Christoph Martin Wieland
Koxkox und Kikequetzel
Christoph Martin Wieland

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30.

Die Gemeinschaft der Weiber, welche der weise Plato in seiner sehr idealischen Republik einzuführen beliebt hat, dürfte außer derselben so viele Ungemächlichkeiten nach sich ziehen und daher so vieler Einschränkungen und Präservative vonnöthen haben, daß wir keinem Gesetzgeber rathen wollten, die platonische Republik in diesem Stücke zum Modell zu nehmen.

Tlantlaquakapatli hält diese Gemeinschaft der Weiber – welche, wie wir nicht leugnen können, in unserer mexicanischen Colonie herrschte und von den Eltern auf die Kinder erbte, – für die hauptsächlichste Quelle der Verderbniß und Verwilderung der ältesten Mexicaner. Sie zog, sagt er, eine Menge schlimmer Folgen nach sich.

Die Werke der goldenen Venus – wie es Homer nennt, oder, wie es unser Autor geradezu nennt, das Geschäft der Fortpflanzung, welches nach den Absichten der Natur die Bande der zärtlichsten Liebe zwischen beiden Eltern sowohl, als zwischen den Eltern und Kindern enger zusammen ziehen sollte, – wurde durch diese Vielmännerei und Vielweiberei zu einem bloßen animalischen Spiele, wobei eine flüchtige Lust der einzige Zweck und das einzige Gute war, was man davon hatte.

321 Die Liebe im edlern Verstande, die Liebe, die eine Empfindung des Herzens ist, hörte auf.

Eine Frau war für einen Mann – was die Hindin für den Hirsch ist; und umgekehrt.

Die Kinder waren nicht mehr das Liebste, was die Eltern in der Welt hatten. Ein Kind hatte gar keinen Vater, eben darum, weil so viele Männer gleich viel Anspruch an diesen Namen machen konnten.

Die Kinder wurden also mit sehr vieler Gleichgültigkeit der Natur und dem Zufall überlassen; und weil sich die Mütter selbst so wenig als möglich mit ihrer Erziehung zu thun machen wollten, so entstand nach und nach die unmenschliche Gewohnheit, kränkliche oder gebrechliche Kinder wegzusetzen.

Die natürliche Liebe der Kinder gegen die Eltern, welche ohnehin keiner der stärksten Naturtriebe ist, verlor sich fast gänzlich; man war seinen Eltern so wenig schuldig, daß man sich weder verbunden noch geneigt fühlte, sie mehr zu lieben als Fremde. Daher die eben so unmenschliche Gewohnheit, abgelebte Leute, welche sich ihren Unterhalt nicht mehr selbst verschaffen konnten, Hungers sterben zu lassen.

Die Ausgelassenheit der Mütter hatte, außerdem daß sie der Vermehrung nachtheilig war, auch natürlicher Weise die schlimme Folge, daß die Kinder eine desto stärkere Anlage zu der nämlichen Neigung erbten, welcher die Mütter am liebsten nachhingen. Daher eine gewisse SalacitätSalacität – Geilheit., womit ihre Nachkommen angesteckt wurden, und welche sich bei der unverdorbenen Natur nicht findet.

322 Auch die natürliche Liebe eines Menschen zum andern wurde von Grad zu Grade desto schwächer, da ihre Lebhaftigkeit hauptsächlich von der Zuneigung für die Glieder der Familie, in deren Schoß wir erzogen werden, abhängt; von der Gewohnheit, geliebt zu werden und wieder zu lieben, welche unserm Herzen mechanisch und zu einem der dringendsten Bedürfnisse wird; von den Beispielen der Liebe, der Zärtlichkeit, der gegenseitigen Aufmerksamkeit und Dienstleistung, welche uns von der Kindheit an umgeben: lauter Bedingungen, welche in einer Gesellschaft nicht Statt haben, die nur durch den copulativen Naturtrieb beider Geschlechter, und den Trieb, heerdenweise mit einander zu laufen, der den meisten zahmen Thieren natürlich ist, zusammen gehalten wird.

Bei einer so großen Schwäche der natürlichen Zuneigungen hatten die eigennützigen Leidenschaften, die Begierlichkeit, der Zorn, die Rachsucht, kein andres Gegengewicht, als das physische Unvermögen. Ein Jeder that Alles, was ihn gelüstete: außer wenn er – nicht konnte.

Daher Gewaltthätigkeiten und Fehden ohne Zahl, welche sich, nachdem die Mexicaner zu vielen kleinen Horden angewachsen waren, in einem unversöhnlichen Haß einer Horde gegen die andere und in ewigen Kriegen endigten, die so lange dauerten, als von jeder feindseligen Völkerschaft noch eine lebendige Seele übrig war.

Der emsige und erfindsame Fleiß, die Neigung zum Pflanzen und zum Feldbau, die Begierde, Gemächlichkeiten zu erfinden und sich ein angenehmeres Leben zu verschaffen, welche die Mutter der übrigen Künste ist, wurden im Keim erstickt.

323 Die Liebe zu einem Weibe, das wir als die Hälfte unsers Wesens ansehen, die Liebe zu Kindern, in welchen wir uns selbst wieder hervorgebracht und vervielfältigt sehen, – diese Liebe ist fähig, uns der Trägheit zu entreißen, die den einzelnen Menschen mit jedem leidlichen Zustande zufrieden macht. Sie macht uns auf die kleinsten Bedürfnisse dieser geliebten Gegenstände aufmerksam und setzt alle unsere Fähigkeiten in Bewegung, ihnen zuvorzukommen. Nicht zufrieden, daß diese werthen Geschöpfe nur leben sollen, wollen wir, daß sie angenehm leben. Wir arbeiten, wir erfinden, wir bessern unsere Erfindungen aus und gefallen uns in einer Geschäftigkeit, welche diejenigen, die wir lieben, glücklicher macht.

Alles dieß hörte auf, sobald die zärtlichen Familienbande aufgelöst waren. Nach und nach sanken die Nachkommen von Koxkox und Tlaquatzin zur bloßen Thierheit herab. Sie behalfen sich mit wilden Früchten und Wurzeln, wohnten in Grüften und hohlen Bäumen und suchten in einem gedanken- und arbeitlosen Müßiggang das höchste Gut des Lebens.



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