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Von Long Island geh' ich aus

1.

Von Long Island geh' ich aus, wo ich geboren wurde,
Wohlerzeugt und von einer vollkommenen Mutter erzogen,
Und nachdem ich manch' ein Land durchschweift; ein Freund volkreichen Pflasters
In Mannahatta gewohnt, meiner Stadt, oder auf den Savannen des Südens,
Oder gelagert als Soldat, mit Tornister und Gewehr; oder als Goldgräber in Kalifornien,
Oder in Dakotas unwirtlichen Wäldern gesiedelt, Fleisch meine Kost, mein Trank vom Quell;
Oder zurückgezogen, um nachzudenken und zu sinnen in irgendeinem tiefen Versteck,
Vom dröhnenden Gewühl fernab Stunden seliger Entrücktheit verbracht;
Sah den frischen, freien Geber, den strömenden Missouri, den gewaltigen Niagara,
Die Büffelherden, die auf den Ebenen grasen, den zottigen, starkbrüstigen Bullen;
Boden, Felsen, des fünften Monats Flor; Sterne, Regen, Schnee mein Erstaunen;
Vertraut mit den Weisen der Spottdrossel und mit des Bergfalken Flug,
Und an jenem unvergleichlichen Abend der Hermitdrossel gelauscht in den Sumpfzedern:
Sing' ich, einsam, jetzt im Westen und erhebe meine Stimme für eine neue Welt.

 

2.

Sieg, Einheit, Glaube, Identität, Zeit,
Die unlöslichen Verträge, Reichtum, Geheimnis,
Ewiger Fortschritt, der Kosmos, und die Berichte der Neuzeit.
Dies also ist Leben!
Und dies also trat nach so viel Wehen und Kämpfen zutage!
Wie seltsam! Wie wirklich!
Unter den Füßen der göttliche Erdboden; über Häupten die Sonne.
Sieh, es dreht sich der Erdball.
In der Ferne gruppieren sich miteinander die Ahn-Kontinente,
Und in Nord und Süd die Kontinente der Gegenwart und Zukunft, mit dem Isthmus dazwischen.
Sieh, ungeheure pfadlose Räume!
Wie in einem Traum verändern sie sich, füllen sich schnell;
Zahllose Massen ergießen sich über sie hin;
Und schon sind sie bedeckt mit dem vorgeschrittensten Volk, Künsten, und Institutionen, den ersten von allen, die man kennt.
Sieh, so wurde mir durch die Zeiten her
Eine unbegrenzte Zuhörerschaft bereitet.
Mit festem Taktschritt ziehen sie hin, nimmer machen sie Halt;
Scharen und Scharen von Menschen folgen einander; Amerikaner, einhundert Millionen;
Ein Geschlecht: es spielt seine Rolle und schwindet;
Ein andres Geschlecht: es spielt seine Rolle und schwindet in der Reihe,
Das Antlitz seitwärts gewandt oder nach mir zurück, um zu lauschen,
Mit Augen, die nach mir zurückblicken.

 

3.

Amerikaner! Eroberer! Märsche der Menschheit!
Vorderste! Jahrhundertsmärsche! Libertad! Massen!
Für euch ein Programm von Gesängen!
Gesänge von den Prärien,
Gesänge von dem breithinströmenden Mississippi bis hinab zum mexikanischen Meer,
Gesänge von Ohio, Indiana, Illinois, Jowa, Wisconsin und Minnesota,
Gesänge, die vom Zentrum, von Kansas ausgehen und von dorther gleichmäßig nach allen Seiten,
Gesänge, die mit endlosen Feuerpulsen zucken, um alles mit Leben zu erfüllen.

 

4.

Nimm meine Blätter, Amerika; nimm sie, Süd, und nimm sie, Nord!
Heiße sie willkommen, überall; denn einzig sind sie deines Ursprungs.
Umschließt sie, Ost und West; denn sie möchten auch euch umschließen!
Und ihr Ahnen! liebevoll verknüpft euch mit ihnen, denn liebevoll verknüpfen sie sich mit euch!
Ich erforschte die Zeiten;
Saß zu den Füßen der großen Meister und lernte:
Jetzt, o wie wünschte ich, daß die großen Meister wiederkehren und euch lesen könnten!
Sollte ich dieser Staaten wegen das Altertum verachten?
Ei, sie sind ja die Kinder des Altertums und sollen es rechtfertigen.

 

5.

Ihr toten Dichter, Philosophen, Priester,
Märtyrer, Künstler, Erfinder, ihr längst vergangenen Regierungen,
Ihr Sprachschöpfer andrer Gestade.
Nationen, einst mächtig, jetzt herabgekommen oder verödet:
Ich darf nicht weitergehen, bevor ich nicht mit Ehrfurcht euer Vermächtnis an uns anerkannt habe.
Ich habe es geprüft, und ich gestehe (nachdem ich mich einige Zeit darin umgetan), daß es bewunderungswürdig ist.
Ich meine, es kann gar nichts Größeres geben und nichts kann jemals verdienstvoller sein.
Eine Zeitlang betrachtete ich es mit aller Aufmerksamkeit, dann aber ließ ich es fahren,
Und stehe nun mit meiner Zeit hier an meiner eigenen Stelle.
Hier sind Länder mit Weib und Mann;
Hier sind die Erben und Erbinnen der Welt; hier ist lebenswarmer Rohstoff,
Hier ist die richtunggebende, frei ausgesprochene Geistigkeit,
Ewig strebende, die Krone der sichtbaren Erscheinungen,
Stillende, die nach langem, gehörigem Warten jetzt wieder vorschreitet;
Ja, hier kommt meine Herrin, die Seele!

 

6.

Die Seele!
Ewig und ewig! Länger als der Erdboden braun und fest bleibt, länger als Wasser ebbt und flutet.
Ich werde die Gedichte der Materie dichten, denn ich denke, sie sind dazu angetan, die besten Gedichte der Geistigkeit zu sein;
Und ich werde die Gedichte meines Leibes und der Sterblichkeit dichten,
Denn ich denke, solchermaßen werde ich mich am besten mit den Gedichten meiner Seele und der Unsterblichkeit ergänzen.
Einen Gesang will ich weiter singen für diese Staaten, daß kein einzelner Staat unter welchen Umständen auch immer irgendeinem andern Staat unterworfen sei,
Und einen Gesang will ich singen, daß Freundschaft sei zwischen allen Staaten bei Tag und bei Nacht, wie zwischen zweien unter ihnen,
Und ein Lied will ich singen für die Ohren des Präsidenten, das von Waffen und drohenden Spitzen starrt
Und hinter den Waffen zahllose unzufriedene Gesichter zeigt;
Und ein Lied will ich singen von der Einheit, die durch alle zustande kommt,
Der bewehrten, schimmernden Einheit, deren Haupt über alle ragt,
Der entschlossenen kriegerischen Einheit, die alle in sich beschließt und über ihnen steht,
(Wie hoch auch jemals immer das Haupt von irgendeinem ragte, dies Haupt ist über allen).
Ich werde die zeitgenössischen Lieder anerkennen;
Ich werde die ganze Geographie des Erdballs mustern und alle Städte, groß und klein, mit höflicher Achtung begrüßen;
Und ihr Berufe! Ich werde in meinen Gedichten verzeichnen, daß mit euch Heldentum ist zu Wasser und zu Land,
Und über alles Heldentum werde ich berichten von einem amerikanischen Gesichtspunkt aus.
Ich werde das Lied der Kameradschaft singen;
Zeigen werde ich, was schließlich einzig diese Staaten eint.
Ich glaube, sie sind im Begriff, ihr eigenes Ideal von männlicher Liebe zu festigen, und ich soll sein Verkünder sein;
Ich will also die glühenden Feuer aus mir hervorlodern lassen, die mich zu verzehren drohten,
Abwarten werd' ich, was diese lodernden Flammen allzulange drückte,
Ich werde ihnen völlig freien Lauf geben;
Ich will das Evangelium von der Kameradschaft und der Liebe singen,
Denn wer sonst, wenn nicht ich, sollte die Liebe mit all ihren Schmerzen und Wonnen begreifen,
Und wer außer mir sollte der Dichter der Kameradschaft sein?

 

7.

Ich bin der, der an Tüchtigkeit glaubt, an Zeitalter und Rassen,
Aus dem Volke tret' ich hervor im Geist des Volkes,
Hier ist das Lied unbegrenzter Zuversicht.
Omnes! Omnes! Laß andere übersehen, was sie wollen,
Ich verfasse euch das Lied des Bösen, ich erinnere auch daran;
Und ich selber bin ebenso bös wie gut, und so auch mein Volk – und ich sage: in Wirklichkeit gibt es überhaupt nichts Böses;
(Oder wenn doch, so sag' ich, daß es dir, dem Land oder mir ebenso wichtig ist wie irgend etwas anderes.)
Ich auch, indem ich vielen folge und gefolgt von vielen, verkünde eine Religion; ich steige in die Arena hinab,
(Es mag sein, daß gerade ich bestimmt bin, hier den vernehmlichsten Ruf erschallen zu lassen, des Siegers hallenden Triumphschrei.
Wer weiß? Vielleicht nehmen sie gerade durch mich ihren Aufstieg und erheben sich über alles empor?)
Nichts ist einzig seiner selbst willen da:
Ich sage, die ganze Erde und alle Gestirne am Firmament sind um der Religion willen da.
Ich sage, kein Mensch ist noch halb genug andächtig gewesen,
Und keiner hat bisher auch nur halb genug verehrt und angebetet;
Und keiner noch hat zu denken begonnen, wie göttlich er selbst ist und wie zuverlässig die Zukunft ist.
Ich sage, daß die wahrhafte und dauernde Größe dieser Staaten in ihrer Religiosität liegen muß,
Anders gibt es überhaupt keine wahre und dauernde Größe.
(Weder Charakter noch Leben sind ihres Namens würdig ohne Religion;
Weder Land noch Mann noch Weib ohne Religion.)

 

8.

Was tust du, junger Mann?

Bist du so ernst, so ergeben der Literatur, der Kunst, der Liebe?
Diesen äußerlichen Wirklichkeiten, der Politik und den Problemen?
Deinem Ehrgeiz, deinem Geschäft, worin immer sie bestehen mögen?
Es ist gut – ich sage gegen solcherlei nicht ein Wort; auch deren Dichter bin ich;
Doch sieh! Schnell schwindet es und wird es aufgezehrt um der Religion willen;
Denn nicht im höheren Grade ist aller Stoff Nahrung für die Glut der unberührbaren Flamme, das wesentlichste Leben der Erde,
Als solch' alles für die Religion.

 

9.

Wonach suchst du so still und gedankenvoll?
Was entbehrst du, Kamerado?
Lieber Sohn, glaubst du, es sei die Liebe?
Höre, lieber Sohn! Höre, Amerika, Tochter oder Sohn!
Einen Mann oder ein Weib im Überschwang zu lieben, ist ein schmerzlich Ding; und dennoch befriedigt es, und es ist erhaben;
Ein andres aber erst ist wahrhaft erhaben, und was allen erst seinen Zusammenhang gibt,
Glorreich schweift es über alle Dinge hinaus und sorgt für alles mit nimmermüden Händen.

 

10.

Wisse, einzig um die Keime einer größeren Religion in die Erde zu senken,
Singe ich die folgenden Gesänge, einen jeden nach seiner Art.
Mein Kamerad!
An zwei Hoheiten sollst du mit mir Anteil haben, und an einer dritten, die, doch glänzender, mit ihnen zugleich sich erhebt:
Die Hoheiten der Liebe und der Demokratie und die Hoheit der Religion.
Diese, mir eigene Mischung, das Unsichtbare und Sichtbare,
Der geheimnisvolle Ozean, in den alle Ströme münden,
Der geheimnisvolle Geist, der von den Dingen ausgeht und mich umflackert,
Die lebendigen, identischen Wesen, zweifellos ganz nahe bei uns in der Luft, wir wissen es nur nicht;
Die tägliche und stündliche Berührung, die mich nicht losläßt,
Sie erwählen mich, sie werden durch leise Winke von mir verlangt.
Nicht er, der mit täglichem Kuß von Kindheit an bis hierher mich geküßt,
Hat in höherem Maße mich mit dem umschlungen und umsponnen, was mich an ihn bindet,
Als ich verbunden bin mit dem Himmel und der ganzen geistigen Welt,
Nach dem, was sie mir getan haben, indem sie mir Themen einflüsterten.
O, was für Themen! – Gleichheiten! O göttliche Summe!
Jauchzer unter der Sonne, die anheben wie jetzt, oder zu Mittag oder bei Sonnenuntergang,
Melodien, die durch die Zeitalter strömen und jetzt bis hierher drangen:
Ich erfasse eure wilden Akkorde, füge neue hinzu und sende sie fröhlich weiter.

 

11.

Als ich in Alabama meinen Morgengang machte,
Sah ich das Spottdrosselweibchen in den Dornsträuchern auf seinem Neste sitzen und brüten.
Ich sah auch das Männchen.
Ich verweilte in seiner Nähe und lauschte, wie ihm die Kehle schwoll und es freudevoll sang.
Und wie ich so stand, kam es mir, daß das, wofür es eigentlich sang, nicht einzig dort sei,
Noch daß es einzig für sein Weibchen singe, noch für sich selbst, noch für alles, was das Echo zurücksandte:
Sondern daß es fein, heimlich, weit von hier in Fernen
Ein Anvertrautes sende und eine heimliche Gabe für noch Ungeborene.

 

12.

Nun, Demokratie! In deiner Nähe dehnt sich jetzt eine Kehle und singt freudevoll.
Ma femme! Für das Geschlecht nach uns und vor uns,
Für die Gegenwärtigen und die, welche noch kommen sollen,
Juble ich jetzt und bin bereit, Hymnen zu jauchzen, machtvollere und stolzere, als sie bis daher auf Erden gehört wurden.
Ich werde Gesänge der Leidenschaften singen und sie ihren Lauf nehmen lassen;
Und auch eure Lieder, ihr geächteten Verbrecher; denn ich sehe euch mit Augen der Verwandtschaft an und nehme euch mit mir so gut wie andre.
Ich werde das wahre Gesicht des Reichtums verfassen,
Zu ernten für Geist und Körper, was Dauer hat, sich weiter entwickelt und im Tode nicht vergeht.
Ich werde Selbstgefühl ausströmen und zeigen, wie es allem zugrunde liegt, und ich will der Sänger der Persönlichkeit sein.
Und von Mann und Weib werde ich zeigen, daß ein jedes nur des andern gleichen ist;
Und ihr, geschlechtliche Organe und Zeugungsakte! Konzentriert euch in mir, da ich entschlossen bin, mit mutiger und heller Stimme auszusprechen, daß ihr erhaben seid;
Und zeigen will ich, daß es keine Unvollkommenheit gibt in der Gegenwart, noch daß es eine in der Zukunft geben kann;
Und zeigen will ich, daß, was auch immer irgend jemand widerfahre, sich zu einem guten Ausgang wenden kann;
Und zeigen will ich, daß einem nichts Schöneres widerfahren kann als der Tod;
Und ich werde einen Faden durch meine Dichtungen ziehen, der Zeit und alle Geschehnisse in engem Zusammenhange zeigt,
Und zeigt, daß alle Dinge des Weltalls vollkommene Wunder sind, eines so tief wie das andere,
Ich werde keine Gedichte verfassen, die nur auf Teile Bezug haben,
Sondern ich werde Gedichte verfassen, Gesänge und Gedanken, die auf das Ganze Bezug haben.
Und ich werde nicht mit Bezug auf einen Tag singen, sondern mit Bezug auf alle Tage,
Und ich werde kein Gedicht verfassen noch den geringsten Teil eines solchen, das nicht Bezug hätte auf die Seele,
Weil mich die Betrachtung des Weltalls wahrnehmen ließ, daß da keine einzige Erscheinung ist noch irgendein Teilchen von irgendeiner, die nicht in Beziehung zur Seele stünde.

 

13.

Trug jemand Begehr, die Seele zu sehen?
Nun, sieh! Da ist deine eigene Gestalt und dein Antlitz; da sind Personen, Stoffe, Tiere; da sind die Bäume, die gleitenden Ströme, die Felsen und Sandstrecken.
Ein jedes hält geistige Freuden und entbindet sie später;
Wie kann der wahre Leib jemals sterben und begraben werden?
Von deinem wahren Leib und von jeglichen Mannes und jeglichen Weibes wahrem Leib
Entweicht Teil für Teil den Händen der Leichenwäscher und schwebt zu geeigneten Sphären,
Um alles mit sich zu tragen, was vom Augenblick der Geburt bis zum Augenblick des Todes mit ihm verwachsen war.
So treu wie die Typen, die der Setzer setzt, ihr Abbild prägen, die Bedeutung und den wesentlichen Sinn,
Genau so treu wird sich deines Mannes oder Weibes Wesen und Leben in Leib und Seele ausprägen,
Einerlei, ob vor oder nach dem Tode. –
Siehe, der Leib enthält und ist die Bedeutung, der wesentliche Sinn und enthält und ist die Seele;
Wer du auch seist, wie herrlich und göttlich ist dein Leib oder irgendein Teil von ihm!

 

14.

Wer du auch seist, ich habe für dich endlose Ankündigungen!
Tochter der Länder harrtest du deines Dichters?
Erharrtest du einen mit überströmendem Mund und hindeutender Hand?
Nun, den Männern und Frauen dieser Staaten
Frohlockende Worte, Worte den Ländern der Demokratie!
Engverkettete, fruchtgesegnete Länder!
Land der Kohle und des Eisens! Land des Goldes! Land der Baumwolle, des Zuckers und des Reises!
Land des Weizens, der Rinder und der Schweine! Land der Wolle und des Hanfes! Land der Äpfel und der Trauben!
Land der Weideflächen, der Grasebenen der Welt! Land der luftreinen, endlosen Hochebenen!
Land der Herden, der Gärten und der gesunden Lehmhäuser!
Land, wo im Nordosten der Kolumbia, und wo im Südwesten der Kolorado sich windet!
Land des östlichen Chesapeake! Land des Delaware!
Land des Ontario, Erie, Huron, Michigan!
Land der alten Dreizehn! Land von Massachusetts, von Vermont und Connecticut!
Land der Ozeangestade! Land der Sierren und Picks!
Land der Schiffer und der Matrosen! Land der Fischer!
Unzertrennliche Länder! Festzusammengeschlossene, leidenschaftliche Länder!
Seite an Seite! Die älteren und die jüngeren Brüder! Die Starkknochigen!
Das große Frauenland! Das Weibliche! Das Land der erfahrenen und unerfahrenen Schwestern!
Weitatmendes Land! Vom Pol begrenzt! Von mexikanischen Lüften gefächelt! Verschiedenartiges! Festes!
Das Pennsylvanische! Das Virginische! Das Doppelt-Karolinische!
Oh, alle und jedes heiß von mir geliebt! Meine unerschrockenen Nationen! Oh, fest umfange ich euch alle mit der vollkommensten Liebe!
Nie kann ich von euch los! Nicht von dem einen eher als von dem andern!
Oh, der Tod – Oh, trotzdem bin ich noch bei euch, unsichtbar, zu jener Stunde, mit unbezwinglicher Liebe!
Wandere durch New England, ein Freund, ein Reisender;
Plätschere mit bloßen Füßen in den sanften Sommerwellen auf Paumanoks Ufersand;
Ziehe durch die Prärie, wohne dann wieder in Chicago; wohne in jeder Stadt,
Betrachte Ausstellungen, Geburten, Neuerungen, Bauten, Künste,
Lausche den Rednern und Rednerinnen in den öffentlichen Hallen,
Bin einheimisch in den Staaten wie bei Lebzeiten und durchwandere sie, und jeder Mann und jedes Weib ist mein Nachbar,
Der Louisianer, der Georgier, immer noch sind sie mir nah, und ich noch immer ihm und ihr nah,
Der Mississipper und Arkansier ist noch bei mir, und ich noch bei einem jeden von ihnen,
Weile dennoch immer auf den Ebenen westlich vom Rückgratsflusse, wohne noch immer in einem Lehmhause,
Kehre noch immer nach dem Osten zurück; weile noch immer im Küstenstaat und in Maryland,
Noch immer biet' ich als Kanadier fröhlich dem Winter Trotz und noch immer ist Schnee und Eis mir willkommen;
Bin noch immer ein treuer Sohn von Maine oder des Granitstaates, oder des Buchtenstaates von Narragansett, oder des Reichsstaates,
Und noch immer segle ich nach neuen Ufern aus, auch sie zu annektieren und bewillkomme noch immer einen jeden neuen Bruder;
Und reiche zu dieser Stunde diese Blätter den neuen, wo sie sich mit den alten verknüpfen,
Trete selbst unter die neuen als ihr Kamerad und ihresgleichen, trete zu dir persönlich,
Ermuntere dich zu gemeinschaftlichen Taten, Rollen und Betrachtungen.

 

15.

Mit mir, der mich festhält, eile noch, eile noch weiter!
Um deines Lebens willen klammere dich an mich,
(Noch einmal und wieder wirst du mich vielleicht überreden müssen, ehe ich einwillige, mich dir ganz und völlig hinzugeben; aber was macht das?
Muß nicht auch die Natur wieder und wieder überredet werden?)
Kein zierlicher »dolce affetuoso« ich:
Bärtig, sonnengebräunt, graubrüstig, widerwärtig bin ich gekommen,
Daß man mit mir ringe, wenn ich vorbeikomme, um des Weltalls echte Preise;
Denn solche gewähre ich jedem, der auszuharren vermag, sie zu gewinnen.

 

16.

Auf meinem Wege halt' ich für einen Augenblick an.
Hier für dich! und hier für Amerika!
Noch preise ich hoch die Gegenwart; noch verkünde ich, froh und erhaben, die Zukunft der Staaten,
Und aus der Vergangenheit verkünde ich, was die Luft noch von den roten Eingeborenen hält.
Die roten Eingeborenen;
Naturlaute hinterließen sie, Töne von Regen und Winden, Rufe von Vögeln und Tieren in den Wäldern, für uns in Namen syllabiert;
Okoni, Kousa, Ottawa, Monongahila, Sauk, Natchez, Ischakachoutschi, Kaqueta, Oronoco,
Wabasch, Miami, Saginaw, Chippewa, Oschkosch, Walla-Walla;
Solche hinterließen sie den Staaten und schmolzen dahin und schwanden, nachdem sie Wasser und Land mit Namen beladen.

 

17.

Danach breiteten sich schnell aus
Elemente, Rassen, Einrichtungen, ungestüm, feurig, kühn;
Eine Urwelt wieder, Vistas unablässig sich ausbreitenden Ruhmes,
Eine neue Rasse, die alle vorigen überragt, und weit großartiger als sie, mit neuen Kämpfen,
Mit einer neuen Politik, neuen Literaturen und Religionen, neuen Erfindungen und Künsten.
Dies kündige meine Stimme an – ich schlafe nicht mehr, sondern erhebe mich;
Ihr Ozeane, die ihr in mir schliefet! Wie fühl' ich euch, ihr bodenlosen, sich regen und unerhörte Wogen und Stürme bereiten!

 

18.

Sieh, Dampfer dampfen durch meine Gesänge.
Sieh, ständig langen Einwanderer an in meinen Liedern und landen;
Sieh, im Hintergrund den Wigwam, die Wildspur, des Jägers Hütte, das Flachboot, den Maishalm, den Eigentumsanspruch, den rohen Zaun und das Dorf im Hinterwald.
Sieh, auf der einen Seite das westliche Meer, auf der andern das östliche; sie fluten und ebben wie über ihre Gestade, so über meine Gedichte.
Sieh Weiden und Forste in meinen Gesängen; sieh wilde und zahme Tiere; sieh hinter dem Kaw zahllose Büffelherden, die das kurze gekräuselte Gras äsen!
Sieh in meinen Gesängen Städte, fest, weit, binnenländisch, mit gepflasterten Straßen, mit Gebäuden aus Eisen und Stein, mit endlosen Fahrzeugen, Handel und Wandel;
Sieh die Walzendruckmaschinen mit ihren vielen Zylindern; sieh den elektrischen Telegraphen, der sich über den Kontinent spannt;
Sieh, wie durch die Tiefen der Atlantis Amerikas Pulsschläge Europa erreichen und Europas Pulsschläge prompte Antwort geben;
Sieh die starke schnelle Lokomotive, wie sie abfährt, keucht und die Dampfpfeife erschallen läßt;
Sieh Pflüger, die die Farm pflügen; sieh die Bergleute in den Minen graben; sieh die zahllosen Fabriken;
Sieh die Handwerker auf ihren Bänken mit ihren Geräten hantieren; sieh, wie aus ihnen vortreffliche Richter, Philosophen, Präsidenten hervorgehen, in Arbeitertracht gekleidet;
Und sieh durch die Läden und Gefilde der Staaten schlendern mich selbst, wohlbeliebt und festgehalten bei Tag und Nacht;
Höre dort den lauten Widerhall meiner Gesänge; lies, wie ihre Ahnungen sich endlich erfüllen.

 

19.

Oh Kamerado treu! Oh, und zuletzt nur noch wir zwei allein.
Oh ein Wort, das den Pfad vor uns ins Unendliche lichtet!
Oh etwas Entrücktes und Unausdeutbares! Oh eine wilde Musik!
Oh, jetzt triumphiere ich, und du sollst es gleichfalls!
Oh Hand in Hand! – Oh labungsvolle Wonne! Oh noch ein Sehnsüchtiger und Liebender mehr!
Oh eile dich, dich an mir festzuhalten! Zu eilen, vorwärts, vorwärts mit mir zu eilen!


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