Christoph Martin Wieland
Idris und Zenide
Christoph Martin Wieland

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Fünfter Gesang

1.
                    Warum und wie der schöne Paladin
In einem Überfall von schwärmendem Verlangen,
Um seines Herzens Königin
Zu sehn und ihre Knie fußfällig zu umfangen,
Uneingedenk des Freunds Zerbin,
Früh, da noch alles schlief, zu Schiff davon gegangen,
Und Amorn sich dabey zum Steuermann erwählt,
Hat euch bereits das vierte Buch erzählt.
 
2.
    Es fährt sich schnell und sanft in einem Zaubernachen:
In zehn Minuten stieg Herr Idris schon ans Land.
Doch wie erschrak der Mann, da, statt der schönen Sachen
Die ihn gelockt, er eine Wildniß fand!
Ein felsiges Geripp', bewohnbar nur für Drachen,
Und öde Gegenden, wo nicht ein Bäumchen stand!
Er sucht das Feenschloß, das aus der Insel Mitte
Zu steigen schien, und sieht nicht eine Fischerhütte.
 
3.
    Mit jedem neuen Schritt entdeckt
Sich ihm ein Gegenstand der neue Furcht erweckt.
Doch, Idris wandelt fort, obgleich die öde Stille
Ein todweissagendes Gebrülle
Der Ungeheuer bricht, die diese Wildniß heckt.
Auf einmahl wirft der Sturmwind eine Hülle
Von siebenfacher Nacht um den erstickten Tag,
So daß der Ritter kaum sich selbst erkennen mag.
 
4.
    Erwartungsvoll, was alles dieß
Am Ende werden soll, doch ohne sich zu scheuen,
Bleibt Idris stehn, als schnell der Schlund der Finsterniß
Entsetzlich gähnt, um Flamm' auf Flammen auszuspeyen;
Der Donner ras't, ein allgemeiner Riß
Scheint jeden Augenblick des Himmels Fall zu dräuen,
Die Erde schwankt, ein ungeheurer Spalt
Zerreißt sie, und entdeckt der Schatten Aufenthalt.
 
5.
    Und aus dem Abgrund steigt ein Heer von Amfisbänen
Und Höllenlarven auf, grotesker ekelhaft,
Als durch der Milzsucht Schöpfungskraft
Schlaflose Mütterchen, bethaut vom Zaubersaft
Der Fee Mab,Shakspeares Queen Mab, welche Merkuzio in Romeo und Juliet beschreibt. zu sehen wähnen;
Sie athmen Flammen aus, und grinsen mit den Zähnen.
Man weiß, Herr Idris hatte Muth;
Doch dieses Mahl gerann sein ritterliches Blut.
 
6.
    Was soll er thun? – Den diamantnen Degen,
Der itzt so nöthig war, ließ er im Schlafgemach
Beym Freund Zerbin zurück – und nur mit O! und Ach!
Läßt ein Gespensterheer sich nicht zu Boden legen.
In dieser Noth war alles viel zu schwach
Was Kräfte der Natur vermögen.
Was thut, wenn alles fehlt, ein ächter Rittersmann?
Er ruft den Schutz von seiner Göttin an.
 
7.
    Der Ritter rufet kaum Zeniden, so zerfließen
Die Ungeheu'r in Luft, der Donner rollt nicht mehr,
Es flieht der Stürme wüthend Heer;
Die Wolken hören auf zu gießen,
Und plötzlich macht der Sonne Wiederkehr
Des schönsten Anblicks ihn genießen
Der einen Wanderer sich jemahl dargestellt;
Kurz, ihn bedünkt, er sey in einer andern Welt.
 
8.
    Die Luft, die Yemens bezauberte Gefilde
Durchwürzt, ist nicht so rein und milde
Und so balsamisch nicht, als die er in sich zieht;
Der Bäume glänzend Laub, der Schmelz der Blumen glüht
Als ob die Sonne sich in so viel Spiegeln bilde.
Er steht entzückt und übersieht
Ein unbegrenztes Feld, das einem Garten gleichet,
Dem alles, was er noch gesehn, an Schönheit weichet.
 
9.
    Gut! – aber doch wird ihm das leichte Nachtgewand,
Worin er Morgenluft zu schöpfen ausgegangen,
Gebadet wie er sich durch jenen Sturm befand,
Sehr unbequem um seine Schultern hangen.
Ihr Herrn, erinnert euch, wie sind im Feenland:
Der Sturm, der ihn so ungeneigt empfangen,
Der Wolkenbruch, das ganze Höllenfest,
War lauter Zauberwerk, das keine Spuren läßt.
 
10.
    Nun fürchtet er nicht mehr daß ihn sein Herz betrogen.
Voll süßer Hoffnungen irrt er getrost wohin
Sein Fuß ihn führt, und wird durch tausend grüne Bogen
Und Rosenbüsch' und Lauben von Schasmin
In einen Labyrinth, der ohne Ausgang schien,
So unvermerkt hinein gezogen,
Daß ihm die reitzende Gefahr
Nicht sichtbar ward, bis er gefangen war.
 
11.
    Der Ausgang, ja sogar der Wunsch ihn auszufinden,
Wird immer schwieriger, je mehr er sieht und hört;
Ein wollustgirrendes Getön von Flöten stört
Der Sinne Ruh, und schleicht in schlängelnden Gewinden
Ins Herz sich ein; er glaubt sich zärtlich zu empfinden,
Da doch allein des Blutes Lauf sich mehrt;
Es wird bey dessen Reitz und wollustreichem Pressen
Auf einen Augenblick Zenide selbst vergessen.
 
12.
    Ihn laden überall gewogne Schatten ein;
Hier binden Zefyrn ihn mit einer Rosenkette,
Dort reicht von einem Blumenbette
Die schönste Nymf' ihm lächelnd Götterwein;
Wie winkt sie ihm! Der müßte Marmor seyn,
Der ihr zu nahn sich nicht versucht gefühlet hätte.
Der Ritter fühlt's, hebt mit verstohlnem Blick
Den Fuß, hält plötzlich ein, und zieht ihn scheu zurück.
 
13.
    Er flieht – die Flucht allein kann uns vor Amorn schützen –
Als eine schönere, vom kühnsten Faun gejagt,
Ihm in die Arme läuft. – Hier galt's, sich zu besitzen!
Die Nymfe weiß vor Angst nicht was sie thut noch sagt;
Doch Idris, eh' er noch sie anzuschauen wagt,
Fühlt sie bereits bis zu den Fingerspitzen.
Wie ward ihm erst zu Muth', als ihn sein Auge lehrte,
Es sey die nehmliche, die ihn im Bade störte.
 
14.
    Er will sich mit Gewalt aus ihren schwanenweißen
Ihn fest umschlingenden gedrehten Armen reißen:
Sein eigner Arm versagt ihm die Gewalt!
Er schließt die Augen zu, die reitzende Gestalt
Nicht mehr zu sehn: doch was an seinem Busen wallt
Und sympathetisch klopft, kann er nicht ruhen heißen;
Er will sie sanft zurücke schieben;
Die ungelehr'ge Hand folgt angenehmern Trieben.
 
15.
    Was ihn aus mancher Noth schon riß,
Wozu in Fährlichkeit mit Drachen und mit Damen
Die Galaor und Amadis
Und Don Quischotten stets die fromme Zuflucht nahmen,
Dieß Mittel, oder sonst kein andres, hilft gewiß!
Sein Schutzgeist raunt ihm's zu. Er ruft Zenidens Nahmen,
Und plötzlich fühlt er Kraft; er reißt sich los und läuft,
Daß Nymfen, die so fliehn, gewiß kein Faun ergreift.
 
16.
    Der Lohn der Tugend folgt dem edlen Unterfangen.
Er floh aus diesem Zaubergrund
Die Hälfte kaum von sieben Parasangen,Persische Meilen, deren ehemahls fünf und zwanzig auf einen Grad gerechnet werden.
So war er der Gefahr entgangen,
Und sah auf einmahl sich in einem weiten Rund,
In dessen Mitt' ein Dom von edler Bauart stund,
Doch ohne Schmuck, gestützt auf Jaspissäulen,
An deren Einfalt sich die Augen nicht verweilen.
 
17.
    Wie freudig klopft sein Herz, da er das Ziel erblickt
Das von Zeniden ihn vertrieben!
O Göttin, ruft er aus, (vielleicht zu früh entzückt)
Ich hoffte nicht umsonst, du wirst, du wirst mich lieben!
Hier ist der Ort, den mir dein schöner Mund beschrieben;
Sein Bild ist allzu tief in meine Brust gedrückt:
Er ist's, ich kann mich nicht betrügen;
Hier soll der Liebe Macht des Schicksals Neid besiegen!
 
18.
    Zwar kühn und mehr als kühn, unmöglich scheint was ich
Mich unterfing hier zu erstreben.
Ein Bild, das fühllos ist, beleben?
So etwas nur zu dichten, ließe sich
In einem Mährchen kaum vergeben.
Doch was vermag ich nicht durch Amorn und durch dich?
Kann's mehr als eine Gluth so wie die meine brauchen,
Dem Marmor selbst den Geist der Liebe einzuhauchen?
 
19.
    So denkt der Paladin, und naht mit Zuversicht
Dem wundervollen Abenteuer,
Von dem er sich Zenidens Herz verspricht –
Dem Bilde, das, verhüllt in einen seidnen Schleier,
Hier einsam steht. Bald wankt sein Muth, es ficht
Begier und Furcht in ihm; bald wird er wieder freyer,
Er wagt's; doch schaudert ihm, indem er sich erkühnt
Die Seide wegzuziehn, die ihr zum Kleide dient.
 
20.
    O wag' es nicht, wenn du, anstatt es zu beseelen,
Nicht selbst zum Felsen werden willt!
Doch der Verwegne wagt's, enthüllt
Kühn den fatalen Stein, und sieht – O warum fehlen
Mir Farb' und Pinsel hier, statt frostig zu erzählen.
Zu mahlen, wie ihm ward, als er Zenidens Bild
Erblickt! – Ihr Bild? O nein; sie selbst! so warmes Leben
Vermag die Kunst dem Marmor nicht zu geben!
 
21.
    So, wie die Holde stand, entstieg dem blauen Meere,
Mit eigner Schönheit nur geschmückt,
Ans Cyprische Gestad die Göttin von Cythere,
Und um sie drängte sich der Götter Schaar entzückt,
Und jeder wünscht, daß er der erste wäre,
Den dieser Mund, den diese Brust beglückt.
Vollkommners hat die Sonne nie bestrahlet,
Besungen kein Poet, kein Tizian gemahlet.
 
22.
    Doch, wäre dieses Bild auch minder schön gewesen:
In Idris Augen war nichts schöners in der Welt;
Es war Zenidens Bild – Ist nicht was uns gefällt
Das liebenswürdigste der Wesen?
Von Amors Zauberlicht erhellt,
Däucht uns an ihm sogar ein Fehler auserlesen.
Er steht entzückt, und glaubt, je mehr er sieht,
Daß warmes Blut in diesem Marmor glüht.
 
23.
    Sehr selten oder nie betrügt uns, was man fühlt;
Der Irrthum liegt allein in übereilten Schlüssen.
Der Ritter sieht, daß Geist in diesen Augen spielt,
Fühlt durch ihr Lächeln sich versuchet sie zu küssen,
Und wußte nicht, (wie konnt' er's wissen?)
Daß eine Nymf' im Stein unsichtbar Wache hielt.
So nenn' ich sie, damit der Reim sich füllen lasse,
Doch war sie in der That von einer andern Klasse.
 
24.
    Ihr kennt die Geisterart, womit der Graf Gabalis
Den Feuerkreis (wofern ein solcher wäre)
Bevölkert hat? Sie macht, das ist gewiß,
Der Fantasie des Kabbalisten Ehre.
Nichts schöners, zärtlichers, geistreichers überdieß
Als (seinem Urtheil nach) die Damen dieser SfäreLes femmes des Salamandres sont belles et plus belles même que toutes les autres, puisqu elles sont d'un Element plus pur.

Entretiens sur les Sciences secrettes, Tom. I. p. 28.

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Ihr Blick ist Sonnenschein, ihr Athem Rosenduft,
Ihr ganzes Wesen Licht, und ihr Gewand von Luft.

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