Christoph Martin Wieland
Gandalin oder Liebe um Liebe
Christoph Martin Wieland

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Viertes Buch

Es war just um die Dämmerungszeit,
Kurz eh' den Weg der Sonnenpferde
Der junge Morgen mit Rosen bestreut,
Als unser Ritter, allein und still,
Wie einer der nicht bemerkt seyn will,
Durch Seitenwege nach Hause kehrte.
Der Fluß, das Thal um ihn herum,
Die Hügel, alles um und um
Lag noch in Ungewissem Schatten;
Verworren Erdreich, Wasser und Luft,
Und tausend Formen auf Angern und Matten
Schwimmend, die sich im grauen Duft
In wunderbare Gestalten gatten.
Der Ritter hatte deß wenig Acht,
So gut es zu seinem Zustand paßte.
Das Abenteuer dieser Nacht
(Wovon er immer je minder faßte
Je mehr er sann) stand wie ein Gesicht
Vor seiner Stirn, und blieb da stehen;
Er mochte sich wie er wollte drehen,
Die Augen schließen oder nicht,
Er mußt' es immer vor sich sehen.

Allein als itzt das siegende Licht,
Aus Osten herab ein Meer von Klarheit
Schüttend, auf einmahl die ganze Natur
Entzauberte, wieder das Reich der Wahrheit
Herstellt', und Hügeln, Thal und Flur,
Flüssen und angestrahlten Hainen
In ihrer wahren Gestalt zu erscheinen
Gebot: da wurde dem Ritter, als ob
Ein Traum vor seinen Augen platzte.
»War's nur ein Nachtgeist, der ihn fatzte,
Aus Mohnduft alle die Täuschungen wob
Und ihm für Wahrheit unterschob?
Was soll er glauben? – So unwahrscheinlich
So traumhaft alles von Anbeginn!
Und gleichwohl seinem eignen Sinn
Nicht trauen dürfen, ist gar zu peinlich!«

Drum fängt er wieder von vornen an,
Mahlt alles vom ersten Augenblicke
Sich wieder vor, von Stück zu Stücke:
Die Jungfrau, die ihn seiner Bahn
Entführte, das Gothenschloß, die enge
Wendeltreppe, die langen Gänge,
Das Zimmer das sich ihm aufgethan
Und wieder sich hinter ihm zugeschlossen,
Die Decke von der sich Blumen ergossen
Aus goldnen Körben, die keusche Susann
Mit ihrem Busen, das Ruhebette,
Von zweyer Kerzen Silberschein
Beleuchtet, – kurz, nichts war so klein.
Worauf er sich nicht besonnen hätte;
Auch wie, so bald er ins Zimmer hinein
Getreten, beym Anblick der Unsichtbaren
Ein Schauer ihm übern Rücken gefahren,
Als trät' er in einen Keller ein,
Und wie bey ihren ersten Worten
Ihm's wieder auf einmahl so heimlich und warm.
Und lieblich bang ums Herz geworden,
Und alles das – (den schönen Arm
Nicht zu vergessen, an dessen Rundung
Und Lilienglanz sich ohne Entzündung
Nicht denken ließ) kurz, was er sah
Und nicht sah, was er gehört und gesprochen,
Stand alles vor seiner Stirne da,
So rein als wie in Kupfer gestochen.
Das träumt sich nicht, so viel ist klar!
Allein, ob's sonst so richtig war?
Er hatte doch, seines Wissens, an Feen
Sich nie vergangen? – »Wir werden sehen,
Denkt er; doch immer ist's wunderbar l«

Er war nun mittler Weile wieder
Nach Hause gekommen, und hatte kaum.
Um etwas Ruhe zu pflegen, sich nieder-
Gelegt, als Sonnemon im Traum
Ihm dar sich stellt, mit strafenden Blicken
Ihm seine Untreu' vorzurücken,
Sie ist's in ihrer Schöne! so ganz
Wie Sie nur ist, in allem Glanz
Der reinsten Jugend, in aller Fülle
Von Lieblichkeit! – Und über ihr
Der blaueste Himmel, und unter ihr
Das frischeste Grün; und alles so stille,
Wie in Entzückung, um sie her
Als ob's in sie verschlungen wär'!

Der Traumgott, um ihn baß zu quälen,
Zeigte sie ihm im Morgenkleid,
Dem tausend Kleinigkeiten fehlen,
Die, nach der strengern Sittsamkeit,
Gerade das Reitzendste verhehlen.
In freyen Locken spielt ihr Haar
Um einen schwanenweißen Nacken;
Die Brust beschattet ein Zwillingspaar
Vollblühender Rosen, von ihren Backen
An Röthe beschämt. So nymfenhaft
Schwebt sie in ihrem Röckchen von Taft
Im Grase daher, als schwämme sie oben,
Oder würde vom sanften Hauch
Der Amoretten empor gehoben.

O Reim! den werd' ich nimmer loben,
Der dich erfand! Zum Henker auch!
Da muß nun hinter einem Strauch,
Bloß, dir zu gefallen, mein Träumer stehen,
Um seine Prinzessin kommen zu sehen!
Und stand er (wie's doch möglich war).
Auch wirklich hinter einer Laube,
Wie kann ich hoffen daß man's glaube?
»Der Reim, spricht jeder, hat offenbar
Die Laube gepflanzt; und wenn es Ranken
Von Reben oder Geißblatt sind,
So haben wir's wieder dem Reim zu danken.«
Sey's! wollen uns nicht darüber zanken!
Genug, wie oft der Zufall, so blind
Er seyn soll, die beste Auster findt,
So hat auch dießmahl, wider Hoffen,
Der Reim sich mit der Wahrheit getroffen.
Herr Gandalin, in seinem Traum,
Stand wirklich hinter wilden Ranken,
Als über den ebnen grünen Raum
In stillen jungfräulichen Gedanken
Sein holdes Mädchen Vorüber ging.
Schier war er vor Freuden eingesunken,
Wie er sie sah; stand wonnetrunken
Im Boden eingewurzelt, hing
Ganz Aug an jedem ihrer Reitze,
Und schlürfte sie ein mit lüsternem Geitze.
Je näher (in ihrer einsamen Ruh
Ihn nicht gewahrend) sie kam, je enger
Ward ihm sein Busen, bis er nicht länger
Sich halten kann, und auf sie zu
Mit offnen Armen stürzt. Das Rauschen
Der Blätter weckt sie, sie zittert auf,
Wie Rehe mitten im sorglosen Lauf
Auf einmahl stutzen und witternd lauschen:
Und als sie Gandalinen erblickt,
Wird einer von den schrecklichsten Blitzen,
Die Amor jemahls abgedrückt,
Aus ihren Augen auf ihn gezückt.
Er fühlt ihn bis in den Fingerspitzen;
Will vieles sagen, doch jeder Ton
Bleibt stecken im Halse; sie will entfliehen;
Er hält sie bittend bey den Knieen,
Und – weg ist Traum und Sonnemon!

Träume (das Sprichwort sagt's) sind Schäume.
Freydenkerey! – Von Alters her
Dachte man anders. Im Vater Homer
Und weiter hinauf sind immer Träume
Der Götter Werk, nicht Gaukelspiel
Der Fantasie. So war's am Nil,
So war's am Ganges; ist so gewesen
Bey allen, die nie im Hume gelesen,
Mit einem Wort, es ist Menschengefühl!
Kein Wunder also, daß unserm Ritter,
Der noch den Kopf voll Urgroßmütter
Hatte, die Deutung des Traumgesichts
Zu schaffen machte. »Er hatte doch nichts
Sich vorzuwerfen! Zärtlicher, treuer,
Gewissenhafter (dieß Zeugniß giebt
Sein Herz ihm) hatte noch keiner geliebt.
Anlangend die Dame im Doppelschleier,
Die hatt' er gesehn als säh' er sie nicht;
Ihr eine Gabe zu versagen,
Verbot bekanntlich die Ritterpflicht;
Und wenn er nun in sechzig Tagen
Vor Sonnemon sich wieder stellt,
Und bringt von seiner Reis' um die Welt
Sein Herz ihr unversehrt zurücke;
Verdient er mit diesem zürnenden Blicke
Empfangen zu werden? – Doch wie? wenn mich
Mein Schutzgeist warnte? (fuhr er mit sich
Zu reden fort) In sechzig Tagen
Kann viel begegnen; und offenbar
Vermehrt der Schleier nur die Gefahr,
Wenn eine ist. Im letzten Jahr,
Noch in den letzten sechzig Tagen,
Am Rande des Ziels, noch alles zu wagen?
Verlör' ich? – Aber dieß denken nur
Ist Frevel! Was hat der Mann zu wagen,
Der Sonnemon davon zu tragen
Gewiß ist? – Und bindt mich nicht mein Schwur,
Und was noch heiligers, Lieb' und Ehre,
Keiner Gefahr, so groß sie wäre,
Nicht auszuweichen? – O Sonnemon,
Ich sollt' auf deinen Lippen den Lohn
Der Treu', als Sieger mich erkühnen
Zu nehmen, und ihn nicht verdienen?
Würde dein erster Liebesblick
Sich nicht in tödtenden Blitz verkehren?
Mich nicht in deinen Armen verzehren?
Nein! nimmer siehst du mich wiederkehren.
Als deiner würdig! – Doch, zurück
Mit solchen Gedanken! Wer wird sich über
Gefahren ängsten, wo keine sind?
Wir reisen ohnehin geschwind.,
Und sieben Wochen sind bald vorüber.«

Indem er bey sich, selbst dieß spricht,
Erscheint mit fröhlichem Angesicht
Die Iris der Dame Je Länger Je Lieber,
Zu fragen wie er geruht, und ihn
Auf diesen Abend zu ihrer Frauen
Zu bitten. »Sie wissen, Herr Gandalin,
Den Weg nun selbst; und, im Vertrauen,
Die Reise wird sich wohl verziehn!
Dem Fräulein bekam das Tête a Tête
Nicht gar zu wohl. Auch, nehmen Sie mir
Nicht übel, bis zur Morgenröthe,
Das geht ein wenig über Gebühr!''

Wie? sollte sie sich nicht wohl befinden?
Fragt Gandalin. – »Ein wenig blaß,
Und Kopfweh – was bedeutet das?
Es wird bis Abend schon verschwinden!«

Nun, weil wir hier allein sind, (spricht
Der Ritter) sage mir – unterm Siegel
Der Freundschaft – ist denn ihr Gesicht
So gar gefährlich, wie man spricht?
Ich zweifle an ihrer Schönheit nicht;
Doch, unter uns, es giebt so Spiegel,
Die manchmahl – Du verstehst mich schon!

»Wie? (ruft das Mädchen) nach einer so langen
Beichte, noch fragen aus diesem Ton?
Die Zweifel wären Ihnen vergangen,
Dächt' ich?« – Wie so? (spricht Gandalin)
Du kannst mir sicher glauben, ich bin
Nach allem, was ich von ihr gesehen,
Um nichts gelehrter als vorhin.
Ich habe Schleier und Röcke gesehen,
Sonst nichts – (hier ward er feuerroth,
So zärtlich war er von Gewissen!)

»Um so viel besser! Danken Sie Gott!
Mehr hätten Sie theuer bezahlen müssen;
Sie können mir's glauben, ungestraft
Hat noch kein Mann sie angegafft;
Schwör' Ihnen bey meiner Jungferschaft,
Es ist noch keinem wohl bekommen,
Der sie in Augenschein genommen!«

Wenn's so ist, sollte mich's fast gereun
Zum Schirmer mich erboten zu haben,
Versetzt mein Held. Stets um sie zu seyn,
Und eine Dame von solchen Gaben
Nie anders als in Decken begraben
Zu sehen, wird zuletzt zur Pein.
Die Augen wollen doch auch was haben!

In ihrem Anschaun glücklich zu seyn.
Ist einem Einzigen aufgehoben,
Herr Ritter. Das Vorrecht ist nicht klein!
Es lohnt sich der Mühe, der Eine zu seyn!
Wer weiß – vielleicht – die Zeit wird's lehren
(Hier macht die Iris, einen Knicks)
Doch, ich verspäte mich – Viel Glücks!
Bin Ihre Dienerin in Ehren!«

Der übrige Theil des Tages verstrich.
Sich auf den Abend anzuschicken;
Und mit den letzten Sonnenblicken
Trabt euch mein Ritter, endelich,
Wohin ihn Pflicht und – Neugier führten.
Denn diese, so sehr er seiner Begierden
Sonst Herr war, plagt ihn doch fürbaß.
Zwar, daß die Dame so sehr ein Drache
Von Schönheit wäre, schien ihm Spaß;
Doch, etwas war doch an der Sache,
Und just genau zu wissen was,
Das war's! Auch warf ihm Satanas
Ganz leise den Einfall in die Quere,
Es diene schlechterdings zur Ehre
Der unvergleichlichen Sonnemon,
Gewiß zu seyn, (zwar war ers schon)
Welche von beiden die Schönste wäre.
Wenn's gleich bey ihm entschieden war,
Die Welt ist launisch! Immer besser
Wenn solche Punkte ganz und gar
Im Klaren sind! – Ein wenig größer
Als Sonnemon mochte die Fremde seyn.
Das gab unläugbar der Augenschein;
Es mochte drey Finger breit betragen;
Und für das, was man Majestät,
Dianenschaft, Junonität
Benahmset, hat das was zu sagen.
Doch bleibt der andern, wär auch dieß,
Der Preis der Grazie gewiß!
Und alle die tausend Charitinnen,
Die einem so unvermerkt das Herz
Wie im Vorbeygehn. abgewinnen,
Der schimmernde Witz, der kitzelnde Scherz,
Die Laune, womit sie an Einem Tage
In tausend Gestalten dar sich stellt,
Stets überrascht und immer gefällt,
Stets Liebe giebt in jeder Lage,
In jedem Licht – in allem dem.
Da ist doch keine Frage, wem
Der Preis gebühre? – »Ich bin der Junonen
Gehorsamer Knecht! Respekt so viel
Sie wollen; ich find' es nie zu viel:
Allein – es leben die Sonnemonen!«


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