Ernst von Wildenbruch
Der Astronom
Ernst von Wildenbruch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel

Nun kamen Wochen voll körperlicher Unruhe und seelischer Erregung für Lucie und den Professor.

Für erstere freilich war es eine lustige Unruhe, denn mit Anna von morgens früh bis abends spät durch die Berliner Kaufläden zu schweifen, dann zu Hause zu sitzen, die erworbenen Schätze zu mustern und sie mit eigener Hand zum künftigen Hausgebrauch zuzurichten, das gab Beschäftigung und Gesprächsstoff in Fülle. Für Anna war es eine Lehr- und Lernzeit, da sie der Freundin mit ihrer Hausfrauenerfahrung zur Seite stand und anderseits durch Luciens überlegenen Geschmack bereichert wurde; für Lucie war es eine Reihe von erheiternden Augenblicken, wenn sie Annas kleinbürgerliches Staunen und Entsetzen über die Verschwendung wahrnahm, mit der sie, ihrer Ansicht nach, in allen diesen Dingen verfuhr.

Die einzige Seelenerregung, welche diese Zeit Lucie brachte, war vielleicht die Entlassung der Tante, die nun ihr Werk als Anstandsdame getan hatte.

Wenn es aber eine Erregung war, so ging sie nicht 89 tief; ein innerliches Verhältnis hatte zwischen beiden nicht bestanden. Der Hochzeit sollte die Tante noch beiwohnen und dann sich selbst gehören, denn sie gewissermaßen als Stief-Schwiegermutter ihrem Manne mitzubringen, daran dachte Lucie nicht.

Weniger erquicklich gestaltete sich diese Zeit für den Professor, er hatte weniger zu besorgen, aber mehr zu bewältigen als Lucie. Der Sturm war vorübergebraust, der seine Natur aus ihren Grundfesten gehoben hatte, und diese Natur, welche ruhig aber unablässig war wie der langsam stoßende Wasserstrom, verlangte nach ihrem Recht; die große Leidenschaft des Mannes, Arbeitsbedürfnis, regte sich mit verdoppelter Kraft. Vorläufig aber war keine Aussicht, sie zu befriedigen, und das war schlimm.

Zwar war er mit Lucie übereingekommen, daß sie sich nicht gegenseitig durch Briefgeschwätz die Zeit beeinträchtigen wollten; auch war ihm die Unterlassung von Besuchen in Berlin beinah zur Pflicht gemacht; aber er mußte sein Haus verändern, den Boden umwerfen, auf dem es seit soviel Jahren fest und ruhig gestanden und Wurzel geschlagen hatte, und er fühlte mit ganzer Schwere die Lasten, welche dem spät heiratenden Manne die Einleitung zum Ehestande auferlegt.

Der Egoismus der Trägheit, dessen Wurzeln von Anbeginn an in der Seele des Mannes liegen, ist mit dreißig Jahren ein Halm, mit vierzig Jahren eine Staude und im fünfzigsten Jahre ein Baum, den nichts mehr entwurzelt.

Und bei der Bewältigung dieser schweren Aufgabe half ihm niemand; im Gegenteil, er stieß auf Widerstand. Zunächst in äußerlicher Beziehung bei Agathe, deren Wesen sich 90 ganz verändert hatte. Sie betrachtete es einfach als eine Treulosigkeit, beinah wie eine Unsittlichkeit, daß der Professor heiraten wollte.

Sie war noch aus seinem elterlichen Hause in seine Junggesellenwirtschaft mit hinübergezogen, und bisher war er ihr noch immer, in der Erinnerung an die Knabenzeit, als junger Mann erschienen. Der Professor war für sie »der große junge Herr« im Gegensatz zu Klemens, »dem kleinen jungen Herrn«. Jetzt fragte sie sich plötzlich grollend, zu was Gutem es denn führen sollte, »wenn ein Mann in solchen Jahren sich noch mit so einem Lottchen zusammentäte? Das tat nicht gut, nein, das wußte sie besser, das tat nicht gut.«

Und dieser schweigende Groll brach in tobende Heftigkeit aus, als der Professor ihr eines schönen Tages verkündigte, daß sie ihr großes zweifenstriges Zimmer räumen müsse, weil er es für Klemens brauche, dessen Zimmer wieder für seine Frau bestimmt würden.

›Also das mußte ihr auf ihre alten Tage passieren? Und um so einer willen?!‹

Dies ›um so einer‹ machte wieder den Professor aufflammen, ein Wort gab das andere, und das Schlußergebnis war, daß Agathe mit nächstem Vierteljahr aufpacken und ausziehen zu wollen erklärte – und daß der Professor sie nicht hielt. –

Es war ein häßlicher Anfang für das neue Leben, aber es war noch nicht das Schlimmste. Drückender war für den Professor die Art und das Verhalten seines Bruders. Er konnte sich nicht mehr verhehlen, daß etwas zwischen sie getreten war, und dieses Etwas war das Weib, das er sich erwählt hatte. 91

Klemens hatte die Nachricht von seiner Verlobung dumpf und ohne Glückwunsch hingenommen, und seit dem Tage ging er stumm verschlossen seinen Weg, nur noch mit seinen Arbeiten beschäftigt.

Er hatte zu dem Bruder hingeblickt wie ein Apostel zum Meister; er war ihm Inbegriff und Ideal alles Großen, Männlichen gewesen. Und nun hatte sich der Held vom Weibe besiegen lassen, wie alle anderen, und es hatte eine Stunde gegeben, da er ihn nicht wiedererkannt hatte, da er ihm – unwürdig erschienen war. Das war neulich gewesen; als der Professor vor der Gesellschaft von seiner Entdeckung des Kometen gesprochen hatte.

Wie eine Offenbarung hatte Klemens die große Geistestat in seiner Seele getragen, und nun mußte er anhören, wie der Vollbringer derselben beim Kaffee, bei Himbeeren und Schlagsahne vor Weibern davon sprach, die ihm halb gelangweilt zuhörten und mit demselben oder vermutlich noch größerem Vergnügen eine andere Kaffeeklatschgeschichte entgegengenommen hätten.

Es war ihm, als wäre ein Licht ausgelöscht, das bisher in der Welt geleuchtet hatte, und dieses leidenschaftliche Jünglingsgemüt litt die furchtbarste Qual einer jungen Seele, in der zum erstenmal ein Glaube und ein Ideal verblaßt.

Doppnau mochte die verzweifelten Stürme ahnen, die in des Bruders Seele wühlten, aber er mußte sie schweigend gewähren lassen; was konnte er anders tun, als schweigen? Sollte er etwa um die Gunst des Knaben betteln? Sich gewissermaßen bei ihm entschuldigen, daß er eine Frau nehmen, ein Leben begründen wollte? Lächerlich! Bei dem 92 bloßen Gedanken an eine derartige Zumutung stand sein ganzer männlicher Stolz voller Empörung auf.

Aber dann kamen einsame Stunden, schlaflose Nächte, wie er sie früher nicht gekannt. Lucie war fern, der Zauber, den ihre körperliche Nähe auf ihn übte, war für den Augenblick machtlos, seine phantasielose Natur besaß nicht die Fähigkeit, in die Ferne zu wirken und sich den Reiz des geliebten Weibes zu vergegenwärtigen; er fühlte nur, was er verlor, nicht was er erwarb. Und in solchen Augenblicken erwachten alsdann düstere Fragen, peinigende Zweifel.

Ob nicht der Instinkt des Bruders, den er so einfach als töricht verwarf, vielleicht wirklich recht hatte? War nicht sein bisheriges Leben in sich befriedigt, voller Erfolg und glücklich gewesen? Hieß es nicht vielleicht das Schicksal herausfordern, daß er das jetzt willkürlich ändern wollte? Denn willkürlich war es, daß er in den Funken augenblicklichen Gefallens hineingeblasen hatte, um ihn zur Flamme anzufachen, die das ganze Leben durchleuchten sollte. Würde die Glut dazu ausreichen? Das Feuer zum Herdfeuer werden? Hatte ihn nicht vielleicht ein sinnlicher Rausch betrogen? Würde sie wirklich die Frau sein, dazu angetan, sein einsames, arbeitsames Leben zu teilen? Dies verwöhnte Kind der großen, eleganten Welt? Konnte er sich verhehlen, daß er in ihrer Nähe trotz aller Verliebtheit von einer gewissen Beklemmung nicht frei wurde? Er hatte es auf seine Schüchternheit geschoben – aber war es nicht vielleicht eine tiefere Regung seiner Natur? eine innere Stimme, die ihm sagte, daß sie nicht zusammengehörten? daß sie Anforderungen an ihn stellen würde, die er nur mit Aufopferung seines eigensten Wesens, 93 mit Hintansetzung seiner Lebensaufgabe, seiner Arbeit würde erfüllen können?

Dann aber ballte er unwillkürlich die Faust; nein, das sollte nicht geschehen! In dem wüsten Taumel quälender Fragen, die in seiner Seele auf- und niedergingen, gab es für ihn nur einen Halt, nur einen Ruhepunkt, nach dem er wie der sturmverschlagene Seefahrer auf den Leuchtturm immer und immer wieder hinausschaute: seine Arbeit, seine geliebte, große Arbeit. Wie er nach ihr lechzte! Wie er sich danach sehnte, daß diese schrecklichen Wochen des Verlobtseins, der Unruhe überstanden sein, daß sie Mann und Frau sein möchten! Und wie er den kommenden Winter zur Arbeit benutzen wollte! Wie er sich hineinstürzen, in ihr vergraben wollte, daß nichts anderes mehr an ihn heranzudringen vermöchte, kein Gram um Verlorenes, keine Sorge um Zukünftiges, nichts! nichts! nichts!

So vergingen die Tage, die Wochen, die Monate.

In der Zwischenzeit machte Klemens sein Examen und bestand es mit Glanz. Ein eigenhändiges Briefchen überbrachte ihm Luciens Glückwünsche zu dem Erfolg, und es sah drollig aus, wie er das zierliche Kuvert in Gegenwart des Bruders öffnete und den rosaroten kleinen Briefbogen, welcher einen lieblichen Duft ausströmte, unbehilflich in Händen hielt und durchlas.

Auf seinem einsamen Zimmer angekommen, hob er den Briefbogen unwillkürlich noch einmal ans Gesicht – der Duft, der von ihm ausging, gefiel ihm eigentlich – im nächsten Augenblick hatte er das Papier in tausend kleine Fetzen gerissen und in den Papierkorb geworfen.

Und so nahte denn endlich die große Stunde, die Lucie Immenhof zur Frau Professorin Doppnau machen sollte. 94

Ihr Bräutigam hatte ihr Visitenkarten mit ihrem neuen Namen stechen lassen, und als sie das »Frau Professor Doppnau« schwarz auf weiß las und sich sagte, daß sie damit gemeint sei, überrieselte es sie seltsam, komisch und unheimlich zugleich.

Seit ihrer Kinder- und Schulzeit hatte sich ihr das Bild eingeprägt, daß eine Professorin eine lange, dürre, säuerliche Frau sein müßte, die morgens nie ohne eine ungeheure Haube auf dem Kopf, nachmittags nie ohne eine schwarze Mantille um die Schultern zu denken sei – und nun war sie selbst eine. Sollte das auch so mit ihr werden? Sie sprang vom Stuhle auf, faßte Anna um die Taille und riß sie vor den Spiegel. »Habe die Ehre, Dir Frau Professor Doppnau vorzustellen!« sagte sie. Dann steckte sie ihrem Gegenüber im Spiegel plötzlich die Zunge heraus.

»Aber Lucie!« rief Frau Anna ganz entsetzt.

Lucie schwang sich mit ihr herum und lachte wie ein Kobold. 95



 << zurück weiter >>