Johann Carl Wezel
Belphegor
Johann Carl Wezel

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Der Mann, um dessentwillen er sich allen diesen Schmerzen ausgesezt hatte, wagte sich nicht in die Nähe des Streites, blieb furchtsam in der Ferne stehn, so lange es Schläge sezte, und schlich langsam zu seinem Verfechter hin, als die Gefahr vorüber war. Er beklagte ihn herzlich und versprach mit der gerührtesten Dankbarkeit, sich seiner anzunehmen, sich nie von ihm zu trennen. Er wusch seine Wunden, verband ihn, so gut er konnte, und trug ihn auf seinen Schultern in ein Dorf, wo sie auf vieles Bitten in einer Scheune beherbergt wurden.

Eine Regel hatte sich Belphegor aus seinen bisherigen Unglücksfällen abgezogen, daß er in die Flamme seines guten, empfindungsvollen Herzens eine gute Dosis kühle Vorsicht gießen müsse. Er nahm sich auch in völligem Ernste vor, Neid und Unterdrückung ins künftige als bloßer Zuschauer zu betrachten, eher an dem Feuer des Unwillens zu ersticken, als es hervorbrechen zu lassen, und wenigstens die innerlichen Theile des Leibes unbeschädigt zu erhalten, da kein äußerliches Glied an ihm war, das nicht Denkmale seines Eifers für die Gerechtigkeit, blaue Flecken, Narben oder Beulen bezeichneten.

Der Mitleidige, der ihm einen Plaz bey sich verstattet und auch zuweilen eine Wohlthat mitgetheilt hatte, bot ihm izt, da er wieder geheilt war, wie auch seinem Gefährten eine Stelle unter seinen Arbeitern an. Keiner von beiden schlug das Anerbieten aus, besonders nicht Belphegor, und zwar deswegen, weil er hier weniger Reizungen, sich neue Wunden zu erwerben, zu finden hoffte. Seinen bisherigen Begleiter, Wärter und Freund knüpfte die Dankbarkeit auf das engste mit ihm zusammen, und ihre Freundschaft schien ihnen unzerstörbar, sie war die wärmste, die unverbrüchlichste auf der Welt – weil keiner einen Gran Elend oder Glück mehr oder weniger besaß als der andre.

Belphegor erhielt bald einen merklichen Vorzug in der Gunst seines neuen Herrn, weil er, seiner Leibesschäden ungeachtet, viel mehr Thätigkeit und Arbeitsamkeit als sein Freund bewies. Der Alte erkannte es mit freudigem Danke, daß er sich um seines Nutzens willen zu Tode arbeiten wollte, und gieng damit um, ihm zu Belohnung seiner nützlichen Dienste, nach Labans löblichem Beispiele, seine einzige Tochter in die Arme zu werfen – ein dickes, rundes, wohlbeleibtes Mädchen, das alle Sonntage einen vollwichtigen Doppeldukaten mit Kaiser Karl des sechsten Bildnisse an dem gelben Halse trug, zwey Hemde und einen ungeflickten Rock besaß, da das ganze übrige Dorf Winter und Sommer halbnackt gieng. Ehe Belphegor diese wohlgemeinte Absicht erfuhr, kam sein Freund dahinter. Er fühlte sogleich, als ihm das nahe Glück seines Freundes bekannt wurde, eine so starke Revolution in der Galle, daß er augenblicklich seinen Herrn aufsuchte und ihm hinterbrachte, er habe vor ein Paar Minuten Belphegorn und die tugendreiche Tochter vom Hause hinter einem Heuschober in einer so vertraulichen, inbrünstigen Vereinigung gesehn, daß er dieser seiner Aussage gewiß Glauben beymessen würde, wenn er drey Vierteljahre auf den Beweis warten wollte. Der Alte, dem die Keuschheit seiner Tochter am Herzen lag und der ohne große Noth weder göttliche noch menschliche Gesetze gern brach noch brechen ließ, brannte von Wuth, rennte nach dem Orte zu, wo er Belphegorn zu treffen glaubte, fand ihn bey der Arbeit, ergriff eine Heugabel und rennte ihm von hinten zu alle drey Zinken in das dicke Bein, stach ihm eben so viele Löcher in den Kopf und schlug ihm das linke Bein einmal entzwey. Zwo Stunden darauf ließ er den Bader kommen und ihn vom Kopf bis auf die Füße wieder ausflicken, um nicht von der Gerechtigkeit des Orts dazu angehalten zu werden. Da er wieder ausgebessert war, nahm er eine Peitsche und gab ihm mit fünf und zwanzig wohlgezählten Hieben seine Entlassung und mit einem kräftigen Fluche ein Empfehlungsschreiben an den Teufel auf den Weg. Belphegor nahm von seinem Freunde beweglichen Abschied, und dieser bekam den Tag darauf die dicke Rahel mit allen Pertinentien in rechtmäßigen ehelichen Besiz.

Diesmal konnte sich es Belphegor mit dem größten Eide versichern, daß ihm sein gutes Herz nicht den Kopf zerlöchert hatte; eigentlich wußte er gar nicht und erfuhr auch niemals, warum ihm ein so schmerzhafter Abschied ertheilt wurde. »Demungeachtet«, sagte er, »will ich auf meiner Hut seyn und mich von meiner Hitze nicht hinreißen lassen, wenn man gleich Millionen Menschen vor meinen Augen zerhackte und in Blute kochte.«

Er litt viele Tage Hunger, weil auf dem ganzen Striche, wo er gieng, alle Dörfer verbrannt, die Einwohner niedergesäbelt oder betteln gegangen waren. Der Nachbar des Landes hatte einen Einfall in dasselbe gethan und viertausend Stück Schafe, die es mehr ernährte als das seinige, aufspeisen lassen. Bey der Gelegenheit hatte man statt des Freudenfeuers über erlangten Sieg ein Dutzend Dörfer angezündet.

Belphegor fand einen von den Kriegsmännern, die bey diesem Treffen sich Heldenlorbern erfochten hatten, an einem kleinen Bache, wo er sich seine Wunden wusch. Er sezte sich zu ihm und machte ihm ein sehr rednerisches Bild von der Verwüstung und dem Elende, das er unterwegs angetroffen hatte, das der andre mit einem stolzen Lächeln anhörte. »Ja, heute sind wir brav gewesen«, sprach er und strich den Bart.

»Aber um des Himmels willen«, rief Belphegor vor Hitze zitternd, »wer gab Euch denn das Recht, so viele Leute unglücklich zu machen?«

»Der Krieg!« brüllte der Soldat.

»Und wer gab Euch denn das Recht zum Kriege?«

»Die Leute leben hier zu Lande wie im Paradiese, schwelgen und schmausen. Wir haben zwölfmalhunderttausend geübte Arme und unsre Feinde kaum sechstausend: wir müssen ihnen die sündliche Lustigkeit vertreiben.«

»Und also, ihr Barbaren, ist eure Uebermacht das Recht, eurem Neide so viele Unschuldige aufzuopfern? – Ist das euer Recht?«

»Kerl! du bist nicht richtig im Kopfe; du phantasirst; so ungereimtes Zeug schwatzest du: am besten, mit dir ins Tollhaus!« Und so ergriff ihn der Kriegsmann, band ihn mit einem Riemen an sein Pferd und ließ ihn neben sich her außer Athem laufen, wenn er nicht von dem Pferde geschleppt seyn wollte, das in einem frischen Trabe fortschritt. Zwo Stunden nach ihrer Ankunft in der nächsten Stadt war Belphegor zwar in keinem Tollhause, aber doch im Zuchthause einquartiret, wo er an einen Pfahl gebunden und mit dreißig muntern Peitschenhieben bewillkommt wurde. Darauf schloß man ihn ein und befahl ihm, jeden Tag zwanzig Pfund Wolle zu verspinnen, und da er menschlicher Weise diese Zahl niemals vollmachte, so bekam er zu Ersparung der Kasse selten etwas zu essen und alle Abende für jedes fehlende Pfund sechs Hiebe.

Seine Gesellen wurden in kurzem seine Freunde; ein gemeinschaftliches, gleich trauriges Loos machte sie dazu. Nach langen Bitten erbarmte man sich endlich über den armen Belphegor und erließ ihm täglich zwey Pfund von der vorgeschriebnen Quantität Wolle; er bekam nichtsdestoweniger alle Abende Prügel, weil er auch achtzehn Pfund eben so wenig bestreiten konnte, nur jeden Tag zwölf Schläge weniger als die übrigen. Von Stund an haßten ihn alle seine Kameraden wegen dieses vorzüglichen Glücks und beschlossen, ihn des Nachts im Bette zu verbrennen. Sie führten ihren Anschlag aus, legten brennenden Zunder in das Bettstroh, die Flammen nahmen überhand, Belphegor und die übrigen Züchtlinge entwischten, und das Haus lag nebst einer ganzen Gasse innerhalb etlicher Stunden im Aschenhaufen da. –

»So soll man mir doch die Zunge ausschneiden, wenn ich mich wieder verleiten lasse, Ein Wort über Ungerechtigkeiten zu verlieren!« sagte sich Belphegor, als er in Sicherheit zu seyn glaubte. »O grausame Akante! in alles dieses Unglück hast du mich gestürzt! – Akante! Akante!«

Diesen Ausruf that er, nachdem er zwölf Stunden in einem Zuge gelaufen war und sich izt ermattet in einem frischen Birkenbüschchen niederließ, wo er sicher vor allem Nachsetzen auszuruhen gedachte. Er war im Lande der Lettomanier. Kaum hatte er Athem geschöpft, als er ein barbarisches Geschrey aus der Ferne hörte, als wenn Pygmäer und Kraniche zusammen kämpften. ›Schon wieder etwas!‹ dachte er; ›aber meinethalben schlagt ihr euch in Millionen Stücken; ich will zusehn.‹

Das Geschrey wurde immer stärker, immer näher und Belphegor immer unruhiger, als sich endlich ein ganzer Haufe Bauern in den Busch hereinstürzte, wo er verborgen saß. »Hier sind wir sicher«, sprachen sie und lagerten sich. »Das war ein warmer Tag!« Andre brachten ein Faß mit einem Triumphgeschrey herzugeschleppt, das die Gelagerten beantworteten, und das Glas gieng munter herum. Ein jeder trank seinem Fürsten und der Freiheit zu Ehren.

»Der Freiheit?« dachte Belphegor, »hui! was müssen das für Leute seyn?« Er horchte und konnte nichts zusammenhängendes erschnappen, als daß hier zu Lande Bauernkrieg war, bis endlich einer in gewissen Angelegenheiten seitwärts schlich und auf seinem Wege Belphegorn im Gesträuche erblickte, den er sogleich hervorzog und seinen Mitbrüdern vorstellte. Man untersuchte ihn genau, ob er vielleicht zu der feindlichen Partey gehörte, und nachdem man ihm, in Ermangelung einer gesezmäßigern Tortur, hundert Prügel auf die Fußsolen gegeben hatte, ohne ein Ja aus ihm herauszwingen zu können, so wurde er feierlich für unschuldig erklärt und zum Glase zugelassen, was ihm aber wenig schmeckte; denn seine Fußsolen brannten wie Feuer.

»Willst du mit für die Freiheit fechten?« fragten ihn einige. »Gebt mir nur die meinige, dann seht, wie ihr die eurige behauptet!« »Was? für die Freiheit willst du nicht fechten? Du bist ein Spion! ein Feind!« Und sogleich sezte man sich in Positur, ihn mit einem Strohseile an eine schöne, schattichte Eiche aufzuhängen. »Sagt mir nur erst, wer eure Freiheit gekränkt hat?« rief Belphegor, als er den Spaß dem Ernste so nahe sah; »sagt mir es, und gern, gern will ich für sie fechten.«

»Siehst du«, nahm sein Nachbar das Wort, der bisher beständig still gesessen hatte, »siehst du! der liebe Gott hat uns nur zwey Hände und zwey Füße gegeben, und doch sollten wir den Leuten, die uns gekauft haben, so viel arbeiten, als wenn wir ihrer ein Paar Dutzend hätten. Sie wollten uns weis machen, wir hätten keinen Magen; wir sollten nur hungern, sie wollten schon für uns essen; und ob uns ein Paar Lumpen auf dem Leibe hiengen oder ob wir nackt giengen, wäre auch gleich viel; Adam sey ja in Gottes Paradiese auch nackt gegangen und ein braver Mann, der erste Erzvater gewesen. ›Was wäre denn nun vollends solchen nackten Lumpenkerlen Geld nöthig?‹ meinten sie; wir hätten ja ohnehin keine ganzen Taschen; also wärs doch tausendmal besser, daß wirs ihnen gäben, als wenn wirs verlören: das wäre ja jammerschade. Sie wollten uns dafür recht hübsch gepuzte Kerle, Laufer, Lakeyen, Heyducken, schöne Pferde, allerliebste Hunde, hübsche Kutschen zu sehn geben, und alle Sonntage sollten wir ihr Vivat rufen, ihnen langes Leben und Wohlergehn wünschen, und wenn wir etwas in der Tasche aus Versehn zurückgelassen hätten, es auf ihre Gesundheit in ihrem Biere vertrinken. Die Woche über sollten wir nur hübsch fleißig seyn, hübsch viele und gesunde Kinder liefern, die auch bald arbeiten und geben könnten, und dabey Gott mit frölichem und zufriednem Herzen danken, daß er uns so gnädige Herren beschert hat, die uns nicht lebendig schinden, weil sie uns sonst nicht brauchen könnten. Des Lebens wurden wir satt; freyer Tod ist besser als sklavisches Leben; wir schlugen zu. Achtzehn Schlösser haben wir schon bis auf den Grundstein zu Pulver verbrannt, neunzig Grafen und Edelleuten die Bäuche aufgeschnitten und einen ganzen Schwarm Edelfrauen bey Strohwischen gebraten samt den schönen Jungen und Jungfern, Hunden und Pferden, die sie von unserm Gelde gekauft haben. Heisa! Es lebe die Freiheit! Willst du mitfechten? – Komm! wir sind zurückgesprengt worden. Wir wollen dort ans Schloß ansetzen, das im Walde liegt. Dem rothköpfichten Junker dort auf den Hals! Fort, Brüder! du sollst unser Anführer seyn, Freund!« – »Ja, unser Anführer!« riefen sie alle und machten sich marschfertig.


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