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10.

Kornelias schlanker Fuß trat ungeduldig den teppichbelegten Boden.

»Aber Nettchen, wo bleibst du denn so lange?«

»Gleich, gnädiges Fräulein,« kam von außen die Antwort, und das Mädchen eilte, atemlos vom heftigen Treppensteigen, ins Zimmer.

»Nein, wie Sie aussehen. Wie eine schwarze Königin!«

»Warum denn eine schwarze?«

»Ach, ich weiß es nicht, so ernst, so feierlich, in dem dunklen Kleide. Als ob Sie zu einem Begräbnis gingen, als ob es ein Unglück geben müßte.«

»Eine ernste Rolle ist es ja auch, die ich spielen werde, wenn nur erst alles gepackt wäre. Ich habe keine Ruhe, bis der Zug geht.«

»Ach ja – und dann noch die weite Reise nach Wien.«

»Um so mehr solltest du dich eilen. Wie konntest du nur der paar Nadeln wegen so lange fortbleiben!«

Die Künstlerin wandte sich wieder dem Spiegel zu. Sie war mit der Schneiderin zufrieden. In weichen, schmiegsamen Falten umfloß das Königskleid der Brunhild ihren herrlichen Leib. Wundervoll hob der breite Gürtel mit der Goldschnalle die feine Taille heraus, und in dem schwarzen Haar glühte das Feuer düsterer Rubinen. Nettchen hatte recht, es lag etwas Unheimliches in ihrer Erscheinung, das ihr selber fremd vorkam, etwas rätselhaft Unbekanntes, vor dem man Grauen empfinden mußte. Das Schicksal – flog es ihr durch den Sinn, – das unabwendbare Schicksal, das sich in ihrer Gestalt verkörperte! Einmal mußte es kommen, früher oder später. War es nicht töricht, dagegen zu kämpfen, siegen zu wollen, wo man unterliegen mußte?

Nettchen, die sich durch die tadelnden Worte ihrer Herrin gekränkt fühlte, bezog auch den Seufzer des Unmuts auf sich. »Entschuldigen gnädiges Fräulein, aber ich habe geglaubt, daß es Sie interessieren würde –«

»Du weißt, daß mich zurzeit nichts interessiert als die morgige Reise nach Wien, mein Auftreten in der Burg.«

»Auch nicht, daß Herr Menacher wieder da ist?«

Mit großen Augen starrte Kornelia sie an.

»So ist er wieder frei, – wieder in seinem Geschäfte, bei seiner Schwester?« Freudige Erregung spiegelte sich in ihrem Blick. »Oh – dann ist ja alles gut. Aber woher weißt du das?«

»Vom Thia. Er ist mir auf der Straße begegnet und hat mir alles erzählt.«

»Daß sein Herr zurück ist?«

»Aus der Heilanstalt, wo sie ihn beobachtet haben, ja,« antwortete Nettchen zurückhaltend.

Ein Schatten bangen Verstehens glitt über der Tragödin eben noch erhelltes Gesicht. »Sie haben ihn für gesund erklärt? Das heißt ja aber –«

»Daß er wieder im Untersuchungsgefängnis ist,« ergänzte das Mädchen.

Kornelia warf sich, ohne vorher das Kostüm abzulegen, in den Lehnstuhl. Die Hände im Schoß gefaltet, blickte sie mit starrer Unbeweglichkeit in die leere Luft.

»Nur die Schwester hat ihn besuchen dürfen,« fuhr Nettchen fort.

»Und – was, – weißt du das auch –« zitterte es in fieberhafter Erwartung von Kornelias Lippen, »weißt du, was er ihr gesagt hat?«

Die Zofe zögerte. »Ach, – das Fräulein soll ganz verzweifelt sein. Es ist auch gar nicht zu glauben –«

»Was, – so sprich doch, um Gottes willen!«

»Daß er es doch gewesen, und daß man ihn gar nicht habe zu untersuchen brauchen.«

Jäh, mit entgeisterten Blicken schnellte die Künstlerin empor, so daß Nettchen scheu, wie vor einer Wahnsinnigen, zurückwich. »Das sagt er selbst, mit gesunden Sinnen? Aber das ist ja unmöglich, – wenn man ihn doch als geheilt entlassen!«

»Er behauptet jetzt alles genau zu wissen. Daß er, von Liebe und Eifersucht getrieben, nachts in die Mauerstraße gegangen und, ohne es recht zu wissen, die Tat begangen habe.«

»Er lügt, – er lügt,« schrie, einem Weinkrampf nahe, die Hände vor das Gesicht schlagend, Kornelia.

»Er muß es doch wissen, gnädiges Fräulein,« wagte Nettchen einzuwenden, – »denn er will ja dem Staatsanwalt ein offenes Geständnis ablegen oder hat es schon getan.«

»Dann – dann will er sich vernichten, sterben um mich, –« stöhnte die Tragödin, – »aber bis der Staatsanwalt die Anklage erhoben hat, – bis es zur Verhandlung kommt, –« der schrille Ton der elektrischen Klingel unterbrach sie. »Auch noch Besuch, – jetzt, wo wir alle Hände voll zu tun haben mit dem Packen der Koffer! Sieh nach, wer es ist. Selbstverständlich bin ich für niemanden zu sprechen.«

Nettchen, die hinauseilte, blieb ziemlich lange fort. An der Tür lauschend, ohne ein Wort zu verstehen, hörte Kornelia nur, wie sie mit dem Unbekannten verhandelte.

»Nun?« fragte sie die endlich wieder Eintretende.

»Eine Dame –«

»Doch nicht Fräulein Menacher?« war Kornelias erster Gedanke.

Nettchen schüttelte den Kopf. »Aber von der kommt sie. Es ist eine schon alte Dame, und sie will sich nicht abweisen lassen. Unbedingt müsse sie das gnädige Fräulein sprechen, denn sie könne nicht lange hierbleiben, und es sei ihre Pflicht einem Toten gegenüber –«

Kornelia hörte die letzten Worte kaum. Sie dachte immer nur an Martha und ihren Bruder. Vielleicht erfuhr sie durch die Fremde noch mehr über den unbegreiflichen Vorgang.

»Laß sie ein!« entschloß sie sich.

»Aber in dem Königingewand,« zauderte Nettchen.

»Laß sie ein, sage ich dir,« wiederholte Kornelia ungeduldig, und während das Mädchen sich entfernte, fuhr sie im erregten Selbstgespräch fort: »Was liegt daran. Ist nicht die Maske Wahrheit? Bin ich nicht eine Königin des Schmerzes, verderblich dem, der sich mir naht? Drückt nicht die Dornenkrone dies Haupt? Die Dornenkrone der Kunst! – Aber ich segne ihre blutigen Schmerzen. Mein Gott, laß mir die Kraft nicht zu früh versagen. Erst empor zum Gipfel, dem so lange ersehnten, erträumten. Nachher mögen sie kommen und mich ans Kreuz schlagen, wenn ich nur zu mir selber sagen darf: Es ist vollbracht!«

Zaudernd erschien eine hohe, doch von Gram gebeugte Frauengestalt auf der Schwelle. Tiefschwarzes Gewand umhüllte den hageren Leib, das silberweiße Haar, das das runzelvolle Gesicht mit den tiefliegenden Augen umkränzte, war das einzig Helle an dieser düsteren Erscheinung.

Aber die scharfblickende Künstlerin erkannte die Mutter Roberts sofort. Das waren dieselben schmalen, von energischem Eigensinn zeugenden Lippen, die scharf geschnittene Nase, der vorsichtig wägende, prüfende Blick, – nur erschien alles, bei dem Sohn durch die Jugend gemildert, hier herber und schroffer ausgeprägt.

»Sie also sind es?« Es lag bewunderndes Erstaunen in der Frage, die Künstlerin aber erbleichte unter diesen gleichsam messenden und wägenden Augen.

»Kornelia Heinloth,« sagte sie mit leise zitternder Stimme.

Immer noch zögernd, nahm die ehrwürdige Fremde den ihr gebotenen Sitz. »Sie verzeihen, daß ich Sie aufsuche. Es wäre längst geschehen, hätte nicht ein widriges Schicksal mich so lange von hier ferngehalten. Gleich, nachdem ich die Schreckenskunde erhalten, bin ich aus Indien abgereist. Aber die furchtbare Erregung, der Schmerz über den unersetzlichen Verlust ließen mich schon auf dem Schiffe erkranken. Drei Monate lag ich, mit dem Tode ringend, in einem englischen Spital, dann stellten sie mich wieder her, und nun, mit dem Herbste, konnte ich endlich meine Reise hierher fortsetzen, das Grab meines armen Sohnes zu besuchen. Von dort führte mich der Weg in das Menachersche Haus, aber ich konnte die Stadt nicht wieder verlassen, ohne auch Sie gesehen zu haben. Sind doch Sie die letzte gewesen, die mit Robert gesprochen.«

»Ja – ich war die letzte – .« Kornelia sagte es halb zu sich selbst, dann bemerkte sie lauter: »Fräulein Menacher hat Ihnen wohl von mir erzählt?«

»So viel Liebes und Gutes, daß ich mein anfänglich gegen Sie gehegtes Vorurteil aufrichtig bereue.«

Kornelia verbeugte sich leicht. »Ich weiß, die alten Anschauungen über uns Bühnenkünstlerinnen sind ja immer noch nicht ganz ausgerottet.«

»Zumal auf dem Lande und in den engen Verhältnissen, in denen wir lebten,« fiel Frau Rivinius ein, – »vom fernen Indien gar nicht zu reden. Aber Fräulein Menacher hat mir die Augen geöffnet, besonders über Sie, die ich so falsch beurteilt, und die Sie meinen Schmerz zu teilen wissen.«

Kornelia wandte sich ab, um den Ausdruck ihres Gesichts zu verbergen. »Sie können nicht ahnen, was ich alles gelitten habe,« bebte ihre Stimme, – »aber das Schrecklichste ist, daß nicht wir es allein sind, daß auch andere schuldlos um seinen Tod leiden.«

»Sie meinen diesen unseligen Menacher, der, einst Roberts Freund, aus wahnsinniger Liebe zu Ihnen sein Mörder werden sollte? Ja, Sie haben recht, man kann nur Mitleid mit dem Unglücklichen haben. Wenn seine Hand mir auch den Sohn genommen, ich kann ihn nicht verdammen um das, was er, trotz seines Geständnisses, unbewußt getan, und muß es als Gottes Willen hinnehmen, daß die Richter ihn nicht verurteilen können.«

»Glauben Sie das wirklich?« In Kornelias Stimme vibrierte atemlose Spannung.

»Nach dem, was ich von seiner Schwester erfuhr, gewiß. Denn wenn er ja nur das Werkzeug des wahren Schuldigen gewesen – –«

»Des wahren Schuldigen, – um Gottes willen, – wer ist das?«

Erstaunt über die seltsame Erregung der Künstlerin, blickte die schmerzgebeugte Mutter auf. »Ja, wissen Sie denn das noch nicht? Es soll ja schon in den Morgenblättern stehen.«

»Ich hatte noch nicht Zeit, einen Blick hineinzuwerfen, – da ich morgen nach Wien reise; aber sagen Sie, – wer, – wer?«

»Nun, jener Spiritist und Hypnotiseur, der dem jungen Menacher die entsetzliche Tat suggeriert haben soll, noch obendrein unser eigener Verwandter.«

»Haireddin-Bey?« klang es erschrocken. »Aber wie kommt man denn darauf?«

»Der Kriminalkommissar, der mit der Aufdeckung der näheren Umstände betraut ist, soll schon lange diese Spur verfolgt haben. Und Fräulein Martha, die gerade ihren Bruder mit seinem Verteidiger im Gefängnis hatte besuchen dürfen, wußte von diesem alles. Der Elende, der, um das Entsetzliche vollzumachen, mein eigener Vetter ist, und dem ich bei seiner abenteuernden Lebensweise nie viel Gutes zugetraut, hat, nachdem er anfangs aus der Stadt verschwunden gewesen, sich nun plötzlich wieder eingefunden und berechtigte Erbschaftsansprüche geltend gemacht. Ohne den Tod meines Sohnes hätte er das allerdings nicht können –«

»Und nun glaubt man –« unterbrach sie Kornelia entsetzt, ohne die Frage zu vollenden.

»Daß er ein Interesse an der Bluttat hatte, und daß ihm für seine verbrecherischen Absichten Menachers mediale Eigenschaften willkommen waren.«

»Und Anton selbst glaubt das auch?« rief Kornelia erblassend.

»Gerade das gibt ihm die Überzeugung, daß er die Tat, die man ihn kurz zuvor auf dem Lilienfeste schon wie zur Probe hat ausführen lassen, eine Stunde später in traumähnlichem Zustand wirklich begangen, und dementsprechend hat er gestern abend dem Staatsanwalt ein Geständnis abgelegt. Der aber hat zunächst die Verhaftung von Haireddin-Bey angeordnet, obwohl dieser seine gänzliche Unschuld beteuert und behauptet, von dem zwischen Menacher und meinem Sohne Ihretwegen bestandenen feindlichen Verhältnis nicht das geringste gewußt zu haben.«

Die würdige Dame, die ihren Schmerz bisher mühsam bezwungen, brach plötzlich in Tränen aus. »O mein Gott, – es ist zu viel! Erst das Unglück mit Robert und nun noch die Schande in der Familie, daß der Anstifter der Tat mein eigener Verwandter ist.«

Ergriffen kniete die Künstlerin vor der Weinenden nieder und suchte ihr die Hände vom Gesicht zu ziehen.

»Trösten Sie sich, Frau Rivinius,« bat sie in zu Herzen gehendem Tone, »auch seine Unschuld wird sich erweisen. Ach, daß auch Sie, die bei allem keine Schuld trifft, am schwersten leiden müssen!«

Die unglückliche Mutter trocknete ihre Tränen. Wie ein flüchtiges Aufleuchten der Freude ging es über ihre herben, gramdurchfurchten Züge.

»Oh – mein armer Sohn –« flüsterte sie halblaut, – »wie recht hat er gehabt, – Sie zu lieben!«

»Zu lieben –« floß es wie ein geisterhafter Wiederhall von Kornelias Lippen. »Ich habe es einst geglaubt. Wäre es nie geschehen!

O Percival, du hast mein Glück verwettet, –
Ein Spielzeug war dir dieses treue Herz.«

»Was sagen Sie da?« fragte Frau Rivinius, die nur wenig verstanden hatte, in betroffenem Tone.

»Ach – nichts, – Verse aus einer meiner Rollen, die mir gerade einfielen. Aus der ›Griseldis‹. Eine Stunde vor seinem Tode sprachen wir noch darüber.« Zusammenschauernd verhüllte sie das Gesicht. »Mein Gott, daß die Nacht nie gewesen wäre, daß ich sie für immer auslöschen könnte in meinem Gedächtnis!«

Roberts Mutter glaubte ihren Schmerz zu verstehen. »Wie entsetzlich auch, – gerade damals, als sich ihm das süßeste Glück, – die seligste Zukunft eröffnete, sterben zu müssen, in jenen Tagen, da er sich mit Ihnen verlobte!«

»Verlobte?« – Kornelia fühlte, wie ihr das Blut zum Herzen drängte, wie ihr der Atem stockte.

»Ja – waren Sie denn damals noch nicht seine Braut?«

»Braut!« In eisigem Grauen weiteten sich Kornelias Augen. »Er hat das Wort nie ausgesprochen!«

»Dann hat nur der Tod ihn daran gehindert.«

»Um Jesu Christi willen,« schrie sie auf, »was soll das heißen?«

Entsetzen durchrieselte sie, ihre Züge verzerrten sich krampfhaft, ihre Augen blickten irr. »Haben Sie denn je meinen Namen gehört, ehe Martha Menacher Ihnen von mir erzählte?«

»Wie oft hat er mir von Ihnen geschrieben, wie oft Ihre Tugend, Ihr Talent, Ihre Reinheit begeistert gepriesen, um meinen Widerstand zu brechen. Endlich gelang es ihm, – unter gewissen Voraussetzungen gab ich nach, und wenige Tage vor seinem blutigen Ende muß er ja meine Einwilligung erhalten haben.«

Wie Wahnsinn flammte es aus Kornelias Augen, ihre ganze Erscheinung war nur noch ein Bild maßloser Verzweiflung. Der letzte Blutstropfen wich aus ihrem Gesicht, und wie erloschen starrten die Augen ins Leere.

Was sich da mit dem Stöhnen einer Sterbenden aus ihrer Brust herauskrampfte, klang kaum mehr wie ein menschlicher Laut:

»Er – er hat es ernst gemeint, – ich sollte sein Weib werden –, und ich Unselige habe ihn getötet!«

Bewußtlos brach Kornelia Heinloth zu den Füßen der unglücklichen Mutter nieder. – – – – – –


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