Christoph Martin Wieland
Idris und Zenide
Christoph Martin Wieland

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26.
                        »Ein Cäsar, oder nichts! Ist's nicht mit einer Krone
Und in Zenidens Schooß, was frag' ich wo ich wohne?
So ist ein Käficht mir so gut als ein Palast.
Und nach dem schwärmerischen Tone
Von diesen Vögeln hier zu schließen, wünscht' ich fast
Was sie zu seyn. – Verrückt, ist glücklich! Bald ein Gast
Bey Jupitern, bald in Dionens Bette,
Genießt er beides nicht als ob er's wirklich hätte?
 
27.
    »Ixion, sagt man, küßt' an Dame Junons Statt
Ihr Kammermädchen einst – und war er zu beklagen?
Gab ihm sein Irrthum nicht das nehmliche Behagen?
War ihre Wange minder glatt,
Ihr Busen minder voll? Es ist vielleicht zu fragen,
Ob er beym Tausche nicht noch gar gewonnen hat?
Ich wollte wenigstens für diese Narren schwören,
Daß sie durch Niesewurz ihr bestes Glück verlören.
 
28.
    Doch, was besorg' ich hier? als kennt' ich nicht den Schluß
Der Sterne die zu meiner Zeugung schienen,
Und daß mir jede weichen muß
Die Blut in Adern hat. Ist dieser Göttin Kuß
Ein Abenteu'r, so wird, uns dessen zu erkühnen,
Uns nur zu größerm Ruhme dienen, –
Ihr Königssöhnchen, gute Nacht!
Vielleicht, daß eurer Noth mein Glück ein Ende macht!«
 
29.
    So wohl gefaßt geht unser Held
Mit muntern Schritten immer weiter.
Der Vollmond macht nunmehr die ganze Gegend heiter:
Es schwimmen Bäume, Laub und Kräuter
In ungewissem Glanz, halb schattig, halb erhellt;
Das Auge glaubet sich in einer andern Welt;
Ein zärtlich Herz pocht hier mit sanftern Schlägen,
Ein Faun fühlt doppelt sich verwegen.
 
30.
    So fühlt sich Itifall, als ihn
Ein klatschendes Geräusch zu einem Brunnen führet,
Um den in weitem Kreis sich Hecken von Schasmin,
Akazien und Amaranthen ziehn.
Ein großer Liebesgott von weißem Marmor zieret
Den Mittelpunkt, und zeigt der Welt wer sie regieret;
Er steht, und schwingt zum allgemeinen Brand
Die Fackel lächelnd stolz in seiner rechten Hand.
 
31.
    Rings um den Brunnen sieht man in den Hecken
Zwölf Nischen angebracht; zwölf Nymfen liegen drin,
Mit Urnen unterm Arm, und jede Schwimmerin
Spritzt einen Wasserstrahl auf Amors Fackel hin,
Die Flamme, die sie scheut und liebt, zu überdecken;
Das Wasser klatscht herab, von einem großen Becken
Aus Jaspis aufgefaßt: doch, Amor, lächelnd, sieht
Der eiteln Arbeit zu, und seine Fackel glüht.
 
32.
    Dieß mochte, denkt ihr, schön zu sehen
Gewesen seyn; doch wisset, unser Mann
Sah nichts davon; ihn zog ein andres Schauspiel an.
Auch werdet ihr mir gern gestehen,
Es sey nicht leicht die Augen wegzudrehen,
Wenn, mit gewebter Luft leicht flatternd angethan,
Ein schönes Mädchen euch erscheinet,
Das baden will und unbelauscht sich meinet.
 
33.
    Sie hatte, wie es scheint, in einem Kahn mit Fahren
In diesem kleinen See sich eine Lust gemacht,
Als ihr die Wärm' und Lieblichkeit der Nacht,
Da Zeit und Ort der Kurzweil günstig waren,
Den Einfall, sich zu waschen, beygebracht.
Schon stand sie, nur von ihren langen Haaren
Umschattet, da, bey deren Schwärze sich
Die Weiße ihrer Haut dem frischen Schnee verglich.
 
34.
    Sie steht mit halbem Leib um Amors Arm gekrümmt,
Und läßt die klatschenden Krystallen
Um Arm und Brust und einen Rücken wallen,
Der liliengleich im weißen Mondschein schwimmt.
So wie sie stand war Itifallen
Zwar ihr Gesicht geraubt; doch, was er sieht, benimmt
Die Hoffnung und den Wunsch, was schöners zu erblicken,
Und hemmt dem Lüsternen den Athem vor Entzücken.
 
35.
    Hier leih, o Tizian, den Zauberpinsel mir,
Damit, was unsern Mann so mächtiglich gerühret,
Nichts in der Schilderey von seinem Reitz verlieret:
Der Sprache Macht ermattet hier;
Dem Pinsel nur der Grazien gebühret
Das, was dem offnen Blick der flammenden Begier
Im höchsten Grad der idealen
Vollkommenheit sich darbot, abzumahlen.
 
36.
    Er sah – was lässig – sträubend nur
Die überwundne Scham dem Blick der Liebe wehret,
Was, unverhofft erblickt, die Weisesten bethöret,
Das Meisterstück der scherzenden Natur,
Wovon uns Lucian den lächelnden Kontur
An jener Venus preis't, die man zu Gnid verehret;
Kurz, was in aller Welt Liebhaber immer fand,
Doch einen Tempel nur im alten Griechenland.
 
37.
    Bey Itifalln war Sehn, Entbrennen, Unternehmen
Und Siegen immer einerley.
Sein Grundsatz war, (und er befand sich wohl dabey)
Der Nymfen Blödigkeit durch Bitten zu beschämen
Sey weder klug noch schön. Er raubte sonder Scheu,
Und wußt' am Ende stets den Frevel zu verbrämen:
Er schob die That auf Amors Ungeduld,
Und Rousseau, wie ihr wißt, vermindert seine Schuld.
 
38.
    Wie wenig fällt in diesem Augenblicke
Der Nymf' ein Argwohn ein, daß sie verrathen ist,
Und daß, durch Amors Hinterlist,
Was Zefyr nur bisher gesehen und geküßt,
Das unbescheidne Aug' von einem Mann entzücke!
Hier, lieben Leute, zeigt sich eine kleine Lücke
Im Manuskript. – »Warum denn eben hier?« –
Das weiß ich nicht, allein war kann dafür?
 
39.
    Daß was begegnet sey, läßt leichtlich sich ermessen,
Und nach Schach Bahams Sinn, was rührendes vielleicht.
Ob es die Ratten aufgegessen,
Ob der Kopist gefehlt, ist, wie dem Dichter däucht,
So ein Problem – das manchen andern gleicht,
Bey denen Nächte durch die Burmann aufgesessen;
Genug, daß Ihr das mangelnde Fragment
Nach eigner Fantasie nunmehr ersetzen könnt.
 
40.
    Sie schrie, und fiel (so fährt die Handschrift fort) vor Schrecken
In Ohnmacht rücklings ans Gestad.
Was Angola in gleichem Falle that,
Ist euch bekannt. – Die Schöne zu erwecken,
Wußt' euch der Knabe keinen Rath,
Als daß er in der Angst ein ganzes Wasserbecken
Ihr übern Busen goß. – Es war sein erstes Mahl;
Doch weiß man wie es ihn der schönen Welt empfahl.
 
41.
    Für Itifalln sey niemand bange!
Der wußte, was die gute Lebensart
In jedem Fall erheischt. Er säumte sich nicht lange;
In solchen Dingen war sein Sinn unendlich zart.
Wie viele Zeit, wie viel Ovid'sche Kunst erspart'
Ihm diese Ohnmacht nicht! Von wie viel Prunk und Zwange
Sah er durch diese Ziererey
Der schönen Dame sich mit Einem Mahle frey!
 
42.
    Die Ohnmacht, die er zu besiegen
Für leichter hielt, war ungewöhnlich tief.
Zwar ihrer Nöthe nach, und nach den Wellenzügen
Der vollen Muskeln schien's, sie schlief;
Doch, unbeweglicher kann keine Säule liegen.
Sie lag nicht anders da, als lief'
Ihr Schatten schon am Stygischen Gestade:
Doch endlich seufzte sie, sah auf, und bat um Gnade.
 
43.
    Zum Zürnen ließ der Held ihr keine Zeit:
Zürnt, wenn man euch den Mund mit Küssen schließet!
So sehr euch die Vermessenheit
Die keine Ohren hat verdrießet,
Wie schwer borgt euer Mund den Ton der Bitterkeit,
Wenn ihr, gern oder nicht, zum Schmählen lächeln müsset!
Sie hielt demnach mit ihrem Zorn zurück:
Doch endlich kam ein günst'ger Augenblick.
 
44.
    Es folgten nun zu beiden Seiten
Was stets in solchem Fall bey wohl erzognen Leuten
Der Wohlstand mit sich bringt. Man riß sich von ihm los;
Man ras'te, dräute, rieb die Augen, und zerfloß
In Thränen, schwor der Frevel sey zu groß,
So was verzeih' sich nicht, und läg' er Ewigkeiten
Zu ihren Füßen! kurz, man spielte Schmerz und Wuth
Und Unversöhnlichkeit, und – spielte gut.
 
45.
    Doch, da nichts heftig's dau'rt, so war es der Natur
Gemäß, daß endlich sich der Zorn der Schönen kühlte;
Zumahl, da Itifall, ein Meister in der Kur
Verletzter Sprödigkeit, so schlau mit ihr verfuhr,
So gut den Reuigen und den Entzückten spielte,
Daß sie sich unvermerkt von ihm besänftigt fühlte.
Es wurzeln Haß und Groll in schönen Seelen nicht;
Zudem entstellt der Zorn ein reitzendes Gesicht.
 
46.
    Der Ausgang war, daß sie, von seinen Schmeicheleyen
Und Bitten überwunden, sich
Großmüthiglich entschloß, ihm endlich zu verzeihen:
Ein Kuß versiegelte den gütlichen Verglich.
Und nun befliß er sich die Zweifel zu zerstreuen,
Er liebe sie nicht mehr, womit gemeiniglich,
So bald bey und der Puls gelaßner schlägt,
Der Damen zärtlich Herz sich selbst zu quälen pflegt.
 
47.
    Du zweifelst noch, mein angenehmstes Leben?
Sprach lächelnd Itifall; das nenn' ich Eigensinn!
Ein andrer würde dir das nicht so leicht vergeben;
Doch, stolz, wie ich auf denen Beyfall bin,
Find' ich mehr Schmeichelndes als Mühsames darin
Bedenken dieser Art zu heben.
Er überzeugte sie mit einem solchen Grad
Von Nachdruck, daß sie ihn bald um Verzeihung bat.
 
48.
    Nur Eins gesteht mir, sprach sie, doch unverhohlen
Und ohne Schmeicheley – was war es, Freund, das dir
Beym ersten Anblick mich empfohlen?
Gesteh' es sonder Scheu. – Die Frag', erwiedert ihr
Der Held, ist kitzlich; doch, es hört uns niemand hier:
Du bist zwar schön vom Haupt bis zu den Sohlen,
Doch, ich gesteh', was mich an dir entzückt
Wird nur von Glücklichen erblickt.
 
49.
    Wie, rief sie aus, und warf mit Inbrunst beide
Schneeweiße Arm' um ihn – ist's möglich? Welche Freude!
Doch, hoff' ich recht? Bin ich zu schnell vielleicht?
Erkläre dich. – Madam, mit etwas Kreide,
Und, weil mir diese fehlt, mit einem Kuß ist's leicht. –
Ist jemand, rief sie aus, der mir an Wonne gleicht?
O schwöre mir es sey, und nimm dafür die Krone
Des Geisterreichs und meine Hand zum Lohne!

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