Christoph Martin Wieland
Idris und Zenide
Christoph Martin Wieland

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26.
                        Der schöne Paladin, in seinem Wahn allein,
(Denn unsre Lauscherin verbargen noch die Hecken)
Denkt nicht daran, ihr etwas zu verstecken;
Und mehr als nöthig war, in einer Brust von Stein,
In Hektors Mutter selbst, Begierden aufzuwecken,
Ist ihrem Blick erlaubt, als glatt wie Elfenbein
Sich aus der Flut die schönen Hüften heben,
Schön, wie die Mahler sie dem jungen Bacchus geben.
 
27.
    Es wallt der schwarzen Locken Nacht
Entfesselt um den Marmornacken;
Bey seines Rückens Glanz, der Schwanen schamroth macht,
Scheint spiegelnd Silber grau wie Schlacken;
Die ungeschwächte Jugend lacht
Aus seinem schwarzen Aug' und glüht auf seinen Backen;
Sein Arm, voll Kraft, bespannt mit straffen Sehnen,
Beut Männern Trotz und – Schutz bedrängten Schönen.
 
28.
    Der Nymfe trüber Blick erlischt in feuchter Gluth,
Ihr Busen athmet schwer von pressendem Verlangen;
Ein geistig Feuer schleicht durch ihr elektrisch Blut,
Und giebt dem ganzen Leib die Farbe ihrer Wangen;
Des Liebesgottes voll und seiner süßen Wuth
Eilt sie hervor, den Jüngling zu umfangen.
Er hört ein Rascheln, stutzt, erschrickt,
Und plötzlich wird von ihm die schöne Nymf' erblickt.
 
29.
    Man konnte nichts verführerischers sehen,
Und mancher Heil'ge ward von weniger berückt;
Zumahl, da das Kostum der Töchter von Nereen
Sie, als zum Überfluß mit eignem Reitz geschmückt,
Gar wenig mit geborgtem drückt.
Doch Idris, unser Held, bewaffnet mit Ideen,
Blieb kalt, und sah – aus Tugend oder Wahn –
Die schöne Nixe gar mit Widerwillen an.
 
30.
    Aus Tugend oder Wahn? Ist nicht ein Drittes möglich?
Vielleicht macht Treue bloß, mit etwas Stolz gepaart,
Den jungen Mann so unbeweglich?
Vielleicht ist's Liebe selbst, und von der schönsten Art,
Was seine Brust vor schwächerm Reitz verwahrt?
Genug, ihr Anblick wird ihm plötzlich unerträglich;
Er wendet sich und fliegt. Mit thränenvollem Blick
Eilt sie ihm nach und ruft den Fliehenden zurück.
 
31.
    O fliehe nicht, ruft sie mit zauberischem Ton,
(Denn Amor haucht aus ihrer süßen Kehle)
Verweile, schöner Göttersohn;
Beweise nicht durch Sprödigkeit und Hohn,
Daß deinem Reitz die höchste Zierde fehle!
Ein schöner Leib verspricht auch eine schöne Seele.
O fliehe nicht aus nie berührten Armen,
Die itzt zum ersten Mahl von Amors Gluth erwarmen!
 
32.
    Nie hat an dieser Brust, die dir entgegen wallt,
Ein Gott noch Sterblicher gelegen.
Vergeblich suchten sie durch Jugend und Gestalt,
Durch Schmeicheln, Flehn und ganze Thränenregen
Mein Mitleid wenigstens statt Liebe zu erregen:
Ihr Bitten fand mich taub, ihr Feuer spröd und kalt;
Sie nannten mich ein Bild, zum Sehn allein zu brauchen,
Denn es bedurfte Dich mir Liebe einzuhauchen.
 
33.
    Und, o wie dank ich itzt dem seligen Geschick
Das deinen Anblick mir gegeben!
Erst seit ich lieb', erst seit dem Augenblick
Da ich dich sah begann mein wahres Leben.
Wie wünsch' ich itzt die öde Zeit zurück,
Da ich den Pflanzen glich, die an der Erde kleben!
Mir ist, ich sey erst itzt aus jener kalten Nacht,
Dich anzuschauen, aufgewacht!
 
34.
    Komm, fährt sie fort, und streckt mit reitzenden Geberden
Die Arme nach ihm aus vor zärtlicher Begier;
Komm, theil' Unsterblichkeit und Götterglück mit mir!
Empfang und gieb das Glück, geliebt zu werden!
O, fliehe nicht, du zögest mich nach dir,
Flögst du bis an den Saum der Erden:
Flieh, wenn du willst, zum schwarzen Höllenbach,
Ich folge dir ins Reich der Schatten nach.
 
35.
    Der Jüngling steht und hört was Götter zu bethören
Vermögend war, und fühlt sich unbewegt!
Die Schöne, die ihr Herz mir selbst entgegen trägt,
Die fähig ist sich selbst so zu entehren,
Wird eh' ein Bild, in dessen Brust nichts schlägt,
Als mich (so spricht er stolz) aus meiner Ruhe stören:
Wo Augen ohne Scham in offne Arme winken,
Läßt die Begierde stracks die Flügel sinken.
 
36.
    Doch wär' auch dieses nicht, so würde doch von mir
Die Liebesgöttin selbst nicht mehr als du erhalten.
Du bist so schön als sie; mein Mund gesteht es dir,
Mein Herz fühlt nichts davon. Die lieblichsten Gestalten
(Und machten sie Aurorens schwachen Alten
Von neuem jung, und Jupiter zum Stier,)
Sind ohne Reitz für mich, seit ich die Schöne kenne,
Für die ich, ungeliebt und ohne Hoffnung, brenne.
 
37.
    Er spricht's und flieht aufs neu; allein sie hält ihn schon
Mit Armen, weiß wie Schnee und weich wie Flaum, umschlungen.
Aus Fesseln dieser Art hätt' auch Alkmenens Sohn
Sich nicht so leicht, als aus des Riesen Geryon
Dreyfachen Armen, los gerungen;
Hier wird der Stärkste nur am leichtesten bezwungen;
Wo Tugend und Natur sich bis ans Leben gehen,
Verzehrt der Widerstand die Kraft zum Widerstehen.
 
38.
    Zwar bleibt sein Wille unverführt;
Doch alles, was er sieht, und höret, und berührt,
Er wolle oder nicht, berauschet seine Sinnen:
Ihr wollustschwerer Blick, ihr süßer Athem schürt
Die Flammen an, die schon in seinen Adern rinnen;
Wie Xenofons Arasp wird er zwey Seelen innen,
Bey deren ungelegnem Zwist
Die schöne Feindin siegt, und er verrathen ist.
 
39.
    Er rafft in dieser Noth die letzte Kraft zusammen,
Und ruft, so laut er nur vor kurzem Athem kann,
Den Gegenstand von seinen keuschen Flammen,
Nach ritterlichem Brauch, um schnellen Beystand an.
Ob sie ihn hörte, zweifelt man;
Doch wird darum kein Weiser ihn verdammen:
Sein brünstiges Gebet hielt ihm ihr Bildniß vor,
Und dieses half sogleich der bessern Seel' empor.
 
40.
    Ihn däucht, er sehe sie, von Götterglanz umgeben,
Gleich einem Genius, mit ausgereckter Hand,
Zu seinem Schutz auf einer Wolke schweben.
Mehr braucht' es nicht ihm Kraft zu neuem Widerstand
Und einen andern Lauf dem regen Blut zu geben.
Er ringet, bis es ihm vom zauberischen Band,
Worein die Nais ihn verstricket,
Auf einen Augenblick sich los zu machen glücket.
 
41.
    Sie stutzt; allein sie war bereits zu weit gegangen
Um bey so schönem Spiel gleich muthlos still zu stehn;
Der Kampf scheint ihre Gluth nur stärker aufzuwehn,
Giebt ihren Augen Feu'r, Karmin den Rosenwangen,
Entwickelt jeden Reitz, und macht sie noch so schön.
Sie rüstet sich, den Streit von neuem anzufangen,
Und Amor weiß zu wessen Ehre,
Wenn nicht ein Mittelsmann dazugekommen wäre.
 
42.
    Ein Jüngling zeigte sich, der an Gestalt und Tracht,
An stolzem Wuchs und männlich starken Sehnen
Dem Halbgott glich, dem Sohn der Wundernacht,
Die dreyfach war und doch der zärtlichen Alkmenen
Nur Eine schien; ein Hektor in der Schlacht,
Ein Faun beym Schmaus, ein Paris bey der Schönen;
Dem ersten Anblick nach die Pest der Ungeheuer,
Doch weit ein größrer Freund der sanften Abenteuer.
 
43.
    Ein fleckig Tiegerfell mit Klauen von Smaragd
Ist sein Gewand und schlägt die starken Lenden;
Und was sein Putz dem Auge nicht versagt,
Ist blühend, jugendlich, voll Kraft, und zum Verblenden;
Aus seinen Augen strahlt ein Muth, der alles wagt
Und von Begierde schwillt sein Leben zu verschwenden;
Ihm war an Willen und Vermögen
Im Dienst um Minnesold kein Ritter überlegen.
 
44.
    Er reiste seinen Weg durch unsern Wald, nicht weit
Von da, wo wir die Kämpfenden gelassen;
Als das Getös' von diesem seltnen Streit
Ihm würdig schien, den Fußweg zu verlassen.
Zu einer Heldenthat den Anlaß zu verpassen
War seine Sache nicht, zumahl um Abendszeit.
Er eilt, er kommt, er sieht – Ist's möglich? Soll er trauen?
Ist es ein Blendwerk nicht, was seine Augen schauen?
 
45.
    Die Nymf' erschrickt vor einem Mann
Der hier nicht nöthig war, daß ihr die Haare stehen;
Sie hätte wohl das Thier vom Ländchen Gevaudan,Ein Wolf, der um die Zeit, da dieses geschrieben wurde, viele Wochen lang ganz Frankreich, unter dem Nahmen der Bête de Gevaudan, ängstigte, und eine Menge Mädchen und Kinder fraß, bis sich endlich ein Gallischer Herkules fand, der den Muth hatte sein Vaterland von diesem Ungeheuer zu befreyen.
Den Schrecken Galliens, so gern als ihn gesehen.
Zu gutem Glück war ihr die Kunst der Feen
Nicht unbekannt; hilft nichts, so hilft ein Talisman.
Sie spritzt mit hohler Hand ihm Wasser an die Hüfte,
Und ruft: Erhebe dich als Uhu in die Lüfte!
 
46.
    Sie ruft's, und zweifelt nicht an einer Zauberkraft,
Der Luft und See gehorsam waren.
Allein, hier hätte selbst Urgandens Wissenschaft
Die Grenzen ihrer Macht erfahren.
Der Held bleibt wie er war, steht unbesorgt und gafft
Die Reitzungen, die sie mit ihren langen Haaren
Verbergen will und nicht verbergen kann,
Mit Lüsternheit und feuchten Augen an.
 
47.
    Inzwischen hat, aus ihrem Arm entronnen,
Ihr spröder Liebling Luft gewonnen.
Sie schickt ihm ans Gestad' (allwo er, in der Hut
Des rosigen Gesträuchs, am letzten Strahl der Sonnen,
Halb angekleidet, matt und keichend ruht)
Mit thränenvollem Aug' und Wangen ohne Blut
Noch einen Seufzer nach, wie wenn von Amors Bogen
Ein Pfeil die Luft durchzischt, und stürzt sich in die Wogen.
 
48.
    Der Mann im Tiegerfell, nachdem er lang' geharrt,
Und nach dem Ort, wo ihm ihr Reitz unsichtbar ward,
Mit unverwandtem Blick vergebens hingestarrt,
Sucht itzt auf seinem Rasenbette
Den Jüngling auf, an dessen Stätte
Er klüger, wie ihn däucht, sich aufgeführet hätte.
Sie grüßen sich, sie geben sich die Hand,
Und thun, als Ritter, gleich beym ersten Blick bekannt.
 
49.
    Herr Ritter, (spricht zu unserm Paladine
Sein neuer Freund, und streckt sich neben ihn ins Grüne)
Was eurer Herrlichkeit in ihren Adern fleußt,
Ist wohl kein Blut? – Verzeiht, ich rede dreist;
Allein, ihr haltet nicht, was eure gute Miene
Die Kennerinnen hoffen heißt.
Sich aus dem schönsten Arm mit Abscheu los zu reißen,
Kann euer Plato selbst, fürwahr! nicht Tugend heißen.
 
50.
    Verbindet uns die Ritterpflicht,
Für jedes schöne Kind, das unsern Schutz bespricht,
Gefahr und Wunden zu verlachen,
Und, Damen zu befreyn, mit kühnem Angesicht
Durch Riesen, flammenschwangre Drachen,
Ja durch die Hölle selbst uns einen Weg zu machen:
Wie kann es sich mit ihr vertragen,
Den angebotnen Kampf der Liebe auszuschlagen?
 
51.
    Ein Abenteuer fliehn, dem sich die Blödigkeit
Von jedem unversuchten Knaben
Gewachsen fühlt, ist einem Mann von Gaben
Und Muth, wie ihr, Herr Ritter, seyd,
Nicht zu verzeihn; es müßte denn der Neid
Von einer Zaubrerin die Hand im Spiele haben.
Wenn dieses ist, bedaur' ich auch von Herzen;
Die Menschlichkeit verbeut in solchem Fall zu scherzen.

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