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XIV

Schon als er neben dem Boot im Dunklen stand und die Kette noch unentschlossen in der Hand hielt, wußte er, daß es sinnlos war, zu grübeln, abzuwägen, zu entscheiden. Daß die Entscheidung lange vor dieser Stunde gefallen war. Vielleicht, als er den Körper des Kindes an seiner Brust gefühlt hatte. Vielleicht in jener Dämmerstunde im Gewächshaus. Vielleicht schon, als er von der Hazienda San Juan aus die Kabine zur Überfahrt bestellt hatte. Er beugte sich ein wenig unter diesem Gefühl des Unabänderlichen, wie es ihn beugte, daß das Ergebnis dieser Nacht schon, in den Elementen zusammengeschlossen, auf die letzte Kristallform wartete. Und bevor er die Ruder ergriff, saß er noch eine Weile auf dem Bootsrand, von den Wellen gehoben und gesenkt, und sah auf den See hinaus, dessen Dunkel von dem Schaum des Wassers auf eine fahle Weise erleuchtet wurde. Er wußte nun, daß er nie mehr zurückkehren würde, weil es nicht guttat, aus dem Begrenzten eines Lebensraumes in ein andres Begrenztes überzutreten. Weil es müde machte wie eine andre Luft, die mit Keimen einer andren Welt erfüllt war und die in die Organe hineindrängte, um einen Herd des Wachstums und der Zerstörung zu finden.

Er tauchte die Ruder ein und arbeitete sich auf den See hinaus. Er wendete das Boot erst, als er das Licht über dem Garten sah. Der Sturm trieb ihn nun, und er hatte nur die Ruder ausgebreitet zu halten, um nicht abgetrieben zu werden.

Die Schwärze des Gartens war wie die eines Gewölbes. Oben wühlte der Sturm in den Pappeln, unten beugte er Gras und Büsche zur Erde, und mitunter, wenn ein Sprung in der Kuppel der Wolken sich auftat, lag ein fahles, metallenes Licht über Gängen, Buschwerk und Beeten. Die Luft war vom Atem ferner Wälder und Äcker erfüllt, von umgebrochener Erde, von Stoppelbreiten, auf denen das verlorene Korn sich schon zu neuer Saat in die Erde senkte. Die Stadt war ausgelöscht, zerweht, vergangen. Die Stunden lagen groß und aufgeschlagen vor der Zeit.

Das Licht im viereckigen Fenster stand als das Unveränderliche im großen Brausen, als der Anfang und das Ende der Welt. Es hatte keinen Sinn, von ihm fortzublicken, zu den Wolken empor, auf den fahlen Rand des Wassers. Das Fortblicken änderte nichts an den Entscheidungen. Es verzögerte, es hielt hin, aber die Entscheidung trieb auf das Licht zu wie eine dunkle Strömung. Recht würde versinken und Unrecht, Gut und Böse, und nichts würde sein als das Gefälle des Schicksals, das ins Notwendige trieb. Und er klopfte leise an das dunkle Fenster.

 

Um Mitternacht verändert sich langsam die Erde. Ein paar Sterne springen lautlos aus den Spalten des Gewölbes, tauchen unter, sind wieder da. Sie ändern nichts an der Dunkelheit, sie verändern nur das Zugeschlossene der Nacht. Es ist, als ob eine Straße in der Nacht erwache, ein paar Haustüren, ein verlorenes, unruhiges Licht. Aber noch immer geht der Sturm über Wasser und Erde. Die Dächer klappern, die Schornsteine heulen, das letzte Laub prasselt an die Scheiben. Die Vorhänge wehen lautlos in die Zimmer hinein, ein kühler Hauch gleitet über die Gesichter der Schlafenden, auf den Böden bewegt sich das Gebälk. Die Uhren ticken, an allen Wänden, über allen Straßen, und die Perpendikel eilen von Sekunde zu Sekunde, zu Minuten, zu Stunden, als schöpfen sie die Sandkörner der Zeit in unsichtbare Kammern. Niemand sieht ihnen zu, niemand hört ihnen zu, und in den dunklen, großen Mauerkolossen sind sie das einzige lebendige Dasein, die zerbrechlichen Achsen der Zeit.

Noch immer ist es dunkel. Die Wälder hinter dem See sind unsichtbar, die Äcker, die Straßen mit den sich biegenden Bäumen. Die Wurzeln schlafen, die Tiere, die Steine. Und dann gleitet der Schatten einer Katze über den Zaun der Schneidemühle, ist ein dunkler, langgezogener Strich über der Straße, ein klirrender Ton über dem Drahtzaun gegenüber, ein grünliches Licht zwischen bergenden Büschen, eine Vision, nichts. Und dann klagt ein Hund auf dem Hof eines Nachbarhauses, ein winselnder Laut, keine Klage an den Mond, keine Warnung vor dem Sichtbaren einer Gefahr, sondern die formlose Angst einer Kreatur, furchtsam mit leise sich sträubenden Haaren in das Dunkel eines Winkels gedrückt.

Aber noch geschieht nichts. Ein rötlich vorgleitender Schein am Ende des Lagerplatzes, wo die Wellen bis an die Bretterstapel schlagen. Es wird Lurkschies mit seiner Lampe sein, der die Wache hält.

Jetzt ist es an einer andren Stelle, inmitten des Bohlenlagers. Vielleicht hat er zwei Lampen, weil der Sturm zwischen den Stapeln braust und die Wolken sich nicht weiter öffnen als bis zu einem Spalt für zwei oder drei Sterne.

Jetzt ist es im Sägewerk, vor den Kesseln, wo die Berge von Sägemehl liegen. Aber vielleicht bläst er einen Rest der Kohlenglut an, um seinen Hafer zu wärmen, denn der Sturm stößt durch Mantel und Kleid. In den kleinen Fenstern spiegelt sich das Licht, erlischt, ist wieder da. Ein rötlicher Wanderer im Dunkel der Nacht, unruhig, nach dem Wege suchend. Weshalb klagt der Hund von neuem? Es wird ein junges Tier sein, und sie hätten es hineinnehmen müssen ins Haus. Es weiß noch nichts von den großen Stürmen der Tag- und Nachtgleiche, von den Donnern, Dröhnen und Heulen der Lüfte, die aus den großen Wäldern kommen, über die großen Äcker, über die schäumenden Seen. Es weiß nur von fröhlichen Spielen mit Kindern, Garnspulen und Bällen, von Wagen, die man bellend verfolgen, von Hühnern, die man bedrohen und verscheuchen muß.

Und weshalb steigt aus dem Taubenschlag über der Mahlmühle eine weiße Taube flügelklatschend empor? Hinausgeschleudert ins Weglose, kreisend, und mit angezogenen Schwingen zurückschießend in das bergende Haus? Welche Träume haben sie verwirrt? Weiß sie nicht, daß das rote Licht noch schläft hinter den östlichen Wäldern, in denen die Bäume sich biegen unter der kalten Faust?

Niemand hört das Klirren des Fensterflügels, gegen das der Sturm sich wirft. Niemand sieht die Gestalt auf dem Verandadach. Sie steht still und wendet sich dem Sturm entgegen. Sie trinkt den großen Atem der Ferne, und vor ihren Augen stehen die Wälder und Äcker auf, die rollenden Berge des Meeres, die Ebenen hinter dem großen Strom.

Aber bevor die Gestalt die Hände um das Weinspalier legt, hebt sie einmal prüfend, witternd den Kopf. Sie schließt die Augen, um die Schärfe des Geruchsinnes nicht durch die Bilder der andren Sinne zu stören. Sie kriecht bis an den geneigten Rand des Daches, vorsichtig, aber schnell, und beugt sich vor, um am Giebel vorbei in das Dunkle sehen zu können. Ein leiser Ruf, den der Sturm verweht. Ein, zwei Sprünge ans Fenster zurück. Die Hand klopft, schnell, dringend. Gefahr. Ein geflüstertes Wort. Antwort. Noch einmal. Dann steht Wolf auf der Erde. Im Schatten der Büsche entlang. Der Zaun. Das Lager. Das Licht. Drei Lichter sind es, die er nicht sieht, aber deren Schein schon aufspringt über das Holz, ein rötlicher Nebel, den der Sturm nicht zerreißt. Da ist der erste der langen Gänge zwischen den Stapeln. Ein dunkler Schacht, in dem das schimmernde Licht des Holzes ertrinkt. Der zweite. Vorbei. Das Kesselhaus. Mit einem Schlage springt das rote Licht über alle fünf Fenster. Flackert, jagt, erstickt, ist wieder da. Quergang eins, zum See geöffnet. Der Sturm rast wie durch einen Ventilator in dem engen Schacht. Haushoch ragen die Bretterstapel. Quergang zwei.

Plötzlich schweigt, stockt, lauert die Luft einen Herzschlag lang, aber in die unbewegte Fläche seines Schweigens stürzt der klirrende Ton eines fallenden Körpers, eines Gegenstandes, aus Eisen oder Blech, stürzt nach dem Gebrüll der Lüfte mit einer furchtbaren Deutlichkeit in den Abgrund der Stille, an den Wänden entlangstreifend, hängenbleibend, sich lösend, bis der Boden es empfängt. Eine Lampe vielleicht, ein kleines Ding aus Eisenblech und Glas. Und dann heult es von neuem vom See herauf, und alles ist nicht gewesen, vorbei, geträumt.

Aber die Richtung war, die Ahnung, der Verdacht. Einen Quergang weiter, und es ist da. Die lange, hagere Gestalt, die Schirmmütze über dem starren Gesicht, und dahinter der zusammengekrümmte Schatten, noch riesengroß hinter dem kleinen Licht. Holzwolle, Sägespäne, getränkte Lappen, von langen Händen hineingeschoben in die Fugen der Stapel, bis der Sturm es faßt und das leise Sausen der wachsenden Flamme unter die Bretter schießt, Funken verschleudernd, Rauch, Knistern, Gefahr.

Als der Schatten sich aufrichtet, steht Wolf auf seinem dunklen Leib. Von hinten, vom Rande des Sees, steigt schnell ein roter Schein über Stapel und Gang. Wie eine Rakete aus einem Tal. Lurkschies dreht sich um. Keine Freude ist in seinem Gesicht, keine Rache, kein Haß. Nicht einmal Schreck. Die Augen, die auf seinen Schatten fallen, fallen auf Wolf, aber in dem langen, hageren Gesicht ändert sich nichts.

Im Kesselhaus springt ein Fenster auseinander. Der Sturm wird warm, in den Gängen knistert die Luft, und unter den Wolken tauchen kleine Sterne auf, jagende Funken, die inmitten der Bahn erlöschen, immer mehr, ein Sternennebel, der um eine ferne Achse kreist. Die Dächer der Straße tauchen schon auf, rötliche Wände, schräg geneigt, Schatten der Schornsteine, quer hinübergeworfen auf die nächste Wand. Gerippe von Bäumen, hinausgreifend ins Licht, Taubenflug wie Papierfetzen über einem glühenden Ofen. Die Hunde schlagen an, ein heulender Ruf, von Hof zu Hof, die Straße entlang, den Markt, die Ufer, die Vorstadt. Steil aufwärtssteigend, aus zurückgebogenem Hals, Fontänen der Angst, aus erschütterter Erde aufbrechend, an die Türen schlagend, die Fenster, das Schweigen, den Schlaf.

Und immer noch gehen die Perpendikel an der dunklen Wand, schon rot betastet von feuriger Hand, eilig, eilig, durch Träume, Bilder, Stöhnen und Atem.

Und dann ist es ein Kind, das die Stadt erweckt. Ein Kind auf der anderen Seite der Straße, das ein Fenster aufreißt, Schlaf im Gesicht, und das Feuer hineinschreit in den Schlaf der Menschen und Räume. Der hohe Ruf steigt steil aus dem rötlichen Dach, ein weißer, verzweifelter Schrei, hoch über dem Heulen der Hunde, dem Donner des Sturmes, dem Jagen der Flammen, dem Gang der Perpendikel, dem Schlag der Kirchenuhr.

Von diesem Schrei erwacht Lurkschies. Seine Augen kehren zurück und umfassen das andere Gesicht, fliegen einmal zur Seite, wo der weiße Giebel rot über dem Garten steht, und kehren zurück in die Augen, die seinem Blick gefolgt sind. »Der Herr ist verreist«, sagt er langsam, bückt sich nach seiner Lampe und geht den Gang hinunter, in dem der Rauch wie ein Nebel treibt. Eine Minute später brüllt eine Sirene über den Hof.

Sie rettet nichts. Eine wilde Fackel steht taumelnd über der Stadt, die ganze Nacht, bis an den Morgen. Über ihr sind die Wolken erhellt, Berge, Schluchten, Täler, Ebene und Hang. Die Fackel brüllt in die Sterne hinein, kehrt zurück, wirft sich schräg wie ein stürzender Schornstein über die Stadt, stürzt sich mit roten Armen auf Straßen, Bäume, Dächer, richtet sich wieder auf, dreht sich einmal um sich selbst, Funkenschleier um sich wirbelnd, ein plumpes, tanzendes Götzenbild.

Ausgerissene Türen, Fenster, Augen, Gebärde. Hausrat, der auf den Höfen zerflammt. Spritzen, an denen der Atem keucht. Wasserfäden, die zerstieben wie ein Tropfen auf einem Herd. Signale von Chausseen, Pferdeleiber, leuchtend von Schweiß, Funkeln von Messing und Stahl, das aus der Nacht wie aus der Erde taucht. Der Bürgermeister ohne Mantel und Hut. Kiepel wie ein Schatten hinter ihm her. Das Dröhnen der Glocke hinaus über das rötliche Land. Die Häuser zerbröckeln und sind fort. Das Haus mit dem Kind. Das Siechenhaus. Der Krug »Zur fröhlichen Einkehr«. Die Fackel brüllt und treibt das Lebendige von ihrem Rand. Das Kesselhaus stürzt, der Schornstein stürzt, die Mahlmühle donnert in die Erde hinein. Die Funkenwand schießt über die Sterne hinaus.

An der ersten Querstraße fangen sie es auf. Über den Wäldern steht der gelbe Morgenschein. Krähen rufen draußen in der Welt. Nun erst kehrt die Zeit in die Stadt zurück. Es waren sechs Stunden, und sie haben es nicht gewußt. Straßen sind wieder da, in denen das Wasser fließt, der Hausrat sich türmt, Kinder weinen. Dächer sind da im grauen Morgenlicht, verkohlte Bäume, Ufer, Wasser, Wald. Die Flammen sind gesunken. Die letzten Bretter krümmen sich über der Erde, an den verbogenen Eisengerüsten leckt noch ein dunkelroter Schein. Das Sägewerk steht nicht, die Mahlmühle steht nicht, das Wohnhaus ist ein schwarzer Rahmen in einem Kohlenfeld.

Die Arbeiter stehen um das stinkende Feld, die Hände in den Taschen, und sehen finster dem Verschwelen zu. Der Bürgermeister und Kiepel stehen auf der Schwelle eines verkohlten Hauses und sehen die Straße entlang, über die der weißliche Qualm sich wälzt.

Lurkschies, die Schirmmütze über den Augen, steht neben der Spritze, den Knotenstock unter den gefalteten Händen, und sieht nach dem zusammengestürzten Kesselhaus. Er sieht aus, als würde er umfallen, wenn man ihn anstieße.

Das Kind, das die Stadt aus dem Schlaf geschrien hat, ist auf einem der Höfe erwacht, wo es in zusammengeworfenen Betten sich eingewühlt hatte, und sucht nach seinen Eltern. »Ja«, sagt es voller Stolz, »ich habe es zuerst gesehen. Und es brannte schon am See und im Kesselhaus und noch einmal zwischendrin …« Herr Gollimbek ist da, das Täubchen, und nimmt es zur Seite. Er beginnt mit den Zehn Geboten und dann mit der Geschichte vom Junker Hans, der über die Brücke mußte, und nachdem er das Neue Testament gestreift hat und den Rohrstock im Schrank, fragt er es noch einmal »auf Ehre und Gewissen«, ob es an mehreren Stellen zugleich gebrannt habe. Und dann nimmt er es an der Hand und geht zum Bürgermeister, der noch immer auf der Schwelle steht.

Und dann wird in einem der Höfe eine heimliche Besprechung mit dem Landjäger abgehalten, und dann lösen sich aus der Gruppe der Arbeiter ein paar Gestalten und bilden einen Halbkreis um Lurkschies, und dann setzt der Landjäger seinen Helm gerade und räuspert sich und geht um die Spritze herum, von hinten an Lurkschies heran.

Ein eiserner Träger stürzt in diesem Augenblick von einer geneigten Mauer der Mahlmühle in das Erdgeschoß hinunter. Noch einmal steigt eine Funkenwand herauf und öffnet sich wie ein Fächer über der Stadt, aber alle Augen sind auf die Spritze gerichtet. »Im Namen des Gesetzes …«, hört man die Kasernenstimme des Landjägers. Und im selben Augenblick sieht man Lurkschies die Hände mit dem Knotenstock nach vorn strecken, eine Automatenfigur, die man im Gelenk bewegt hat. Er empfängt die Handschellen, die überflüssig sind, ohne eine andre Bewegung als die der Hände, und während er mit seinem steifen Gang die Straße hinuntergeht, sehen seine Augen unter dem Schirm der Mütze unbewegt wie aus den Öffnungen einer Maske heraus.

Aber als Kiepel, drei Schritte voraus, die Tür der Bürgermeisterei öffnet, wird auf der andren Seite des Marktes die Tür der Apotheke geöffnet, und Wolf tritt auf die steinerne Treppe. In der still gewordenen Luft ist der Klang der Blechglocke deutlich zu hören, und Lurkschies bleibt stehen, hebt die gefesselten Hände nach der Apotheke und sagt ruhig, nüchtern, von keinem Zweifel bewegt: »Dat is de Brandstifter.«

Und dann geht die Sonne über Riechenberg auf. Der Sturm schläft ein, satt, zufrieden, von Qualm und Gestank erfüllt. Die Glocke des Gymnasiums tönt wie sonst, und wie sonst ist sie bis zum Marktplatz zu hören. Die Klassenbücher, Rubrik: Verspätungen, werden mit sechsundsiebzig Namen gefüllt. Die Campfeuerleute, rußgeschwärzt, kommen ohne Umweg von der Spritze, essen bei Schleichhase den ganzen Brötchenkorb leer und erfüllen den Raum der Untersekunda mit dem Geruch schwelender Balken. Fräulein Bierkandt vermittelt zwei Stunden lang Ferngespräche. Barbara liegt hinter verdunkelten Fenstern im Hotel Zum Goldenen Löwen, und Wolf sitzt im Tropenzimmer der Apotheke, trinkt schwarzen Kaffee, dreht eine Zigarette nach der andern und starrt mit gefalteter Stirn auf das Schachbrett, auf dem die letzte abgebrochene Partie stehengeblieben ist.

Am selben Abend wird C. A. Runge auf Anordnung der Staatsanwaltschaft aus einem Submissionstermin heraus verhaftet.

Zwei Tage später erhält Wolf eine Vorladung vor den Staatsanwalt der Kreisstadt, hat eine Unterredung mit seinem Vater, eine zweite mit Barbara, packt einen Handkoffer, findet sich zur befohlenen Zeit im Gericht ein, erhält eine Reihe von Fragen vorgelegt, auf deren größten Teil er die Antwort verweigert, und wird eine halbe Stunde später ins Untersuchungsgefängnis eingeliefert, in dem er noch am Abend eine Besprechung mit seinem Rechtsanwalt hat.

Eine Stunde später stellt Fräulein Bierkandt die Verbindung zwischen der Kreisstadt, Fernsprechnummer 37, und der Apotheke Zum Adler her, hört das Gespräch mit, schreit leise auf, ist eine Stunde darauf in der Offizin, tränenüberströmt, verflucht Riechenberg, die Justiz, die Welt und erklärt vor Vater Wiltangel, daß sie beschwören werde, mit allen Eiden des Alten und Neuen Testaments, daß Wolf die ganze Nacht bei ihr gewesen sei.

Am selben Abend erfahren es Barbara und Jürgen Bechler. Und während Bechler behauptet, daß das Camp in der Kreisstadt keinen Stein auf dem andren lassen werde, wenn ihrem braunen Bruder ein Haar gekrümmt würde, nimmt Barbara die kühle, bescheidene Hand des Apothekers, legt sie nahe an ihre Wange und sagt leise, nach einem tiefen Aufatmen: »Gott sei Dank …«


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