Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVIII

Die letzte Sensation für Riechenberg ist das Fest, das Wiltangel dem Gymnasium im Goldenen Löwen gibt. Es ist derselbe Saal, in dem dem Wohltätigkeitsausschuß die Petersilie verhagelte. Auch diesmal gibt es Ehrengäste, die Powels, die halbe Fischerstraße, August von der Domäne, Fräulein Bierkandt, Hugo Schreyvogel. Das Programm ist ein wenig anders, aber es gibt keine Revolutionen. Viel Heiterkeit, ein paar Tränen, etwas Rührung, keine Feierlichkeit. Die Glanznummer ist eine Wiederholung des vorigen Programms, ins Groteske übertragen. Der Wirt Zum Goldenen Löwen ist beseligt. Der Piccolo beschließt, nach den Pampas auszuwandern und Gaucho zu werden. Den Campleuten wird eröffnet, daß für jeden von ihnen in ein paar Jahren Platz auf der Hazienda San Juan sein werde. Und Jürgen Bechler soll der erste sein.

Der Morgen dämmert, als sie in geschlossenem Zug einmal den Markt umschreiten, Kiepel mit gezogenem Säbel voran, Schleichhase hinterher, eine Stange in den Händen, an der ein Luftballon befestigt ist. Und alle die andern, nebeneinander, Fischerstraße und Gymnasium, Honoratioren und Volk.

Die ersten Spatzen kommen in die Dachrinnen hinaus, und hinter den Gardinen springen die verschlafenen Fenster auf.

»Meine Brüder«, ruft Wiltangel von der Steintreppe herunter, »wir sehen uns wieder! Bis dahin, meine Brüder, beugt euch nicht! Und eins vergeßt nicht: behaltet eine Handvoll Saat, bis eure Stunde kommt! Ein Handvoll Treue oder eine Handvoll Kraft oder eine Handvoll Liebe. Und für alles andere laßt unsere Mutter Erde sorgen, die keinen von uns verstößt!«

Und er legt die Hand um Barbaras Schultern und führt sie durch die Tür ins Haus, unter der die kleine Glocke leise läutet.

Und das Ende ist wie der Anfang. Kiekebusch verkauft wieder Bahnsteigkarten, aber weit mehr als zweihundertfünfundsechzig. August schleppt mit Doligkeit das Koffergebirge auf den Bahnsteig und starrt grübelnd auf die Metallbeschläge. Die beiden hohen Lampen brennen, und in ihrem Lichtkreis sieht man die weißen Flocken dicht und lautlos fallen. Bäume und Dächer hängen voll dunkler Poweltrauben. Der Zug donnert in die schwarze Menschenmauer, und aus allen Fenstern beugen sich verblüffte Gesichter. »Tja, unser Indianer«, sagt Kiekebusch zum Zugführer, »da fährt er nun hin.«

Als die Maschine anzieht, scheint in jeder Hand eine Lampe zu funkeln, der Treue, des Schmerzes, der Zukunft. Fräulein Bierkandt hebt ihr Spitzentaschentuch von den Augen, mit denen sie nur Nebel sieht, und der Apotheker, neben dem Zuge herlaufend, ruft mit einem tapferen Lächeln: »Ein kleines Zimmer, Wolf … nur daß ich das Abendrot sehen kann … in drei Jahren …«

Das ist das letzte, was Wolf und Barbara hören. Der Heizer schleudert frische Kohlen auf die Feuer, und aus dem niedrigen Schornstein der Lokomotive sprüht ein Sternenregen über das dunkle Land.

 


 << zurück