Christoph Martin Wieland
Idris und Zenide
Christoph Martin Wieland

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70.
                    Sag' und beweise mir, was ich vor wenig Stunden
Gesehn, gehört, sey ein Geschöpf der Nacht,
Von ungefähr entstanden und verschwunden,
Ein Wolkenbild, aus Morgenduft gemacht:
Ich sage Nein! Ich weiß was ich empfunden;
Und schlief mein Leib, so hat mein Herz gewacht.
Doch, war es nur ein Traum, was hast du zu befahren?
Du könntest, dächte man, dein Drohen weislich sparen.
 
71.
    Du rückst mir alles vor was du für mich gethan:
O Astramond, du kennst mein Herz, es kann
Nicht unerkenntlich seyn – ich bin dir sehr verpflichtet.
Zwar, was du thatest, war auf einen Zweck gerichtet,
Der weder edel war noch billig; doch vernichtet
Der Zweck die Wohlthat nicht: ich nehm' als Wohlthat an,
(Und küsse dir die Hand, aus der ich sie empfangen)
Was nur ein Anschlag war, mich sicherer zu fangen.
 
72.
    Doch, sage mir, (denn kein Verhältnis schwächt
Die Rechte der Natur) wer hat mir dieses Leben,
Und dir, so groß du bist, ein Recht an mich gegeben?
Die Macht allein giebt Göttern selbst kein Recht.
Nein, Astramond! der war gewiß kein Knecht,
Der mir die Triebe gab, die diese Brust erheben.
Gieb mich zurück; und sey durch eine solche That
Der Achtung werth, die dir mein Herz gewidmet hat.
 
73.
    So, Lila, spottest du, rief Astramond ergrimmt,
Der grenzenlosen Huld womit ich dich beehrte?
So wird das Glück geschätzt, wozu ich dich bestimmte?
Dieß nennst du Dankbarkeit? Erfahre denn, Verkehrte,
Daß diese Leidenschaft, die mich zu lang' bethörte,
Von diesem Augenblick ihr End' in Abscheu nimmt.
Hinweg mit ihr! – Ihr, die ihr meinen Willen
In meinen Augen lest, herbey, ihn zu erfüllen!
 
74.
    Kaum donnert' er das letzte Wort,
So trugen, wie es schien, unkörperliche Hände
Sie durch die Luft aus meinen Augen fort.
Verzweifelnd stieß ich, meiner Qual ein Ende
Zu machen, mit dem Kopf des Zimmers Marmorwände:
Doch jedesmahl mißlang der abgezielte Mord;
Ein unsichtbarer Schutz schien über mir zu walten,
Und Lila rief mir zu, für sie mich zu erhalten.
 
75.
    Ich faßte wieder Muth, und sann
Auf schnelle Flucht, eh' noch die Kammerfrau dem Alten
Verdacht auf mich zu geben Zeit gewann.
Schnell mußte mich mein Talisman
Zum kleinsten Eulchen umgestalten;
Ich fand zu gutem Glück ein Fensterglas gespalten;
Und als die Zwergin kam, wo ihr Gefangner sey
In voller Hast zu sehn, weg war der Papagay!
 
76.
    Ich flog dem Garten zu, und tauschte
Wohl hundertmahl die magische Figur;
Der Büsche grüne Nacht, wo ich verborgen lauschte,
Vermehrte meine Furcht; ich fuhr
Bey jedem Lüftchen auf, das durch die Blätter rauschte;
Und als das Auge der Natur
Sich endlich schloß und sich die Stille mehrte,
Schien mir's, aus tiefer Fern', als ob ich weinen hörte.
 
77.
    Ich hielt den Athem an und horchte scharf empor;
Da däuchte mich ich höre Lila's Stimme,
Als ob sie halb erstickt in Thränengüssen schwimme;
Und immer näher schlug der Jammerton mein Ohr.
Ich machte mich zum Löwen, brach im Grimme
Aus meinem Hinterhalt hervor,
Und lief durch Hain und Flur, zur Rach' an dem entschlossen,
Durch den so schöne Thränen flossen.
 
78.
    Doch, alles, was ich fand, war dieses, daß die Nacht
Der Sinnen Urtheil trüglich macht.
Bald war's ein Quell, der klatschend aus der Nische
Von einer Nymfe fiel; bald Winde, die, erwacht
Vom leichten Schlaf, durch Grotten und Gebüsche
Sich jagten; bald im Gras das brünstige Gezische
Von Schlangen, die, in Liebesknoten
Verschränkt, vor heißer Lust sich zu ersticken drohten.
 
79.
    Ihr süßes Spiel erhöhte meine Qual.
Von Angst gespornt durchlief ich Berg und Thal
Auf viele Meilen weit, um eine Spur zu finden,
Den Aufenthalt der Schönen zu ergründen.
Allein, da jetzt zum sechsten Mahl
Die Nacht den Tag vertrieb, ließ ich die Hoffnung schwinden.
Ein See, der vor mir lag, schien mir gemacht zu seyn
Von meinem Leiden mich auf ewig zu befreyn.
 
80.
    Ich sprang hinein; doch kaum benetzte meine Glieder
Die kühle Flut, so kam die Lust zum Leben wieder,
Und machte, daß es mir Verrath an Lila schien,
Was ihr gewidmet war, ihr treulos zu entziehn.
Drey Worte braucht' es nur, so fuhr ich als Delfin
Im neuen Element bis in die Tiefe nieder.
Nicht lange trieb ich noch das ungewohnte Spiel,
Als mir aus einer Gruft ein Schein ins Auge fiel.
 
81.
    Es war ein ungeheurer Bogen
Vom Finger der Natur in einen Berg gesprengt;
Und unten schoß ein Strom, in Felsen eingezwängt,
Mit tobendem Gebrüll die dick beschäumten Wogen.
Von einer Welle stets der andern zugedrängt,
Fühlt' ich mich mit Gewalt durch diese Gruft gezogen:
Des Stromes schneller Lauf, das Donnern um mein Ohr
Betäubte mich so sehr, daß ich mich selbst verlor.
 
82.
    Denkt, wie mir war, als ich in einem weiten Becken
Vom reinesten Saffir mich beym Erwachen fand!
Umringt mit blüthenreichen Hecken,
Aus deren grüner Nacht, wie von des Zufalls Hand,
Hier eine Urne ragt, dort Bilder sich entdecken.
Ich glaubte mich in Elyseerland;
Und was den Irrthum glaublich machte,
War, daß ich unbeschuppt erwachte.
 
83.
    Allein, zugleich mit dem Delfin
War auch der Talisman, mein ganzer Schatz, dahin.
Gesucht, beklagt, beweint, war er und blieb verloren.
Ward jemahls ein Geschöpf unglücklicher geboren?
Rief ich, und sank ins Gras, wo den erschöpften Sinn
Zuletzt der Schlaf beschlich. Ermuntert von Auroren
Und durch den Balsamschlaf gestärkt,
Entwölkte mit dem Tag mein Geist sich unvermerkt.
 
84.
    Die Neugier trieb mich itzt, die Örter zu besehen,
Wohin, unwissend wie? ich mich bezaubert fand.
Der Blumenschmelz, die Pracht Mäandrischer Alleen,
Der Boden überall, statt Sand,
Mit Perlen überstreut, kurz, jeder Gegenstand
Bewies den Ort bewohnt von Feen;
Und ein Palast, von dem das Funkeln kaum
Erträglich war, ließ keinem Zweifel Raum.
 
85.
    Doch, wunderbarer noch als alles war die Stille,
Die auf der ganzen Gegend lag;
Von Filomelen an zum Laubfrosch und zur Grille
War alles hier verbannt, was einen Laut vermag;
Kaum rauschte noch ein Blatt. Erst glaubt' ich, daß der Tag
Sich später im Palast als außerhalb enthülle;
Doch endlich wich die Furcht zu kühn zu seyn
Der Ungeduld; ich wagte mich hinein.
 
86.
    Ein Labyrinth von Sählen, Kabinetten
Und Zimmern, ließ mich sehn, wie weit die Feerey
Die Kunst zurücke läßt. Lack, Schnitzwerk, Mahlerey,
Tapeten, Spiegel, Tische, Betten,
Kurz, alles war so reich, daß Uzim-OschanteyEin Prinz, der in einem Mährchen in den Contes Tartares oder Mille et un quart d'heure seine Rolle spielt.
Und Gengiskan beym Tausch gewonnen hätten.
Wie? dacht' ich, solch ein Sitz, und von Bewohnern leer?
Dieß alles machte sich doch nicht von ungefähr?
 
87.
    Ich war zum Abzug schon entschlossen,
Als mir ein Kabinet, an dessen Thür ich stieß,
Den Anblick, den ich mir am wenigsten verhieß,
Die schöne Lila selbst, auf Polster hingegossen,
In allen Reitzungen des Mittagsschlummers wies.
Vom silbernen Gewölk des feinsten Flors umflossen,
Die Locken aufgelöst, den Busen halb entdeckt,
Lag sie, die schöne Stirn im weißen Arm versteckt.
 
88.
    So schön fand nicht Adon im Hain von Amathunt
Die eingeschlafne Venus liegen:
Ein süßes Lächeln floß um ihren Rosenmund;
Ihr Busen schien den Liebesgott zu wiegen;
Und jede Muskel that durch sanftes Schwellen kund,
Es müsse sie der schönste Traum vergnügen.
Ganz Auge stand ich da, und wünschte so zu stehn
Äonenlang, bis ich mich müd' an ihr gesehn.
 
89.
    Ein Faun, dem junger Most und feurige Begierde
Die Sehnen schwellt, daß der, bey Lunens Schein,
Ein Nymfchen, das im wilden Hain
Auf seiner Urne schläft, nicht schlafen lassen würde,
Gesteh' ich unerröthend ein;
Der wahren Liebe nur ist Keuschheit keine Bürde.
Sehn, was man liebt, giebt's denn ein größer Glück?
Mehr als dem Faun ein Kuß, ist ihr ein bloßer Blick.
 
90.
    O! die Geliebte sehn, sich neben ihr befinden,
Den Athem in sich ziehn, der ihrer Brust entfloh,
Ist eine größre Lust für Seelen, die empfinden!
Die letzte Gunst entzückt den Faun nicht so.
Ein Band, das sich um ihren Fuß zu winden
So glücklich war, ein Ring von ihrem Haar, wir froh,
Wie reich macht solch ein Tand den, der wahrhaftig glüht!
Nichts ist ihm Kleinigkeit, was sich auf sie bezieht.
 
91.
    Noch stand ich aufgelöst in zärtliches Entzücken,
Als sie im Schlaf sich sanft zu mir herüber wand.
Ihr liebliches Gesicht, das meinen gier'gen Blicken
In süßer Rosenfarb' itzt völlig offen stand,
Schien plötzlich ein Gefühl von Wonne auszudrücken.
Ihr Busen hob die kleine schlaffe Hand,
Die ihn bedeckt', und aus den zarten Leinen
Sah ich das schönste Knie Narcissen überscheinen.
 
92.
    Zerbin! O mein Zerbin! – rief sie entzückt, und schloß
Den Mund von lebenden Korallen
Gleich wieder, dem der süße Ton entfloß.
Nun hielt ich mich nicht mehr, die Wonne war zu groß!
Wer wäre nicht in vollem Überwallen
Der Dankbarkeit an ihre Brust gefallen?
Wer hätte nicht in süßer Trunkenheit
Solch einen Mund mit Küssen überschneyt?

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