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6.

Von der nahen Erlöserkirche herüber klang Orgelspiel und Gesang.

Kornelia Heinloth schloß das halbgeöffnete Fenster und zog die schweren Vorhänge zusammen, so daß in dem eleganten Gemach ein weich gedämpftes Halbdunkel entstand.

Die Künstlerin befand sich in andächtiger Weihestimmung, aber diese frommen Weisen störten sie bei dem Studium ihrer Rolle. Der heidnisch wilde, ungebändigte Naturcharakter einer Brunhild paßte schlecht zu den heiligen christlichen Lehren von Versöhnung und Ergebung.

Wie ein Heiligtum erschien ihr das Buch, das sie in der Hand hielt, Geibels gewaltige Dichtung »Brunhild«, die sie selbst auf die ersehnte Höhe, den Gipfel ihrer Kunst führen sollte.

Der größte Moment ihres bisherigen Lebens, das Gastspiel am Wiener Hofburgtheater, stand in wenigen Wochen bevor, ein einmaliges Auftreten als Brunhild, das über ihre Zukunft dauernd entscheiden sollte.

Die Burg! Ein Zauberglanz wob sich ihr um den Namen, um den Begriff. Wie ein Wunderschlüssel eröffnete er die ganze traumhaft schöne Märchenwelt der Bühne in ihrer reinsten Vollendung, den Montsalvage der Kunst, in dem der Gralsbecher erglühte. Geisterhaft brauste der Applaus in ihre Ohren, es duftete von Blumen, es rauschte von Lorbeer. – Ach, nur einmal dort auftreten und sterben! Oder Erfolg haben und leben, wenn man sie engagierte und sie dauernd bleiben durfte an dieser geweihten Stätte der Kunst.

Der Gedanke daran setzte sie über alles hinweg. Seit Wochen schon studierte sie an der Rolle und lebte sich tief und tiefer in die geheimsten Seelenregungen des gequälten Weibes hinein. Aber immer genügte ihr der getroffene Ton noch nicht, immer wieder probierte sie von neuem.

Der vierte Akt, die schwierige Szene mit Gunther und Hagen, lag aufgeschlagen vor ihr.

Heute hatte man Robert Rivinius zu Grabe getragen. Am Ende der Querstraße, auf die ihre Fenster blickten, hatte sie die schwarzen Gestalten, die der Leiche zum Friedhof folgten, langsam vorüberziehen sehen.

Anfangs war sie unfähig gewesen, zu lernen. Jetzt aber, nach Stunden, da die furchtbare Erregung nur noch gleich den ausschwingenden Tönen einer zersprungenen Saite in ihrer Brust nachzitterte, – da sie die unabwendbare Gewalt des Schicksals fühlte, das es so gewollt hatte, da fand sie das Rechte, da floß es ihr mit überzeugender Kraft wie etwas Selbstverständliches von den Lippen:

»Wer so wie ich gelitten,
Dem losch mit Furcht und Hoffnung auch der Blitz
Des Zornes aus, und ehern wie das Schicksal,
Gelassen tut er, was notwendig ist, –
Siegfried muß sterben! –«

Sie mußte innehalten und sich fassen. Von den eigenen Worten, der Illusion des Dichters erschüttert, erlebte sie selbst den furchtbaren Entschluß mit. Der, den sie geliebt, mußte sterben!

Wie von qualvoller Unruhe erfüllt, begann sie unstet das Zimmer zu durchwandern. Am Blumentisch blieb sie stehen und sog den schwülen Duft einer dunkelroten Rose ein. Dann schauderte sie zurück. Die Farbe gemahnte an Blut, und sie mußte des Ermordeten gedenken.

Nervös blätterte sie in dem auf dem Sofatisch liegenden Album. Das Bild Roberts starrte sie an, aber sie sah nicht den Lebenden, sie sah die gebrochenen Augen, die durch die schwarze, deckende Erde seinen Mörder suchten.

Selbst der süße Gesang des Hänflings tat ihr weh. Sie schlug ein Tuch über den vergoldeten Käfig, damit der kleine, graue Sänger verstummte.

Niemand durfte hier sprechen als sie. Und wieder hob sich ihre Stimme metallisch wie in grollendem Gewitterzorn:

»Was du mir antatst, oh, ein Frevel war's,
Ratlose Wildheit konnt ihn blöder nicht,
Nicht blinder üben. Doch aus deinem Sinn,
Wie ich ihn jetzt erkannt, begreif ich ihn,
Du konntest mich beflecken, nicht erniedern!«

Nicht nur ihre Stimme hatte sich geändert. Auch ihre Augen lohten in düsterer Glut, und schwere, unheilvolle Wolken schienen auf ihrer Stirn zu lagern. Das schöne Gesicht hatte in wenigen Minuten einen ganz neuen, furchterregenden Ausdruck angenommen.

Die Zofe, die, ein Schreiben in der Hand, auf die Schwelle getreten war, wagte die Herrin nicht zu stören. Ihr Anblick erschreckte sie.

Schwer aufatmend, als laste ein den Atem raubendes Gewicht auf ihr, öffnete Kornelia die grünseidene Bluse über der Brust. Bei der plötzlich gemachten Wendung erblickte sie das Mädchen, zuckte zusammen, und ein jähes Erblassen ging über ihr Gesicht.

»Du, Nettchen? Du hast mir zugehört!«

»Ach Gott, es war so grauslich schön, mir is ganz angst geworden –«

Eine Falte des Unwillens legte sich zwischen Kornelias Augenbrauen.

»Das verstehst du nicht.«

»Na ja, das braucht es auch nich. – Aber wenn gnädiges Fräulein sich man nich so aufregen wollten, – das tut Ihnen ja nich gut,« meinte Nettchen mit ehrlicher Überzeugung.

Die teilnehmende Sorge, die aus der Stimme des Mädchens klang, rührte die Künstlerin. »Was willst du denn, – ich bin doch nicht krank,« sagte sie in viel milderem Ton.

»Doch, – gnädiges Fräulein wissen es nur nich. Seit Sie vom Lilienfest heimgekommen sind, haben Sie sich ganz verändert.«

»Unsinn, mir fehlt ja nichts.«

»Aber gnädiges Fräulein stehen doch jetzt immer so früh auf.«

»Weil ich nicht schlafen kann.« Kornelia schauderte zusammen beim Anblick ihres eigenen Schattens, der lang durch das Zimmer fiel. »Schließ die Vorhänge ganz, Nettchen, diese zudringliche Sonne ist unerträglich, und die Helle tut meinen Augen weh. Aber was hast du denn, daß du zu schluchzen anfängst?«

»Ach Gott – weil es jetzt ganz dunkel ist – und ich hab' an den armen Herrn Rivinius denken müssen. Da, wo sie ihn eingescharrt haben, is es nu auch stockfinster. Und er is ein so lieber Herr gewesen, und seine arme Mutter, wo so weit is, die weiß gewiß noch gar nischt –«

»Man wird ihr jedenfalls telegraphiert haben,« bemerkte leise Kornelia.

»Aber zu der Beerdigung hat sie doch nich herüber können. Und sie wäre gewiß so gern dabeigewesen. Nu wird sie gewiß kommen und sein Grab besuchen – und –« erneutes Schluchzen erstickte ihre Worte.

Der Künstlerin, die sich in den entferntesten Winkel des Zimmers zurückgezogen hatte, als fürchte sie, noch einmal von einem Sonnenstrahl getroffen zu werden, schienen die weinerlich sentimentalen Ergüsse des Mädchens peinlich.

»Ich begreife dich nicht, – für dich ist das doch kein Grund zum Heulen – .«

»Gnädiges Fräulein haben schon recht, – Ihnen hat es ja viel näher gehen müssen als mir, aber der arme Herr is doch nun schon mal tot, und meinen Thia, den bringen sie gewiß erst um.«

Kornelia schnellte plötzlich aus ihrer Ecke hervor und sah dem Mädchen schreckensstarr ins Gesicht.

»Was sagst du, – dem Burschen von Herrn Menacher, deinem Liebsten, droht Gefahr?«

»Ach Gott, ja, – gnädiges Fräulein haben mich ja gar nich mehr hören wollen, gestern, wie ich von's Gericht zurückgekommen bin.«

»So erzähle jetzt.«

Nettchens Tränenbäche verstärkten sich. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich fassen und haarklein berichten konnte, um was man sie alles ausgefragt.

Die Künstlerin sah verzweifelt vor sich hin und rang wie in eigenem Schmerz die Hände.

»Ja, Nettchen, – ist denn das möglich, daß man einen Menschen unschuldig verurteilen kann?«

»Sie wollen ja an seine Unschuld nich glauben, weil so viel gegen ihn spricht.«

»Sie sollen, sie müssen es. Warum lesen sie nicht in seinem ehrlichen Gesicht! Ich leiste jede Bürgschaft dafür. Das muß doch alle Welt sehen, daß der Bursche kein Mörder sein kann.«

»Ach, gnädiges Fräulein,« jammerte Nettchen von neuem, – »Sie werden's schon sehen, – es geht nich gut aus, meinen armen Thia bringen sie aufs Schafott – und dann springe ich ins Wasser.«

»Zwei Leben um das eine, – das wäre zuviel, –« murmelte Kornelia. »Der Mörder könnte keine ruhige Stunde mehr haben. – Nein, Nettchen,« fuhr sie tröstend fort, »verlaß dich darauf, der Bursche wird gerettet, die Zeit kommt schon, wo man den wahren Täter finden muß. Wie kann er denn das mit ansehen und stumm bleiben! Eine Zeitlang vielleicht, bis, – bis er sprechen darf – oder bis ihm die Reue den Mund öffnet, – wer kann es wissen –«

»Ach, gnädiges Fräulein,« schluchzte Nettchen, – ohne sie aussprechen zu lassen, »es gibt so schlechte Menschen, und wenn einer erst mal mit's Gericht zu tun hat –«

Kornelia war an das Fenster getreten und riß mit krampfhaftem Ruck an der Schnur; das fahle Dunkel schien sie in diesem Augenblick selbst zu ängstigen. Ein Sonnenstrahl glitt herein und beleuchtete etwas Weißes in der Hand der Zofe, das sie erst jetzt bemerkte.

»Wie, das ist ja der gleiche Stempel, wie gestern auf der Vorladung! Mußt du schon wieder –«

Nettchen hielt ihr den Brief hin. »Das ist für das gnädige Fräulein selbst –«

Die Künstlerin prallte zurück, ihre eben noch von fieberhafter Erregung glühenden Wangen verfärbten sich. »Für mich, – vom Gericht! Wer hat das gebracht?«

»Auch wieder der Bote mit der blauen Mütze.«

Kornelia schien sich bereits ihrer Aufregung zu schämen. »Gib,« sagte sie, sich zu kalter Gelassenheit zwingend. »Was kann es sein? – Da Herr Rivinius mit mir bekannt war, wird man einiges über seine Lebensgewohnheiten, seine Freunde von mir wissen wollen.«

Der scheinbar über sie gekommenen Ruhe widersprach nur das nervöse Zittern der Finger, die den Umschlag erbrachen.

Der Inhalt des amtlichen Schreibens war kurz und knapp gehalten, er beruhigte sie wirklich. »Herr Amtsrichter Euler ersucht mich, heute vormittag den Kriminalkommissar Schild in meiner Privatwohnung empfangen zu wollen, einiger nötiger Erkundigungen wegen,« sagte sie in gleichgültigem Ton; – »wenn der Herr kommt, so lasse ihn herein.«

Nettchen horchte auf den draußen hörbar werdenden leisen Ton der Glocke. Wie jedes laute Geräusch in der Nähe der nervös erregbaren Künstlerin verpönt war, so durfte auch die Glocke nur gedämpft klingen.

»Ich glaube, da ist er schon.«

Kornelia Heinloth schloß das Drama und warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel. Ein paar Haare, die verwirrt in die Stirn gefallen, strich sie zurück, die eben noch so erregten Züge glätteten sich zu sicherer Ruhe.

»Herr Kriminalkommissar Schild,« meldete einen Augenblick später das Mädchen.

Die Künstlerin erwiderte flüchtig die höfliche Verbeugung des Beamten.

»Womit kann ich dienen?«

»Die Mitteilung des Herrn Untersuchungsrichters wird Sie bereits orientiert haben,« meinte Schild, den angebotenen Stuhl nehmend. »Es ist mir peinlich, Sie in einer Angelegenheit befragen zu müssen, die Sie nicht wenig erschüttert haben wird, aber Sie wissen, das Gesetz kennt keine Rücksicht.«

»Ich bitte.« Es war die Miene einer Königin, die dem Diener gnädig eine Gunst gewährt. »Was Sie von mir wissen wollen, wird sich zweifellos auf das tragische Ende des unglücklichen Herrn Rivinius beziehen.«

»Auf das, was vorherging,« verbesserte der Kommissar mit überlegenem Lächeln.

Die Künstlerin biß sich auf die Lippen. »Sie haben recht. Denn was das Ende selbst betrifft, so wäre es im Interesse der Gerechtigkeit nur zu wünschen, daß Sie mehr davon wüßten als ich.«

Der Kommissar betrachtete prüfend seine schmalen, sauber geputzten Fingernägel. »Leider ist das bis jetzt sehr wenig. Was in der seinem Tode vorhergegangenen Stunde geschah, darüber sind wir noch ganz im Dunkeln. Und solange es sich nicht aufhellt, bleiben Sie die letzte, die ihn gesehen. Herr Rivinius war im Theater, suchte Sie nach Beendigung der Vorstellung an der Garderobe auf – –«

»Wenn Sie das bereits alles wissen –«

Der Kommissar beantwortete den etwas pikierten Ton Kornelias mit einer neuen Verbeugung. »Die Bekundungen des Personals, auch die Aussage Ihrer eigenen Zofe unterrichteten uns darüber. Ebenso ist uns bekannt, daß Herr Rivinius mit Ihnen auf die Straße hinabging und sich dort noch längere Zeit mit Ihnen unterhielt.«

»Ja, – wir sprachen über das zum erstenmal gegebene Stück.«

»Das waren die letzten Worte, die Sie mit ihm wechselten?«

»Vor dem Theater, ja.«

Sichtbares Erstaunen malte sich auf dem Gesicht des Kommissars. »Wie sagen Sie?«

»Wir haben später noch weiter darüber gesprochen.«

»Ah.« Schild schien sich über diese unerwartete Mitteilung gar nicht fassen zu können. »Aber Sie haben sich doch vor dem Theater von dem Herrn getrennt!«

»Gewiß, weil mein Mädchen kam, und die unser Gespräch nicht zu hören brauchte.«

»Sie wollten sich also später an anderem Orte wieder treffen?«

Kornelia zögerte einen Augenblick. »Nein,« sagte sie dann in festem Ton. »Es war Zufall –«

Da sie sich nicht weiter erklären zu wollen schien, kam der Beamte ihr zu Hilfe. »Sie hatten etwas in der Garderobe vergessen, eine Nadel, hieß es, gingen noch einmal zurück, und als Sie wiederkamen –«

»War mein Mädchen, das ich nach Hause geschickt, bereits gegangen, Herrn Rivinius aber traf ich noch wartend in der Steinstraße. Er hatte sich vergeblich nach einer Droschke umgesehen und erbot sich jetzt, mich noch ein Stück zu begleiten.«

»Wie weit?«

»Bis ans Union-Hotel, da ich es vorzog, an dem schönen Frühlingsabend zu Fuß zu gehen.«

»Auf dem Weg durch die Mauerstraße kamen Sie auch an der Wohnung Ihres Begleiters vorbei. Ist Ihnen dort vielleicht etwas aufgefallen?«

»Was sollte mir dort auffallen?«

»Ob vielleicht eine Lampe brannte – –«

»Mein Herr – ich habe diese Wohnung nie betreten und kannte infolgedessen auch das Zimmer nicht. Ich verstehe nicht, wie Sie mich danach fragen können.«

»Verzeihen Sie.« Der indignierte Ton der Künstlerin ließ Schild vorsichtiger sein. »Darf ich dann vielleicht fragen, über was Sie sich auf dem Wege unterhielten?«

»Wahrscheinlich noch über das Stück, vielleicht auch über gleichgültige Dinge. Ich weiß das wirklich nicht mehr. Hätte ich ahnen können, daß der Unglückliche den nächsten Morgen nicht mehr erleben werde, so hätte sich das alles vermutlich meinem Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt.«

Der Kommissar nickte zum Zeichen, daß er die Wahrheit ihrer Worte nicht bezweifelte. »Ich meinte eigentlich etwas anderes. Sprach Herr Rivinius nicht von einem Besuche in seiner Wohnung, von einem Bekannten, den er noch treffen wollte, vielleicht von Herrn Menacher?«

»Nein!« schnitt sie alles Weitere kurz ab.

»Die Straßen waren um diese Zeit wohl schon sehr menschenleer?«

»Nicht doch, verschiedene Leute begegneten uns, sogar Bekannte, die uns grüßten.«

»Vor dem Union-Hotel – also verabschiedete sich Ihr Begleiter, um nach Hause zu gehen?«

»Jawohl, so sagte er.«

»Ob es wirklich geschah, wissen Sie nicht?«

»Ich habe mich nicht umgesehen. Jedenfalls hatte ich keinen Grund, daran zu zweifeln.«

Der Kommissar machte eine nachdenkliche Pause. »Hm, es ist immerhin merkwürdig, – merkwürdig, daß Herr Rivinius Sie nicht zum Lilienfest begleitete –«

Kornelia warf einen prüfenden Blick auf ihn und vermied es, eine Antwort zu geben, wo keine Frage gestellt war.

»War Ihnen vielleicht ein Grund bekannt?«

Die Künstlerin mochte noch immer nicht mit der Sprache heraus. »Muß ich das sagen?«

»Es ist für das Gericht von höchster Wichtigkeit, festzustellen, ob der Ermordete für die Nacht vielleicht noch irgend etwas anderes vorgehabt hat. Handelte es sich dem Lebenden gegenüber um Diskretion, so bedarf es in dieser Beziehung bei einem Toten doch keiner Rücksichten.«

»Nun denn, so irren Sie, Herr Kommissar. Der Grund war ein solcher, der mit dem nachher Geschehenen jedenfalls nicht in Verbindung zu setzen ist.«

Kommissar Schild schien nicht ganz dieser Meinung zu sein. Während Kornelia von Roberts verwandtschaftlichen Beziehungen zu Haireddin-Bey erzählte, drückten seine Mienen gespanntes Interesse aus.

»Hat sich Herr Rivinius nicht noch näher ausgesprochen?« forschte er, als sie zu Ende war.

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, darüber, ob nicht vielleicht dieser Hypnotiseur eine Erbschaft oder von dem Todesfall in der Familie irgendwelchen sonstigen Vorteil zu erwarten hatte?«

»Nein, – mir wurden überhaupt nur kurze Andeutungen gemacht.« Die Künstlerin schien seinen Gedanken zu verstehen, und die Gewißheit empörte sie ebenso, wie vorhin die Vorstellung, daß Matthias Niederwieser die Bluttat begangen haben sollte. »Ich fände es unverantwortlich, Herr Kommissar,« fügte sie hinzu, – »auch nur den leisesten Verdacht auf einen Unschuldigen zu lenken.«

Andreas Schild schob leicht die Schultern in die Höhe. Sein ursprünglicher Verdacht hatte sich nur verstärkt, um so mehr, als er selbst vorübergehend auf dem Lilienfest anwesend gewesen und ihm eines der Experimente Haireddin-Beys als sonderbar und ungewöhnlich aufgefallen war. Doch er vermied es, sich darüber zu äußern, und schloß seine Fragen nach einer anderen Richtung hin ab:

»Darf ich Sie noch um eine Angabe bitten? Wie spät war es, als Herr Rivinius Sie vor dem Union-Hotel verließ?«

Kornelia stockte. »Das vermag ich wirklich nicht genau zu sagen.«

»Aber doch wohl ungefähr.«

»Ich habe nicht auf die Uhr gesehen und weiß nur, daß ich ziemlich spät auf dem Fest erschien. Das Theater war erst nach einhalb elf Uhr zu Ende.«

»Dann ist es wohl jedenfalls nach elf Uhr gewesen?«

»Bestimmt.«

»Zwischen elf und zwölf Uhr oder kurz nachher ist dem ärztlichen Befunde nach die Tat geschehen,« sann der Kommissar nach. »Entweder also muß der Mörder den Zurückkehrenden in seiner Wohnung erwartet oder sich ihm auf dem Wege dahin angeschlossen haben.«

Das Einsteigen des Täters durch den Garten bei brennender Lampe und somit die Schuld Niederwiesers war ihm von Anfang an unglaubbar erschienen. Sehr befriedigt von dem Verhör, das ganz neue, überraschende Tatsachen, die seinem heimlich gehegten Verdacht entsprachen, gebracht, erhob er sich. »Ich danke Ihnen, mein Fräulein.«

In der Tür wandte er sich noch einmal um. »Wo Herr Rivinius seine Geldgeschäfte besorgte, werden Sie wohl nicht wissen?«

»Zufällig doch. Bankier Lenzmann in der Grünwallstraße. Er hat ihn wiederholt genannt.«

Andreas Schild begab sich geraden Weges dorthin.

Herr Lenzmann erinnerte sich genau. Die ganze Summe von zehntausend Mark war in Hundertmarkscheinen ausgezahlt worden. Und jeder derselben war gezeichnet.

Der Bankier hatte die Gewohnheit, in der hinteren linken Ecke jeder durch seine Hände gehenden Note einen winzigen Anker, dem Uneingeweihten kaum erkennbar, mit unlöslicher Tinte anzubringen.

Ließ sich eine größere Unzahl der markierten Scheine in der Hand einer und derselben Person nachweisen, so war der Verbrecher so gut wie überführt.

Vorläufig also galt es, die verräterischen Banknoten zu finden.


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