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9.

»Nein, ich will niemand sehen. Ich hab' es dir doch gesagt, – ich fühle mich nicht wohl. Wer ist es denn?«

»Eine junge Dame.«

»Vom Theater, – eine Kollegin wahrscheinlich.«

»Martha Menacher hat sie gesagt.«

»Martha,« – fuhr die Heinloth aus dem braunsamtenen Sessel auf, – »seine Schwester, – von der er so zärtlich schwärmte, – fast wie von mir. Um ihres unglücklichen Bruders willen darf ich sie nicht abweisen.«

Nettchen hatte das Selbstgespräch der Künstlerin nur zur Hälfte verstanden.

»Gnädiges Fräulein befehlen?«

»Meinetwegen. Laß sie ein.«

Eine schlanke, zierliche Gestalt trat über die Schwelle. Der breite, mit Narzissen garnierte Hut deckte ein braunes, leicht gelocktes Haupt. Der liebliche Mund schien wie zur Heiterkeit geschaffen, aber das Lächeln darauf war erstarrt, und die blauen Augen blickten tiefernst.

Schüchtern, verlegen, die ersten Worte zu finden, blieb sie in der halb geöffneten Tür stehen. Aber die Künstlerin kam ihr rasch entgegen.

»Fräulein Menacher, – wie ich höre. Ihr Herr Bruder hat mir so viel von Ihnen erzählt, und ich hatte noch nie das Vergnügen –«

»Ach, wenn Anton das Glück hatte, bei Ihnen sein zu dürfen, wollte er ja von einem Dritten nichts wissen.«

Die naive Offenheit rührte Kornelia. Sie ergriff die Hand des jungen Mädchens und führte es zum Sofa.

»Ich glaube wirklich, er hat mich sehr gern gehabt.«

»Gehabt?« Marthas Augen weiteten sich verwundert. »Ja, glauben Sie denn, seine grenzenlose Verehrung für Sie könnte jemals geringer werden? Bis über das Grab hinaus wird er Sie lieben. Und wenn wirklich das Entsetzliche geschähe, – wenn er seinen Wahnsinn mit dem Leben büßen müßte, sein letztes Wort würde Ihr Name sein. Wie der Name einer Heiligen, zu der das letzte Stoßgebet fleht.«

Kornelia Heinloth stand in heftiger Erregung auf. Sie konnte nicht neben diesem Mädchen sitzen, nicht in ihre offenen, ehrlich vertrauenden Augen sehen. Unstet, den Blick bald hierhin, bald dorthin gewendet, begann sie mit ihren kurzen, elastischen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen.

»Sie leiden an Einbildungen, liebes Fräulein,« stieß sie, einen Augenblick abgewandt durch das Fenster blickend, heraus. »Gerade wie Ihr Bruder.«

»Nicht wahr, das glauben Sie auch!« rief Martha wie in erlösender Freude.

»Was soll ich glauben?«

»Daß er in einer Art Sinnesverwirrung die Unwahrheit sagt.«

»Die Unwahrheit?« wiederholte fragend die Künstlerin.

»Es ist doch nicht möglich, daß er seinen Freund Rivinius ermordet hat.«

»Ja – sagt er denn das selbst?« Kornelia stockte der Atem.

»Wissen Sie das noch nicht?«

»Nur, daß man ihn in ein Sanatorium gebracht hat, zur Beobachtung seines Geisteszustandes. So stand es in der Zeitung.«

»Ja – aber der Grund dafür war doch, daß er es Ihretwegen getan haben will, weil er sich einbildete, Sie hätten seinen Freund lieber als ihn. So hat es mir sein Verteidiger, Herr Rechtsanwalt Ostertag, geschrieben, dem er es gestanden, und der deshalb seine ärztliche Untersuchung verlangte.«

Mit ausgebreiteten Armen, sich an die dunklen Fenstervorhänge klammernd, sah die Künstlerin mit starren Augen auf das schmerzgebeugte Mädchen; wie gekreuzigt stand sie da.

»Und warum sind Sie zu mir gekommen?« rang es sich wie stöhnend aus ihrem Mund.

»Um auch von Ihnen zu hören, daß Sie das Fürchterliche nicht glauben können. Ich wüßte ja sonst niemand, der ihm so recht nahegestanden.«

Ein starres Lächeln bewegte unmerklich Kornelias Mund.

»Und sein Freund, sein Verteidiger, der Rechtsanwalt?«

Schamhaft errötend senkte Martha die Augen. »Ach Gott, den durfte ich doch nicht aufsuchen. Was hätten die Leute davon gedacht. Er ist ja so gut wie mein Verlobter.«

Wieder schien die Künstlerin ergriffen von der harmlosen Unschuld des Mädchens. »Aber warum heiraten Sie denn nicht. Es ist ein so seltenes Glück, einen Mann zu finden, der es ehrlich meint. Die meisten sind falsch und heuchlerisch. Sie tun unrecht, zu zögern, um so viele schöne Stunden sich selbst zu betrügen.«

»Ja, wenn es an mir läge –«

»Aber an wem denn sonst?«

»An Ihnen. Ich habe es ja unserer sterbenden Mutter geloben müssen, den Bruder nicht allein zu lassen. Und Anton hoffte auch, nicht lange mehr allein zu bleiben, – er hoffte ja auf Ihre Hand, bis sein Freund zurückkehrte, – Sie kennen lernte. Dann schien wieder alles aus zu sein, – und nun, – o mein Gott, nun ist es das wirklich!« Schluchzend vergrub sie das Gesicht in den Händen.

Kornelia Heinloth saß tief erschüttert da. Ihre Seele schien einen schweren Kampf zu kämpfen. »Ich habe ihn geliebt.«

Martha hatte die mit schmerzlicher Stimme halblaut geflüsterten Worte vernommen. »Anton?« fragte sie in bebender Erwartung.

»Seinen Freund. Und darum bin ich Ihres Bruders nicht mehr würdig.«

»Aber, – Fräulein Heinloth,« brach Martha aus, »was sagen Sie da, – wenn nur er es wäre, – Ihrer würdig wäre, – er, auf dem ein so gräßlicher Verdacht haftet! Glauben Sie mir, wie ich den Brief von Albert erhielt, da habe ich gemeint, ich hätte das alles nur geträumt.«

»Das ist auch ein tolles Traumbild. Das muß es sein!« rief Kornelia leidenschaftlich. »Gewiß nur eine kurze Weile, und die Wahrheit wird an den Tag kommen. Gott sei es gedankt, daß die Anklage noch nicht erhoben wurde, daß Ihr Freund den einzig richtigen Schritt getan, der den Gang eines wahnsinnigen Schicksals noch hemmen kann.«

»Daß es das Beste war, habe ich mir ja auch gesagt, und ich kann Albert nicht dankbar genug dafür sein. Freilich bei meiner kranken Freundin in Lerchenstätt konnte ich nicht bleiben und war genötigt, gleich in die Stadt, in die verwaiste Wohnung zurückzukehren, mich des Geschäftes anzunehmen, in das mich mein Bruder ja, Gott sei Dank, genügend eingeweiht hat. Aber wenn sie ihn aus dem Sanatorium entlassen, so fürchte ich – –«

»Was fürchten Sie?« fieberte Kornelias Stimme.

»Daß er das gleiche behaupten wird.«

»Das wäre neuer Wahnsinn, nachdem man ihn eben für vernünftig erklärt hat.«

Martha sah der Künstlerin voll in die Augen. »Es grenzt ja auch an Wahnsinn, wie er Sie liebt. Ich weiß es, – ohne Ihren Besitz wäre es sein einziger Wunsch, zu sterben.«

»Das soll er nicht, Fräulein Martha! haben Sie Mut und Vertrauen. Schwören möchte ich es Ihnen, daß sie ihn nicht verurteilen können, nicht dürfen. Wenn er und andere auch glauben, daß man die Tat ihm suggeriert, daß er sie, von Eifersucht gefoltert, in der Trance begangen, – ihn deswegen zu strafen, haben sie kein Recht, – und ich – ich sage Ihnen, er ist schuldlos, – Ihr Bruder ist kein Mörder.«

Unwillkürlich beugte Martha sich nieder und berührte mit ihren Lippen der Künstlerin Hand.

»Was tun Sie?«

»Ihnen danken für die erlösende Überzeugung,« flüsterte das Mädchen bewegt. »In meinem wie in Antons Namen. Denn auch ich glaube hoffen zu dürfen – für meinen Bruder. Vertrauen ist ja die Wurzel der Liebe. Und Sie haben ihm das höchste Vertrauen bezeugt.«

Ergriffen blickte Kornelia dem schlichten Mädchen nach, das sich rasch, mit kurzem Abschiedsgruß entfernte, als fürchtete sie, jedes weitere Wort könne die schöne, andächtige Stimmung, die sich ihrer bemächtigt, wieder zerstören. Ungewollt drängten sich ihr Heines sentimentale Verse auf die Lippen:

»Du bist wie eine Blume
So hold und schön und rein.
Ich schau dich an und Wehmut
Schleicht mir ins Herz hinein.«

Schwer aufseufzend, den Kopf auf den schlanken Arm gestützt, warf sich die Tragödin auf den Lehnsessel im blumengeschmückten Erker.

Alles, was sie da von dem lieblichen Mädchen erfahren, erschien ihr so gut wie neu und versenkte sie in schwere, nachdenkliche Zweifel über sich selbst.

Sympathisch, als begeisterter und doch zurückhaltender Verehrer, war ihr Anton Menacher immer gewesen. Aber die lockeren Beziehungen, die sie mit ihm unterhalten, hatte sie nie so recht ernst genommen, auch nie an eine tiefgehende Leidenschaft geglaubt, deren Größe sie erst jetzt aus dem Munde der Schwester erfahren.

Gute Freunde waren sie ja gewesen, die sich in allem verstanden, vielleicht zu gut verstanden, zumal in der idealen Schwärmerei für alles, was Kunst hieß. Aber gerade diese zu große Gleichheit der Gefühle mochte die Ursache gewesen sein, die auf ihrer Seite zu einer gewissen kühlen Gleichgültigkeit geführt hatte. Man liebte im andern ja nicht sich selbst, sondern ein Etwas, das sein eigenes Wesen ergänzen mußte.

Das glaubte sie in Robert gefunden zu haben, dessen ganzer Charakter einen so ausgesprochenen Gegensatz zu dem ihren bildete. Im Äußeren ein weit lebhafterer, temperamentvollerer Liebhaber als der alles in höhere Sphären rückende Menacher, bewahrte er doch auch in der Leidenschaft stets eine gewisse überlegene Ruhe.

Das Kritische seines Geistes, das sich nicht ohne weiteres jedem Eindruck gefangen gab, das ihn immer prüfen und erwägen ließ, das ihn selbst an Dinge, die ihn begeisterten und entzückten, nur mit anfänglichem Mißtrauen herantreten machte, das alles hatte sie als etwas ihr Fremdes angezogen, das imponierte ihr, bewirkte, daß sie in dem Indier den zielbewußten Mann sah, dessen Entschluß, war er einmal mit Energie gefaßt, kein Wanken mehr kannte, und der ihr deshalb geeignet erschien, dem schwächeren Weibe Stab und Stütze zu sein.

Unwillkürlich mußte sie an die rohe Kraftnatur des Percival in der Halmschen Dichtung denken, in der sie an jenem verhängnisvollen Abend gespielt hatte, an diese brutale, allzu selbstbewußte Heldenhaftigkeit, der jedes Mittel, zum Ziele zu gelangen, recht war.

»Im Haß ist Wahrheit, in der Liebe nicht,« murmelte sie vor sich hin, und ihre Gedanken schweiften hinüber zu dem andern, den man der blutigen Untat zieh, an dessen Verstande man zweifelte, – dessen Seele die Liebe zu ihr aus dem bisherigen Gleichgewicht geworfen hatte.

In jener Nacht, da er auf dem Feste den Kuß von ihr verlangte, hatte sie ihn zu hassen geglaubt. Aber jetzt erkannte sie es: Es war Verblendung, und nur die Erregung, in der sie sich befunden, schuld daran gewesen. Jetzt tat er ihr leid, der Unglückliche. Um den Preis des Wohltuns hatte er eine Liebkosung von ihr verlangen wollen, die sie ihm anders nicht gegönnt hatte. Durfte sie ihm darum zürnen! Rühren hätte es sie müssen, und statt dessen hatte sie ihn gekränkt und beleidigt. Inniges Mitleid ergriff sie plötzlich mit Menacher, der ihr so treu ergeben war, Mitleid mit seiner holden Schwester, die um ihretwillen vergeblich auf das Glück wartete.

Oh, daß sie alles gutmachen könnte – bald – bald!

Ihr Blick fiel auf das aufgeschlagene Drama. Nein, sie durfte nicht weich werden, nicht jetzt! Vor ihr lag noch der Gipfel des Berges, glühend im Morgenrot. Sie mußte empor, – hinan bis zur höchsten Höhe, wenn auch zu Tode müd', mit wunden Füßen. Höher als Liebe, Leben und Glück hatte ihr immer die Kunst gestanden. Was auch das Schicksal mit ehernem Fuße zertrat, sie durfte den Kampf nicht aufgeben, ehe sie nicht das Höchste erreicht hatte.

Noch wenige Wochen, und man erwartete sie in Wien. So schnell würde sich Menachers Los nicht entscheiden. Die Stelle ihrer Rolle, mit der sie sich vor Marthas Besuch beschäftigt, lag noch aufgeschlagen. Das Buch zur Hand nehmend, las sie in tiefer Bewegung von neuem die Worte der Brunhild:

»Den Göttern mag es anstehn, zu verzeih'n,
Denn machtlos prallt von ihrer heitern Stirne
Der Frevel, wie von festem Erz zurück:
Ich bin verwundbar irdischen Geschlechts,
Und Sühnung brauch' ich, wie ich Schmerzen fühle.«

*

»Ihr Bruder ist kein Mörder.« Immer noch klangen die Worte der Künstlerin Martha im Ohre. Die felsenfeste Zuversicht Kornelias hatte sie beruhigt. Und außerdem glaubte sie aus dem zitternden Ton der Stimme noch mehr herausgehört zu haben. Mitleid und Teilnahme für Anton, den mit Unrecht Beschuldigten, – zwei Gefühle, die oft nahe an der Grenze der Liebe wandelten, bis ein Zufall zu ihrer plötzlichen Überschreitung führte.

Nein, sie wollte nicht verzweifeln. Die ewige Gerechtigkeit über den Wolken, die keinen Schuldigen dem Verderben preisgeben konnte, würde die rechten Wege schon finden.

In gehobener Stimmung, dankbar gegen die Vorsehung, wollte sie in die Erlöserkirche treten, an der sie eben vorüberkam, um Gott die Rettung ihres Bruders ans Herz zu legen, als sie plötzlich, bis an die Stirnlocken errötend, stehenblieb.

»Sie sind bereits in der Stadt, Fräulein Martha, – und ich wußte noch nichts!«

»Seit wenigen Stunden erst, Herr Rechtsanwalt,« sagte sie, schüchtern ihre Hand in die seine legend, – »und mein erster Weg war –«

»Nicht zu mir!« meinte er vorwurfsvoll und sah ihr tief in die feuchten Augen.

»Solange wir uns öffentlich nicht verloben dürfen, müssen wir uns vor der bösen Welt hüten. Aber vielleicht wird noch alles gut. Ich war bei der Heinloth –«

»Und Sie haben Hoffnung?« rief er mit freudig aufleuchtendem Gesicht.

Martha Menacher legte den Finger auf den Mund. »Nicht so laut, vielleicht, – wenn sie den Toten vergessen kann, und wenn Anton, von dem schrecklichen Verdachte gereinigt, frei würde –«

»Ich werde ihn verteidigen,« stieß Ostertag trotz der Mahnung des Mädchens laut und leidenschaftlich hervor, »verteidigen, wenn es überhaupt zu einer Verhandlung kommt, so daß kein Flecken an seiner Ehre bleiben soll, das schwöre ich dir –«

»Aber Albert –«

»Ja – so –« errötete er, – »aber müssen wir denn wirklich immer per Fräulein, Sie und Herr Rechtsanwalt reden?«

»Auf offener Straße schon« – gab sie leise, den Blick am Boden, zurück.

»Also, – wenn es denn sein muß –« lächelte er mit komischem Seufzer. »So lassen Sie einmal ernsthaft mit sich reden, ganz ernsthaft.« Seine Stimme lenkte sich zum Flüstern herab. »Nach so langer Zeit sehe ich Sie wieder, endlich allein, – Sie, – nach der meine Seele sich in heißer Sehnsucht verzehrt, – und Sie sagen mir nicht einmal, wohin Sie gehen, ob ich Sie begleiten darf.«

»Nach Hause, – wo ich jetzt ganz allein bin! – Daß das ausgeschlossen ist, müssen Sie doch begreifen.«

»Ihnen zuliebe alles. Aber hätten Sie denn nicht eine kleine, armselige und doch überreiche Stunde für mich übrig?«

Marthas schlanke Gestalt zitterte leise. »Wie gern. Ich habe Ihnen ja so viel zu erzählen, von meiner kranken Freundin, von der Heinloth –«

»Also machen wir einen Spaziergang, – ins Freie, – in das Lärchenholz.«

»Aber allein durch die ganze Stadt?« zögerte sie. »Und auch im Walde würde man uns sehen. Das wäre noch verdächtiger.«

»Ziehen wir eine Tarnkappe an wie Siegfried, und töten wir den Drachen unbefugter Neugier,« lachte Ostertag vergnügt.

»Was wollen Sie tun?« Sie sah ihn zweifelnd an.

»Das werden Sie gleich sehen. Folgen Sie mir in ehrerbietiger Entfernung.«

Gewaltsam, wie das Eisen den Magneten, zog es sie ihm nach.

Am Eingang einer Seitenstraße, wo eine einzelne Droschke hielt, blieb Ostertag stehen und öffnete den Schlag, während er dem Kutscher eine einsame, am Ufer der Haller liegende Wirtschaft bezeichnete.

Einen Augenblick schien Martha unschlüssig, dann setzte sie rasch den zierlichen Fuß auf den eisernen Tritt und schlüpfte hinein.

Der Rechtsanwalt zog die Vorhänge zu. »So, da haben wir auch die Tarnkappe. Nun mögen sie sich die Augen ausgucken, von unserem Glücke sehen sie doch nichts.«

»Aber es ist nicht recht, was ich tue,« stammelte Martha verwirrt.

»Liebes, unverbesserliches Kind,« flüsterte er zärtlich. »Nicht recht, wenn du mir auch einmal ein Opfer bringst? Wenn doch niemand davon erfährt! Und wenn du mir dadurch neue Kraft, neue Lust zu meinem Beruf verleihst, die Zuversicht, deinen Bruder zu retten –«

»Ja – um seinetwillen,« hauchte sie, als müsse sie sich vor sich selbst entschuldigen.

Da brach er in helles, glückliches Lachen aus. »Nein, Martha, auch um unsertwillen! Willst du das nicht?«

»Ich will,« kam es bebend von ihren Lippen, und erglühend sah sie ihm mit den blauen Augen zum ersten Male voll ins Gesicht.

Zärtlich faßte er die kleine, leise zuckende Hand.

Das beseligende Bewußtsein, allein mit dem Geliebten zu sein, ließ jede Maske fallen. Willenlos glitt die schlanke Gestalt in seine Arme, das duftige Haupt ruhte an seiner Brust, und während das Glück aus ihren Augen lachte, strich er ihr sanft über das seidene Haar und drückte seine durstigen Lippen auf ihren feinen, blassen Mund.

»Martha, liebes Herz!«

»Albert, – du mein alles!«

»Siehst du, – nun geht es auch ohne feierliche Anreden und Titel!« lächelte er, sie noch fester an sich pressend.

Die Pferde trabten munter über das Pflaster. Dann nahm sie der weichere Boden des chaussierten Fahrweges auf, der durch das Lärchenholz zur Haller führte.

Ungesehen glitt die Außenwelt an ihnen vorüber, und sie fühlten beide, daß sie in diesem Augenblick gar nicht für sie existierte.

Sie waren allein, endlich allein in seliger Selbstvergessenheit! – Der Duft, der draußen von blühenden Blumen und Sträuchern aufstieg, sie empfanden ihn nicht, das Lied der befiederten Sänger, das jubelnd zum blauen Sonnenhimmel drang, sie hörten es nicht, aber in ihren Herzen, vor ihren Augen und Ohren grünte und blühte, lockte, jauchzte und sang alles, was Frühling und Sommer an köstlichen Reizen besaßen, – in ihrer Seele spiegelte alles Leben sich mit mehr als verdoppelter Schönheit.

Die Wirtschaft »Zum glückhaften Schiff« erschien ihnen wie ein gutes Omen. Aber lange hielt es sie nicht am grün umbuschten Ufer des träge gleitenden Flüßchens. Trotzdem nur wenige Gäste, von denen gewiß niemand das junge Paar kannte, anwesend waren, fühlten sie sich gestört und bedrückt.

Die schwüle Hitze bot einen guten Grund, den nahen, hochstämmigen, schattenkühlen Wald aufzusuchen.

Auf dem grünen Moospolster unter einer mächtigen Tanne ließen sie sich nieder, wortlos lange Zeit, nur die Hände ruhten ineinander, und die Lippen, die zuvor so viel sich hatten sagen wollen, hatten Wichtigeres zu tun.

Aus dem Stündlein, das die kleine besorgte Hausfrau ihm hatte opfern wollen, waren viele, lange, glückliche Stunden geworden.

Mit brennendem Rot leuchtete schon die sinkende Sonne durch den Hochwald. Die harzigen Stämme dufteten stärker, grünlich schimmernde Wolken standen, purpurn angehaucht, über den dunklen Wipfeln.

Da brachen sie endlich auf. Langsam sanken die Schleier der Dämmerung und hüllten Wald und Wiese in abendliche Dunkelheit. Rings rauschte, raunte und flüsterte es mit geheimnisvollen Stimmen, die nur die beiden weltvergessenen Menschen, die auf einer sandigen, kiefernumsäumten Anhöhe stehenblieben, verstanden.

Fern unter ihnen schimmerten die Lampen des »Glückhaften Schiffes« durch die Bäume.

Ihre Herzen klopften stürmisch, ihre Hände brannten, mit geschlossenen Augen lehnten sie aneinander.

»Albert,« flüsterte Martha, – »ich fürchte mich, – es wird Nacht.«

Da schlug er vertrauend den Blick empor und zog sie fester in seine Arme. »Laß nur, törichtes Kind, um so eher wird es heller, sonniger Morgen, um so eher wirst du mein liebes Weib!« – – – – –


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