Johann Carl Wezel
Belphegor
Johann Carl Wezel

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Kurz nach diesem grausen Auftritte entzündete sich ein neuer Krieg: alles war in Zwietracht; und mein alter Evnuche berichtete mir, daß er der einzige Urheber dieser Unruhen sey und sie zu Beförderung seiner Absichten nie erlöschen lassen dürfe. – ›Und welche sind das?‹ fragte ich neugierig. – ›Absichten‹, erwiederte er, ›deren Reife herannaht. So höre dann! Den Mann, in dessen Umarmung du bisher die süßesten Empfindungen der Liebe geschmeckt hast, sollst du stürzen.‹ – ›Ihn?‹ fuhr ich auf. ›Ihn, von dessen Händen ich Glück und Wohlseyn empfieng, der mich auf die oberste Staffel seiner Gunst erhob, ihn sollte ich stürzen? Undankbar will ich nimmermehr seyn.‹ – ›So stürze dich!‹ war seine kalte Antwort. ›Wähle zwischen seinem und deinem Untergange!‹ – Ich wollte Einwendungen machen und Fragen thun, aber er schnitt mir meine Rede gerade zu ab, verbot mir alle Declamationen und befahl mir zu wählen und dann zu hören, was ich gewählt hätte. Keine Verlegenheit kann in der Welt größer gewesen seyn als die meinige damals: sich selbst oder seinen Wohlthäter schaden müssen, ein trauriger Wechsel! Ich gehorchte dem Verlangen meiner Selbsterhaltung und bezeigte mich zu den Anschlägen des bösen Evnuchen bereitwillig, der mich alsdann durch den schrecklichsten Schwur die Bewahrung des Geheimnisses angeloben ließ. ›Der große Edzar‹, fieng der Bösewicht an, ›der Nebenbuhler unsers Herrn, hat mich zu der Ausführung seiner Absichten ausersehen; ich habe mich ihm verpflichtet und muß schlechterdings seinen Auftrag zu Stande bringen. Er gebot mir eine von den niedrigsten Sklavinnen in die Gunst des Fali zu bringen, deren Glück in meiner Gewalt wäre und die also entweder sich in unsre Entwürfe fügen oder ihrer eignen Erhaltung entsagen müßte. Ich wählte dich dazu, und du hast dein Glück dem Glücke eines andern vorgezogen, was man leicht voraussehn konnte. Vernimm also, was dir weiter zu thun obliegt! Der große, mächtige Herr deines Herrn wird dich von ihm verlangen: es wird ihm schwer werden, und ich will machen, daß es ihm unmöglich wird, dich zu missen, eben so wie der Feldherr Edzar es bey seinem Herrn dahinbringen wird, daß es ihm unmöglich ist, dich nicht zu besitzen. Der erhabne Herrscher aller Herrscher wird über die Verweigerung deines Herrn ergrimmen und siehe! so ist sein Fall gewiß, und du wirst zu der Umarmung des mächtigsten Regenten erhoben.‹

Die so lange vorher ausgesonnene Bosheit wurde ihrer Ausführung täglich näher gebracht: in kurzer Zeit hatte der tückische Edzar seinen Herrn beredet, daß ich die größte Schönheit des Orientes sey, und diese Ueberredung war hinreichend, ihn bis zum Unsinne in mich verliebt zu machen, ob er mich gleich nie gesehn hatte. Er verlangte, mich schlechterdings zu besitzen, und erwartete nichts weniger, als daß sein getreuer Knecht Fali seinen Wünschen den mindesten Wiederstand entgegensetzen werde! Je mehr dieser wankte, dem Verlangen seines Herrn zu gehorsamen, je mehr feuerte der alte Evnuche seine Liebe an, je mehr suchte er ihm glauben zu machen, daß er ohne mich der unglücklichste Sterbliche sey und sich daher den ungerechten Zumuthungen seines Herrn gerade zu wiedersetzen müsse. Der alte Bösewicht, um den Untergang seines Herrn desto schneller zu befördern, rieth ihm sogar, den Antrag der Härte und Unwillen abzuweisen. Auf der andern Seite blies Edzar die Leidenschaft des Despoten unermüdet an, und die beiden Alten, der König und sein Feldherr Fali, waren wie zween gierige Raubthiere, die sich auf die Aufmunterung und Loshetzung jener beiden Verbrecher um mich, ihre Beute, haßten, verfolgten und lieber gar gewürgt hätten. Der König mußte meinen Herrn schonen, wenn er sich nicht der Gefahr eines Aufruhrs aussetzen wollte; denn Fali war der Liebling aller Soldaten, die ihn, wie ihren Vater, vor jeder Verletzung zu sichern suchten und für seine Erhaltung ihre eigne verachtet hätten. In dieser quälenden Verlegenheit griff er nach der List und wollte mich durch verdeckte Wege aus den Händen des widerspenstigen Fali reißen. Edzar erfuhr seinen Anschlag und begünstigte ihn. Man legte an dem Theile des Palastes, wo ich wohnte, Feuer an, und wenn ich mitten durch die Flammen mich retten würde, so sollten mich einige Auflaurer auffangen und dem Könige überliefern. Der alte Evnuche, der von allen diesen Ränken völlig unterrichtet war, ließ zwar die Flammen ungehindert auflodern und mich eben so ungehindert von meinen Entführern davontragen, allein auf seine Veranstaltung wurden einige von den königlichen Aufpassern eingefangen und vor dem Fali gebracht, der mit der Wuth eines Löwen wider seinen Herrn tobte, Schätze, Palast, Weiber und alles der Willkühr der Flamme überließ und davon eilte, um mich zurückzuholen oder alles zum allgemeinen Aufstande aufzuwiegeln und dann seine Beleidigung mit Blute zu rächen. Er raste wie sinnenlos, und Zorn und Rachsucht machten seine Liebe zu mir stärker als sie wirklich war: er lief, ohne zu wissen wohin, indessen daß ihm der Dampf von seinem verbrennenden Vermögen nachrollte. Wem er auf seinem Wege begegnete, dem erzählte er mit der äußersten Hastigkeit seine Geschichte, und jeder war schon auf seiner Partey, ehe er ihn noch dazu ziehen wollte: in kurzer Zeit verbreitete sich der Tumult allenthalben, Soldaten und andre Einwohner eilten in vermischter Ordnung einher, und alles rief: ›Es lebe Fali! Es sterben alle seine Feinde!‹ – Der beleidigte Feldherr selbst war an ihrer Spitze und schnaubte vor Zorn und Rache. Das Scharmützel fieng an und wurde bald zur offnen Schlacht. Man erwürgte sich, man schlug sich blutig, man hieb sich nieder, mir und dem Fali zu Ehren. Der Sieg schien ungezweifelt für den Feldherrn, als plözlich seine ganze Partey sich von ihm trennte und ihn der Wuth seiner Gegner überließ, die ihn gefangen nahmen. Dieser plözliche Unfall war Edzars Veranstaltung, der unter dem Hintertrupp von Falis Verfechtern das Gerüchte ausstreuen ließ, daß ihr Anführer in einer entlegnen Straße große Gefahr laufe, in die Hände der Feinde zu fallen. Sogleich stürzte sich der getreue Trupp an den Ort, wohin sie das falsche Gerüchte rief; die Uebrigen, die dies für Flucht hielten, folgten ihnen zum Theil nach, um sich mit ihnen zu retten, zum Theil um die Entflohenen zu ihrer Schuldigkeit zurückzubringen. Diese Trennung verursachte bald allgemeine Unordnung und Verwirrung: dieser fürchtete sich, jener zürnte, dieser tobte, jener stand vor Zerstreuung unthätig; ein jeder wurde durch eine Leidenschaft von der Gegenwehr abgerufen, die Feinde drangen ein, trieben sie fort, umringten den verlaßnen Fali und brachten ihn vor seinen Herrn, der ihn gern mit dem Blicke vor Wuth getödtet hätte und ihn sogleich den gräulichsten Martern übergeben ließ.

Nunmehr, da der Sturm vorüber war, hatte er Muße, die Schönheit in Betrachtung zu nehmen, die ihn veranlaßt hatte: ich wurde zu ihm geführt. War es Unmuth und böse Laune oder entsprach meine Gestalt seiner überspannten Erwartung nicht! – ich mißfiel ihm im höchsten Grade, so sehr, daß er mich von zween Evnuchen zum Serail hinauspeitschen ließ und sogleich Befehl gab, dem Edzar, der die Wollust seines Herrn so unverantwortlicher Weise zu der falschesten Erwartung verführt hatte, den Kopf glatt vom Rumpfe herabzusäbeln.«

»'Da sieht man doch, daß die Vorsicht noch lebt!' würde Freund Medardus ausrufen«, sprach Belphegor, ohne zu überlegen, daß dieß ein Mittel seyn könnte, sich vor der Zeit zu verrathen. Allein Akante war zu sehr in ihre Geschichte vertieft, um sich ein solches Anzeichen nicht entwischen zu lassen. Sie hielt sich also blos an das Wesentliche des Ausrufs und fiel ihm hastig ins Wort: »Ja, so würde ich auch denken; aber warum mußte denn der unglückliche Fali umkommen, der treu für seinen Herrn gefochten und eine niederträchtige Beleidigung nicht als ein feiges Lamm erdulden, sondern den Urheber derselben muthig bestrafen wollte? warum ließ da deine Vorsicht nicht lieber den Streich des Fali gelingen, der in seinem Herrn einen grösern Bösewicht gezüchtigt hätte als Edzar war?«

Belphegor wollte antworten, aber sie ließ ihn nicht zum Worte: in Einem unaufhaltsamen Strome fuhr sie zu fragen fort. »Warum mußte ich, die ich zu dem gottlosen Anschlage hingeschleppt worden war, die ich wie eine leblose Maschine dabey gleichsam fortgestoßen wurde, warum mußte ich ärger als Edzar, der gottlose Anstifter des Verbrechens, behandelt werden? Mit Einem kurzen Hiebe war sein Leben und seine Marter aus. Aber ich Elende wurde von zween wilden Evnuchen zum Serail unter tausend empfindlichen Hieben hinausgetrieben, dem Schmerze, dem Kummer, der Dürftigkeit und allen nur erdenklichen Unglücksseligkeiten übergeben; ich mußte vier und zwanzig Stunden lang unter freyem Himmel, allen Unfällen der Witterung ausgesetzt, mit einem von Blute unterlaufnen Rücken liegen, durch die Barmherzigkeit eines Fremden in ein Haus gebracht, geheilt und durch seine plözliche Abreise mitten in der Kur dem Elende von neuem ausgesetzt werden, ich mußte von Almosen leben und die meiste Zeit hungern, ich mußte endlich, um weniger zu hungern, mich der Willkühr eines jeden überlassen und –« Hier verstummte sie.

»Alles verdiente Strafen!« fuhr Belphegor hastig auf, »für die lahme Hüfte, die du mir –« Hier besann er sich; denn Akante sah ihn sehr ernsthaft und bedenklich an; und weil ein Argwohn leicht Gründe zur Gewisheit findet, so erblickte sie, aller Unkenntlichkeit ungeachtet, ungemein viele Aehnlichkeit in den Gesichtszügen des Mannes mit demjenigen, dem sie ehemals lahme Hüften gemacht hatte. Sie hielt es wenigstens der Mühe werth, einem Versuch mit einer Anfrage zu thun; und da ihr ehmaliger Liebhaber ein Bettler war, so konnte sie nichts dabey verlieren, sich ihn unter den Charakter einer Hure darzustellen. Sie sah ihn immer steifer an, sagte die ersten Sylben seines Namens, bis sie ihn ganz heraussprach, und der gute Mann aus angeborner Aufrichtigkeit es ihr länger nicht verhelen konnte, daß er es war, den sie nannte. Beide, obgleich keins vor dem andern viel voraus hatte, schämten sich mit ihrem Reste von europäischem Gefühle, sich in so traurigem, erniedrigendem Zustande widerzufinden. Hätte auch gleich kein Ueberbleibsel von Liebe mitgewirkt, so wäre die Gleichheit des Elends und ihrer Abkunft schon kräftig genug gewesen, sie für einander anziehend zu machen. Doch mitten unter den Empfindungen, die ihre Wiedererkennung begleiteten, konnte Akante nicht vergessen, daß ihr bisheriges Ungemach eine Folge von den Hüftenschmerzen seyn sollte, die sie Belphegorn gemacht hatte, besonders da Leute, die viel gelitten haben, alle Beyspiele wider die Billigkeit der Vorsehung begierig auffangen, um sich gleichsam für ihr ausgestandnes Unglück dadurch an ihr zu rächen.


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