Christoph Martin Wieland
Gandalin oder Liebe um Liebe
Christoph Martin Wieland

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Achtes Buch

Nun setzt den Fall, ihr läget allein,
Um Mitternacht, auf euerm Lager
Und wiegtet euch bey Mondesschein
Mit schlafbefördernden Bildern ein;
Auf einmahl träte bleich und hager
Ein langer weißer Geist herein,
Mit Leichentüchern über und über
Behangen, setzte sich gegenüber,
Und starrte aus hohlen Augen voll Gluth,
Die Zähne fletschend, zu euch herüber:
Wie wär' euch wohl dabey zu Muth?
Ich wett' euch würde mächtig bange
Ums Herz! allein gewißlich lange
So bang als unserm Helden nicht,
Wie er auf einmahl, sich nichts versehend,
Je länger je lieber vor seinem Gesicht
In ihrer ganzen Größe stehend
Erblickt. – Und gleichwohl zeigte sie sich
Nichts weniger als gespensterlich.
Kein Engel hätt' in einer mildern,
Holdern, gefälligern Gestalt
Erscheinen können. Sie war – »Halt! halt!
Nur keine Beschreibung – Das ewige Schildern!
Es macht den Dichter und Hörer kalt!« –
Ich schweige. Genug, ihr kennt die Dame,
Und mögt sie selbst nach Herzensgier
Euch mahlen in eurer eignen Manier,
Gefaßt in eine so schöne Rahme
Als euch behaget – allenfalls,
In langem weißem Atlaßkleide;
Nur, bitt' ich, nicht zu viel Geschmeide!
Bloß Perlenschnüre um Arm' und Hals:
Den Schleier ja nicht zu vergessen;
(Denn noch ist ihr verboten, dessen
Sich abzuthun) doch deck' er bloß
Das Angesicht, und durch doppeltes Leinen
Mag etwa einer Erbse groß
Von ihrem steigenden Busen scheinen!

Des Ritters Lage bey allem dem
War weder sicher noch bequem.
Im plötzlichen Aufruhr aller Sinnen
Was kann er sagen, was beginnen?
Vermeiden wollt' er die Zaubergestalt,
Aus seinem Herzen mit Gewalt
Sie reißen, und sollt' es dran verbluten!
Dieß hatt' er noch vor wenig Minuten
Geschworen. Was könnt' ihm ärgers geschehn,
Als dieser Nothzwang, sie zu sehn?

Sein erster Gedank' auch itzt war – Fliehen,
Fliehn, wie der keusche Josef dort
Der Sünd' entfloh – Allein Ein Wort,
Ein Ton – den Mond vom Himmel zu ziehen,
Hemmt seinen Fuß. Er steht erschlafft,
Gelähmt und zitternd, und ohne Kraft
Nur Athem zu hohlen.

                                »Du kannst mich fliehen?«
War alles, was sie selbst vor Schmerz
Zu sagen vermochte.

                                Ein Dolch ins Herz
Ist ihm der Ton womit sie's sagte;
Ihm brechen die Knie, er sinkt betäubt
An einem Stuhl zu Boden – bleibt
Wohl eine halbe Viertelstunde
So liegen – lüftet dann und wann
Die Augen nach ihr, will reden, und kann
Nicht reden, ihm stockt die Luft im Munde;
Indeß die Dame, ihr Haupt gestüzt
Auf beide Arme und über die Stirne
Die Hände verschränkt, am Fenster sitzt
Und schweigt. – Sein einzig Hoffen itzt
Ist, daß sie grimmig auf ihn zürne.
Allein er hört sie von Zeit zu Zeit
Erseufzen, mit solcher Zärtlichkeit,
Daß tausend Nadeln sein Herz durchstechen.
Zuletzt – um es ihm gar zu brechen –
Scheint, wie im Drang der Liebe dahin
Gezogen, sich eine von ihren Händen,
Als suchte sie ihn, nach ihm zu wenden.

Dieß war zu viel für Gandalin!
Auf rafft er sich, im heftigsten Sturme
Der Leidenschaft, wirft neben sie
Sich nieder, verbirgt auf ihrem Knie
Sein weinend Auge, hätte zum Wurme
Verschrumpfen mögen, um sein Vergehn
Und, was sie durch ihn leiden müssen,
Im Staube zertreten, abzubüßen.

Die Dame schien zu ihren Füßen
Mit Wonnegefühl ihn liegen zu sehn.
»Ist's möglich? rief sie in Entzücken,
Er liebt mich? Seine Lippen drücken
Den Schwur der Liebe, das heil'ge Pfand
Der ewigen Treu', auf meine Hand?
Mein ist das Recht ihn zu beglücken,
Sein Herz mein Königreich, mein Thron,
Mein Himmel! und keine Sonnemon
Soll mir's entreißen?« –

                                Mit was für Blicken
Der Ritter beym Nahmen Sonnemon
Zusammen fuhr; das ängstliche Zücken,
Nicht anders als ob ein Skorpion
Aus ihren Lippen in seinen Busen
Gefahren wäre – das sollt' ein Mann
Wie Rubens anders, als ich's kann,
Euch mahlen, und wenn auch alle Musen
Mir mahlen hälfen! – Ha, welch ein Wort,
Unglückliche, (ruft er mit Ergrimmen,
Und schleudert die Hand weit von sich fort,
Auf der noch seine Thränen schwimmen)
Welch einen Nahmen wagtest du
Zu nennen! – O, daß der nehmliche Nu,
Da ich in deine Atmosfäre
Gerieth, mein letzter gewesen wäre!
O Zauberin, laß ab von mir!
Was hilft es dir Gewalt zu üben?
Mein Wille schwört sich los von dir,
Warum mich zwingen dich zu lieben? –
Gut! triumfiere! du siegst – doch klein
Soll deines Sieges Freude seyn!
Ich will zu Sonnemon dich führen,
In deiner Gegenwart alles ihr
Bekennen, und dann, vor deinen und ihren
Augen, die Liebe an ihr und dir
Rächend, dieß schwache Herz durchbohren,
Das dich verrieth, ihr falsch geschworen! –

Die Dame, statt vor Gift und Wuth
(Wie ihr vermuthet) zu Boden zu sinken,
Schien alles dieß mit frohem Muth
Wie Nektar in sich hinein zu trinken
Und wie sie glaubte der erste Jast
Sey ausgeschäumt, sprach sie mit süßen
Geberden: »Gleich! zu meinen Füßen
Nieder, und was du gelästert hast
Mir abgebeten! Das muß ich wissen
Ob du mich liebst! Dein innerster Sinn
Liegt vor mir aufgeschlossen; ich bin
Zufrieden, ich bin geliebt und liebe!
Unglücklicher Mensch, was quälest du,
Dich selbst und die du liebst? Wozu
Entgegen kämpfen dem süßen Triebe?
Gieb dich gefangen! Lieb' um Liebe!
Und Freuden, ohne Maß!« –

                                            O Du –
Antwortet er ihr mit zitterndem Munde,
Die Hände ringend – Du hast mich zu
Grunde
Gerichtet! weg ist meine Ruh
Auf ewig, und Schande und Verderben
Mein Antheil. Laß mich, laß mich, sterben!
Ich kann in deinem Zauberbann
Nicht dauern, du unnennbares Wesen!
Wer bist du? Flieh', verschwind'! ich kann
Dich nicht ertragen, nicht genesen
Wo Du bist! Meine Lieb' ist Haß,
Nicht Liebe; sie brennt wie Höllenfeuer
In meinem Busen. Laß mich, laß
Mich sterben! – Oder reiß den Schleier
Von diesen Zauberaugen, und laß
Dich anschau'n, und im ersten Blicke
Verzehre mich! –

                        Aus Furcht, er rücke
Den Arm nach ihrem Schleier, wich
Das Fräulein ein wenig erschreckt zurücke;
Indessen sah man sichtbarlich,
Es kämpfe was in ihrem Herzen.
Doch faßte sie sich, und: »Gandalin,
(Sprach sie) ich müßte was ich bin
Nicht seyn, um kalt bey deinen Schmerzen
Zu bleiben. Allein, sprich selber, sprich,
Was könnte Sonnemon und ich,
Jede, mit einem halben Herzen
Machen? Es muß zum letzten Entschluß
Zum Wählen zwischen uns, kommen – es muß!
Itzt schwebst du schwankend zwischen beiden.
Nimm, Lieber, diese Nacht dazu,
Bring erst dein tobendes Blut zur Ruh,
Und morgen – laß dein Herz entscheiden!« –

Dieß sagen, und, ohne daß er das Wie
Wahrnahm, aus seinen Augen schwinden,
War Eins. Er suchte mit eifriger Müh
Oben und unten, vorn und hinten
Im Hause – sie war nicht mehr zu finden.

Nun denket was für eine Nacht
Der gute Ritter in solcher Lage,
So trostlos einsam, zugebracht!
Es war die längste bitterste Nacht
Die je vor seinem Todestage
Ein armer Sünder durchgewacht.
Dem Manne, der mir Schaf' und Rinder
Und Haus und Hof und Weib und Kinder
Geraubt, geschändet und umgebracht
Hätte, – ich wünscht' ihm weder Acht
Noch Kirchenbann, auch nicht von Mäusen
Gefressen zu werden im Mäusethurm
Wie Bischof Hatto, noch von Läusen
Wie König Herodes, noch im Sturm,
Von tausend grinsenden Toden umgeben,
Sechs Tage in einer mastlosen Jacht
Auf Wogenspitzen im Meer zu schweben:
Ich wünscht' ihm – eine solche Nacht!

Als nun die goldne Sonne wieder
Zu scheinen begann, sprang Gandalin
Von seinem Lager, so bleich und grün
Wie liebessieche Mädchen, und müder
Als hätt' er in einer Novembernacht
In Regen und Sturm, durch tiefe Felder
Und Sumpf und Moor und träufelnde Wälder,
Sechs Meilen in Einem Zug gemacht.

Er öffnet ein Fenster, schlürft und sauget
Den Sonnengeist in sich hinein,
Der alle Leibes- und Seelenpein
Unendlich mehr zu lindern tauget,
Als Paracelsens Laudanum,
Und alle Essenzen, Elixiere
Und schmerzbetäubende Klystiere
Im großen Dispensatorium.
Ihm ist als wehe im jungen Morgen
Ein Gott ihn an, und seine Sorgen
Verlieren im Ocean des Lichts
Die Hälfte des drückenden Gewichts;
Und, wie er da steht im Überrocke,
Mit offner Brust und fliegender Locke,
Greift er mechanisch nach Stock und Hut
Und eilt hinaus in dumpfem Muth
Ins Freye, – läuft mit großen Schritten
Den Lindengang hinab, dann mitten
Die Wiesen durch, dann übern Steg,
Den Rain hinauf, dann linker Seite
Quer übers holprige Brachfeld weg,
In solcher Hast, daß alle Leute,
An denen er so vorüber schwirrt,
Stillstehend gaffen und denken müssen:
»Der läuft, wie Kain, vor seinem Gewissen!«

So war er lange herum geirrt,
Als er zuletzt, wie einem Traume
Entwachend, in Sonnemons Park sich fand.
Da warf er neben einem Baume
Sich nieder, streckte Fuß und Hand
Und lechzte wie ein Fisch im Sand.
Doch macht' ihm das Gefühl Vergnügen
Auf Sonnemons Grund und Boden zu liegen.
Allmählich, wie des Morgens früh
Halb geistige leichte Dunstgestalten
Am röthlichen Himmel sich entfalten,
Dämmern in seiner Fantasie
Die Bilder auf von jenen Tagen
Und Stunden der ersten süßen Plagen
Der Liebe, da er in diesem Hain
So manchen Abend bey Mondesschein
Den stillen Blumen sein Leid zu klagen
Verweilte, so manchen halben Tag
In einer Hecke verborgen lag,
Um Sonnemon im Vorübergehen
Durchs Laub verstohlen nachzusehen:
Und unter diesen Träumereyn
Schläft er in süßer Ermattung ein.

Ihm hatten die freundlichen Waldesgötter
Zwey Stunden sein gesenktes Haupt
Auf ihren Schooß zu legen erlaubt,
Als – eine Hand voll Rosenblätter,
An seine Wangen mit leichter Hand
Geworfen, ihn weckte. Sein Erstaunen,
Da Sonnemon im Morgengewand,
Reitzend wie Flora, die langen braunen
Locken halb mit einem Band
Gefesselt, halb am weißen Nacken
Hinwallend, mit hold erröthenden Backen
Und lieblichen Blicken, vor ihm stand –
Sein süßes Erschrecken, und was er empfand
Indem sie ihm ihre Grazienhand
Zum Aufstehn reichte, – und sein Entzücken
Und seine Angst – o Mutter Natur,
Wie könnt' ich das alles in Worte drücken?
So eine Scene fühlt sich nur.

Mit ungewöhnlicher Huld und Milde
In ihrem Wesen, Blick und Ton
Führt ihn die schöne Sonnemon
Zu einem Sitz, wo Efeu und wilde
Reben, zum selbst gewachsnen Dach
Verwebt, der Sonne den Paß versagen.
Im Gehen bat sie ihn, ihr Betragen
Bey seinem Empfang im Vorgemach
Dem leidigen Zwang der Etikette
Und dem beschwerlichen Mückenschwarm
Der Höflinge beyzumessen. – »Sie hätte
So gerne sich ihm mit offnem Arm
Entgegen gestürzt, den lieben Getreuen
So gern an ihren Busen gedrückt!
Allein vor so viel Zeugenreihen
Hätte sich's freylich nicht wohl geschickt.
Doch nun, da keine Laurer uns stören,
Itzt hör' und laß von dir mich hören
Was nach so langer Trennung das Herz
Uns eingiebt! – Nichts von altem Schmerz,
Nichts das den süßen Augenblick trüben
Könnte! von Zweifeln und Fragen nichts,
Ob du auch immer treu geblieben!
Die Antwort steht mit Zügen des Lichts
Auf deiner offnen Stirne geschrieben.«

Dieß war zu viel! – Mit jedem Blick,
Mit jedem Wort ein feuriger Zwick
In seine schuldbewußte Seele!
Es war zu viel! – Wie grauer Duft
Schwamm's ihm ums Aug'; er schnappte nach Luft,
Ihm schlug das Herz bis an die Kehle;
Und wär' ihm der gute Genius
Der Liebe mit einem Thränenguß
Nicht eilends noch zu Hülfe gekommen,
Es hätt' ein trauriges Ende genommen.

Was ist dir, rief sie: – Gandalin!
Du weinst? Du ächzest,? – Gandalin!
Was ist dir? Rede! Woher dieß Zagen?

»O nichts mehr, Sonnemon! – Ich kann,
Du Engel, ich kann dich nicht ertragen,
Nicht diesen Blick, nicht diesen Ton!
O daß ich leben muß, zu sagen,
Es dir zu sagen: Sonnemon,
Du irrst dich, ich, bin deiner Liebe
Nicht werth! – Und doch – O Gott der Liebe,
Du weißt, wie bis ins dritte Jahr
Jeder auch meiner geheimsten Triebe,
Mein Wachen und Schlaf, ihr heilig war!
Wie alle Reitze der schönsten Gestalten
Zurück von diesem Herzen prallten,
Worin sie unverrückt gethront!
Und wie ich bis zum zehnten Mond
Des dritten Jahres ausgehalten.
Armsel'ger Ruhm! was hilfst du mir?
Ein Augenblick hat dich vernichtet.
Und wie? – Du hieltest's für erdichtet,
Wenn jeder andre, als ich, es dir
Erzähle.« –

                Und nun begann er treulich
Ihr alles zu beichten, Stück für Stück,
Wie's mit Je länger je lieber ihm neulich
Ergangen, vom ersten Augenblick
Bis zu der unverhofften Erscheinung
Der gestrigen Nacht.

                                Mit großer Ruh
Hört sie ihm bis zum Ende zu,
Und: Soll ich (spricht sie) meine Meinung
Dir sagen? – Du warst nie ungetreu,
Und bist es noch nicht, hast mich immer
Geliebt, und alles ist Feerey
Was dir mit diesem Frauenzimmer
Begegnet ist.

                    »Ach, könnt' ich hiervon
Mich überzeugen! ruft der Ritter.
Oft dacht' ich's auch – und täuschte mich
Damit. Zumahl, wenn sie zur Cither
So lieblich sang; dann glaubt' ich Dich
Zu hören, und ach! ihr gegenüber
Empfand ich alles was ich für Dich
Empfinde – quälte mich selbst darüber,
Verbannte, so bald ich von ihr ging,
Ihr Bild aus meinem Herzen, – und fing
Gleich wieder Feuer, so wie ich wieder
In ihren Zauberzirkel trat.«

Sehr abenteu'rlich in der That!
(Rief Sonnemon, erröthend, und nieder
Die Augen schlagend) Doch, sage mir frey,
Wenn ich die kleine Schwärmerey
Nun übersehe, (denn Hexerey
That augenscheinlich das meiste dabey)
Und wenn ich, zufrieden mit deiner Treu',
Mit diesem Kusse dir verzeihe;.
Was sagst du?

                    »Daß ich zu elend bin
Das Leben länger zu ertragen!
Du Engel von Güte! was kann ich sagen?
Noch schwebt sie mir zu stark im Sinn,
Die gestrige Nacht – Ach! Ihr zu Füßen
Lag ich, wie jetzt zu deinen hier,
Wünschte die Liebe, die ich ihr
Bekannte, mit meinem Blute zu büßen.
Und liebte sie doch! – und fühlte mich,
Mit Allmacht zu ihr hingezogen! –
Ach, Sonnemon! – ich habe dich,
Und ach! – mich hat mein Herz betrogen!
Und nun, was bleibt mir übrig, als
Zu sterben?«

                    Das gute Fräulein konnte
Sich kaum enthalten ihm an den Hals
Zu fallen, so mächtiglich begonnte
Die Liebe für ihn in ihrer Brust
Zu sprechen; doch hielt sie noch die Lust.
Ihm was sie fühlte zu gestehen
Zurück, und: Höre mich, sagte sie,
Die Dame wird dich wiederzusehen
Wünschen –

                    »O! – (unterbricht er) nie
Soll dieß mit meinem Willen geschehen!«

Es soll! ich will's! (erwiederte sie)
Das Zauberwesen muß vergehen!
Ja, Gandalin, du sollst sie sehen
Und mich dazu! – und wenn alsdann
Dein Herz sich nicht entscheiden kann,
So müßt' ich, – nichts davon verstehen.

Mit diesen Worten, verließ sie ihn
Verräth'risch lächelnd, und – war
verschwunden
Eh' Gandalin von seinen Knien
Sich, zu erheben Kraft gefunden.
Ihr Lächeln, und wie sie sich betrug
Beym ganzen Handel, war Lichts genug:
Allein, ihm blieben die Augen gebunden.
Verwirrter als je in seinem Sinn
Kommt er nach Hause – irrt aus einem
Zimmer ins andre – weiß in keinem
Was er gewollt – steht auf, sitzt hin,
Wird ausgekämmt und angezogen,
Setzt sich zu Tische, ißt, und – weißt
So wenig davon, als wäre sein Geist
Zum Mann im Mond hinauf geflogen.
Nie ward ihm, seit er Luft gesogen,
Ein Abend so unerträglich lang,
Bald hofft er von der Katastrofe
Alles, bald wird ihm wieder so bang
Als naht' er seinem Untergang
Mit jeder Sekunde. – Wo bleibt die Zofe?
Was säumt sie? fragt er wohl hundertmahl
In Einer Stunde, (wie wartende Kinder
Am Niklasabend) und schaudert nicht minder,
So oft ein Fußtritt auf dem Sahl
Sich hören läßt. – Und wie sie endlich,
Ein Blendlaternchen in der Hand,
Sich einstellt, ward er wie die Wand
So weiß, und zitterte so schändlich,
Wie Doktor Faust im Fastnachtsspiel,
Da seine letzte Viertelstunde
Zu Ende läuft, sein schreckliches Ziel
Nun da ist, und zum Höllenschlunde
Ihn unter Blitz und Donnergeroll
Der böse Feind nun hohlen soll.

»So machen Sie doch? Was soll das Zaudern?
Herr Ritter! ich glaube gar Sie schaudern?
Ha, ha! nun merk' ich's! Sie wissen's schon? –
Man möcht' uns gern dieVolte schlagen.
Die schöne Gräfin Sonnemon
Sie komme nur! hat nichts zu sagen!
Sie wird an unserm Siegeswagen
Gar stattlich ziehn! – Nur frisch gewagt,
Herr Ritter, und sprecht, ich hab's gesagt;
So bald mein Fräulein Je länger je lieber
Den Schleier fallen lassen wird,
So ist auf einmahl der Streit vorüber,
Oder, – ich hätte mich sehr geirrt!«

Der Ritter, ohne der Klappermühle
Ein Ohr zu leihn, steht, wie beym Spiele
Ein Mann der viel verloren hat,
Und nun versucht ist, auf ein Blatt
Sein ganzes Hab' und Gut zu wagen.
Tiefsinnig, in sich hinein gekehrt,
Steht er im Zweifel – Plötzlich fährt
Er auf und denkt: Ich will es wagen!
Ein einz'ger Augenblick voll Muth
Macht alles Geschehene wieder gut,
Ja, Sonnemon, ich will dich rächen!
Die Stolze, die dir Hohn zu sprechen
Vermeint – entschleiert soll sie stehn,
Und im Moment, wo sie zu siegen
Gewiß ist – sich Verworfen sehn!

Ein schnell aufloderndes Vergnügen.
Blitzt über seine Wangen hin,
Indem er Muth und festen Sinn
Sich zutraut, diesen Sieg zu siegen.
Er folget nun im großen Trab
Der führenden Iris auf und ab,
Durch unbekannte Winkelgassen,
Die wenig Gutes vermuthen lassen!
Auch half das Blendlaternchen mehr
Zum Dunkelmachen als zum Leuchten.
So ging's nun lange hin und her,
Bis sie ein Hinterpförtchen erreichten.
Die Zofe klopft. Es thut sich auf
Und schließt sich wieder. Der Ritter tappt
Die lange Wendeltreppe hinauf,
Und dumpfe Ahndungen hemmen den Lauf
Von seinem Blut, er hustet, schnappt
Nach Athem, und bleibt wohl dreymahl stehen,
Indem sie durch die lange Reih'
Von schwach beleuchteten Zimmern gehen.

»Viel Glücks! die Reis' ist nun vorbey,«
Spricht Iris, indem sie ein großes Zimmer
Ihm öffnet, und hinter ihm wieder schließt.

Nun denket, – da ein Strom von Schimmer
Aus hundert Kerzen entgegen ihm schießt,
Und vor ihm steht das nehmliche Zimmer,
Worin sich, nahe bey Paris,
Je länger je lieber zuerst ihm wies,
Die Decke mit goldnen Körben, Früchten
Und Blumen just wie dort staffiert,
Und mit den nehmlichen Bibelgeschichten
Die Wände ringsum tapeziert,
Und neben einem kleinen Tische
Das nehmliche Ruhebett in der Nische,
Und drauf im nehmlichen Überzug
Je länger je lieber mit ihrem Schleier;
Nun, bitt' ich, denkt, ob unserm Freyer
Das Herz im Busen höher schlug?

Er wurde so überrascht von allen
Den Wunderdingen, so überhäuft,
Daß er, um nicht zu Boden zu fallen,
Kaum einen Lehnstuhl noch ergreift.

Die Dame, nachdem sie ihm, sich zu fassen,
Ein paar Minuten Zeit gelassen,
Dankt ihm im sanftesten Liebeston
Für diesen letzten Beweis von Achtung,
Und daß er aus Liebe zu Sonnemon
Doch wenigstens nicht mit kalter Verachtung
Ein Herz, das ihm zu widerstehn
Nicht Kraft gehabt, bestrafen wollen.

»Ich will nicht klagen – nicht mein Vergehn
Durch Bitten um Mitleid noch erhöhn:
Du hättest in dein Herz zu sehn
Mir eher vielleicht gestatten sollen;
Mir sagen sollen mit guter Art,
Es sey versagt – wer weiß, wir hätten
Uns beide vielleicht viel Schmerz erspart!
Ich hätte mich vielleicht noch retten
Können! – Doch all dieß, Gandalin,
Ist Schicksal; wir konnten ihm nicht entfliehn.
Ich weiche – (sie sagte dieß mit immer
Gerührterer Stimme) ich weiche der Noth,
Und täusche mich nicht! Ich seh's, kein
Schimmer
Von Hoffnung bleibt mir – als vom Tod.
Du scheinst gerührt? – Dich zu betrüben
War nicht mein Wille; doch, laß noch dieß
Mich sagen – den Trost dich ewig zu lieben,
Den süßen Trost, raubt mir gewiß
Kein Schicksal! Und auch der Wahn ist süß;
Laß Sonnemon den Wahn mir gönnen,
Den Traum der schmeichelnden Fantasey,
Du hättest, wäre dein Herz noch frey
Gewesen, vielleicht mich lieben können!«

Hier wird sie so von Empfindung gedrückt,
Daß ihr die Rede im Mund erstickt.

Ich hätte vielleicht dich lieben können?
(Ruft Gandalin ängstlich, als ob sein Herz
Zerspringen wollte vor Lieb' und Schmerz)
O könnt' ich diese Brust zerreißen
Und in mein Herz dich schauen heißen!
Ob ich dich liebe? Wie ängstigt mich
Dieß grausame Zweifeln! Wohlan, so höre,
Was ich zu deinen Füßen schwöre –
Wiewohl ich, nicht begreife, wie
Dieß alles möglich ist, und wie,
Durch welche allmächtige Sympathie,
Du mich bezaubert hältst – doch, höre,
Was ich bey dieser Hand, die ich
Hier fasse, bey jeder brennenden Zähre
Die auf sie fällt, gelob' und schwöre:
Ich liebe Sonnemon und Dich;
Ihr beide herrscht in meiner Seelen
Als hätt' ich nur für euch allein
Ein Herz, und zwischen euch zu wählen
Wird ewig mir unmöglich seyn!
O laßt mich! – Unwerth euch zu lieben,
Unwerth von euch geliebt zu seyn,
Unfähig 'mit getheilten Trieben
Euch glücklich zu machen, zu meiner Pein
Und zu der eurigen – euch zu lieben
Verdammt – o laßt mich, laßt mich fliehn,
Mich fern von euch, in Gram verzehren,
Und möchte der Nahme Gandalin
Nie wieder eure Ruhe stören!

So spricht er liegend auf seinen Knien,
Und Thränen, wie glühende Tropfen, stürzen
Auf ihre Hand. – Das Fräulein kann
Nicht länger seine Qual zu kürzen
Sich säumen. – »Du wunderbarer Mann!
Und hättest du vor Sonnemons Ohren
Uns beiden all dieß auch geschworen?«

O! ruft er, wäre sie doch hier!

»Da ist sie! – Siehe sie vor dir!«

Und siehe! Mantel und Schleier wallen
Von ihren Schultern – und – Sonnemon
(O Lieb' um Liebe! o süßer Lohn
Der schwersten Prüfung!) Sonnemon
Läßt sich in seine Arme fallen!


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