolz gedacht,« sagte sie langsam.

»Es ist auch wahr,« fuhr der Jüngling fort, »solche Agave erscheint mir immer wie ein Mann, so wie ich mir einen Mann denke: er fragt nicht, ob Sommer oder Winter, gut Wetter oder böses ist, er steht für sich selbst, fühlt nur, wie die Kraft in ihm wächst und gärt, sein ganzes Leben ist ein Warten auf den einen Augenblick. Und wenn dann die Stunde gekommen ist –« Klemens breitete unwillkürlich beide Arme aus – »dann vollbringt er das Werk seines Lebens – und dann – nun er sein Werk vollbracht hat –« er ließ die Arme sinken und lächelte vor sich hin, während seine Augen blitzten.

Lucie hatte ihn mit keinem Laute unterbrochen; ihr war, als säße sie an einer Quelle, und als ginge der frische Lufthauch belebend über sie hin. In dieser verständigen, vernünftigen, langweiligen Welt gab es also wirklich noch träumende, schäumende Überspanntheit? Die Phantasie ihrer eigenen Seele, die sie unter den schweren Füßen der Weisheit und Wissenschaft hatte zertreten lassen wollen, stand jählings auf und streckte wie trunken die Arme aus.

»Aber die Agave ist doch weiblich?« sagte sie nach langem Schweigen. »Du sprichst immer nur vom Mann? Läßt sie sich nicht mit der Frau vergleichen?« 134

Klemens blickte in die Ferne.

»Eine Frau?« sagte er mit leisem Lächeln, »ja weißt Du, wenn ich ehrlich sein soll –«

»Du hast noch nicht viel an Frauen gedacht?« ergänzte sie seine Worte.

Er wandte das Antlitz langsam zu ihr; während er sie anschaute, wurden seine Züge ernst; man sah, in diesem Augenblick dachte er an eine Frau.

»Jawohl,« sagte er dann laut, beinah heftig, »gerade mit der Frau läßt sie sich sehr gut vergleichen: das müßte eine Frau sein, die nur einmal in ihrem Leben liebt!«

Er hatte sich von ihr abgewandt, und indem er dieses Wort herausstieß, verfinsterte sich sein Gesicht, und es stieg darin der alte düstere, fanatische Ausdruck wieder auf, der Lucie einstmals erschreckt hatte.

»Nur einmal,« wiederholte er, »und nur einen; allen anderen müßte sie gegenüberstehen, als seien sie für sie nicht auf der Welt, meinetwegen stachlig, so daß sie sich vor ihr fürchteten, müßte nicht in einem Frühling dem einen, im andren dem andern eine Blüte schenken, aber wenn sie dann einmal liebt, dann – dann müßte es auch so sein –«

»Daß sie daran stirbt,« fiel Lucie rasch und dumpf ein.

Er warf das Haupt zu ihr herum; ihr Gesicht war totenblaß, ihre starr geöffneten Augen blickten ihn mit angstvollem Ausdruck an.

Es überkam ihn wie eine plötzliche Ahnung, wie eine Glut, die so mächtig war, daß sie ihn wie Eiseskälte anschauerte, er wollte aufspringen.

»Bleibe doch,« sagte sie heiser, indem sie seine Hand ergriff. 135

Er sank auf den Sitz, er fühlte ihr Handgelenk in seiner Hand, und plötzlich beugte er sich nieder, bedeckte ihre Hand mit Küssen, schob mit den Lippen den Ärmel ihres Kleides zurück und preßte ihr Handgelenk und ihren entblößten Unterarm an seinen Mund.

»Um Gotteswillen,« flüsterte sie angstvoll.

Er ließ ihren Arm los, und beide sanken an die Rücklehne der Bank, so daß ihre Schultern einander berührten. Lange saßen sie stumm, mit wogender Brust.

»Klemens,« sagte sie nach einiger Zeit, und ihr Mund war so nah an seinem Haupte, daß er den Hauch ihrer Lippen an seiner Wange spürte, »Du bist ein Dichter, aber ein grausamer.«

»Weshalb?« fragte er leise.

»Du verdammst die Menschen zum Tode, die Du liebst.«

Er gab keine Antwort.

»Weißt Du, was ich mir wünschte?« hob sie von neuem an, »hier an dieser Stelle einmal begraben zu sein.«

Mit ganzem Leibe drehte sich Klemens zu ihr.

»Warum sprichst Du so?« stammelte er, »warum sprichst Du so?« Er hatte ihre niederhängende Hand mit beiden Händen ergriffen, er neigte sich zu ihr, so daß sein düster glühendes Antlitz dicht über dem ihrigen war; sie fühlte, wie das Verlangen in ihm tobte, die Lippen auf ihren Mund zu drücken – ein Zittern überfiel sie. Vielleicht hatte er es bemerkt, vielleicht erbebte auch er vor diesem Äußersten – er fuhr zurück.

In diesem Augenblick knirschte der Kies des Weges unter Schritten, die vom Hause herkamen, beide sprangen auf; am 136 unteren Ende des Laubganges erschien der Professor. Sie gingen ihm entgegen.

»Es wird kühl hier draußen,« sagte er, »Du tätest gut, ein Tuch umzunehmen, Lucie.« Dann zog er die Uhr heraus. »Übrigens glaube ich, daß es bald Zeit zum Abendessen sein muß, und Meister Klemens, denke ich, wird Appetit mitgebracht haben.«

»Ich danke Dir, daß Du mich erinnerst,« erwiderte sie lächelnd, »für einen so seltenen Vogel muß man sich etwas Besonderes ausdenken, damit er das Wiederkommen nicht vergißt.«

Sie sprach mit einer Ruhe und Unbefangenheit, als käme sie von den gleichgültigsten Dingen her; staunend hörte Klemens es mit an.

Alle drei wandten sich dem Hause zu; der Professor ging zwischen seiner Frau und seinem Bruder. Indem Klemens ihn von der Seite betrachtete, kam es ihm vor, als ob der Bruder gealtert wäre, sein Rücken war gebeugter als früher, wie der eines Menschen, der unablässig am Schreibtisch oder unter dem Teleskop gebückt sitzt, das Haar an den Schläfen war ergraut.

»Du hast wohl scharf gearbeitet diesen Winter hindurch?« fragte Klemens, als Lucie in das Haus getreten war und er mit dem Professor in den Garten zurückging.

»Barbarisch,« antwortete Doppnau. Er gähnte laut und nervös, dann holte er eine Zigarre hervor. »Rauchst Du immer noch nicht?« wandte er sich an Klemens. Dieser schüttelte das Haupt. »Du wirst es mit der Zeit doch noch lernen,« meinte Doppnau, indem er seine Zigarre anzündete, »es gibt nach harter Arbeit gar nichts Erqnickenderes; ich 137 muß jetzt immer schwerere Kaliber rauchen, ich bin wirklich etwas fertig mit meinen Nerven.«

Er war auf eine Bank zugesteuert, obschon sie noch nicht weit gegangen waren, dort saßen sie nieder.

»Ob Du nicht zum Sommer eine Erholungsreise machen solltest?« fragte Klemens.

»Frühestens kann ich zum Herbst fort,« entgegnete Doppnau; »zum Sommer bin ich noch nicht fertig; es liegt noch eine Masse vor mir.«

Er gähnte von neuem, im Ton seiner Stimme lag eine schwere Ermüdung.

»Und wie steht es denn mit Dir für den Sommer?« wandte er sich an Klemens, »hättest Du nicht Lust, eine größere Reise während der Ferien zu machen?«

Klemens blickte stumm vor sich nieder.

»Wegen des Geldes brauchst Du Dich nicht zu genieren, das weißt Du.«

»Ich hatte wohl daran gedacht,« sagte Klemens, »aber –«

»Na – aber?« forschte der Professor beinahe ungeduldig.

»Aber ich finde es wieder so hübsch hier –«

»Daß Du zu den Ferien wieder ins alte Nest kriechen möchtest?«

Klemens schwieg.

»Du Hausschwalbe Du,« sagte Doppnau lächelnd, »meinetwegen mach's, wie Du willst.«

Er hatte auch früher manchesmal zu dem gelächelt, was Klemens gesagt oder getan hatte, aber es war liebenswürdiger herausgekommen als heut.

»Und dann hatte ich gemeint,« hob Klemens schüchtern 138 wieder an, »ich würde Dir vielleicht bei Deinen Beobachtungen hier und da behilflich sein können?«

»Die Idee ist ganz gut,« entgegnete der Professor, indem er den Filzhut vom Kopfe nahm und sich durch das Haar strich. »Außerdem ist's mir ganz lieb, wenn Lucie, die nun auch den ganzen Sommer hier sitzen muß, nicht so gänzlich allein ist; also abgemacht, komm' nur.«

Er sprang auf, Klemens folgte ihm, und sie gingen weiter durch den Garten.

»Was Lucie für schöne Blumenanlagen gemacht hat,« sagte Klemens.

»So?« fragte Doppnau zerstreut.

Klemens war einigermaßen überrascht.

»Hat sie Dir nichts davon gesagt?«

»Ja, ja, ich glaube schon,« erwiderte er, »aber Du weißt ja, ich mache mir so sehr viel nicht aus Blumen.«

Inzwischen war der Abend angebrochen, und man versammelte sich im Speisezimmer zum Abendessen. Auf dem weißen Tisch prangte eine Fülle von Schüsseln und Schüsselchen mit kaltem Fleisch, Salaten und fein beschmierten Brötchen, und sobald man sich gesetzt, erschien ein großer Eierkuchen mit eingebackenem Schinken.

»Wie man ihn in Süddeutschland ißt,« sagte Lucie, indem sie Klemens ein großes Stück auf den Teller legte; »ich habe ihn vorzeiten dort unten kennen gelernt an dem geliebten Bodensee, in Konstanz.«

»Gott sei Dank, daß Du endlich einmal jemanden hast,« spottete der Professor, »der Deine Kochkünste zu würdigen verstehen wird. Ihr drittes Wort,« wandte er sich an 139 Klemens, »ist eine Lamentation über mein schlechtes Essen und die Kritiklosigkeit, mit der ich ihre Gerichte aufnehme.«

Lucie lächelte und erwiderte nichts; Klemens wurde etwas verlegen. Was der Bruder gesagt hatte, war ja nicht kränkend, aber der Ton, in dem es herauskam, war nicht hübsch.

»Übrigens teile ich Dir mit,« fuhr der Professor zu seiner Frau fort, »daß Du zum Sommer Gelegenheit finden wirst, alle Tiefen Deines Kochbuches ans Tageslicht zu fördern; Meister Klemens will die großen Ferien bei uns zubringen.«

»Das ist gescheit,« sagte Lucie.

Sie hatte eine Schüssel aufgenommen und bot sie Klemens an. Indem dieser die Hand darunter legte, um sie in Empfang zu nehmen, griffen seine Finger über Luciens Finger, und sie fühlte deren Druck. War es Absicht? War es Zufall? Ein flatterndes Erröten ging gleichzeitig über beider Gesicht.

»Und nun,« sagte der Professor, indem er sich nach beendigter Abendmahlzeit vom Tische zurückschob, »kannst Du Dir ein besonderes Verdienst erwerben, Klemens, indem Du Lucie etwas aus Goethe vorliest; meine Versuche in dieser Richtung sind nicht gerade glücklich gewesen.«

Klemens blickte Lucie fragend an.

»Willst Du denn nicht zuhören?« wandte sie sich an ihren Mann.

»Meinetwegen,« erwiderte er, »ich will mich wenigstens überzeugen, ob er es besser macht als ich.«

Man war in Luciens Zimmer gegangen, und der Professor bestand darauf, daß sie Goethes Lied an den Mond hervorholte, wie an jenem Abende.

Klemens hielt das aufgeschlagene Buch in Händen. »Wenn Du aber nur deshalb zuhören willst,« sagte er zu 140 dem Bruder, »dann kann ich das Gedicht nicht lesen.« Doppnau stand lachend auf. »Ihr paßt zueinander,« sagte er, »ihr zartbesaiteten Wesen – also lest allein, ich habe sowieso alle Hände voll zu tun.«

Lucie und Klemens blieben zurück in einer sonderbaren Stimmung. Sie fürchteten sich vor dem Alleinsein, und nun wurden sie dazu geradezu gedrängt. Dazu gedrängt von eben demjenigen, um dessenwillen sie sich vor dem Beisammensein scheuten, und der ganz offenkundig zu verstehen gab, wie angenehm es ihm war, daß er der Mühe überhoben war, seine Frau zu beschäftigen.

Klemens schritt gedankenvoll im Zimmer auf und ab, er erschien sich plötzlich erfahrener als sein so viel älterer, so bewunderter Bruder.

»Nun?« forschte Lucie, die am Tische saß, »willst Du nicht lesen?«

Klemens trat hinzu. »Ach,« sagte er, »das Gedicht ist mir heute gar zu zahm.« Er blätterte weiter im Buche. »Aber da wir einmal bei Goethe sind – das hier paßt mir besser für die Stunde.« Er hatte aus dem westöstlichen Divan Mahomets Gesang nach der Schlacht von Beder aufgeschlagen. Mitten im Zimmer stehend, begann er mit tönender Stimme die herrlichen Anfangsstrophen des Gedichts zu sprechen:

Seine Toten mag der Feind betrauern,
Denn sie liegen ohne Wiederkehren;
Unsre Brüder sollt ihr nicht bedauern,
Denn sie wandeln über jenen Sphären.
Die Planeten haben alle sieben
Die metallnen Tore weit getan,
Und schon klopfen die verklärten Lieben
Paradieses-Pforten kühnlich an. 141

Er las weiter; seine Augen flammten, und als er zu dem Verse gekommen war –

Und nun bringt ein süßer Wind von Osten
Hergeführt die Himmels-Mädchen-Schar;
Mit den Augen fängst du an zu kosten,
Schon der Anblick sättigt ganz und gar

blickte er Lucie mit einem festen, strahlenden Lächeln in die Augen.

Sie senkte die Augen nicht, sie hing mit allen Blicken und Sinnen an dem Jüngling, der wie ein Herold der Begeisterung vor ihr stand, und von dessen Lippen die Verse niederrollten wie ein brausender Strom.

Noch zwei Strophen las er weiter, dann warf er das Buch auf den Tisch. »Mehr aber,« rief er, »lese ich nicht; der Schluß des Gedichts ist ebenso trostlos, wie der Anfang herrlich; den Anfang hat ein junger Gott geschrieben, den Schluß ein hüstelnder Greis!«

Lucie nahm das Buch auf und las das Gedicht für sich zu Ende. »Wirklich,« sagte sie dann, »Du hast recht.«

»Komm her,« fuhr Klemens fort, »ich will Dir etwas lesen, wo der Gott ganz Gott geblieben ist von Anfang bis zum Ende.«

Er war an Luciens Bücherspind gegangen und hatte den Faust herausgerissen. »Szene im Kerker« wollte er anfangen; in dem Augenblick aber sprang Lucie auf.

»Nein,« sagte sie, indem sie die Hand auf das Buch legte, »ich bitte, ich beschwöre Dich, lies das nicht!«

Sie stand dicht vor ihm, ihr Gesicht war leichenblaß, ihre Augen brannten, und ihr Busen wogte ungestüm.

Kein Laut regte sich im Zimmer, so daß man den 142 schweren Atem der beiden Menschen vernahm, die sich schweigend gegenüberstanden.

Dann legte Klemens den rechten Arm um ihren Leib. Er beugte sich nieder. »Soll ich wiederkommen zum Sommer?« flüsterte er leise in ihr Ohr.

Lucie erwiderte nichts; er fühlte, wie ihr Leib in seinen Armen erschauerte.

»Lucie,« flüsterte er noch einmal, »soll ich wiederkommen zum Sommer?«

Ihr Haupt senkte sich an seine Brust. »Ja,« hauchte sie kaum vernehmbar.

Sein Arm schloß sich fester um ihre Hüfte, enger drückte er sie an sich, dann tauchte sein Mund sich in ihr Haar, mit den Lippen, die er auf ihre Stirn drückte, bog er ihr Antlitz nach hintenüber, ihre Augen schlossen sich unter seinen Küssen, dann ging ein Zucken durch seine Brust, ein Zittern über ihren Leib, und in langem, verzehrendem Kuß ruhten seine Lippen auf den Lippen des Weibes. 143



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