Christoph Martin Wieland
Koxkox und Kikequetzel
Christoph Martin Wieland

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18.

Nach dieser kleinen Abschweifung über Natur und Kunst, die uns nicht weit von unserm Wege abgeführt hat, kehren wir zu unserer Geschichte zurück.

Koxkox und Kikequetzel, die (im Vorbeigehen zu sagen) von den alten Mexicanern für ihre Stammältern gehalten wurden, waren nun ein Paar oder, richtiger zu reden, machten nun ein Ganzes aus, welches aus zwei Hälften bestand, die, von dem Augenblick an, da sie sich gefunden hatten, sich so wohl bei einander befanden, daß nichts als eine überlegene Gewalt fähig gewesen wäre, sie wieder von einander zu reißen.

Sie hatten einander nie zuvor gesehen; Koxkox wußte so wenig, was ein Mädchen, als Kikequetzel, was ein Knabe war;

Sie stammten aus zwei ganz verschiedenen Völkerschaften ab, welche keine Gemeinschaft mit einander gehabt hatten;

Sogar ihre Sprache war so verschieden, daß sie einander kein Wort verstehen konnten.

Offenbar trugen also diese Umstände nichts dazu bei, daß sie einander auf den ersten Blick so lieb wurden. Die Natur that Alles.

Man kann die Art, wie sie einander ihre Gefühle ausdrückten, nicht wohl eine Sprache nennen, aber sie war beiden so angenehm, daß sie nicht aufhören konnten, bis sie mußten. – Auch dieß war Natur, sagt Tlantlaquakapatli.

Ein süßer Schlaf überraschte den ehrlichen Koxkox in den Armen der zärtlichen Kikequetzel. Sie schliefen, bis der Morgengesang der Vögel sie weckte. Und da gingen die Liebkosungen von neuem an, bis sie es müde wurden. Pure Natur! ruft Tlantlaquakapatli aus.

287 Nun sahen sie einander mit so vergnügten Augen an, waren einander so herzlich gewogen, drückten jedes sein Gesicht mit so vieler Empfindung wechselsweise an des andern Brust, daß sogar ein Teufel, der ihnen zugesehen hätte, sich nicht hätte erwehren können, Vergnügen darüber zu haben, – sagt Tlantlaquakapatli.

Sie fingen beide an zu hungern. Aber Koxkox war noch immer nicht recht bei sich selbst; er tanzte um das Mädchen herum, sang und jauchzte, machte Burzelbäume und that zwanzig andre Dinge vor Freude, die nicht klüger waren, als was Ritter Don Quixote auf dem schwarzen Gebirge aus Traurigkeit that.

Das Mädchen fühlte kaum, daß sie hungerte, als sie dachte, es werde dem guten Koxkox auch so seyn. Sie hüpfte davon, suchte Früchte, pflückte Blumen, flog wieder zurück, steckte die Blumen in des Jünglings lockiges Haar, suchte die schönsten Früchte aus und reichte sie ihm mit einem so lieblichen Lächeln und mit so reizendem Anstand hin, – wie Hebe ihrem Hercules die Schale voll Nektar reicht – würde mein Philosoph gesagt haben, wenn er ein Dichter und ein Grieche gewesen wäre. Allein, da er ein Mexicaner und ein Dichter war, sagt er die Sache ohne Bild, gerade zu, aber mit einer Stärke und Proprietät des Ausdrucks, die ich nicht in unsre Sprache überzutragen vermag, – wiewohl ich gestehe, daß die Schuld eben so leicht an mir, als an unsrer Sprache liegen kann.

Meine schönen Leserinnen werden empfunden haben, was für ein Compliment ihnen Tlantlaquakapatli durch den 288 angeführten Umstand macht. – Doch ich denke nicht, daß es ein Compliment seyn sollte: es ist wirklich bloße Wahrheit und einer von den Zügen, welche beweisen, wie gut er die Natur gekannt hat.

Koxkox besann sich nun, daß er eine Grotte hatte, um welche ein kleiner Wald von fruchtbaren Bäumen und Gewächsen einen halben Mond zog. Er führte seine Geliebte dahin. Wie reizend däuchte ihm jetzt dieser Ort, da er ihn an ihrem Arm betrat! Er fühlte sich kaum vor Freude. Alle Augenblicke überhäufte er sie mit neuen Liebesbezeigungen. Und so schlüpfte den Glücklichen ein Tag nachdem andern vorbei.



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