Christoph Martin Wieland
Gandalin oder Liebe um Liebe
Christoph Martin Wieland

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Erstes Buch

Vor alter Zeit ein Fräulein war,
Die hatte ihres gleichen wenig.
Sie machte mit ihrem Augenpaar
Sich alle Herzen unterthänig.
Der Ruf von ihrer Wohlgestalt
Zog Mahler herbey von allen Enden;
Mit Pinsel und Palet in Händen.
Lag immer einer im Hinterhalt,
In allen Ecken, an allen Mauern,
Wo sie nur stand und ging und saß,
In Mette und Vesper, dieß und das
Von ihrer Schönheit abzulauern.
Wenn dann ihr Halstuch sich verschob,
Ein Fuß sich wies, ein Arm sich hob:
Das war ein Jubel, ein Gott Lob,
Als hätten sie Mexiko gewonnen!
Zogen nun wohlgemuth nach Haus,
Und machten Even und Madonnen,
Susannen
und Magdalenen d'raus.

Das Fräulein, Sonnemon genannt,
War Erbin des Grafen von Brabant,
Und hatte viel Knappen und edle Herr'n
An ihrem Hof. Auch kam von fern
Manch blonder schmucker Muttersohn
Von altem Nahmen und jungen Sitten,
Zu werben um Fräulein Sonnemon.
Die Junkern eiferten, buhlten, stritten,
Liebten und liebelten, tanzten und ritten
Rings um die holde Zauberin,
Wie Hummeln um ihre Königin,
Bey Tag und Nacht, auf allen Tritten;
Versuchten's, jeder nach seinem Sinn,
Mit Lachen und Weinen, Trotzen und Bitten;
Doch alles mit wenigem Gewinn.

Die Schelmin hatte so ihre Freude
Mit ihnen zu spielen, wie mit der Maus
Ein junges Kätzchen. Ging sie aus,
So schwärmten in reichem bunten Kleide,'
Die Finkenritter groß und klein
Zur Seite, voran, und hinterdrein.
Blieb sie zu Hause, so wimmelt's immer
Von solchen Vögeln in ihrem Zimmer.
Der sang ihr was – um einen Mund
Voll breiter Schaufelzähne zu weisen;
Ein andrer fütterte ihren Hund;
Ein dritter log von seinen Reisen;
Ein vierter schnitzelt' eine Maus
Aus einem Apfelkern ihr aus;
Ein fünfter, an der Trommel, stickte
Ein Blümchen in ihre Stickerey.
So schlenderte dann der Tag vorbey,
Und wenn sie die Herr'n nach Hause schickte,
Und zur Belohnung ihrer Treu'
Dem einen freundlich ins Auge blickte,
Den andern mit einem Lächeln beglückte:
Ging jeder wonneselig davon,
Glaubte sein Hoffnungsschiff geborgen.
Schlief sanft, und träumte bis zum Morgen
Von nichts als Venus und Adon.

Doch an demselben Morgen fanden
Die Herr'n ihr Schiffchen mächtig weit
Von seiner Rechnung, die Rosenzeit
Vorbey, und keine Spur vorbanden
Von jenes Abends Heiterkeit.
Das Fräulein ist düster aufgestanden.
Nichts liegt ihr recht, nichts steht ihr an
Was einer thun und sagen kann.
Kein Spaß, kein neues Lied behagt.
Sie hat nicht wohl geschlafen, klagt
Viel über Kopf und Magen, jagt
Den kleinen Hund zur Thür hinaus,
Schmählt ihre Kammerjungfern aus,
Findt ihren Kopfputz ungeheuer,
Und ihre Augen ohne Feuer,
Und ihre besten Spitzen schlecht,
Und nichts als ihre Laune recht.
Kommt einer mit etwas angestochen.
Als etwa vom Wetter, (das offenbar
Das schönste Sommerwetter war)
So wird ihm schlechtweg widersprochen;
Spricht er was kluges, so ist es dumm;
Schweigt er – »Seit wann, mein Herr, so stumm?«
Seufzt er, so weiß er nicht warum;
Lacht er, was war denn da zu lachen?
Kurz, lieber hätte sich einer mit Drachen
Und Haselwürmern herum gezaust,
Als, wenn's ihr die Tyrannin zu machen:
Einfiel, mit Sonnemon gehaust.
Und doch, (was für die guten Jungen
Das schlimmste war) nie fühlten sie sich
In ihre Reitze mehr verschlungen,
Als wenn sie der schönen Meduse glich.
Nie war ihr Blick so mörderlich,
Als wenn sie spöttisch die Nase rümpfte;
Ihr Mündchen nie so küsserlich,
Als wenn sie Mäuler zog und schimpfte;
Was jeder andern übel stand.
Ein jedes an ihr bezaubernd fand.
Und wenn auch einer in die Kette
Voll Ungeduld zuweilen biß,
Sie noch so gern zerrissen hätte,
Ja wirklich aus Ingrimm sie zerriß,
Und laufen wollte, so weit der Himmel
Blau ist, oder sein Apfelschimmel
Ihn trüge: so zog sie mit Einem Blick
Den armen Flüchtling wieder zurück,
Sich willig zu ihren Füßen zu schmiegen
Und ewig an der Kette zu liegen.

In diesem kläglichen Zustand lag
Herr Gandalin schon Jahr und Tag.
Der war euch ein so hübscher Ritter
Als jemahls einer um Minnesold
Gedienet hatte; treu wie Gold,
Blauäugig, zärtlich, lieb und hold,
Und doch in Kampfesungewitter
So muthig wie ein junger Widder;
Wiewohl noch seinem weißen Kinn
Die Hoffnung des künftigen Bartes so dünn
Entkeimte, daß ihn bey einer Wette,
Im langen Rock, mit Spangen und Kette,
Die allererfahrenste Kennerin
Aus Mädchen kaum erwittert hätte,

Von allen, die um das Fräulein sich
Bewarben, war der giftige Stich
Des Liebeswurms dem armen Jungen
Am tiefsten in die Leber gedrungen.
Die andern Junkern insgesammt
Waren mit einem leichten Hiebe
Davon gekommen: ein wenig geschrammt
Wenn's hoch kam. Aber die Art von Liebe,
Die tief im Eingeweid brennt und nagt,
Die alle Lust zu Spiel und Scherzen,
Die Schlaf und Eßlust euch versagt.
Und ohne Rast, den Pfeil im Herzen,
Durch Berg und Thal euch treibt und jagt,
Bis ihr erschöpft von Angst und Schmerzen.
Verblutet, lechzend, athemlos
Der schönen Feindin vor die Füße
Hinsinkt, das Köpfchen in ihren Schooß
Verbergt und sterbt, und glaubt wie süße
Der Tod euch schmecke, wenn allenfalls
Ihr glattes Pfötchen um Brust und Hals
Euch noch zur Letze freundlich krabbelt,
Und euer gebrochnes Herzchen wohl gar
An ihrem Busen sich verzabbelt:
Das nenn' ich lieben! Nur ist's rar!
In Flandern und in Brabant war
Dergleichen nie gesehen worden.
Der erste daselbst von diesem Orden
War unser Junker. Schade nur,
Daß er dabey nicht besser fuhr!
Denn Sonnemon, unangefochten
Von allem Spuk und Ungemach,
Das ihre Augen stiften mochten,
Ließ alle seine och! und ach!
Sich wenig in ihrem Schlummer stören;
Und wenn er Winternächte lang
Vor ihrem Fenster fror und sang,
Hielt sie ihn nicht so viel in Ehren
Ihm durch die Scheiben zuzuhören.
Er hätte Teiche voll geweint
Und Mühlen mit seinen Seufzern getrieben,
Sie wäre so ruhig dabey geblieben
Als wär' es nicht auf sie gemeint.
Kurz, den, der seinem ärgsten Feind
Ein solches Leben könnte gönnen,
Ich würd', ihn einen Nero nennen!
Doch trug er alles mit Geduld,
Immer noch hoffend an ihre Huld
Durch Leiden ein Recht sich zu erwerben!
Das schlimmste was mir begegnen kann,
(Dacht' er) ist doch zuletzt nur Sterben;
Und besser gestorben, als unterm Bann
Der Liebe aus diesen Zauberaugen
Ewig zum Leiden nur Kraft zu saugen!

In diesem Muth hielt Gandalin
Ein ganzes unendliches Jahr sich hin,
Wo immer das Schicksal seines Lebens
An einem ihrer Blicke hing;
Hoffte, verzweifelte, gleich vergebens!
Der einzige Trost, der noch verfing,
War, daß es andern nicht besser erging,

Allein als jetzt der Frühling wieder
Gekommen war, durch alle Glieder
Der guten alten Mutter Natur
Ein neuer Jugendschauer fuhr,
Und mildere Lüfte und wärmere Sonnen
Das süße Gefühl zu leben, zu streben.
Und Leben aus ihrer Fülle zu geben
In allen Wesen zu wecken begonnen;
Die Auen ergrünten, die Vögelein
Aus sich belaubenden Zweigen sangen,
Und alles, was ist, sich freute zu seyn;
Um Majens verjüngte Blumenwangen
Der wieder verliebte Westwind spielt.
Und selbst das Mädchen, das nie gefühlt
Wie Amor verwundet, ein seltsam Bangen,
Drücken und Sehnen in sich fühlt.
Etwas zu lieben und zu umfangen:
Da wußte der arme Gandalin
Sein Leiden nicht länger zu bestehen
Er warf sich ihr zu Füßen hin
Und schwor, nicht eher aufzustehen,
Bis sie ihm sage, sie brenne für ihn
Wie er für sie. »So laß mich gehen!«
Rief Sonnemon, und wollt' entfliehn.
Allein er hielt sie bey beiden Knien.
Und bat so kläglich! in seiner Stimme
War etwas das so zu Herzen drang!
Er wurde so schön, ihr wurde so bang!
Doch riß sie sich los. – Wie? welch ein Zwang?
(Rief sie im jüngferlichen Grimme)
Was hab' ich denn zu schaffen mit dir?
Du liebst mich, sagst du? Meinetwegen!
Lieb' immer, ich habe nichts dagegen;
Nur meine Freyheit laß du mir!«

»O Sonnemon, dieß kannst du sagen?
Du? – Du, die Allem Liebe giebt
Was dir sich nähert? In diesen Tagen,
Da Alles Gefühl ist, Alles liebt?
Nein, Falsche! Dir sind die süßen Triebe
Nicht fremde, dein ganzes Wesen ist Liebe,
Du athmest, strahlest, zauberst Liebe
Und Liebeswonne rings um dich,
Und Haß – den hast du allein für mich!«

Ich? (spricht das Fräulein, spöttiglich
Ihr Naschen rümpfend) ich hasse dich?
Muß man, um nicht zu hassen, lieben?
Mein schöner Herr, wo steht's geschrieben,
Daß wir, wenn einen die Liebessucht
Befällt, für seine Narrheit büßen
Und flugs ihn wieder lieben müssen?
Warum ergreift ihr nicht die Flucht,
Wenn's euch in unsrer Atmosfäre
Nicht wohl ist?

                        »Fragst du, Zauberin?
Als ob es in meiner Willkühr wäre
Zu laufen wenn ich gefesselt bin!
Die Flucht ergreifen! Und wohin? –
Könnt' ich auch wie ein Adler fliegen,
Würd' ich nicht ewig deinem Bild
Wohin ich flog' entgegen fliegen?«

Die Schwärmer! wie sie sich selbst betrügen!
Wie würde so bald mit meinem Bild
Sogar mein Angedenken verfliegen?
Ich kenn' ein wenig der Männer Art;
Bey euch thut alles die Gegenwart.
Weh der abwesenden Geliebten!
Die möcht' ich sehen, die aus Treu'
Die Grausamkeit an sich verübten
Und ließen ein gutes Glück vorbey!

»O Sonnemon, wie wenig, wie wenig
Kennst du mein Herz und deine Macht!
Und sollte mir eine einzige Nacht,
Mit einer Göttin zugebracht,
Das Glück erkaufen, der erste König
Der Welt zu seyn –«

                            Halt! – Schon zu viel
In Einem Athem! Das alles ist Spiel
Der Fantasie. Wir kennen euch besser!
Die Welt ist in der Nähe größer
Als du jetzt denkest.

                                »Willst du (schrie
Der Ritter entzückt) die Probe machen?
Versprich mir's; ich bestehe sie!«
Bald sollt' ich (versetzte sie mit Lachen)
Zur Strafe deiner Vermessenheit
Beym Wort' dich fassen? – »O fasse, fasse
Mich gleich beym Wort!« – Es hat noch Zeit.
»Noch Zeit, wenn ich mein Leben lasse
Beym kleinsten Verzug?« – Herr Gandalin,
Ich glaubte dich nicht so waglich kühn;
Doch, der Erfolg? – »Den überlasse
Der Liebe!« – Du wagest alles, Freund!
Denn Sonnemon, so leicht sie scheint,
Ist schwerer zu täuschen als man meint;
Drey Jahre sind lang! – »Und wären's sieben,
Um Dich sind's sieben Tage nur!«
Und keine andre Kreatur
Noch Göttin in dieser Zeit zu lieben?
Und mir zu schwören den heiligsten Schwur,
Kommst du zurück, mir nichts zu schweigen,
Dein ganzes Herz, mir offen zu zeigen,
Um keine Sylbe die Wahrheit zu beugen?
Getraust du dir's? – »Und Sonnemon
Verspricht mir dafür der Minne Lohn?«
Ihr Herz mit allen Zubehören!
»Hier bin ich, bereit dir zuzuschwören
Was du verlangst! – Drey Tag' allein
Vergönne mir noch hier zu seyn,
Von deinen Blicken meine Seele
Durchstrahlen zu lassen!« – Herzlich gern!
Doch merke was ich dir befehle!.
Man muß sich vorsehn mit euch Herr'n.
Du könntest dich in eine Höhle
Drey Jahre verkriechen. Dieß wäre List,
Herr Gandalin! Die Meinung ist.
Auf Abenteuer auszuziehen,
Und während aller dieser Frist
Vor keiner Liebesgefahr zu fliehen!
»Ich schwör' es!« – Hier ist meine Hand,
Des Gegenschwures Unterpfand!

Der Ritter küßt auf seinen Knien
Die kleine lilienweiße Hand,
Ganz außer sich vor Freud' und Wonne:
Ihm däucht, es schein' eine andre Sonne,
Die Erde sey neu geschaffen ringsum,
Und alles tanz' um ihn herum.


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