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Interludus, das heißt: sonniges Zwischenspiel zwischen Kumulus 2 und Kumulus 3: Am Nachmittag vor Frau Wiltangels Geburtstag tritt Wolf in das Gewächshaus der Gärtnerei Lorenz am See, um ein paar Goldlacktöpfe auszusuchen. Vor der Gärtnerei hält ein Wagen mit hochstämmigen Rosen, und Herr Lorenz hat eindringlich gebeten, ihn eine Viertelstunde zu entschuldigen, er müsse bei der Abnahme dabeisein.

Das Gewächshaus ist warm, feucht und so still wie ein Urwald um die Mittagszeit. Wolf geht langsam zwischen den Glaswänden entlang und fährt mit der Hand leise über die feuchten Blüten, die regungslos in sich verbrennen. All das andere ist nun fort, das Spiel mit Dingen und Menschen, und ein Hauch des Meeres weht erregend um seine Stirn. Bei den Orchideen bleibt er stehen und starrt gedankenverloren in die Feuerkelche hinein, die fremd in die friedliche Welt der bürgerlichen Flora hinunterhängen.

Als er den Gang durchschritten hat, seiner Absicht lange nicht mehr bewußt, und sich wendet, um den zweiten Gang hinaufzugehen, sitzt dort in der dämmerdunklen Ecke auf einem Ballen Torfmull Barbara. Im schwarzen Kleid, mit bloßen Armen, einen kleinen Topf mit einer winzigen Agave in den im Schoß gefalteten Händen. Sie hat den Kopf an die braune Holzwand gelehnt und sieht so, von unten herauf, in sein Gesicht, ein schwaches Lächeln um ihre Lippen, sehr schmal, ein wenig müde, als habe sie sich hierher geflüchtet und bitte ihn, sie nicht aus ihrem Asyl zu verstoßen. Das Abendlicht, das durch das trübe Fenster über ihren Scheitel fällt, fließt gedämpft bis zu ihrem Haar hinab und bleibt dort als ein matter Schein, der über ihrem Bilde schwebt. Sie braucht nichts zu sagen, denn Wolf fühlt das Unzulängliche und schreckhaft Laute jedes Wortes, das er sprechen könnte. Die Blüten der Orchideen brennen noch vor seinen Augen, und der feuchte Hauch der südlichen Meere ist noch um seine Stirn. Und die gelöste Müdigkeit aller Glieder, von denen die Herrschaft des Willens abfällt wie im beginnenden Traum. So kniet er, ohne sich zu schämen, vor der schmalen Gestalt nieder und legt sein Gesicht in ihren Schoß. Sie stellt die Agave zur Seite, in die braune Torfstreu, und faltet ihre Hände um seine Schläfen. Es ist keine Trauer in ihrer Bewegung, weder Verzicht noch Hoffnungslosigkeit, nur eine bergende Süße, jenseits von Recht und Unrecht. Und als er das Gesicht hebt, beugt sie sich ihm entgegen und empfängt seine Lippen.

In den Heizröhren rauscht das Wasser leise und fern wie dunkles Laub in einem dämmernden Wald, und von den Wedeln der Palmen fallen die sich verdichtenden und sich sammelnden Tropfen langsam und schwer auf den klingenden Boden. Die Stille strömt und tönt unter dem gläsernen Dach, aussetzend und wieder anhebend gleich dem Atem der brennenden Blüten, die sich verdunkeln und als düstere Flecken in dem grünen Dämmerlicht hängen. Kein Klang der Welt dringt durch die gläsernen Wände, denn da ist keine Welt der Menschen, der Dinge und ihrer Beziehungen. Da ist nur ein leiser Wind, in dem die Weinranken über das Glasdach tasten, und sein stiller Gang ist gesättigt von dem Schweigen blühender Wälder.

Das Dunkel fällt bergend und verhüllend über sie beide, über jede Gebärde und jede Form. Es begräbt sie in sich, vor dem Licht, dem Ton, der Bewegung, dem Schmerz. Es löscht aus, was gebrannt hat, es verbindet, was getrennt war, es kühlt, was geschmerzt hat. Es vollendet das begonnene und zerbrochene Schicksal.

Und als sie den Wagen fortrollen hören und Wolf sich erhebt, wissen sie beide, daß nun alles gut ist.

Und Wolf verschwindet in der Dunkelheit wie in einem fremden Wald.


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