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2.

»Ei, ei, was muß ich sehen!«

Rechtsanwalt Ostertag wandte sich verwundert um, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte. »Ah, du bist es, Doktor?«

Der große, breitschulterige Bezirksarzt lachte: »Ich glaube gar, auch du folgst errötend ihren Spuren!«

»Welchen Spuren?« Das offene, sympathische Gesicht des Rechtsanwalts rötete sich leicht, und verlegen strich er den weichen, braunen Schnurrbart.

»Nun, der Heinloth, die eben das Theater verließ.«

»Aber du weißt doch – –«

Der Arzt beruhigte den einstigen Universitätsfreund. »Sei gut, alter Junge, habe ja nur Spaß gemacht. Natürlich weiß ich's, daß es für dich nur die veilchenblauen Augen von Fräulein Menacher gibt.«

»Ihretwegen bin ich auch hier.«

»Doch nicht, um bei der Heinloth für ihren Bruder zu werben?«

»Nein, aber sie ist besorgt um ihn, und ich hab's ihr versprechen müssen, daß ich während ihrer Abwesenheit ein wachsames Auge auf ihn habe.«

»Ist denn Fräulein Martha verreist?«

»Seit gestern. Nach Lerchenstätt, um eine schwerkranke Freundin zu pflegen. Es kann Wochen dauern.«

»Grund genug für dich, um trostlos zu sein. Übrigens verstehe ich nicht, wie dein Versprechen dich gerade hierherführt.«

»Nun, weil ich glaubte, Anton hier auf seine angebetete Kornelia wartend zu finden. In seiner Wohnung war ich schon, aber weder er, noch sein Bursche und Ausgeher waren zu Hause. Im Theater aber muß er auch nicht gewesen sein, denn die Heinloth hat ja, wie du gesehen hast, soeben allein das Haus verlassen.«

Der Doktor legte, sich besinnend, die Hand an die Stirne. »Den Weg hättest du dir sparen können. Gerade fällt es mir ein. Die ›Freimütigen‹ wollen ihn ja zum Kandidaten aufstellen. Also muß er in der Versammlung sein – und kann keine Dummheiten machen. Denn darauf solltest du wohl aufpassen?«

»Natürlich. Marthas Bruder war ja früher der ruhigste Mensch. Aber seit die Heinloth dem Indier nähergetreten ist, kennt man ihn gar nicht mehr. Bei der rasenden Eifersucht, die ihn erfüllt, kann man ihm das Ärgste zutrauen.«

»Nun, für heute ist also nichts zu befürchten,« meinte der Arzt, »und du kannst ruhig nach Hause gehen.«

»Dazu ist es wohl noch zu früh. Also was tun?«

»Eigentlich sollte man noch einmal das Lilienfest besuchen, das heute seinen Abschluß findet. Aber die schöne Sommernacht in den heißen Sälen des Union-Hotels zu verbringen, habe ich wenig Lust.«

»Geht mir geradeso. Außerdem war ich schon heute vormittag dort, und die schöne Gräfin Heide hat mir für ihre Zigarren gerade genug Geld abgeknöpft.«

»Und für einen Kuß?« schmunzelte der Bezirksarzt.

Der Rechtsanwalt verzog das Gesicht.

»Wohltätigkeitsküsse liebe ich nicht. Die Ware ist mir, offen gesagt, zu teuer. Übrigens, wie wär's, wenn wir noch eine Flasche Maiwein auf der Terrasse im ›Grünen Baum‹ leerten?«

Der Doktor war einverstanden, und nachdem sie, von alten Erinnerungen plaudernd, die elegantesten Straßen der Residenzstadt durchschritten hatten, standen sie vor dem beliebten, heute bei der warmen Frühlingsnacht noch hell beleuchteten und stark besuchten Restaurant.

Der Bezirksarzt wollte gleich auf seinen gewohnten Platz zusteuern, aber sein Freund hielt ihn zurück.

»Zu diesem Menschen können wir uns doch nicht setzen.«

Franz Eller bemerkte erst jetzt das fragwürdige Individuum, das sich an dem runden Tische unter den Kastanienbäumen breitmachte. In einem modischen, aber abgeschabten Anzug, der als abgelegtes Kavalierkleid bei einem Tändler erstanden zu sein schien, hatte der offenbar heruntergekommene Mensch eine ganze Auswahl von Getränken, Schnaps, Bier und Wein, sowie mehrere geleerte Teller vor sich stehen.

»Der Kerl hält ja Selbstgespräche.«

»Sieht aus wie ein verbummelter Komödiant.«

»Und betrunken ist er obendrein.«

»Aber Geld muß er haben, – sonst hätte man ihn nicht hereingelassen.«

In der Tat betrachteten die in der Nähe befindlichen Kellner den unheimlichen Fremden mit zweifelnden Gesichtern, in denen sich Respekt mit mitleidiger Geringschätzung mischte.

Die Freunde zogen es vor, ein gutes Stück abseits, nahe an dem die Straße überhöhenden grün gestrichenen Eisengeländer sich niederzulassen.

Doktor Eller hob den mit dem goldigen Naß gefüllten Römer an die Nase und sog behaglich den starken Duft ein. »Köstliche Blume. Der Waldmeister ist heuer gut geraten. Na also, es lebe, was wir lieben!«

»Fräulein Martha!« Das angestoßene Glas zitterte in des Rechtsanwalts Hand, und es klang wie ein Seufzer.

Der Doktor sah ihn prüfend an.

»Wie steht es denn übrigens mit deinen Hoffnungen?«

Albert Ostertag spielte nachdenklich mit seiner Uhrkette. »Immer noch das gleiche. Kann sich Anton Hoffnungen machen, so darf auch ich es.«

»Also läge alles bei der Heinloth?«

»Nur bei ihr. Bisher hat sie sich ja nicht ausgesprochen. Aber schlägt sie ihn aus, so ist er entschlossen, für immer ledig zu bleiben.«

»Und Martha mit ihm?«

»Sie wird sich von dem Bruder nicht trennen. Die Geschwister haben ja immer wie Kletten aneinandergehangen, und Martha hat es der sterbenden Mutter gelobt, Anton nie allein zu lassen, solange er nicht eine andere liebende Gefährtin gefunden.«

Der Bezirksarzt nahm, um sich Kühlung zuzufächeln, den braunen Strohhut vom Kopfe und strich sich mit der Hand über den kurzgeschorenen, eigentümlich gewölbten Schädel. »Hm, eine rührsame Geschichte. Aber doch wohl kein Grund zum Verzweifeln.«

»Wenn man die Heinloth kennt –« wandte der Rechtsanwalt ein.

»Zugegeben. Eine wunderliche Heilige ist sie ja. Die reinste Jungfrau von Orleans. Dem Herzog zu widerstehen, das wird so leicht keine andere Primadonna ihr nachmachen. Und kürzlich erst soll Prinz Gustav dieselbe Abfuhr erlebt haben.«

»Nein, wirklich?«

Doktor Eller nickte. »Und weißt du, was sie auf seine stürmischen Werbungen geantwortet hat?«

»Ich bin begierig.«

»›Hoheit, – Sie wissen, – es gibt nur einen Weg zu meinem Herzen, und der führt über den Altar.‹«

Der Erzähler streifte die Asche von seiner Importe und lachte so laut, daß sich die Bewegung seines Gesichts bis in den hellblonden Spitzbart fortpflanzte.

Den Rechtsanwalt steckte seine Heiterkeit nicht an. »Da siehst du, wie unnahbar sie ist. Kalt wie Eis und keusch wie Schnee –«

»Schnee, der den Ätna bedeckt. Und drinnen lodert brennende Glut. Lehr' mich die Weiber kennen. Unsere Heinloth ist auch nicht anders, und ihren Lyonel wird diese Jungfrau schon finden. Hoffen wir also, daß es Marthas Bruder ist.«

»Diese Hoffnung schwindet mir täglich mehr.«

»Aber ich begreife nicht. Anfangs hieß es doch allgemein, daß sie den jungen Menacher auszeichne und ihm mehr Gunst als jedem andern bezeige.«

»Ja, damals, als er noch als Reserveoffizier einberufen war.«

»Nun, die Uniform wird doch nicht solchen Eindruck auf sie gemacht haben.«

»Das wohl nicht. Aber kaum war Anton zu den Zivilkleidern und in sein Geschäft zurückgekehrt, da kam dieser Indier.«

»Ist denn das Herr Rivinius wirklich?« unterbrach ihn der Arzt.

»Nicht im geringsten. Ein ebenso guter Deutscher wie wir. Martha hat mir schon, bald nachdem ich sie kennen gelernt, die ganze Geschichte erzählt. Robert stammt wie sie aus Eisenach und besuchte zusammen mit ihrem Bruder das dortige Gymnasium. Seinem Vater aber, einem Gutsbesitzer der Umgebung, der sich anläßlich eines Bahnbaues in Grundstücken verspekuliert hatte, ging es nicht gut, und er wußte sich keinen Rat, wie er das geplante Studium seines Sohnes bestreiten sollte. Da, als Robert in der Oberprima und nahe vor dem Maturum war, nahm das Schicksal der Familie eine ganz plötzliche und ungeahnte Wendung. Der alte Rivinius besaß einen Bruder in Ostindien, der dort eine steinreiche Engländerin geheiratet, sich dann aber als Millionär nicht weiter um seine Familie bekümmert hatte. Auf dem Totenbette mußte er sich plötzlich des einzigen noch lebenden Bruders erinnert haben und hatte ihm sein ganzes Vermögen vermacht. Unter einer eigenartigen Bedingung allerdings. Da die Frau bereits gestorben und Kinder nicht vorhanden waren, sollte, damit seine ausgedehnten Ländereien nicht in fremde Hände kämen, der Bruder als bewährter Ökonom sofort den ganzen Besitz antreten und selbst bewirtschaften. So blieb Roberts Vater nichts übrig, als sofort mit den Seinen überzusiedeln. Zu seinem Unglück freilich. Denn der schon bejahrte Herr, der sich an das neue Klima nicht gewöhnen konnte, lebte nur noch wenige Jahre. Robert, der keine Freude an der Landwirtschaft hatte und sich durch das Testament des Onkels nicht gebunden fühlte, verkaufte deshalb den gesamten Grundbesitz und kam so mit seiner Mutter zu einem enormen Barvermögen.«

»Und um das durchzubringen, ist er wieder nach Europa gekommen?« unterbrach ihn der Doktor interessiert und legte, ohne seinen italienischen Salat fertig zu essen, den Löffel beiseite.

»O nein. Der junge Rivinius ist ein durchaus ernsthafter Mensch, der sich auf dem Gebiete praktischer Arbeit betätigen möchte. Aber in Indien findet er dazu keine Gelegenheit. Darum ist er zurückgekehrt, um privatisierend zunächst einmal das Terrain zu sondieren.«

»Aber gerade hier, in unserer stillen Residenz?« warf der Arzt etwas ungläubig ein.

»Das Verlangen, Anton, seinen alten Schulfreund, wiederzusehen, der inzwischen, nach dem Tode seiner Mutter, mit Martha hierhergezogen war und ein Chemikaliengeschäft übernommen hatte, war jedenfalls der Grund, der ihn zunächst dazu führte. Ich zweifle auch nicht, daß er längst weitergereist wäre, hätte nicht Anton, überglücklich über die sichtbare Zuneigung der Heinloth und im voraus stolz auf ihren künftigen Besitz, den unseligen Einfall gehabt, ihn mit der schönen Künstlerin bekannt zu machen.«

»Und die, meinst du, hält ihn hier fest?«

»Jedenfalls mehr als seine angeblichen Kaufsverhandlungen mit der großen Tintenfabrik von Sachse und Sohn. Denn mag auch, in dem Bestreben, seine praktischen Kenntnisse zu verwerten, die Erwerbung eines großen industriellen Etablissements sein Wunsch sein, – daß er sich unter anderen Umständen gerade auf die Tintenbranche versteifen würde, das glaube ich nicht.«

Der Bezirksarzt konnte eine ironische Bemerkung nicht unterdrücken: »Jedenfalls hat er den armen Menacher damit in die Tinte geritten. Denn daß die zwei jetzt wütende Nebenbuhler sind, ist ja schon stadtbekannt.«

»Leider. Die einstige Freundschaft ist wie ausgelöscht. Sie meiden einander, ja hassen sich vielleicht tödlich. Und ich fürchte, daß Anton den meisten Grund dazu hat.«

»Weil die Heinloth den Indier bevorzugt,« ergänzte Doktor Eller.

»Nach allem, was ich in letzter Zeit hörte und sah, hat es den Anschein, und deshalb ist ja Martha auch in solcher Sorge um den armen, schier verzweifelten Bruder.«

»Freilich, die Millionen des Herrn Rivinius werden da schwer und ausschlaggebend in die Wagschale fallen.«

Der Rechtsanwalt zuckte ausweichend die Achseln. »Ich habe die Heinloth immer für eine ideale Künstlerin gehalten.«

»Künstler und Mensch sind zweierlei.«

»Mag sein, daß es auch hier der Fall ist. Aber auch ohne das könnte ich mir die Sache erklären.«

»Und wie?«

»Durch deine eigene Meinung von der Heinloth. Liegt ihr wirklich jeder Leichtsinn fern, wacht sie streng über ihre Ehre und ist es ihr bitterer Ernst mit ihrer Zukunft, so wird sie eben nicht allzu viele entsprechende Bewerber gefunden haben, vielleicht war Marthas Bruder der erste –«

Der Bezirksarzt neigte das Haupt. »Wohl möglich,« stimmte er zu, »ein liebenswürdiger Mensch von gewinnendem Äußern und Wesen ist er ja.«

»Und darum wäre sie bereit gewesen, zuzugreifen, in der Gewißheit, keine unglückliche Wahl zu treffen –«

»Wenn nicht der andere gekommen wäre –«

»Das ist es, – der andere, der vielleicht zum erstenmal eine tiefe, wahre Leidenschaft in ihr erweckte und um deswillen Martha und ich, – aber –« unterbrach er sich, aufhorchend und nach dem Tisch unter den Kastanien hinüberblickend, »das ist doch widerwärtig, dieser Spektakel in dem sonst so vornehmen Restaurant!«

Auch der Arzt hatte sich umgewandt. »Ich glaube, sie werfen ihn hinaus.«

»Der Kerl verdient auch nichts anderes.«

»Vielleicht ist er ein verbummeltes Genie. Für uns Ärzte eine interessante Spezialität. Größenwahn als erstes Symptom von Geisteskrankheit. Die Reden derartiger Leute sind immer originell, hören wir ein wenig zu.«

Da die Gläser leer geworden, folgte der Rechtsanwalt, wenn auch innerlich von der Szene angewidert, dem Freunde.

»Was, du elender Sklave,« schrie der Betrunkene den Kellner an. »Mach' deine langen Eselsohren besser auf. Sekt habe ich bestellt.«

»Erst muß ich bitten, Ihre andere Zeche zu bezahlen.«

Der Gast schielte ihn verächtlich über die Achsel an.

»Schäme dich in deine Krämerseele hinein. Was verstehst du von der Weihe der Kunst. Sie wandelt blödes Kupfer in gleißendes Gold. Aber ihr Baalspriester, ihr Mammonsknechte könnt das Wunder nicht begreifen.«

Die Umsitzenden lachten, was den Betrunkenen noch mehr aufbrachte.

»Ach, seid ihr auch da! Und meint, ich spiele euch Komödie vor? Nein, dazu ist sich Ludwig Löwentritt zu gut. Satt hab' ich's, das Schmierenleben, vor philisterhaften Bürgern und dummen Bauern spielen – pfui Teufel! Brüllen und mit den Händen herumfechten, – daß sich die Kulissen biegen, – ja, das begeistert das blöde Volk, daß es sich Schwielen in die Hände klatscht. Eine Kunst will es, die nicht kritisiert werden kann, – weil sie unter aller Kritik ist. Aber hier, am herzoglichen Theater, da ist mein Platz. Da werdet ihr schauen. Dem armen Teufel hätten sie die Tür gewiesen. Jetzt aber bin ich ein gemachter Mann. Dem stehen alle Pforten offen. He, du Schuft, wo bleibt der Sekt?«

Der Oberkellner war inzwischen herbeigekommen. »Jetzt hören Sie mal mit Ihrem Quatsch auf und zahlen Sie, sonst rufe ich die Polizei.«

Löwentritt stieg wie ein sich blähender Luftballon hinter dem Tische auf.

»Was sagt Er da?« Seine Stimme überschlug sich und wurde lallend. »Behandelt man so einen Künstler?«

Der Wirt, der vom Büfett herbeieilte, um der ärgerlichen Szene ein Ende zu machen, packte ihn an der Schulter. »Auf der Stelle verlassen Sie mein Lokal!«

» Tu l'as voulu, George Dandin,« stieß der Komödiant mit heiserem Hohn heraus. »In die Spelunke komm' ich niemals wieder.«

»Aber erst zahlst du, Lump –« hielt ihn der Kellner fest.

Ludwig Löwentritt griff mit unnachahmlichem Stolze in die Brusttasche seines schäbigen Gehrockes und schleuderte einen Schein auf den Tisch.

Der Wirt und die Kellner sahen sich betroffen an. Auch die Umstehenden staunten und flüsterten einander zu:

»Ein Sonderling.«

»Gewiß hat er die verlumpten Kleider absichtlich angelegt.«

»Um die Leute zu foppen.«

»Vielleicht ein großer Künstler.«

»Oder ein Verrückter.«

»Jedenfalls hat er Geld.«

Der Oberkellner hielt die Note prüfend gegen die elektrische Lampe.

»Echt –« raunte er dem Wirte zu.

Der Restaurateur gab sich Mühe, sein eben noch so erbostes Gesicht freundlich zu glätten. »Es tut mir leid, mein Herr,« suchte er sich herauszureden, – »aber Sekt kann zu so später Stunde nicht mehr abgegeben werden, – das Lokal wird gleich geschlossen.«

Auch der Oberkellner machte eine verblüffte Verbeugung:

»Bitte, nur einen Augenblick. Werde sofort wechseln.«

Ludwig Löwentritt warf sich, so gut es bei seinem berauschten Zustand möglich war, in die Brust und sagte mit grenzenloser Verachtung: »Lassen Sie das. Ich habe mich nie mit Kleinigkeiten abgegeben. – Der Rest ist – Trinkgeld.«

Der zerknirschte und von Reue erfüllte Wirt wollte seinen wunderlichen Gast, der bedenklich schwankte, die auf die Straße führenden Stufen hinabgeleiten, aber der Komödiant machte sich los.

»Weg da! Berühren Sie mich nicht mit Ihren plebejischen Händen. Ich bin es gewohnt, Könige zu spielen.«

»Es wird mich freuen, wenn Sie uns wieder beehren – –«

Ludwig Löwentritt, der glücklich den nächsten Laternenpfahl erwischt hatte, richtete sich erhaben auf. »Du –« lallte er, – die Hände pathetisch ausstreckend, – »du hast mich beleidigt. Du bist mein Todfeind von dieser Stunde. Bei Philippi sehen wir uns wieder!«

Der Rechtsanwalt schob den Arm in den seines Freundes.

»Gehen wir, Franz.«

»Meinetwegen. Schade, daß das Schauspiel schon zu Ende ist. Der Kerl ist köstlich.«

»Humor hat er. Im übrigen ist er ein Narr.«

»Oder ein Philosoph, der eine Maske trägt. Geld hat er offenbar.«

»Wer weiß, wo er's gestohlen hat,« meinte der skeptische Rechtsanwalt.

In die Prinzenpromenade mit ihrer doppelten Allee für Fuhrwerk und Fußgänger einbiegend, an der sich Villen und elegante Sommerwohnungen entlang zogen, verloren sie bald den Betrunkenen aus dem Gesicht.

Ganz einsam war es hier zu so später Stunde.

Über den bisher klaren und tiefdunklen Himmel hatte sich ein milchiger Schleier gezogen, der eine Änderung des Wetters zu künden schien. Die Sterne waren erloschen. Nur der Mond schien noch bleich durch den Dunst und ließ den Helm eines Schutzmanns, der, im Patrouillendienst begriffen, eben über den die Promenade abschließenden Brunnenplatz ging, matt aufschimmern.

»Das ist doch die Wohnung des Indiers, um bei dem Namen zu bleiben, dort wo die Mauerstraße einmündet?« fragte der Doktor im Weitergehen.

»An der Ecke, ja, – aber man sieht nichts als lauter Grün. Eigentlich ist es ja nur ein größeres Gartenhaus, das der Besitzer, Rentier Schöller, nicht mehr benutzt, seit er den Neubau in der Wehrallee errichtete, und für den Sommer jedenfalls billig abgegeben hat.«

»Wäre mir, offen gestanden, zu einsam, wenn nicht gar unheimlich, so ganz allein zwischen lauter Gärten zu wohnen. Eben zum Beispiel war mir's, als schliche dort ein ziemlich verdächtiges Individuum den Gartenzaun entlang.«

Der Rechtsanwalt blieb stehen und spähte in der angegebenen Richtung durch das von den vereinzelten Laternen nur noch unbestimmter gemachte Halbdunkel.

»Mit der Einsamkeit ist es wohl nicht gar so schlimm. Etwas weiter zurück unter den Erlen liegt ja noch ein Häuschen, in dem der von Herrn Schöller seit Jahren angestellte Gärtner mit seiner Frau haust, die bei dem Indier zugleich die Aufwärterin macht.«

»Ein altes, kinderloses Ehepaar, ich weiß. Aber ist denn das nicht –« unterbrach er sich betroffen.

Ostertag hielt den Freund zurück.

»Marthas Bruder, wahrhaftig!«

»Er scheint uns gar nicht zu sehen.«

»Und du hast ihn für einen Vagabunden gehalten.«

»Nun ja, wenn er um das Haus der Heinloth schliche, würde es mich ja nicht wundern, – aber bei seinem einstigen Freund und jetzigen Nebenbuhler – –«

»Rufen wir ihn an,« flüsterte der Rechtsanwalt, »da kann er uns selbst seine Anwesenheit erklären. Herr Menacher!«

Die Gestalt zuckte zusammen, als würde sie jäh aus einem Traum aufgeschreckt.

»Sonderbar, er scheint mich gar nicht zu erkennen,« meinte kopfschüttelnd der Rechtsanwalt.

Langsam wandte sich der Angerufene um und starrte einige Augenblicke ausdruckslos ins Leere. Dann schlossen sich die aufgerissenen Augen wieder wie unter bleischwerer Müdigkeit, die Hände an die Stirn führend, preßte er den Kopf, taumelte wie betäubt ein paar Schritte und verschwand um die Ecke des Gartenzaunes in die fast lichtlose Mauerstraße.

Der Rechtsanwalt wollte ihm über die Straße nach. »Er wird doch, um sein Liebesleid zu vergessen, nicht zu tief ins Glas geguckt haben.«

Der Bezirksarzt faßte seinen Arm. »Laß ihn. Du kannst nicht mit Kranken umgehen.«

»Aber Menacher ist doch nicht krank.«

»Mir macht er den Eindruck eines hochgradig Nervenleidenden, dessen Geist zur Zeit in ganz anderen Regionen weilt. Ein plötzliches, gewaltsames Aufwecken aus solchem Zustand kann nur schädlich wirken. Er muß Zeit haben, sich selber wiederzufinden.«

Ostertag gab sein Vorhaben auf. »Du magst recht haben. Sein Benehmen erinnert in der Tat ganz daran, wie wir es neulich in der Hypnose bei Haireddin-Bey sahen. Geradeso starrte er uns an und erkannte weder mich noch einen seiner Freunde.«

»Wie, er verkehrt mit diesem Spiritisten?« rief der Arzt beinahe erschrocken. »Das Bedenklichste, was er tun kann. Solche Leute üben auf derartige Kranke stets einen unheilvollen Einfluß aus.«

»Fräulein Martha fürchtete das auch. Aber er ließ uns keine Ruhe, bis wir ihn zu Haireddin-Bey begleiteten, der ja in ihm ein besonders brauchbares Medium entdeckt haben will.«

»Und was stellte er mit ihm an?« fragte der Doktor gespannt.

»Nun, er versetzte ihn in die Trance und suggerierte ihm allerlei Vorstellungen.«

»Denen entsprechend er handelte?« warf der Arzt fragend ein.

»Gewiß. Mit offenen Augen und doch nicht sehend, weit offenen Mundes, wie schlafend, ging er im Zimmer umher und führte alles aus, was Haireddin-Bey ihm befahl, bis er ihm schließlich scheinbar leblos in die Arme sank.«

Der Bezirksarzt, der seine Wohnung erreicht hatte, drückte dem Freunde zum Abschied die Hand. »Wenn dir an der Gesundheit deines, wie ich hoffe, künftigen Schwagers etwas liegt,« meinte er in ernstem, eindringlichem Tone, »so verhüte um jeden Preis, daß er sich noch öfter zu derartigen Manipulationen hergibt. Ich als Arzt würde sonst für nichts stehen.«

Nachdenklich schritt der Rechtsanwalt seinem Hause zu. Gut, daß Menacher heute abend verhindert war, auf dem Lilienfeste zu erscheinen, dachte er. Sonst hätte er sicher diesem Haireddin-Bey, der ja auch dort seine Künste zeigt, wieder als Versuchsobjekt dienen müssen.

Mit dem Gedanken an Martha legte er sich zur Ruhe, ohne zu ahnen, daß seine Voraussetzung eine falsche gewesen.


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