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7.

Jubelnd kam Nettchen in das Zimmer ihrer Herrin gestürzt. »Der Thia, – gnädiges Fräulein, – der Thia!«

Überrascht blickte Kornelia Heinloth von ihrem Morgenkaffee auf.

»Aber Mädchen, du bist ja ganz außer dir, – was ist denn geschehen?«

»Frei wird er; – jetzt müssen sie ihn loslassen!«

»Nun, was habe ich dir gesagt?« Das übernächtig bleiche Gesicht der Künstlerin erhellte sich. »Nicht wahr, sie haben ihm nichts beweisen können?«

»Ja, weil sie jetzt einen andern haben.«

Der flüchtige Sonnenschein auf Kornelias Zügen schwand schnell wieder und machte einem neuen Schatten Platz. »Einen andern?«

Die Zofe schwenkte triumphierend das Blatt. »Hier steht es. Die Zeitungsausträgerin, die gerade die ›Morgenpost‹ brachte, hat mir's gezeigt. ›Ein Irrtum unserer Kriminalpolizei‹.«

Erregt riß ihr die Künstlerin das Blatt aus der Hand und las mit hastenden Blicken den ziemlich umfangreichen Artikel:

»Die Mordaffäre Rivinius scheint eine überraschende Wendung nehmen zu sollen.

Nachdem man die vermißten Banknoten im Besitz eines Unbekannten, dessen Persönlichkeit noch nicht festgestellt werden konnte, gefunden, wird sich die Verhaftung des anfänglich verdächtigten Burschen kaum mehr aufrechterhalten lassen.

Die Entdeckung erfolgte gestern ganz unerwartet auf der Direktionskanzlei des herzoglichen Theaters.

Mit anderen stellenlosen Schauspielern fand sich dort ein zweifelhaftes Subjekt ein, das sehr pathetische Reden führte und als Heldenspieler engagiert zu werden verlangte.

Man forderte eine Legitimation von ihm, und der Künstler entnahm seiner Brieftasche ein schmieriges Papier, das offenbar auf einen nur angenommenen Theaternamen lautete.

Deshalb wurde der Mann, der überdies noch betrunken war, kurz abgewiesen mit dem Bemerken, daß man einen Darsteller, der bisher nur bei kleineren, armseligen Wandertruppen sein Dasein gefristet, an der ersten Bühne unserer Residenz auch nicht für die kleinsten Rollen brauchen könne.

Darauf wurde der fragwürdige Mime unverschämt, begann zum Beweise seines Könnens Stellen aus der Rolle des Carl Moor zu brüllen und sagte schließlich den anwesenden, sein Genie verkennenden Herren Grobheiten.

Es blieb nichts übrig, als den Zudringlichen mit Gewalt hinauszuwerfen.

Erst als der Betrunkene fluchend und gestikulierend in einer Nebenstraße verschwunden war, fand man in der Kanzlei eine alte, zerrissene Brieftasche, die er verloren oder vergessen haben mußte. Da der Verlustträger nicht mehr einzuholen war und auch keine Adresse angegeben hatte, wurde das Fundstück der Polizei eingeliefert, die, um den Eigentümer zu ermitteln, die Tasche näher untersuchte.

Dabei wurde die verblüffende Entdeckung gemacht, daß sich in einer Seitenabteilung derselben siebenundneunzig Hundertmarkscheine fanden, eine Summe, die, das wenige Fehlende abgerechnet, genau dem in der Mauerstraße geraubten Gelde entsprach. Außerdem trugen, wie Kriminalkommissar Schild feststellte, sämtliche Noten eine kleine, kaum sichtbare Signatur, mit der sie im Lenzmannschen Bankhause, wo der ermordete Rivinius den Betrag erhoben, versehen worden waren.

Man ist überzeugt, nunmehr den Mörder zu kennen, und die Verhaftung des unschuldig in Verdacht gestandenen Niederwieser dürfte zur Stunde, da wir dies schreiben, bereits aufgehoben sein.

Da sich im Garten nur die Spuren des letzteren fanden, und dessen Angaben offenbar auf Wahrheit beruht haben, so muß der wirkliche Mörder auf einem anderen Wege in die Wohnung an der Mauerstraße gedrungen sein, vielleicht zugleich mit dem Ermordeten, als dieser in später Nachtstunde heimkehrte.«

Kornelias Brust hob sich wie unter einem tiefen Atemzuge der Erlösung, und Nettchen begriff, daß es die Freude über die glückliche Rettung ihres Thia war, was sie so bewegte.

»Man hat also nur die Spur, aber nicht den Täter.«

»Doch, doch, – man hat ihn, – schlagen gnädiges Fräulein bloß um.«

Zögernd wendete die Künstlerin das Blatt. Unter den nach Schluß eingetroffenen telegraphischen Meldungen stand noch ein Nachtrag zum Falle Rivinius:

»Den unermüdlichen Nachforschungen unserer Polizei ist es gestern in später Nachtstunde gelungen, den des Mordes in der Mauerstraße schwer verdächtigen, angeblichen Komödianten in einer anrüchigen Vorstadtkneipe festzunehmen.

Der Vagabund wurde in so berauschtem Zustande angetroffen, daß er den Verlust seiner Brieftasche noch nicht einmal bemerkt und im Vertrauen auf seinen Besitz bereits eine größere Zechschuld kontrahiert hatte. Ohne daß er begriff, was man von ihm wollte, wurde er ins Untersuchungsgefängnis eingeliefert, doch wird das heute vorzunehmende Verhör zweifellos den Tatbestand ans Licht bringen.«

*

Fast um die gleiche Zeit begegneten sich vor dem Amtsgerichtsgebäude Doktor Eller und Rechtsanwalt Ostertag.

»Nun, immer noch Strohwitwer bezüglich der Liebsten?« lächelte der Arzt.

»Leider. Fräulein Martha scheint noch nicht an die Heimkehr zu denken, Aber das trägt sich leicht, seit die Hoffnung wieder lebt.«

»Was stimmt dich denn so freudig?«

»Das fragst du noch! Aber freilich, – eigentlich sollte man sich schämen, sich über den Tod eines Menschen zu freuen.«

»Du meinst, dieser Indier ist dir sehr gelegen gestorben?«

»Insofern, als Marthas Bruder nun doch vielleicht wieder bessere Aussichten hat.«

»Falls die Heinloth den Toten nicht wahrhaft geliebt hat. Sonst wird sie den Schlag nur schwer verwinden und nicht so leicht bei einem andern Vergessen suchen.«

»Ja, wenn,« meinte Ostertag etwas kleinlauter, – »aber ich komme von dem Gedanken nicht los, daß sie den Indier nur seines Reichtums wegen bevorzugte.«

»Der ihm den Tod gebracht hat. Da darf man noch froh sein, keine irdischen Schätze zu besitzen. Wer hätte das vor wenigen Tagen gedacht, als wir abends im »Grünen Baum« so eingehend über den Ermordeten sprachen. Kaum, daß ich nach unserem Auseinandergehen eine Stunde geschlafen, so weckte man mich schon wieder, um mich zu dem Toten zu holen. Ich habe es im ersten Augenblick fast nicht glauben wollen.«

»Die Sache ist auch immer noch rätselhaft genug. Weißt du, daß man wieder auf eine neue Spur gekommen ist?«

»Ich hörte in der Frühe flüchtig davon, aber die Zeitungen zu lesen, fand ich noch keine Zeit.«

»Mir geht es geradeso. Und auch jetzt muß ich mich eilen, einen Klienten in einer Beleidigungssache zu verteidigen. Sobald ich fertig bin, werde ich aber in der ›Goldenen Ente‹ die Blätter studieren. Kommst du vielleicht auch zu einem kleinen Frühschoppen?«

»Wenn meine Patientenbesuche mich nicht zu lange aufhalten,« meinte der Doktor, »recht gern.«

Die Freunde drückten sich die Hand, und Ostertag eilte, die schwarze Mappe in der Hand, die steinernen Stufen empor.

In dem langen, hallenden Gange, der zum Amtszimmer des Untersuchungsrichters führte, blieb er betroffen stehen. Diese lächerliche Gestalt mit dem unförmlichen, lockenumwallten Kopfe, mit den roten, schlenkernden Händen und dem steif wie auf Stelzen sich hinschiebenden Gange hatte er doch bereits einmal gesehen!

Der Rechtsanwalt wandte sich an den ihm bekannten Schutzmann, der den stutzerhaft in ganz neue, moderne Gewänder gekleideten Menschen begleitete.

»Was für ein wunderlicher Arrestant?«

»Wissen Sie das noch nicht, Herr Doktor. Der vermutliche Mörder aus der Mauerstraße. Er simuliert einstweilen den Künstler und nennt sich Löwentritt.«

– Ludwig Löwentritt – schoß es Ostertag durch den Kopf, – das war ja der größenwahnsinnige Lump, der im »Grünen Baum« so prahlerisch mit dem Geld herumwarf. So also erklärte sich dessen Reichtum!

Der Mime, der die Bemerkung des Schutzmanns gehört hatte, brauchte nicht erst mit gespreizten Beinen und der Grandezza eines Königs die Hand über der Brust unter den Rock zu schieben und mit stolzer Verachtung zu lächeln. Der Rechtsanwalt erkannte ihn jetzt auch trotz der veränderten Kleidung wieder.

Aber die Uhr, die eben im Gange schlug und die für seinen Termin angesetzte Stunde kündete, ließ ihm nicht Zeit, weiter darüber nachzudenken. – –

In der nächsten Minute schon machte der Mime vor dem Untersuchungsrichter seine stolzeste Verbeugung.

»Wir spielen hier nicht Theater,« bemerkte Martin Euler scharf. »Die Sache ist bitter ernst, denn es kann sich um Ihren Kopf handeln.«

Der Komödiant, der über Nacht nüchtern geworden war und von den Vorgängen des letzten Tages kaum mehr eine Ahnung hatte, erschrak nun doch, und sein blasses, aufgedunsenes Gesicht wurde noch fahler.

»Der Herr Amtsrichter belieben zu scherzen.«

»Schweigen Sie und nennen Sie mir Ihren Namen.«

»Ludwig Löwentritt.« Auch das kam wieder mit unnachahmlichem Selbstbewußtsein heraus.

»Beruf?«

»Bühnenkünstler.«

»Ihr Name wird wohl auch nur ein sogenannter Künstlername sein. Wie heißen Sie mit Ihrem bürgerlichen und richtigen Namen?«

»Das habe ich geschworen, zu verschweigen.«

»Ich rate Ihnen in Ihrem eigenen Interesse, hier keine törichten Ausreden zu gebrauchen, sondern die volle Wahrheit zu sagen. Sie sind dringend verdächtig, am Abend des siebenundzwanzigsten Mai den Privatier Rivinius in seiner Wohnung ermordet und den Betrag von zehntausend Mark geraubt zu haben.«

Wie von einer Kugel getroffen, knickte der Mime unter der furchtbaren, unerwarteten Anklage zusammen. Seine Knie schlotterten, die Augen traten entsetzt aus dem Kopfe, und mit leichenblassem Gesicht stotterte er:

»Ich – ich soll meinen Bruder erschlagen haben, – wie Kain den Abel! Nein, Herr Amtsrichter, – mag ich auch ein leichtsinniger Kerl sein wie alle großen Künstler, – aber so was dürfen Sie von mir nicht denken, – sonst –« nach dem ersten tödlichen Schrecken siegte schon wieder das Pathos, – »sonst verklage ich Sie wegen Beleidigung, und – es gibt noch Richter.«

Martin Euler war von den Worten des Komödianten so überrascht, – daß er diesmal die unpassenden Bemerkungen zu rügen vergaß. Betroffen war er von seinem Stuhle emporgefahren.

»Sie wären ein Bruder des Toten! Wie ist denn Ihr wahrer Name?«

Löwentritt schien mit sich zu kämpfen. »Jeder Künstler ist ein Ehrenmann,« sagte er groß, – »aber wenn Sie mit so was kommen, da gibt es keine Diskretion mehr, da muß man schon reden, und ich hab's ja auch nur dem Lebenden geschworen.«

»Machen Sie keine Umstände und antworten Sie mir. Der Name?«

»Christoph Tretter. Ein armseliger, spießbürgerlicher Name, Herr, für ein Genie.«

»Der Name beweist mir keine Verwandtschaft. Sie wären also kein leiblicher Bruder des Toten.«

»Seines Vaters Sohn, Herr Amtsrichter, sein echter Sohn.«

»Ein illegitimes Kind also, von einer anderen Mutter?«

Der Mime nickte. »Meine Mutter war eine arme Näherin, die wiederholt auf dem Gute des Herrn Rivinius bei Eisenach arbeitete. Da hat sie sich eines Tages mit dem alten Herrn vergessen.«

»Herr Rivinius war bereits verheiratet?« unterbrach ihn der Richter.

»Jawohl, mit einer strengen, tugendhaften Frau, die nichts von seinem Fehltritt erfahren durfte. Meine Mutter wurde abgefunden, durfte nicht auf das Gut kommen und siedelte bald darauf nach Frankfurt über. Bis zu meinem zwanzigsten Jahre wußte ich nichts von meiner Herkunft. Da hieß es, die Familie Rivinius sei nach Indien ausgewandert, und meine Mutter hielt sich nicht mehr zum Schweigen verpflichtet.«

»Sie nützten dann die Kenntnis der Wahrheit aus?«

»Erst als meine Mutter gestorben war. Ich war Künstler, Herr, und die Kunst geht nach Brot. Es handelte sich um den Sieg meines Talents, um meine Zukunft. Da schrieb ich, als ich endlich seine Adresse in Erfahrung gebracht, an meinen Vater.«

»Und der half Ihnen, obwohl er nicht mehr dazu verpflichtet gewesen wäre?«

»Er schickte mir alljährlich eine Summe. Dann aber starb er, und die Sendungen hörten auf.«

»Darum wandten Sie sich an den Sohn?«

»Ja, aber der wollte lange nichts von dem Bruder wissen, dessen Existenz sein Vater auch ihm auf dem Totenbett anvertraut hatte. Ich mußte, um nicht gänzlich zugrunde zu gehen, zu Drohungen greifen.«

»Womit drohten Sie?«

»Alles seiner Mutter mitzuteilen, – denn ich dachte mir, das würde er um jeden Preis vermeiden wollen. Es wirkte auch. Er schrieb mir, daß er die Sache ein für allemal aus der Welt geschafft wissen möchte, darüber aber nur persönlich mit mir verhandeln könne. Er werde in nächster Zeit nach Deutschland kommen und mir dann Nachricht geben.«

»Damit waren Sie zufrieden?«

»Ich glaubte ihm. Er machte ja den Eindruck der Ehrlichkeit. Wir Künstler verstehen uns auf Menschenkenntnis, Herr Amtsrichter. So beschloß ich zu warten, bis ich weitere Nachricht erhielt. Sie kam endlich von hier.«

»Und darum kamen Sie hierher?«

»Nur darum.«

»Sie behaupten also, die betreffende Summe von Herrn Rivinius freiwillig und gewissermaßen als Abzahlung erhalten zu haben?«

»Das ist die reine Wahrheit, Herr Amtsrichter. Es hat Mühe genug gekostet, – denn anfangs sollte ich nur sechstausend Mark bekommen. Endlich erklärte er sich mit meiner Forderung einverstanden. Aber ich mußte geloben, die Sache nie mehr zu berühren und auch den Namen meiner Mutter nicht mehr zu führen.«

Martin Euler betrachtete lange und prüfend den Verdächtigen. Er wußte nicht, was er denken sollte. Eigentlich machte ihm der Mann mehr den Eindruck eines Narren als eines raffinierten Verbrechers, aber immerhin mußte er zunächst seine Behauptungen beweisen können.

Ludwig Löwentritt nahm eine Miene an, als sei nunmehr alles in Ordnung, und er brauche nur, stolz wie er gekommen, das Amtslokal wieder zu verlassen.

Aber die abwehrende Bewegung des Schutzmannes, wie die Worte des Richters enttäuschten ihn bitter.

»Sie haben mir da eine Geschichte erzählt,« nahm Euler das Wort, »die zwar unwahrscheinlich klingt, immerhin aber möglich sein könnte. Indessen in Ihrer Lage würde jeder das gleiche zu seiner Verteidigung vorbringen. Soll ich also glauben, daß die Erzählung nicht nur Ihrer künstlerischen Phantasie entsprungen ist, so werden Sie mir ihre Wahrheit im einzelnen nachweisen müssen.«

»Aber wie das?« stotterte Löwentritt mit entrüstetem Entsetzen. »Sie werden doch nicht glauben, mein Herr, daß ich – –«

»Es ist meine Gewohnheit, jeden für schuldig zu halten, solange er mich nicht vom Gegenteil überzeugt,« antwortete der Amtsrichter scharf. »Das letztere dürfte Ihnen ja aber nicht schwerfallen. Sowohl von Indien her als auch noch in Deutschland müssen in der Sache wiederholt Briefe gewechselt worden sein, die jedenfalls in Ihrem Besitze sind.«

»Das sind sie nicht,« antwortete der Mime erblassend, – »ich habe alles ausliefern müssen. Das war Bedingung. Keine Zeile besitze ich von meinem Bruder.«

»Auch von seinem Vater nicht?«

»Ebensowenig.«

Martin Euler zuckte leicht die Achseln. Der Glaube, den er im ersten Augenblick den Aussagen des Mimen entgegengebracht, begann zu schwinden. »Schlimm für Sie. Aber vielleicht sind die Schriftstücke noch unter den Papieren des Toten zu finden!«

»Wohl kaum.« Löwentritt mußte die sich ihm bietende Hoffnung selbst zerstören. »Rivinius sprach davon, daß er alles vernichten wolle.«

»Hm.« Amtsrichter Euler, der teils stehend, teils im Umhergehen das Verhör gehalten hatte, nahm den früher verlassenen Platz wieder ein.

»Dann geben Sie mir also auf die folgenden Fragen genau und der Wahrheit entsprechende Antworten.«

Löwentritt warf sich von neuem in selbstbewußte Positur.

»Ich höre.«

»Wann haben Sie von Herrn Rivinius die bewußte Abfindungssumme erhalten?«

»Am siebenundzwanzigsten Mai nachmittags.«

»In welcher Weise?«

»In hundert blauen Lappen, Herr.«

»Ich meine, an welchem Ort. Waren Sie in der Wohnung Ihres Bruders?«

»Nie. Die habe ich gar nicht betreten dürfen. Er hatte sich das verbeten. Ich mußte ihn zu bestimmter Stunde an einem einsamen Platze im Lerchenholz erwarten.«

»Kam der Verstorbene in einer Droschke dorthin?«

»Nein, mit dem Rade.«

Der Amtsrichter horchte auf. Das stimmte mit der Aussage der Gärtnersfrau. Löwentritt schien in diesem Punkte die Wahrheit zu sagen.

»Wie lange waren Sie dort mit Rivinius zusammen?«

»Wohl eine Stunde.«

»Und mußten Sie ihm außer dem schon Genannten noch etwas anderes versprechen?«

»Ja, ich sollte am andern Tage die Stadt verlassen.«

»Das taten Sie aber nicht, vielmehr wollten Sie sich zwei Tage später in betrunkenem Zustande am herzoglichen Theater um ein Engagement bewerben.«

»Damals wußte ich ja schon, daß mein Bruder erstochen war.«

»Sie hielten sich also nicht verpflichtet, dem Toten das dem Lebenden gegebene Wort zu halten?«

Ludwig Löwentritt fühlte sich in seiner Ehre gekränkt.

»Herr Amtsrichter, das wäre mir nie in den Sinn gekommen. Aber blöde Philisterseelen, die an meiner Kunst zweifelten, zwangen mich dazu. Ihnen mußte ich beweisen, was ich konnte, darum ging ich zum herzoglichen Theater.«

Euler griff die letzte Bemerkung auf.

»Also hatten Sie auch noch andere Bekannte hier in der Stadt?«

»Bekannte waren das eigentlich nicht,« – meinte der Mime verächtlich, – »armselige Tröpfe, die mir den Sekt nicht gönnten, den ich bestellte.«

»Wo war denn das?«

»An dem Abend, – gerade an dem Abend, als der Mord geschah.«

»Wo? habe ich gefragt.«

»Ja – so, – wo?« Löwentritt griff sich an die Stirn, – »in einer Wirtschaft, – einen Garten hatte sie.«

»Der Name?«

Der Gefragte verzog ärgerlich das Gesicht. »Kann mich nicht entsinnen.«

»Und die Straße?«

»Fällt mir auch nicht ein.«

»Sie vermögen also für den siebenundzwanzigsten Mai, für die Zeit des Mordes in der Mauerstraße, Ihr Alibi nicht nachzuweisen?«

»Teufel,« fluchte Löwentritt, der plötzlich die Falle erkannte, in die er geraten, – »der verdammte Alkohol!«

»Sie wollen sich nunmehr mit Trunkenheit ausreden?«

»Ich weiß von gar nichts mehr.« Die Miene Löwentritts ward immer verzweifelter, wütend schlug er sich mit der geballten Faust an den Kopf.

»Auch niemanden, der mit Ihnen gesprochen hat?«

»Nur ein paar unverschämte Kellner. Aber die sklavischen Visagen müßte ich sehen, um sie wiederzuerkennen.«

Der Amtsrichter verzichtete auf weitere Fragen und wandte sich dem Schutzmann zu. »Rast, führen Sie den Gefangenen ins Untersuchungsgefängnis zurück.«

Dann trat er ans Telephon und erteilte dem angerufenen Kommissar Schild den Auftrag, noch einmal das Zimmer und die gesamte Hinterlassenschaft des ermordeten Rivinius aufs genaueste nach Briefen oder sonstigen wichtigen Aufzeichnungen zu durchsuchen.

Das langwierige Verhör hatte ihn angestrengt, und er fühlte das Bedürfnis, sich, ehe er nach Hause kehrte, noch in der gegenüberliegenden »Goldenen Ente« ein wenig zu erfrischen.

*

»Ich glaube wirklich, man hat da wieder einmal danebengegriffen,« meinte der Rechtsanwalt, das beißende Gulasch mit einem kräftigen Schluck Bernkasteler begießend. »So lächerlich abstoßend er mir neulich abend erschien, heute, da ich den Menschen wie einen ›Geflickten Lumpenkönig‹ durch das Gerichtsgebäude führen sah, hat er mir wahrhaftig nicht den Eindruck eines Raubmörders gemacht.«

»Aber bedenke das gefundene Geld,« bemerkte der Bezirksarzt, die ›Morgenpost‹ zur Seite legend.

»Sagt mir vorläufig gar nichts. Jedenfalls würde ich keinen Augenblick Bedenken tragen, den armen Teufel zu verteidigen.«

»Auch wenn du ihn für schuldig hieltest?«

»Das kann ich eben nicht. Du als Gerichtsarzt, der du selbst bei der Totenschau und Sektion zugegen warst, der du die Zeit des Mordes ziemlich genau festgestellt hast, solltest das doch wissen.«

»Um Mitternacht herum, ja.«

»Nun also. Im ersten Augenblick dachte ich auch nicht daran. Aber als meine Verhandlung beendigt war, fiel es mir plötzlich blitzartig ein, die Unmöglichkeit –«

»Da kommt ja die Quelle, aus der wir das Neue am frischesten schöpfen können,« unterbrach der Doktor den erregten Freund, nach der Portiere des Eingangs deutend.

»Amtsrichter Euler, du hast recht. Der kann uns ja sagen, was das Verhör ergeben hat.«

Der Untersuchungsrichter, der auf die Einladung des Bezirksamtes gern an dem kleinen, behaglichen Tisch Platz nahm, war sofort bereit, das Ergebnis zu berichten.

»Einen direkt ungünstigen Eindruck hat mir der lächerlich eingebildete Kerl gerade nicht gemacht,« schloß er. »Alles, was er vorbringt, läge ja nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit, aber mit dem mangelnden Alibinachweis ist es immer eine böse Sache.«

»Ich kann ihn liefern, Herr Amtsrichter,« rief Ostertag triumphierend, »ich und der Doktor.«

»Ja,« fiel der Bezirksarzt ein, der plötzlich den Freund begriff und ihm völlig recht geben mußte, – »ich und noch viele andere. Wirt, Kellner und Gäste im ›Grünen Baum‹.«

»Das wäre das Lokal gewesen, das der Mensch in seinem Rausch vergessen hat?« stutzte der Amtsrichter.

»Dasselbe, wir betraten es, als es eben elf Uhr geschlagen. Um diese Zeit war der Mord noch gar nicht begangen. Der verrückte Komödiant aber saß dort schon längere Zeit, hatte bereits einen ganzen Tisch voll geleerter Flaschen vor sich und war auch schon im Besitz des für geraubt gehaltenen Geldes. Heute, als er eben Ihnen vorgeführt werden sollte, begegnete er mir im Korridor, und ich erkannte ihn sofort wieder. Außerdem ist es der gleiche Name, den er damals nannte.«

Der Amtsrichter machte ein verdrießliches Gesicht. »Wenn dafür ein allgemeines Zeugnis vorliegt, dann muß ich ihm wohl oder übel glauben und ihn freilassen, so gut wie den Niederwieser. Was aber dann?«

Die drei sahen sich an, ohne daß einer eine Antwort geben konnte.

»Ja, meine Herren,« fuhr Martin Euler fort, – »wenn es sich, wie ja nunmehr festzustehen scheint, in dem Falle Rivinius nicht um einen Raubmord gehandelt hat, dann fürchte ich, daß diese furchtbare Bluttat niemals wird aufgeklärt werden. Es müßte denn sein –«

Er schien es vorzuziehen, das weitere für sich zu behalten, aber der neugierige Doktor gab sich nicht zufrieden.

»Sie hätten noch eine weitere Spur?«

»Ich nicht. Nur Kommissar Schild äußerte flüchtig den Verdacht.«

» Où est la femme? Das alte Lied,« lächelte fragend Franz Eller.

»Um ein Weib würde es sich allerdings drehen. Aber der Gedanke war so ungeheuerlich, daß ich ein Eingehen darauf glaubte ohne weiteres abweisen zu müssen.«

»Und darf man nicht wissen?« fragte mit leise bebender Stimme, von einer seltsamen Ahnung durchzuckt, der Rechtsanwalt.

Euler setzte ärgerlich das Glas mit Liebfrauenmilch, das er eben zum Munde führen wollte, ab.

»Keine Minute hat man Ruhe. Wer ist denn da schon wieder?«

»Herr Kommissar Schild möchten den Herrn Untersuchungsrichter dringend in wichtiger Angelegenheit sprechen.«

Martin Euler wurde in unerwarteter und doch erwünschter Weise der ihm peinlichen Antwort durch das Herantreten des Kellners überhoben.

»Sie wünschen, Fritz?«

»Der Herr Amtsrichter werden ans Telephon gebeten.«


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