Christoph Martin Wieland
Idris und Zenide
Christoph Martin Wieland

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116.
                        Von einem Arme, dem selbst Junons schöner Arm
An Form und Weiße wich, fühlt' ich so stark, so warm,
So brünstiglich mich an die halbe Sfäre
Woran ich lag gedrückt, als ob der ganze Schwarm
Der losen Götter von Cythere
Und Venus selbst in ihn gefahren wäre:
Der andre Arm verbarg ihr abgewandt Gesicht;
Allein, mir gab bereits mein Herz ein traurig Licht.
 
117.
    So wenig Zärtlichkeit, so buhlerische Küsse,
So viel Behutsamkeit bey so viel Gluth, bewies,
Daß mich die Hoffnung sehr betrogen haben müsse.
Der Schutzgeist reiner Liebe blies
Mir warnend ein: hier sey Gefahr; es wisse
Die Dame, die sich mir so gütig überließ,
Die Rolle, welche sie vermuthlich mit dem Alten
Zu spielen abgered't, nicht lange auszuhalten.
 
118.
    Ich fuhr bestürzt zurück, beschaute sie genau,
Und wurde fast zum Stein vor Wunder,
Mit einer unbekannten Frau
Mich so verstrickt zu sehn. Der Angstschweiß stand wie Thau
Mir auf der Stirne. Nicht, als hätt' es ihr am Zunder
Zur Üppigkeit gefehlt; denn blendender und runder
Als ihre Brust, und reitzender gedreht,
Hat unter Amors Hand sich keine je gebläht.
 
119.
    Gleich lockend war was unter Nebeldecken
Zu lauern schien, und was sie mißlich fand
Aus übertriebner Scham dem Blöden zu verstecken,
Der, ängstlich zwar, doch matt, sich ihrem Arm entwand.
Kurz, fehlt' ihr gleich der Glanz vom ersten Jugendstand,
So hatte sie, Begierde zu erwecken,
Nur allzu viel, genug, die Tugend umzuwälzen,
Und das Gefühl der Pflicht in Wollust hinzuschmelzen.
 
120.
    Die Tugend umzuwälzen? – rief
Der Paladin – O Freund, so war sie wohl nicht tief
In eurer Brust gewurzelt! – Mit Erröthen
Versetzt Zerbin: Es scheint, ihr habt in solchen Nöthen
Euch nie gesehn, worin die meine sich verlief.
Herr Ritter, ungeprüft giebt's tausend Epikteten!
Der Stärkste reitze nicht die Rache der Natur!
Was unsern Fall verwehrt ist oft ein Zufall nur.
 
121.
    Ich kämpfte, Freund! dieß war mein Untergang.
Vor einem Fall, zu dem ein innerlicher Hang
Die Sinne zieht, kann nur die Flucht uns retten.
Die Wollust, Spinnen gleich, umwindet ihren Fang
Im Sträuben selbst mit unsichtbaren Ketten;
Und gaukeln einmahl Amoretten
Und Scherz und Freuden dicht um unser Aug' und ziehn
Die Schlinge lächelnd zu, dann ist's zu spät zum Fliehn.
 
122.
    Die Zaubrerin! wie wohl war ihr die Kunst zu siegen
Bekannt! Zu dem gab ihr in einem solchen Streit
Selbst meine Unerfahrenheit
Den Vortheil über mich. Doch dau'rte das Vergnügen
Sich selbst und mich und Amorn zu betrügen
Nicht länger als bey mir die erste Trunkenheit.
Kaum fing mein Busen an sich matter auszudehnen,
So spielte Reu' und Zorn die schrecklichste der Scenen.
 
123.
    Die Fee selbst erfuhr von meiner Raserey
Den ersten Sturm. Wie man sich einem Ungeheuer
Entreißt, wie aus Medeens Schleier,
Durchdrungen bis aufs Mark von unlöschbarem Feuer,
Kreusa – riß ich mich aus ihren Armen frey.
Wie rast' ich! – Kaum daß noch die Scheu,
Die dem Geschlecht gebührt, das sie so sehr entehrte,
Sie meiner Wuth zu opfern mir verwehrte.
 
124.
    Vergebens rief sie alle Macht
Der schlauen Reitzungen zusammen,
Die kurz zuvor in mir so starke Flammen
Vermeinter Liebe angefacht:
Ich hörte nimmer auf, mein Schicksal zu verdammen,
Und sie, und mich, und den, der mich zu ihr gebracht.
Was sprach, was that sie nicht! – wo nicht, mein Herz zu rühren,
Mich wenigstens noch länger zu verführen!
 
125.
    Durch Überraschung nur, nicht durch Verführung, kann
Die Unschuld, ungewarnt – gewarnet niemahls – fallen.
Vergebens schmiegte sie an meine Knie sich an,
Vergebens schmolz ihr Aug' in tröpfelnde Krystallen,
Vergebens war des schönen Busens Wallen!
Das Mitleid fühlt ein Stein, das sie mir abgewann.
Auch da sie endlich ohne Leben
Dahin sank, fiel mir's nur nicht ein sie aufzuheben.
 
126.
    Nun hielt sie sich nicht mehr, denn alles war versucht,
Natur und Kunst, und alles ohne Frucht.
Die Wuth half bald ihr auf. – Was gleicht der Wuth der Feen?
Ein Wirbelwind schien ihr die Augen umzudrehen,
Die kurz zuvor mich noch so schmachtend angesehen;
Und was ihr schöner Mund mir Böses angeflucht,
War fürchterlich genug den Furien der Höllen
Die Schlangen auf dem Haupt vor Angst empor zu schwellen.
 
127.
    Auch dieses half ihr nichts! Gleich unvermögend war
Die schmeichelnde und die ergrimmte Miene.
Das Ärgste was mir Salmacine
(So hieß sie) angedroht, der bittre Tod sogar,
Schien mir nicht mehr als meine That verdiene.
Ich bot ihr selbst mein Blut zum Opfer dar.
»Nein, rief sie wüthend aus, das hieße dir vergeben;
Nichtswürdiger! du sollst für meine Rache leben!«
 
128.
    In ein morastiges, lichtleeres Loch gesperrt,
Umheult, umzischt von Kröten und von Schlangen,
Siech von gefäulter Luft, von Kummer ausgedörrt,
Mit hohlem Aug' und eingefallnen Wangen,
Lag ich viel Tage lang gefangen.
Die Fee selbst zuletzt fand mich bedauernswerth.
Sie hofft', ich würde nun, statt gänzlich zu verschmachten,
In ihren Armen mich noch allzu glücklich achten.
 
129.
    Man ließ mich frey; ich sah zum zweyten Mahl
Von Nymfen mich bedient, die nun ihr Bestes thaten
Mir mehr Gefälligkeit, aus Noth wo nicht aus Wahl,
Für ihre Dame anzurathen.
Doch, was sie sagten, was sie baten,
Wie sehr mein Vortheil auch mir ihren Rath empfahl,
Nie wollte sich mein stolzes Herz bequemen
Um einen solchen Preis das Leben anzunehmen.
 
130.
    Sie fanden diesen Stolz zur Unzeit angebracht.
Die Fee, sagten sie, hat alles was die Dienste,
Die sie von euch erwartet, rühmlich macht,
Und angenehm dazu. Ihr kennet ihre Künste
Noch lange nicht; versucht's noch eine Nacht!
Was hält euch auf? Schimären, Hirngespinste!
Bleibt eurer Lila nicht, wenn Salmacine gleich
Die Nießung hat, das Eigenthum von euch?
 
131.
    Hinweg mit den Bedenklichkeiten
Der grillenhaften Treu'! Der Fee Forderung
Geht nicht so weit; sie wird den hohen Schwung
Von eurer Fantasie für Lila nie bestreiten;
Seyd feurig, Herr Zerbin, das ist für sie genug;
Aus Liebe oder nicht, hat wenig zu bedeuten!
Beständigkeit ist ihre Tugend nicht,
Und eh' ihr müde seyd entläßt sie euch der Pflicht.
 
132.
    Kurz, was uns Tugend ist, das nannten sie Grimassen.
Mit welchem Grund, erfuhr die Fee bald.
Die ganze magische Gewalt
Von ihren Reitzungen ward auf mich los gelassen;
Vertumnus wechselte nicht öfter die Gestalt
Bis ihm's gelang Pomonen zu umfassen:
Doch ihr gelang es nicht. Ich wand mich glücklich los,
Und stellt' ein festes Herz gereitzter Rache bloß.
 
133.
    Die schöne Furchtbarkeit kann nur ein Rubens mahlen,
Die ihr der Zorn bey diesem Anlaß gab.
Ihr rollend Auge schoß erst wüthend Strahl auf Strahlen,
Dann schaut' es stolz auf mich als einen Wurm herab.
Nichtswerther, bebe nicht vor wohl verdienten Qualen,
Rief sie, und hob den schwarzen Zauberstab:
Du bist zu klein für meine Rache;
Entfleuch aus meinem Blick, entfleuch und sey ein Drache!
 
134.
    Ein Drache sey und bleib' es ewiglich,
Bis du ein Mädchen findst, das fähig seyn kann, dich
So wie du bist aus Zärtlichkeit zu küssen.
So viele Großmuth find't nicht alle Tage sich,
Du wirst vielleicht ein wenig warten müssen.
Sie spricht's, läßt einen Blick voll Grimms noch auf mich schießen,
Und sieht, so bald sie mich mit ihrem Stab berührt,
Mit schadenfroher Lust, den strengen Fluch vollführt.
 
135.
    Und schnell entzieht die dickste Mitternacht
Die Fee mir; es bricht ein schreckliches Gewitter
Von allen Seiten aus, des Himmels Achse kracht,
Als schmettert' in erboßter Schlacht
Der Stürm' und Donner Heer das Firmament in Splitter.
Wie mir zu Muthe war, Herr Ritter,
Ist zu errathen leicht: ich fand die Scene schön,
Und hoffte unterm Schutt des Weltbaus zu vergehn.
 
136.
    Doch, plötzlich schwieg der Sturm, die schnell entwölkten Lüfte
Vergüldete aufs neu der Morgensonne Strahl,
Und ich befand mich selbst in einem öden Thal,
Und nichts rund um mich her als Wald und Felsenklüfte.
Mir kam zu Sinn, als ich zum ersten Mahl
Mich ansah, daß man sagt, den Basilisk vergifte
Ein Spiegelglas durch seine eignen Blicke,
Und nun erbat ich nichts als Spiegel vom Geschicke.
 
137.
    Ich guckte stundenlang in einen dunkeln Bach,
Mir den erwünschten Tod zu geben.
Allein, der Götter Schluß bestimmte mich zum Leben.
Die Zeit versöhnte nach und nach
Mich mit mir selbst und meinem Ungemach;
Ich fühlt' in meiner Brust ich weiß nicht was sich heben,
Das mich, so wenig auch mein Zustand Hoffnung ließ,
Das Ende meiner Noth von Lila hoffen ließ.
 
138.
    Was bis hierher mit mir sich zugetragen,
Ist zwar, Herr Idris, euern Fragen
Genug zu thun noch nicht geschickt;
Allein, ich seh' daß euer Auge nickt:
Und da den Osten schon ein Kranz von Rosen schmückt,
Wird itzt die Morgenruh uns beiden mehr behagen,
Als alles, was in Tausend einer Nacht
Scheherezade selbst dem Sultan weiß gemacht.
 
139.
    Kommt, wenn es euch gefällt, geliebter Paladin;
Vier Stunden Schlafs sind mehr als Goldtinktur zu schätzen.
Die Sterne schwinden schon; und findet ihr Ergetzen
An meinem Lebenslauf, so bin ich willig, ihn
Beym Frühstück wieder fortzusetzen.
Der Ritter dankt, und folgt dem führenden Zerbin
Gedankenvoll ins stille Schlafgemach:
Und – meine Muse gähnt und folgt dem Beyspiel nach.

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