Ernst Wichert
Ewe
Ernst Wichert

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IV.

So blieb nur Ewe auf dem Grundstück zurück. Ihre Schwester war abgefunden; sie konnte sich als die alleinige Erbin betrachten. Nach den unvermeidlichen Verhandlungen bei Gericht wurde sie als die Eigentümerin des Grundstücks eingetragen; der zweite große Hof in Naujokat-Peter-Purwins gehört ihr, das große Ausgedinge ihres Vaters und der Erbteil des Jurgis wurden gelöscht – sie war ganz unvermutet eine wohlhabende und ganz selbständige Besitzerin geworden.

Michel Endrullis schlug sich vor den Kopf. Wer hätte das ahnen können. Diese Veränderung der Dinge in einem Jahre! Er war so klug und hatte so viel gelernt in Berlin und wußte so trefflich in der Welt Bescheid, aber das war nicht zu berechnen gewesen. Nun hatte er die alte Frau geheiratet und mußte zusehen, wie die hübsche Ewe irgendeinen jungen Burschen zum Manne nahm, der vielleicht nicht einmal beim Militär gedient hatte, und ihm den Hof zubrachte. Er war fortwährend in so ärgerlicher Stimmung, daß die Urte sich einmal über das andere verwunderte. Sie konnte ihm nichts recht machen und hörte immer nur unfreundliche Worte. Die gab sie dann mit Zinsen zurück, und so hatte der Hader kein Ende.

Ewe schien übrigens auch jetzt gar keine Eile zu haben, aus ihrem ledigen Stande zu treten. An Bewerbern hatte sie wahrlich keinen Mangel. Alle jüngeren Söhne in der Nachbarschaft herum bemühten sich nicht wenig, ihr zu gefallen, und die Freiwerber stürmten das Haus. Als erst Gras auf den Grabhügeln ihres Vaters und ihrer Brüder gewachsen war, zeigte sie sich auch ganz so munter und frohgelaunt wie früher, sang auf der Dorfstraße und ging zum Tanz; aber ein Jawort war ihr nicht abzugewinnen. »Ich bin noch lange nicht so alt wie die Naujokene«, sagte sie wohl, »und die hat noch einen jungen Mann bekommen. Den Hof dazu hab' ich nun auch –«; oder ein andermal: »Ich habe schon einen, dem ich gut bin, und auf den warte ich. Es dauert mir nicht zu lange.«

Nur in einem Punkte hatte sie sich verändert: so lässig sie früher in der Wirtschaft gewesen war und fünf gerade gehen ließ, so genau und umsichtig wurde sie jetzt. Überall war sie hinter den Leuten her und hielt streng auf Ordnung. Die schadhaften Dächer wurden ausgebessert, die Wände weiß gekalkt, die Zäune ergänzt, die Wege und Stege von Gras gereinigt. Die Urte Endrullis sollte ihr in nichts voraus sein; sie wollte auch einen so hübschen Hof haben wie sie. Die alte Gaidullene hatte gehofft, daß nun die guten Tage für sie kommen würden; aber das war eitel Täuschung. Soviel die Verschreibung besagte, so viel empfing sie und nichts mehr. Wollte die Altsitzerin sich etwas herausnehmen, gleich war sie hinterher und zeigte ihr die Wirtin. »Ich sehe wohl«, sagte die Alte, »du bist deines Vaters Kind, und ich werde jetzt keinen bessern Frieden haben als zuvor. Du gönnst dem Armen nur knapp sein Stückchen Brot und bist nur immer auf deinen Vorteil bedacht. Aber vergiß nicht, daß auch der Reiche gute Freunde brauchen kann, und daß man in der Not bei denen nicht anklopfen soll, die man im Übermut schlecht behandelt hat. Keiner weiß voraus, wer ihm einmal nützlich sein kann, und schon manchem ist ein Bein gestellt, der sich fest auf den Füßen glaubte. Ich drohe wahrlich nicht, aber was geschieht, das geschieht oft auch ohne unser Gebot.« Ewe lachte dazu. »Die Leute sollen nicht sagen«, antwortete sie, »daß ich zu jung und unerfahren zur Wirtin bin. Willst du für mich arbeiten, so sollst du deinen Lohn haben.«

Auf dem Felde war sie die Fleißigste. Wenn sie frühmorgens, das weiße Kopftuch zierlich umgeknüpft und die lange Harke über der Schulter, hinaus und am Hause des Endrullis vorüberging, sang sie mit lauter Stimme und grüßte neckisch ins Fenster hinein. Michel stand da oft und wartete auf ihr Vorüberkommen, oder er richtete es so ein, daß er eben vor der Tür oder im Garten zu tun hatte. Die Äcker und Wiesen grenzten auch an mehr als einer Stelle, und es konnte gar nicht ausbleiben, daß sie bei der Arbeit einander nahekamen und über den Rain hin Worte wechselten oder in der Mittagshitze unter demselben Baume den Schatten suchten. Urte sah scheel dazu und ließ es nicht an bissigen Bemerkungen fehlen; aber Michel tat, als ob er sie nicht verstand, und Ewe hatte eine noch spitzere Zunge als sie. Recht ihre Lust schien sie daran zu haben, die Eifersucht der Frau zu stacheln.

Ganz anders benahm sie sich gegen Michel als zuvor, da sie noch ihres Vaters Magd war. In diesem Kopfe gestalteten sich die Dinge nach eigenem Gesetze. Sie hatte nun den großen Hof gerade so wie die Urte; das änderte auch nach ihrer Schätzung die ganze Sache wesentlich. Urte hatte jetzt nichts mehr vor ihr voraus; Michel verlor nichts, wenn er sie aufgab. Warum sollte sie nicht nehmen, was ihr doch gehörte? Weshalb sollte sie die verhaßte Gegnerin schonen? Gewissensbedenken kamen ihr gar nicht – jetzt nicht. In ihren Augen hatte Urte ihr Recht verloren; es hatte ja nie einen andern Grund gehabt, als weil sie die Wirtin war und Ewe eine Magd. Nun stand Wirtin gegen Wirtin; das einzige Hindernis, das ihrer Liebe entgegentrat, hatte ein Zufall beseitigt, der ihr eine himmlische Schickung schien. Sie konnte glücklich sein – und wollte glücklich sein.

Michel verstand Ewe; sie dachte ja zum Teil mit seinen Gedanken: wenn sie ihn mit den grauen Blitzaugen ansah, lief's ihm heiß durch die Adern, und reichte sie ihm zum Willkommen die Hand, so war's ihm, als ob seine Finger sich gar nicht mehr lösen könnten. Weil ich einmal einen dummen Streich gemacht habe, sagte er sich, soll ich dafür mein Leben lang büßen? Er wartete nicht mehr auf ein zufälliges Zusammentreffen, sondern ging abends fort – ins Wirtshaus angeblich oder auf die entfernte Weide am Bach, nach dem Vieh zu sehen – und umschlich den Hof und Garten, ob Ewe sich nicht blicken lassen würde. Selten vergeblich.

Eines Tages war die alte Gaidullene bei Frau Urte zum Besuch. Sie hatten sich wohl eine Stunde lang eingeschlossen, und dann wurde Kaffee gekocht und Kuchen aufgetragen. Den Mägden blieb es nicht unbemerkt, daß der Korb, den die Altsitzerin leer mitgebracht hatte, ihr schwer am Arm hing, als sie sich entfernte. An demselben Abend gab es Lärm auf dem Purwinsschen Hofe. Urte war ihrem Manne nachgeschlichen und hatte sich hinter einem Holzstapel am Gartenzaune versteckt. Als sie nun in der Jasminlaube leises Sprechen und Lachen hörte, sprang sie vor und überraschte Michel und Ewe, wie sie zusammen auf der Bank saßen und einander umarmt hielten. Mit einem Hagel von Scheltworten drang sie auf das Mädchen ein und fiel sie mit den Nägeln an. »Eine schlechte Person bist du«, rief sie zornig, »eine Verführerin! Treib's mit wem du willst, aber meinen Mann locke nicht. Ich will dir das dreiste Gesicht . . .« Michel trat zwischen beide und schob Urte zurück. »Mit mir hast du's zu tun«, sagte er. Aber Ewe brauchte gar keinen Verteidiger. »Wer hat ihn gelockt?« gab sie's der Frau zurück. »Du – du – du! Ich brauchte ihn wohl zu locken? Sind wir nicht als Nachbarskinder miteinander aufgewachsen? Sitzen wir heute zum erstenmal zusammen in dieser Laube? Hat er mir nicht lange, bevor er dem König diente, gesagt, daß er mir gut sei, und hinterher, daß er mich nicht vergessen habe in Berlin? Wenn du ihn nicht herangelockt hättest, wär's noch beim alten. Der Hof hat ihn geblendet. Aber jetzt hab' ich auch Haus und Hof, und wenn ich nicht so reich bin wie du, so bin ich doch jung und lustig und nehme mit dir auf. Ist er dein Mann, so halte ihn fest; wenn er aber zu mir kommt, so mag ich ihn nicht abweisen, und willst du's durchaus unter die Leute bringen, so hab' ich wahrlich nichts dagegen. Denn ich weiß wohl, wen sie auslachen werden. Und nun wag's nicht noch einmal, dich so hinterlistig auf meinem Hofe betreffen zu lassen. Sonst könnten die Hunde dich für eine Diebin halten und dir den Rock zausen. Hier bin ich die Herrin!«

Urte kochte vor Wut. Sowie sie anfangen wollte, schnitt Ewe ihr wieder das Wort ab. Michel fand's gar nicht so übel, daß die beiden Frauen um ihn zankten, und hielt sich klug zurück. Endlich faßte Urte seinen Arm und zog ihn mit sich fort. »Leb wohl, Ewe«, sagte er zum Abschied. »Ist's so weit gekommen, so mag's nun auch weitergehen.«

Er hatte diesmal keine friedsame Nacht. Urte holte zu Hause nach, was sie bei Ewe nicht hatte anbringen können, und wenn er meinte, es sei nun genug, und er könne sich auf die Seite legen, fing sie dieselbe Litanei auf einem anderen Register von neuem an. Und das war immer der letzte Vers vom Liede: »Ich leid's nicht, Mikelis! Und wenn ich dich noch einmal bei der Ewe finde und du auch nur ein freundliches Wort mit ihr sprichst, so ist's aus zwischen uns. Das Grundstück gehört mir, und du bist die letzte Zeit Wirt gewesen.« Er verhielt sich trotzig.

Am andern Tage hatte sie sich beruhigt und versuchte es nun auf andere Weise, ihn zu sich zurückzuziehen. Sie hätte ihn doch ungern verloren und redete sich's willig ein, daß er nur den kleinsten Teil der Schuld trage und bald wieder zu Verstand kommen werde. Als er sich zum Mittagessen einfand, machte sie ihm freundliche Vorstellungen, die auch nicht ohne Wirkung zu bleiben schienen. Er hatte sich's schon selbst überlegt, daß die Geschichte ein schlimmes Ende haben könnte und seine Lage sehr unsicher geworden sei.

Nun faßte sie ihn von seiner schwachen Seite. »Du bist sonst ein so vernünftiger Mann, Mikelis«, sagte sie schmeichelnd, »ein so kluger Mann – weit über deine Jahre klug und verständig. Hätt' ich dich sonst geheiratet und hier zum Herrn eingesetzt? Nun bist du aber wie blind, daß du nicht siehst, wie die Ewe, die schlaue Hexe, dich zum Narren hält. Sie hat auf dich gerechnet und verzeiht dir's nie, daß du von ihr abgegangen bist und eine kluge Wahl getroffen hast. Deshalb hat sie sich auch so bissig gegen mich gezeigt und mich mit höhnischen Reden aufgezogen, wo sie nur konnte. Dich aber hat sie so lange in Ruhe gelassen, als ihr Vater und ihre Brüder lebten; denn sie wußte wohl, so dumm würdest du nicht sein und in ihr Netz gehen, wenn du Haus und Hof zu verlieren hättest. Nun aber trumpft sie auf und meint dich überlisten und fangen zu können. Ich sage dir, sie ist eine boshafte Hexe und hat dir's nicht verziehen. Unfrieden möchte sie zwischen uns säen und uns auseinanderbringen – jawohl! Aber wenn ihr das gelungen ist, wird sie dir ein anderes Gesicht zeigen. Sie hat's gerade nötig, auf dich zu warten! Die Freier laufen sich nach ihr die Hacken ab. Und gib acht! Wenn sie dich erst so weit hat, daß du nicht sicher zurück kannst, schlägt sie dir auch dort die Tür zu. Dann stehst du auf der Landstraße, und das ist die Rache der Listigen. So verdient's auch der Dumme.« Michel horchte auf. Was Urte ihm da zu erwägen gab, war nicht leichtsinnig von der Hand zu weisen; es ging ihm schwer genug im Kopf herum. Ewe war ihm freilich gut gewesen, und es hatte den Anschein, sie sei's noch. Aber er hatte sie doch arg gekränkt und zurückgesetzt. So eitel er war, fühlte er doch, daß er eigentlich gar keinen Anspruch auf ihre fortdauernde Neigung hätte. Wenn sie handelte wie Urte argwohnte, konnte er ihr's kaum übelnehmen. Und ein wenig boshaft war sie wirklich. Er beschloß, sich nicht auf Gnade und Ungnade in ihre Macht zu geben.


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