Christoph Martin Wieland
Koxkox und Kikequetzel
Christoph Martin Wieland

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1.

Vor undenklichen Jahren kam, nach einer alten mexicanischen Sage, ein großer Komet, auf seiner Reise um die Sonne, – man weiß nicht, aus welcher Veranlassung – dem Planeten, welchen unsre Vorfahren bewohnten, so nahe, daß beide Sterne, nach menschlicher Weise zu reden, handgemein mit einander werden mußten.

Das Gefecht war eines der hartnäckigsten, welche seit langer Zeit in den Gefilden des Aethers vorgefallen waren. Die besondern Umstände davon sind, aus Mangel beglaubter Zeugnisse, unbekannt. Alles, was wir davon sagen können, ist: daß, nachdem der Mond seiner Schwester Erde zu Hülfe gekommen, der Komet sich endlich genöthiget fand, mit Zurücklassung des größten Theils von seinem Schweife die Flucht zu ergreifen und, es sey nun aus Feigheit oder Scham über seine mißlungene Unternehmung, sich im leeren Raume so weit zu verlaufen, daß er, nach der Meinung der besten sinesischen Sternseher, bis auf den heutigen Tag den Rückweg noch nicht hat finden können.

Wie wichtig der Verlust seines Schweifs für ihn gewesen sey, können wir nicht bestimmen. Aber so viel ist gewiß, 242 daß die Erde wenig Ursache hatte, sich dieses erfochtenen Siegeszeichens zu erfreuen. Denn unglücklicher Weise befanden sich in diesem Schweife (welcher nach der mäßigsten Berechnung eine Million dreimal hundert vier und vierzig tausend fünf hundert sechs und sechzig mexicanische Meilen lang und verhältnißmäßig breit und dick war) obenhin gerechnet wenigstens hunderttausend Millionen Tonnen Wassers, welches in erschrecklichen Güssen auf die arme Erde herunterstürzte und in wenigen Stunden eine solche Ueberschwemmung verursachte, daß alle Menschen und Thiere des ganzen mittlern Theils der Halbkugel, von Luisiana und Californien an bis zu der Erdenge Panama, dadurch zu Grunde gingen; wenige einzelne ausgenommen, die so unglücklich waren, in den Klüften der höchsten Gebirge einem feuchten Tode zu entrinnen, um aus Mangel an Lebensmitteln von einem trocknen, aber unendliche Mal grausamern aufgerieben zu werden.

Huet und seines gleichenHuet und seines gleichen – Peter Daniel Huet, geb. 1630, Bischof zu Apranches, nebst Bossuet Instructor des Dauphins, nachmaligen Ludwigs XV., und Veranstalter der Ausgaben in usum Delphini, war einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit, aber nicht in gleichem Grade philosophischer Kopf. Wieland spielt auf seine demonstratio evangelica an. Die Behauptung, daß alle von der Geschichte nahmhaft gemachte Ueberschwemmungen der Urwelt die Sündflut gewesen, ist nach ihm von vielen Geologen gemacht worden, weil sie sich an die Genesis binden zu müssen glaubten. würden kein Bedenken tragen, uns zu versichern, daß diese alte mexicanische Sage nichts Anderes, als eine durch die Länge der Zeit abgenutzte und (nach Gewohnheit der blinden Heiden) mit Fabeln wieder unterlegte und ausgeflickte Nachricht von der mosaischen allgemeinen Sündflut sey.

Ich bin nicht belesen genug, mit einem so belesenen Manne, wie Huet, zu haberechten. Es kann seyn! – Aber, da es eben so möglich ist, daß diese mexicanische Ueberschwemmung nur particular gewesen und später erfolgt ist, als jene; und da, aus Mangel zuverlässiger chronologischer Nachrichten, sich 243 in dieser Sache nichts bestimmen läßt: so – überlasse ich diese Frage unberührt einem Jeden, der sich ihrer annehmen will, – um zu derjenigen interessanten Begebenheit fortzueilen, welche der Leser, wofern er über diesem Anfang noch nicht eingeschlafen ist, im zweiten Capitel dieses rhapsodischen Werkes, mit allen Grazien der Neuheit, deren eine so alte Geschichte nur immer fähig ist, beschrieben finden wird.



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