Christoph Martin Wieland
Koxkox und Kikequetzel
Christoph Martin Wieland

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15.

Die Weisen haben längst bemerkt, daß etwas Magisches in dem menschlichen Auge sey; und bekannter Maßen hat man die Sache weit genug getrieben, zu glauben, es gebe Leute, welche mit einem bloßen Blicke vergiften könnten;– ein Glaube, der zu allen Zeiten unter den Philosophen wenig Beifall gefunden hat.

Aber, daß ein bloßer Blick zuweilen hinlänglich sey, aus einem weisen Mann einen Gecken, aus einem Masülhim einen Mann und aus einem Bruder Lutze einen Pr**p zu machen, – das sind bekannte Wahrheiten.

Koxkox sah die schöne Kikequetzel immer feuriger an.

Sie Koxkoxen immer zärtlicher.

»O! wie lieb hab' ich dich! – sagten ihr seine Augen.

»O! wie angenehm ist mir das!« – antworteten die ihrigen.

»Ich möchte dich auf einen Blick aufessen,« sagten jene.

»Ich sterbe vor Vergnügen, wenn du mich länger so ansiehst,« sagten diese.

Diese Augensprache dauerte, nach unserm Autor, ungefähr eine Minute, weniger etliche Secunden, als Koxkox, der noch 277 immer zu ihren Füßen lag, – nicht, als ob er einen bestimmten Vorsatz dabei gehabt hätte, sondern in der That aus bloßem Instinct, – seine beiden Arme um ihren Leib schlug.

Kikequetzel, die sich einbildete, daß sie ihm keine Antwort schuldig bleiben dürfe, legte ganz langsam und leise ihre rechte Hand auf seine linke Schulter – und erröthete bis an die Fingerspitzen, indem sie es that.

Koxkox drückte sein Gesicht an ihren Busen.

Das Mädchen fuhr sanft streichelnd an seiner linken Schulter bis zur Brust herab und schien sich sehr am Pochen seines Herzens zu ergetzen.

Tlantlaquakapatli, dessen Fehler überhaupt zu wenig Umständlichkeit nicht ist, fährt hier fort, uns von Umstand zu Umstand zu berichten, wie die Natur mit diesen ihren Kindern gespielt habe. Keine falsche Bescheidenheit – denn Natur ist uns in allen ihren Wirkungen ehrwürdig – sondern bloß unser Unvermögen, die Zartheit der Sprache des mexicanischen Philosophen in die unsrige übertragen zu können, verbietet uns, ihm weiter zu folgen.

Die guten Kinder wußten nichts Anderes.

»Sie machten also nicht mehr Umstände, als dieß?« fragt Araminte. –

Keinen einzigen! 278



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