Christoph Martin Wieland
Gandalin oder Liebe um Liebe
Christoph Martin Wieland

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Zweytes Buch

Zwey lieben Augen gegenüber
Wie fliegen drey Tage so schnell vorüber!
Der dritte Abend war vorbey
Und Gandalin hätte geschworen, es sey
Noch immer der erste, hätte lieber
Minuten zu so viel Tagen gemacht:
Wiewohl das Fräulein wenig Acht
Auf ihn zu haben schien, und selten
Die Blicke, womit er sie beschoß.
Mit einem der ihrigen zu vergelten
Würdigte. Aber die Hexe goß
Dafür auch so viel Nektar in diesen
Vestohlnen einzigen Gegenblick!
Ihm wurde so viel zukünftig Glück
In lieblicher Dämmerung drin gewiesen!
Er hätte so einen einzigen Blick
Um zwanzig Algarben und Sobradisen
Nicht ausgetauscht. Indessen kam
Die letzte Nacht. Der Ritter nahm
Den Urlaub mit einem unendlichen Kusse
Auf ihre hingegebene Hand;
Lief dann als stände sein Kopf in Brand,
Um einem gewaltigen Regengusse
Aus seinen Augen zuvorzukommen
Eh's einer vom Hofe wahrgenommen.

Er schwang sich auf sein edles Roß
Und ritt mit schwerer Brust von dannen;
Sah oft zurücke nach dem Schloß
Woraus ihn Stolz und Liebe bannen;
Schritt langsam fort, verstürzt und stumm,
Die Welt so eng um ihn herum
Als könnt' er sie mit der Hand umspannen.
Die Sonne bey Tage, bey Nacht der Mond
Schien heiter und mild zu seiner Reise;
Ihm kürzte die Amsel und die Meise
Mit Singen den Weg: doch weder der Mond
Bey Nacht, noch des Tages die helle Sonne,
Noch Vogelsang noch Mayenwonne
Ergetzte sein Leid. Nichts war ihm nah,
Er sah und wußte nicht was er sah,
Kam immer weiter und war nie da.
Hatte sein Herz zurück gelassen
Bey Sonnemon, und mit dem blassen
Entgeisterten Schatten lief sein Roß
Wohin es wollte. Der Tag verfloß,
Es wurde Nacht und wieder Morgen
Ohne daß Ritter Gandalin
Aus seinem Traum zu erwachen schien;
Ließ seinen Knappen für alles sorgen.
Und wußte von allem just so viel
Als einer der im Fieber tobet.

Allmählich (Gott sey drum gelobet!)
Spielte ihr altes wohlthätiges Spiel
Die Fantasie, taucht' ins Gefühl
Des Gegenwärtigen alle Bilder
Der schmerzlich süßen Vergangenheit;
Alles wird dumpfer, dämmernder, milder.
Und schwimmt in lieblicher Ungewißheit:
Bis aus den sanft verworrnen Schatten
Sich jene magische Welt erhebt,
Wo Wirklichkeit und Traum sich gatten,
Und Geist der Liebe um alles webt.
Statt, wo er hinsah, sie nicht zu sehen,
Sieht er jetzt durch dieß Zauberglas
Sein Fräulein überall vor ihm stehen;
Aus jedem Tropfen an Laub und Grat
Glänzt ihm ihr sonnichter Blick entgegen;
Sich sieht er ruhn an diesem Bach,
Sie stellt er in diesen Blüthen-Regen;
Ihr weiht er dieses grüne Dach
Zur Laube; aus diesem alten Gemäure,
Wo Eulen brüten, baut er ihr
Ein Feenschloß. – »O daß ich nicht hier,
In diesem einsamen Thale, von Dir
Allein gekannt, geliebt, du Theure,
Von dir – o Wonne! geliebt von dir,
Das ewige Leben der Liebe feire!«
So ruft er aus mit schwellender Brust,
Und findet selbst im Seufzen Lust:
Denn seufzend zieht er in Frühlingsdüften
Den Athem seiner Lieben ein;
Glaubt alle Windchen, die ihn lüften,
Von Sonnemon geschickt zu seyn,
Durchwandelt mit ihr den stillen Hain,
Und schlummert sogar in Felsengrüften,
Träumend, an ihrem Busen ein.

Nun stimmte sich, unvermerkt und immer
Schneller, sein innerer Farbenton
Herunter. Fräulein Sonnemon
Blieb zwar der Inhalt; allein der Schimmer,
Das Lichtgewölke, der Nektardunst,
Worin sie durch der Liebe Gunst
Ihm dar sich stellte, ward immer fahler
Und schwächer, ihr Lichtsaum immer schmaler
Und schmaler, bis er beynahe ganz
Verschienen war. Dagegen gewannen
Die Dinge vor ihm an Farb' und Glanz
Was jene zu verlieren begannen.
Die Sinne (ein widerspänstig Geschlecht!)
Setzten sich wieder ins alte Recht:
Und seinem Biederherzen dräuten
Viel schöner Gefahren von allen Seiten.

Es ging nun weit ins dritte Jahr,
Daß Gandalin auf der Wallfahrt war.
Er hatte in Deutschen und Wälschen Landen
Viel Abenteuer überstanden,
Und seine Treu' aus mancher Schlacht
So ziemlich ganz davon gebracht;
Höchstens mit solchen leichten Wunden
Die, wie man weiß, sich bey Gesunden
Von selber heilen: als zu Paris
Der Prüfungen schwerste auf ihn stieß.

Es war in Filipp Augusts Tagen,
Von denen die Dichter uns Wunder sagen.
Kein Fürstenhof derselben Zeit
Glich seinem Hof an Herrlichkeit.
Da waren Ritter ohne Zahl,
Da waren auch Frauen und Jungfrauen
Von allen Farben, nach der Wahl,
Stattlich geschmückt, und lieblich (zumahl
Bey Licht) von weiten anzuschauen,
Wie Tulpen im Flor. Die hatten nun
Bekannter Maßen nichts zu thun
Als Männerherzen aufzupassen.
Und ihre Augen spät und früh
Nach allen Ecken spielen zu lassen.

Der fremde Ritter dünkte sie
Beym ersten Anblick gute Beute.
Nun solltet ihr die Jagd auf ihn
Gesehen haben. Allein, er schien
Gar nicht zu wissen was das bedeute.
Mit solcher Gewißheit im Liebesstreite
Stets obzusiegen, so wenig kühn
Hatte man keinen noch gesehen.
Was war zu thun? Gleich abzustehen?
Dazu stand unsern Penthesileen
Der Muth zu hoch. Je blöder er war,
Je minder liefen sie Gefahr
Im Approschieren zu weit zu gehen.
Sie ließen sich also in Gnaden herab
Durch Blicke seinen Muth zu stärken,
Denen, aus Furcht er möchte nicht merken,
Man alle mögliche Klarheit gab.
Mein Ritter, immer ehrerbietig.
Spielte gelassen den Kombab,
Fand immer die Damen allzu gütig,
Verstand kein Lächeln, keinen Blick,
Zog immer weiter sich zurück
Je näher man ihm zu Leibe rückte;
Sprach ewig von nichts als Politik,
Moral und Wetter, Metafysik.
Und Moden, und jeder andern Rubrik
Als der, wo's unsre Schönen drückte:
Kurz, trieb's so lange, bis ihm's glückte,
Daß man den Herrn, mit seinem Verstand
Und seiner hohen Adlersnase,
Und seinen Augen von blauem Glase,
Ganz unerträglich albern fand.

Vermuthlich leitet ihr dieß Betragen
Des Ritters von seiner Treue her?
Gewiß ist, er liebte noch so sehr
Als jemahls, und immer desto mehr.
Je näher von seinen Prüfungstagen
Das Ende rückte. Doch, alles zu sagen
Ein kleiner fremder Umstand kam
Hinzu, der seiner Tugend ein wenig
Von ihrem reinen Verdienste nahm.

Hört an! – Als Gandalin einst vom König
(Der von der Hirschjagd wieder kam)
Nach Hause trabte, dem Roß den Zügel
Lassend, die Augen auf den Stern
Der Liebe gesenkt: da kam nicht fern
Von einem mit Bäumen besetzten Hügel
Ihm eine Jungfrau (dem Ansehn nach)
Auf einem Zelter entgegen geritten.
Die hielt auf einmahl, stellte sich mitten
In seinen Weg, grüßt' ihn und sprach:
Herr Ritter, nach euers Ordens Sitten
Darf ich um eine Gab' euch bitten;
Und was ein Mädchen bitten kann
Versagt doch wohl kein Biedermann?

Herr Gandalin hält mit seinem Pferde,
Sieht spähend (so scharf bey Sternenlicht
Nur möglich) der Jungfrau ins Gesicht,
Und findet sie an Gestalt und Geberde
So züchtig, daß er, ohne Gefährde,
Ihr viel versprechen zu können glaubt.
Jungfrau, ihr könnet frey begehren!
Alles was Lieb' und Ehr' erlaubt
Deß will ich sträcklich euch gewähren.

»So sagt mir, Herr Ritter, in allen Ehren.
Ist euer Name Gandalin

Ich muß es (erwiedert er) gestehen.

»Was frag' ich auch? Närrin die, ich bin!
War's nicht genug euch anzusehen?
(Versetzt die Magd) man sagte mir gleich
Ich könnt' unmöglich irre gehen.«

Gut! (spricht der Ritter) Ihr schadet euch
So in der Nachtluft da zu stehen.
Was wollt ihr meiner?

                                Die Jungfrau spricht:
Erst schwöret mir bey Ritterspflicht
Zu thun was ich euch sagen werde.

Ich schwör's euch zu, bey Ritterspflicht,
Und müßt' ich ins Eingeweide der Erde
Herunter steigen im Angesicht
Der Höllengeister, und Weg mir machen
Durch Riesenkolben und Löwenrachen,
Ich schwör's!

                        »So arg ist's nicht, (versetzt
Die Dirne) ihr werdet unverletzt,
Hoff ich, das Abenteu'r bestehen.
's ist nichts, mein Herr, als – mit zu gehen
Wohin ich euch geleiten will.«

Der Ritter hält ein wenig still
Und sinnt.

                »Nu? heißt das sein Versprechen
Halten? Sollt' es dem Herrn an Muth
Mit einem Mädchen zu gehn gebrechen?
Für Riesen und Drachen bin ich gut!
Was zögern wir?« – Mit diesem Worte
Spornt sie ihr Gäulchen, und Gandalin
Folgt, ohne zu wissen wozu? wohin?
Der unbekannten Führerin.

Sie hält vor einer verschloßnen Pforte.
»Hier, spricht sie, endet unser Lauf!«
Knack, Knack! Die Pforte thut sich auf
Und schließt sich hinter ihnen wieder.
»Da sind wir nun, Herr Ritter. Frisch!
Was hängt ihr so die Kolbe nieder?
So kleinlaut? so verdrossen? Frisch
Vom Pferd herab! mir nachgegangen!
Man wartet euer mit Verlangen.«

Er, immer schweigend, steigt vom Roß,
Sieht vor sich stehn ein altes Schloß,
Mit Pfeilern, dick wie Himmelsstützen,
Mit hundert Ecken, Thürmen und Spitzen,
Kurz, so daß einem ungesäumt
Von schönen Melusinen träumt,
So wie man's anblickt. – »Nun! Herr Degen,
Die Augen zu, und mir die Hand!
(Spricht lachend die Magd) In euerm Stand
Geht man oft größrer Fahr entgegen,
's ist finster hier; nur mir die Hand!
Hier steigen wir eine Windeltreppe.«
Der Ritter folgt, so träg und schwer,
Ihr ist's, als ob sie hinter sich her
Den größten Wollsack keichend schleppe.
»Ey, ey, Herr Ritter, so blank und bar
An Mannheit? – Mich däucht, ich höre gar,
Wie euch das Herz im Leibe schweppe!«

Die Wahrheit von der Sache war,
Mit allem seinem Heldenblute
War unserm Manne nicht wohl zu Muthe.
Es war ein schwanendes dumpfes Gefühl,
Das ihm Zickzack bald heiß bald kühl
Den Rücken hinab lief, bald in Flammen
Ihn tauchte, bald in Alpeneis.
Doch rappt er wie er kann und weiß
Sich oben an der Treppe zusammen,
Und folgt der Jungfrau sonder Zwang
Durch einen langen dunkeln Gang,
Dann links, dann wieder ein Treppchen hinauf.
Nun kam ein Vorsahl, und ein Zimmer,
Und nun that eine Thür sich auf.
»Hier! (raunt' die Magd und schob ihn sachte
Zur Thür hinein) Ihr seht, ich brachte
Euch glücklich an Ort und Stelle. Nun
Seht selber zu was weiter zu thun.«


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