Christoph Martin Wieland
Gandalin oder Liebe um Liebe
Christoph Martin Wieland

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Fünftes Buch

In solchen Gedanken erreichte mein Held
Das Schloßthor, ohn' es zu gewahren.
Das haben Verliebte von zwanzig Jahren
Voraus! Sie könnten die weite Welt
Umgehn, umtrotten und umfahren:
An guter Gesellschaft leiden sie
(Zumahl in Wüsten) niemahls Mangel;
Sie kämen, mit ihrer Fantasie
Allein, von Goa nach Archangel
Und Lissabon, und wüßten nicht wie.

Die Iris that hier wieder das beste.
Das Thor, ging auf. Mein Paladin,
Geputzt als wie zu einem Feste,
Geht ein, durchwandert wie letzthin
Viel Gäng' und Sähle, und findet – (ich wette,
Ohne den Reim da hättet ihr's nie
Errathen) das Fräulein – schon im Bette.

Im Bette! – Das heißt die Galanterie,
Denkt ihr, ein wenig weit getrieben!
Dem Ritter selbst, beym ersten Blick,
Wollte der Umstand nicht belieben.
Er stolpert' einen Schritt zurück,
Wiewohl der Vorhang auf allen Seiten
Gezogen war. – »Wie soll er's deuten?
Was kann sie meinen?« – Kurz, ihm war
Nicht heimlich dabey. – Doch hätt'er den Staar
An beiden Augen haben mögen,
Er hätte nicht mehr als itzt gesehn,
So richtig schloß der Vorhang, so schön
War alles in Ordnung. – Ungesehn
Und ohne sich (wie es schien) zu regen,
Entschuldigte sich die Dame wegen
Dem ungewöhnlichen Empfang
Mit einer Migräne vom ersten Rang,
Bat ihn, am Bette ungescheut
In eine Bergere sich zu pflanzen,
Und ließ trotz ihrer Unpäßlichkeit
Gar weidlich ihre Zunge tanzen;
Erzählt mit Laune, satirisiert,
Mahlt Porträts, wie Marivaux nicht feiner
Sie mahlt', und macht (wie sich's gebührt,
Damit die Erzählung interessiert)
Das Kleine größer, das Große kleiner.
Das ging wie ein Wetter! Blitz auf Blitz,
Einfall auf Einfall! Empfindung und Witz,
In ewigem Wechsel! Und solch ein Leben
In ihrem Ausdruck! die Farben so warm!
Die Schatten so sanft, man sah sie schweben!
Alles so leicht, so ohne Bestreben
Zu schimmern, und doch so fein gegeben!
Und selbst ihr Spott so ohne Harm!

Herr Gandalin, mit verschränktem Arm,
Und Augen, die seinen Ohren hören
Helfen möchten, (auch wär' es Kunst
Was andres hier zu thun als hören)
Sitzt da, als wie in Nektardunst
Ein Gott beym Lustgesang der Sfären,
Und wünscht, es möchte so ewig währen.
Und gleichwohl, Freunde, wollt' ich schwören,
In minder als einer Stunde lang
War ihm – vor lauter Wohlseyn bang.

Wie sollt's auch anders? Natur bleibt immer
Natur! – Ein junges Frauenzimmer
Im Bette – Da denkt sich die Fantasey
Gleich allerley Nebendinge dabey;
Und Er, so nah in seiner Bergere,
Dem Zug der magischen Atmosfäre
So ausgesetzt! – Wir wissen zwar
Wie gut der Vorhang gezogen war:
Doch, wär' er auch mit Nadeln verriegelt,
Mit Distelköpfen garniert, ja gar
Mit Salomons großem Ringe versiegelt;
Das bessert die Sache nicht um ein Haar.
In solcher Verfassung ist eine Schöne,
Und wäre sie bis an die Zähne
Wie eine Mumie einballiert,
Dem innern Auge nicht mehr drappiert
Als Venus Anadyomene;
Das heißt – nicht allzu gut verwahrt!

Wenn dann noch, wie bey Gandalinen,
Die Neugier mit dem Instinkt sich paart;
Die Dame hinter den Gardinen
Ein Wesen gar von höherer Art,
Ein Wunder der Welt, die zehnte Muse,
Die vierte Charis, die zweyte Meduse,
Kurz, etwas ist, woran die Natur
Sich ungewöhnliche Mühe gegeben,
Und ihren Schleier aufzuheben
Von allen Sterblichen Einem nur
Vergönnt ist; und dem Manne neben
Dem Bette flüstert Satan ein:
»Er könnte vielleicht der Einzige seyn« –
Gesteht, bey so bewandten Sachen
Hätt' es euch selbst, so klug ihr seyd,
Begegnen können, aus Menschlichkeit
Wohl einen dummen Streich zu machen!

Dem Ritter wurde zum Schwitzen warm;
Er streckt bald dieses Bein, bald jenes.
Stemmt sich auf diesen und jenen Arm,
Und hört von allem was sie ihm Schönes
Und Witziges sagt, wie zwischen Traum
Und Wachen, wohl die Hälfte kaum;
Hat immer auf Einfäll' oder Fragen
Nichts – oder was ungeschicktes zu sagen;
Scheint viel zu denken, an seinem Daum
Nagend, und immer sich selbst zu fragen:
Was dacht' ich da? – Man will gar sagen,
Er hätte des Vorhangs äußersten Saum,
Zu Häupten, mit Zeigefinger und Daum
Ganz sacht ein wenig weggeschoben:
Allein zu einer Beschuldigung
Von solcher Schwere gehören Proben!
Herr Gandalin war freylich jung;
Und alles erwogen was wir oben
In Rechnung gebracht – genug, zum Glück
Erzählte im nehmlichen Augenblick,
Da die Gefahr sich zu vergessen
Aufs höchste stieg, die Dame just:
»Wie ein Französchen sich einst vermessen
Wollen, und wie sie ihm die Lust
Dazu vertrieben.« – Nicht anders als zücke
Ein Blitz gerad an ihm vorbey,
Schnappten beym ersten Worte die drey
Schon ausgestreckten Finger zurücke:
Und so ersparte ihm dieses Mahl
Der gütige Zufall eine Qual –
Wovon die mächtig große Zahl
Der Leutchen, die sich nichts übel nehmen,
Nie was begreifen konnten – die Qual
Sich seiner vor sich selbst zu schämen!

Was konnte der gute Ritter nun
Für seine Sicherheit klügers thun,
Als stracks, wie Fräulein im Erzählen
Pausierte, nach der Uhr zu sehn,
Sich ihr zu Gnaden zu empfehlen,
Und sachte seiner Wege zu gehn?
Nun ließ er's zwar daran nicht fehlen;
Er ging. Allein ich weiß nicht was
Ging mit, so bald er den Rücken wandte,
Das ihn wie Feuer im Busen brannte.
Es war nicht Liebe – es war nicht Haß
Denn, wenn er sie liebte: warum denn nannte
Er ihren Nahmen sich selber nie?
Die Unsichtbare, die Unbekannte,
Das Fräulein wie heißt sie schon? – und nie
Je länger je lieber! – Haßt' er sie:
Woher die tödliche Langeweile
Wo Sie nicht war? – und ewig: »Was mag
Die Glocke seyn?
« den ganzen Tag,
Und immer geklagt, die Sonne theile
So ungleich mit der Nacht! – und dann,
So bald sie untergeht, die Eile,
Die Ungeduld! – und die Laune, wann
Der König ihn ungefähr bey Hofe
Zurück hält, oder die Kammerzofe
Des Fräuleins (wie sich's dann und wann
Begab) die leidige Nachricht brachte,
Sie sey aufs Land, sie übernachte
Bey einer Freundin, oder so was,
Das seine Hoffnung zu Wasser, machte!

Ich weiß nicht – aber alles das
Macht seinen Zustand schier verdächtig.
Doch, muß man sagen, (so wenig der Schein
Ihm schmeichelt) er blieb doch seiner mächtig;
Blieb immer standhaft bey seinem Nein,
Wenn Fragen an sein Gewissen pochten,
Die ihm verfänglich Scheinen mochten.
Die Schwüre, die er von Zeit zu Zeit
In dieser versuchungsvollen Lage
Der holden Sonnemon erneut,
Gewannen nun mit jedem Tage
Um so viel mehr Verdienstlichkeit,
Weil eine kleine Begebenheit
Die vorbesagte Lage ziemlich
Verschlimmert hatte. Die Sache ist zwar
Des Ritters Klugheit nicht sehr rühmlich;
Allein, was thut das? Wahr ist wahr!

Gewohnheit, Vorsatz, oder beide
Hatten die oberwähnte Begier
Nach unerlaubter Augenweide
(Wovon er mehr als Einmahl schier
Das Opfer geworden) unmerklicher Weise
Eingeschläfert; doch freylich so leise,
Daß auch der leiseste Mückenstich
Sie weckte. Nun hatte des Fräuleins Zofe
Die Art von vielen Mädchen bey Hofe,
Die gern in alles, sonderlich
In Herzenssachen, ihr Schnäutzchen stecken,
Und, wär's auch nur für andre, sich
Mit Amorn gar zu gerne necken.
Besonders nahm sie die schönen Knaben
Gelegenheitlich in ihren Schutz,
Die über Kaltsinn oder Trutz
Von ihrer Göttin zu klagen haben.
Sie hörte sie voller Mitleid an,
That was sie konnte, den armen Sündern
Die Schmerzen mit ihrem Troste zu lindern.
Und hätt' oft gerne noch mehr gethan.

Mit solcher Neigung zu Liebeswerken,
Fiel's ihr nicht eben schwer, zu merken
Daß unsern Ritter der ewige Zwang,
Das Fraulein nur hinter Wolken zu sehen.
Zu manchem stillen Seufzer drang.
Das ließ sie sich so zu Herzen gehen,
Daß sie zu etwas sich entschloß,
Das unter allen Zofen auf Erden,
Nicht zwey – der dritten verzeihen werden.

Urtheilet selbst! – Des Fräuleins Schloß
Stieß hinten an einen großen Garten,
Und schlängelnd durch den Garten floß
Ein Bach, mit Büschen aller Arten
Umgeben, Hohlunder und Schasmin,
Rosen, Akacia, und so weiter –
Auf glatten Kieseln, still und heiter
Rieselt' er zwischen den Büschen hin
Sich windend, blinkte wie ein Spiegel
Bald da bald dort durch wankendes Rohr
Und dünn gewebte Zweige, verlor
Allmählich sich hinter einem Hügel
Voll Bäume, kam anderswo hervor,
Machte bald kleine Wasserfälle,
Bald unter Felsen und wildem Gesträuch
Zum Baden eine sichre Stelle,
So heimlich, still und dunkel, daß euch,
So wie ihr den Ort betratet, gleich
Die Lust zu baden ergriff. –

                                – »Herr Ritter,
(Sagte die Zofe) Sie dauern mich!
Mein Fräulein macht Ihnen das Leben bitter.
Sie ist auch gar zu wunderlich! –
Auf ihre Gefahr! – Zum wenigsten ich,
Ich habe keyn Herz, den armen Nächsten
So leiden zu sehn! gestehe gern,
Ich bin auf diesem Fleck am schwächsten,
Und denke, schöne junge Herr'n
Sind drum nicht weniger unsre Nächsten
Als andre Leute – kurz und gut,
Sie sind doch unser Fleisch und Blut!
Und, Gott verzeih' mir's! die armen Seelen
So heidnisch zu plagen und zu quälen,
Ist wahrlich Sünde; ich legte dafür
Die Hand ins Feuer! – Wohlan, Herr Ritter,
Ich schaffe Rath. Was geben Sie mir,
Wofern ich Ihre Neubegier –
So viel als hinter einem Gitter
Von Laub und Buschwerk möglich ist
Noch diesen nehmlichen Abend stille?«

Der gute Ritter, in der Fülle
Der trunknen Freude, herzt und küßt
Das Mädchen, und leeret seine Säcke
In ihre Schürze! –Kurz, noch heut
Verspricht die Zofe ihm ohne Decke
Ihr Fräulein zu zeigen. Ort und Zeit,
Mittel und Weg, Gelegenheit
Des Bades, und alles lang und breit
Wird ihm aufs klärste vorgespiegelt;
Anbey, zu mehrerer Zierlichkeit,
Der Handel mit einem Kuß versiegelt.

»O Ritter, Ritter Gandalin!
Wo kommt's mit eurer Treu' noch hin?
Wer hätte sich deß zu euch versehen?« –
Es ist, ich muß es selbst gestehen!
Abscheulich! – »So geht's – wie oft ist's euch
Seit Adam und Eve bewiesen worden! –
So geht's, wenn Menschen – die doch zum Orden
Vernünftiger Wesen gehören – sich gleich
Bey jeder Versuchung von ihren Begierden
Hinreißen lassen! Moralisierten
Die Leute nur sieben Minuten lang
Mit kaltem Blut erst über die Sachen,
Sie würden solche Streiche nicht machen!
Allein da läßt man sich vom Hang
Der sinnlichen Lüste« – Herr Sittenlehrer,
So dankt dem Himmel doch dafür,
Daß es so ist! Was wolltet denn Ihr
Beginnen, ihr andern Weltbekehrer,
Wenn's anders würde? – Ich wette, dann
War's wieder nicht recht! An aber und wann
Wird's euers gleichen nimmer fehlen.
Itzt, da wir nicht klüger sind – als ihr,
Ist ewiger Hader: würden wir
Weiser, (wiewohl die Natur dafür
Gesorgt hat!) so ging' es an ein Schmählen
Auf unsre Weisheit. –.Ich sag' es auch,
Es ist ein garstiger böser Brauch
Daß sich die Leute so gern vergaffen,
So sorglos in jede Grube hinein
Stolpern, und immer, wie wahre Laffen,
Erst räsonieren hinter drein!
Die ersten Menschen, die wir erschaffen,
Die sollen ganz andre Leute seyn!
Inzwischen sparen wir unsre Lunge!
Was hilft das ewige Hadern und Schrey'n?
Wir schrey'n am Ende doch nichts hinein
Und nichts heraus!

                            Der gute Junge
(Um wieder nach diesem Seitensprunge
Auf ihn zu Kommen) hatte kaum
Nach Zöfchens Abschied ein wenig Raum
Sich zu besinnen, flugs erwachte
Die bessere Seele aus ihrem Schlaf,
Und sah was ihre Rivalin machte.
Anfangs guckte sie wie ein Schaf,
Bestürzt und mächtiglich verlegen.
Der Streich war gleichwohl zu verwegen!
Doch stritt sie, nach ihrer guten Art,
Zuerst gelassen mit Gründen dagegen.
Allein da jene, nach ihrer Art,
Statt Gründe bey Gränen abzuwägen,
Nur platt auf ihrem Sinn beharrt.
So kam's von Worten zuletzt zu Schlägen.
Die Heldin kämpfte ritterlich
Auf Leben und Tod, auf Hieb und Stich;
Nur für den Erfolg kann niemand stehen,
Zumahl in diesem Seelenkrieg!
Die blonde Seele verdiente Trofeen:
Allein – was ihr vorher gesehen
Geschah – die braune behielt den Sieg.


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