Ernst Wichert
Ewe
Ernst Wichert

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II.

Michel Endrullis hatte es nicht weit bis zu seines Schwagers Hof. Grillus empfing ihn nicht so ganz unfreundlich, als er erwartet hatte. »Ich wußte ja«, meinte er, »daß deine Zeit bald um sein müßte. Festlegen kannst du dich nicht bei mir, aber es ist gerade in der Wirtschaft viel zu tun, und Arbeiter sind schwer zu haben. Wenn meine Frau damit zufrieden ist, magst du für's erste bleiben, und ich will dir Lohn geben, soviel andere bekommen.«

»So mag's gehen«, antwortete Michel Endrullis. »Aber daß es nachher nicht Streit gibt – du weißt doch, daß ich mit meinem Erbteil noch nicht ganz abgefunden bin?«

»Was –? Die hundert Taler hast du bekommen.«

»Ja. Aber in der Verschreibung steht: Hundert Taler und ein Pferd.«

Grillus kratzte den Kopf. »Steht das?«

»Lies nach, wenn du's vergessen hast. Das Pferd will ich nun haben, und es muß ein gutes Pferd sein, auf das ich mich verlassen kann.«

»Ein besseres, als ich selbst habe, kann ich dir doch nicht geben.«

»Auf dem Pferdemarkt hat man die Auswahl.«

»Dränge mich nicht, Mikelis. Willst du's mit Geld ausgleichen, so sage, was du forderst. Zahle ich nicht gleich, so zahle ich mit guten Zinsen.«

»Nein, ich will das Pferd haben.«

»So komm in den Stall. Du sollst wählen dürfen – nur den Fuchs nehme ich aus.«

Sie gingen in den Stall. Die Frau kam mit. »Fange nicht gleich wieder Händel an«, bat sie ihren Bruder.

Die Pferde wurden herausgeführt, besehen, zur Probe geritten. »Da ist keins für mich passend«, sagte Michel Endrullis, »als der Fuchs.«

Es gab Lärm und Streit. Endlich mußte Grillus sich doch fügen. Die Schwäger kamen überein, daß Michel vorläufig im Hause bleiben und für seinen Unterhalt arbeiten, das Pferd aber noch den Herbst über im Stall lassen wollte. Der Wirt dürfte es in der Wirtschaft brauchen, müßte ihm aber dafür das Futter geben. Wolle Michel es »zum Reiten«, das hieß zum Schmuggeln, brauchen, so stehe das bei ihm.

Darauf wurde noch denselben Abend mit den Nachbarn ein guter Trunk getan.

Als die Nächte dunkel wurden, ritt Endrullis für die Juden mit Spiritus über die Grenze. Auch die beiden Purwins waren dabei. Für den Gewinn kaufte er ein kurzes Gewehr. Einmal kam's auch zu einem Gefecht mit russischen Soldaten, und einer von ihnen erhielt einen Schuß. Im Dorfe erzählten sich die Mädchen von seiner Waghalsigkeit, und Ewe sagte: »Wenn er auf dem Fuchs sitzt, sieht er aus wie ein General. Das macht, weil er bei der Garde gedient hat.« Es war bald gar kein Geheimnis mehr, daß sie ganz toll in ihn verliebt war. Endrullis ließ sich's gefallen, band sich aber doch nicht. Dazu war er, wie er selbst rühmte, »zu klug«.

Täglich führte ihn sein Weg, wenn er zur Feldarbeit ging, auch an dem Hofe der Naujokene vorbei. Die Frau sah er oft in der Tür stehen und grüßte freundlich. Sie war immer sehr ordentlich und reinlich gekleidet, als ob sie zur Kirche gehen wollte. Die Mägde wußten sich etwas darauf, daß ihre Herrin stets sechs Röcke übereinander trüge; denn das war ein Zeichen von Wohlhabenheit. Übrigens wählte sie dunkle Farben, wie einer Witwe zukam, schwarz oder schwarzblau, und trug die Jacke hoch bis unter das Kinn zugehakt, nur den weißen Hemdenkragen ein wenig überstehend. Die Figur sah stattlich genug aus, und auch das Gesicht war noch ziemlich glatt, wenn sie es stillhielt. Sprach sie freilich, so zog die Stirn Falten, und wurde sie ärgerlich, so rötete sich plötzlich die Nase und das Kinn. Das geschah, wie die Dienstleute behaupteten, gar nicht selten.

Michel Endrullis gefiel ihr, vielleicht nicht zum wenigsten deshalb, weil er auch der Ewe Purwins gefiel. Er hielt sich noch immer so gerade, wie er's von seiner Dienstzeit her gewohnt war, bürstete täglich seine Jacke und behandelte die Pferde gut. Die Arbeit schien ihm leicht von der Hand zu gehen; frühmorgens war er schon auf, und abends, wenn er vom Felde zurückkam, pfiff er ein lustiges Stückchen. Eines Tages rief sie ihn zu sich heran und sagte: »Gedenkst du bei deinem Schwager zu bleiben, Mikelis?«

»Den Winter über vielleicht«, antwortete er, »wenn wir uns so lange vertragen.«

»Und was wirst du dann anfangen?«

»Ich werde mich nach einem Dienst umsehen müssen; denn kaufen kann ich nichts.«

Sie musterte ihn wohlgefällig. »Ich will dir einen Vorschlag machen, Mikelis. Du weißt, daß eine Witfrau es schwer hat, mit fremden Leuten zu schaffen, in den Ställen nach dem Rechten zu sehen und das Feld ordentlich zu bestellen. Sie muß da einen haben, dem sie Vertrauen schenken kann. Nun war aber dein Vater ein guter Freund meines verstorbenen Mannes, und dich kenne ich von Kindesbeinen an. Beim Militär hast du dich gut geführt und auch Ordnung gelernt. Willst du als Knecht in meinen Dienst treten, so kann's gleich zu Martini richtig werden. Ich will dich über die anderen Leute setzen und dich auch sonst halten wie eines Nachbars Sohn. Den Lohn magst du selbst bestimmen, und um ein paar Taler werde ich nicht dingen. Willst du dir das überlegen?«

»Das ist nicht viel zu überlegen«, entgegnete er. »Muß ich dienen, so diene ich dir so gern als einem andern, und mir kann's gefallen, hier im Dorf zu bleiben und den Wirt zu spielen, solange ich's nicht wirklich bin. Ich hoffe, daß du mit mir zufrieden sein wirst.«

»So schließen wir also gleich ab«, sagte sie offenbar erfreut und reichte ihm die Hand zu.

»Das heißt . . .«, wendete er zögernd ein, »wenn dir auch meine Bedingung recht ist.«

»Was ist das für eine Bedingung?«

»Ich hab ein Pferd, das ist mein einziges Besitztum, und davon will ich mich nicht trennen. Willst du's in deinen Stall nehmen und ihm Futter geben, so mag es auch in der Arbeit mithelfen. Wenn ich aber reiten will, so bin ich so weit mein eigener Herr und habe niemand zu fragen; denn es kommt mir darauf an, daß ich außer dem Lohn etwas verdiene. Mein Vater ist Wirt gewesen und mein Großvater auch – da will ich nicht zurückbleiben. Kann ich's nicht erben, will ich's erwerben.«

Darauf ging die Naujokene gern ein, und als nun Martini herankam, zog Michel Endrullis bei ihr als Knecht an, nicht wie andere Knechte sonst, sondern reitend auf seinem Fuchs. Die Ewe rief ihm spöttisch nach: »Halt dein Herz fest, Mikelis!« Er aber wendete sich zurück und antwortete lachend: »Meine Mutter ist lange tot, und eine zweite brauche ich nicht.«

Das war wohl ganz ernst gemeint. Aber es zeigte sich doch bald, daß Ewe nicht ohne Grund gewarnt hatte. Nachdem einige Monate vergangen waren, wußten die Mägde kichernd zu erzählen, wie gut der Mikelis gehalten würde. So schlimm die Frau oft gegen sie sei, so höre er doch nie ein böses Wort, könne schalten und walten, wie er wolle. Bei Tisch schiebe sie ihm die fettesten Bissen zu, und zu Weihnachten habe sie ihm eine noch ganz neue Tuchjacke und den besten Pelz von ihrem verstorbenen Manne geschenkt. Wenn sie Sonntags zur Fahrt nach der Kirche so viel Röcke anziehe, daß sie kaum auf dem Schlitten Platz habe, so wisse man wohl, daß sie sich nicht allein für den lieben Gott ausputze. Man hatte ihr auch schon aufgepaßt, wie sie mit Endrullis in der Klete gewesen war und ihm die Kasten mit Leinenzeug und Betten aufgeschlossen hatte. Davon sprach nun das ganze Dorf, und die meisten sagten: »Der macht da sein Glück! Die Naujokene ist noch in den Jahren – und bringt nicht einmal Kinder mit. So gut trifft's selten einer.« Ewe nur nannte sie ein altes Weib und einen Drachen. Wenn sie ihr begegnete, zog sie ihr ein Gesicht, und in der Kirche setzte sie sich recht geflissentlich in ihre Nähe, als ob sie dem Michel Endrullis zeigen wollte, was für ein Unterschied zwischen ihnen sei.

Michel war ein schlauer Bursche und merkte ganz gut, wie die Sache stand. Er war nur mit sich selbst nicht einig, ob er zugreifen sollte. Zu einem solchen Hofe kam er auf andere Weise nicht. Wäre nur die Ewe nicht gewesen –! Da war nun sein Herz arg zwiegespalten: die Ewe hätte er gern gehabt – aber den großen Hof auch. Und eine Torheit, meinte er, dürfe er unter allen Umständen nicht begehen; dazu sei er denn doch zu weit »in der Welt herumgekommen«.

Eines Abends paßte er Ewe auf, als sie aus der Spinnstube nach Hause ging. »Laß das die Naujokene nicht merken«, zog sie ihn auf, »daß du mir im Dunkeln nachgehst«, hing sich aber doch an seinen Arm.

»Warum?« fragte er keck und faßte ihre Hand.

»Die Leute sprechen davon, daß es im Dorfe bald eine Hochzeit geben wird.«

»Das könnte wohl sein, wenn dein Vater und deine Brüder wollten.«

»Wenn du mich meinst, Mikelis, zur Hochzeit gehören denn doch allemal zwei.«

»Gewiß. Sind zwei einander gut, das ist unter ihnen bald richtig gemacht. Aber . . .«

Ewe drückte zum Zeichen des Einverständnisses seine Hand und lehnte sich an seine Schulter. »Was meinst du?« Ihr glühten die Backen. Er hätte jetzt alles von ihr verlangen können, was sie zu geben vermochte. So gern hätte sie ihn für sich gewonnen.

»Sprich mit deinem Vater und deinen Brüdern«, sagte er. »Sie werden dir den Hof nicht überlassen; aber vor Jahren ist das Kätnergrundstück des Gaidullis zugeschrieben worden. Vielleicht sind sie einverstanden, daß es wieder abgeschrieben wird und dir als Erbteil zufällt. Du kannst sagen, du wüßtest einen, der dir etwas Geld leihen würde, wenn's durchaus zur Abfindung nötig wäre, und wie du hinterher zu Haus, Stall und Scheune kämest, das ginge sie nichts an. Hast du das Land, so wird das andere sich finden.«

Ewe fühlte sich arg enttäuscht. Sie ließ den Kopf hängen. Und doch war's schon etwas, daß er ihretwegen Kätner werden wollte, da er ohne sie ein großer Wirt werden konnte. »Sprich du selbst mit dem Vater, Mikelis«, bat sie.

»Nein – das kann nicht geschehen. Mein Name darf nicht genannt werden. Wird aus der Sache nichts, so will ich freie Hand behalten –«

»Bei der Urte . . .!«

»Da oder wo anders.«

Sie biß die Lippe. »Es wird dich gereuen, Mikelis, eine alte Frau genommen zu haben.«

»Ich habe sie ja noch nicht genommen.«

»Jetzt ist sie süß wie Honig und zahm wie ein Täubchen. Hat sie erst, was sie will, so wird sie ihr Teufelsspiel anfangen. Ins Zuchthaus kommen denke ich mir nicht so schlimm, als an so etwas zeitlebens gebunden sein.«

Er schnippte mit den Fingern in die Luft. »Pah! Wer der Wirt ist, ist der Herr. Aber ich will nichts gesagt haben. Bekommst du das Land, so darfst du dir meinetwegen keine Sorge machen. Wenn nicht, so muß freilich jeder zusehen, wie er sich am besten in die Welt schickt. Der Arme kann nach seinem Herzen nicht viel fragen.«

Sie machte sich hastig von ihm los. Gleich aber fiel sie ihm wieder um den Hals.

»Wenn du mir gut wärst, Mikelis, wie ich dir gut bin . . .«

»Ich bin dir gut, glaub's nur. Aber so unvernünftig . . .« Er küßte sie.

»Lieber unvernünftig, als zu wenig! Mikelis, tu's nicht!«

»Was?«

»Ach, geh!«

»Sprich mit deinem Vater, Ewe.«

»Und wenn nicht –«

»Man muß es abwarten.«

Sie seufzte recht schwer, löste ihre Hand und lief fort.

Das Weibsvolk ist doch recht närrisch, dachte Endrullis. Er hatte jetzt nur die Hand nach rechts oder links auszustrecken.


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