Johann Carl Wezel
Belphegor
Johann Carl Wezel

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Achtes Buch

Belphegors Begleiterinn fieng ungeheißen an, ihm etliche Stücke ihrer Geschichte mitzutheilen, und zwar mit dem Tone eines geheimen Kummers, der sich öffnen will, um sich zu erleichtern. Allein ihr Zuhörer war mit seinen eignen trübsinnigen Gedanken zu sehr beschäftigt, um von ihrer Erzählung intereßirt zu werden. Sie fuhr demungeachtet ungehindert fort und versicherte, daß der ganze unübersehliche Faden ihrer grausamen Schicksale von einem gewissen Fromal angesponnen sey, dem sie dafür allen Fluch des Himmels und der Erde zur Belohnung anwünschte.

Belphegor fuhr auf und sah sie unbeweglich an. »Von einem gewissen Fromal!« rief er, wie aus einem Traume erwachend.

»Ja, von diesem schändlichsten aller Bösewichter, der mich verleitete, einen gewissen Belphegor zum Hause hinauszuwerfen.«

»Einen gewissen Belphegor!« unterbrach sie ihr Gefährte erschrocken, doch ohne sich zu verrathen, ob er gleich merkte, mit wem er zu sprechen die Ehre hatte.

Sie erzählte ihm hierauf mit geläufiger Zunge ihre ganzen Schicksale bis zu der großen Wolkenreise, wo sie von ihrem versöhnten Liebhaber und seinem Freunde Medardus getrennt wurde, und zwar mit den nämlichen Umständen, unter welchen meine Leser ihren Bericht bereits vernommen haben. Belphegor konnte daraus nichts anders schließen, als daß die Geschichte wahr und sein Freund Fromal ein treuloser Freund sey, der ihn doppelt hintergangen, als er ihn nach seiner Verweisung aus Akantens Hause beruhigte und als er ihm die Ursachen herrechnete, warum er zu seiner Vertreibung etwas beygetragen hatte. Er nährte schon lange einen bittern Unwillen wider alles, was menschlich heißt, bey sich, und glaubte um so viel leichter, daß sein Schluß richtig und Fromal, wie alle Menschen, ein Bösewicht sey.

Während daß er mit einer geheimen, melancholischen Freude dieser Meynung beyfiel, fuhr Akante in ihrem Berichte fort und erzählte ihm, daß sie von ihrer Wolkenfahrt in die Türkey herabgelassen worden sey und sich, um ihrem gänzlichen Mangel abzuhelfen, an einen reichen Kaufmann als Sklavinn verhandelt habe.

»Mein Herr«, sagte sie, »ward meiner bald überdrüßig: so sehr ich selbst nach dem Verluste meiner hauptsächlichsten natürlichen Schönheiten in Europa gefiel, so wenig wurde dieser fühllose Türke von meiner marmornen Hand und meinem schön lackirten Gesichte gerührt, das leider! itzt nur noch Ruinen seiner vormaligen Schönheit aufzuweisen hat. Er verkaufte mich an einen Herrn, der sich besser darauf verstand, weil er ein Paar elende Goldstücke bey dem Handel gewinnen konnte. Mein neuer Herr nahm mich in sein Serail und verkaufte mich in etlichen Wochen an Mulai Jassem, einen Handelsmann aus Antiochien; Mulai Jassem verkaufte mich an Abi Nizza nach Bagdad; Abi Nizza überließ mich seinem Bruder, dem Abi Esser; Abi Esser, ein aufbrausender Mann, ward zornig auf mich, warf mich zum Hause hinaus, ließ mich wieder zurückholen, um mir hundert Peitschenhiebe mitzutheilen, und vertauschte mich gegen ein schönes, kastanienbraunes Pferd an einen Franken, der mich endlich in die Hände eines persischen Herrn brachte, eines der mächtigsten Herrn im Königreiche; und ich wurde unter die Zahl seiner Beyschläferinnen aufgenommen. Ob er gleich aus besondern Absichten nur zwey Weiber hatte, so war doch sein Haus ein beständiger Schauplatz des Zanks und Tumultes; es theilte sich in zwo Faktionen, die einander tödtlich haßten und mit aller Erfindungskraft auf Mittel sannen, ihren Haß zur Thätlichkeit werden zu lassen. Sklaven, Sklavinnen, alles hatte den Groll von seiner Gebieterinn angenommen und verfolgte sich, als wenn es seine eigne Angelegenheit wäre. Vorzüglich äußerte sich diese Feindschaft bey der Geburt eines Kindes; die eine von den beyden Weibern war ganz unfruchtbar, und die andre hingegen hatte ihrem Herrn schon drey Kinder geboren: ein solcher Vorzug war des bittersten Neides werth. Als diese Glückliche zum viertenmale niederkam, so biß sich ihre Neiderinn vor Zorn und Unwillen bey der ersten Nachricht davon so heftig in die Unterlippe, daß man sie ablösen mußte, um eine Entzündung des ganzen Gesichts zu verhindern. Kaum hatte sie den Schmerz ausgestanden, als ihr die Rachsucht den grausamen Entschluß eingab, die Wöchnerinn nebst ihrer Frucht im Bette zu verbrennen: sie gab ihrer Partey Befehl dazu, die mit der größten Bereitwilligkeit eilte, ihn zu vollstrecken. Im Augenblicke loderten die Flammen in ihrem Zimmer und allen Ecken hervor, ergriffen die nächst daran stoßenden, verbreiteten sich weiter, und in wenig Minuten war der ganze Palast in Rauch und Flammen gehüllt. Man rettete sich, wie man konnte, und mit dem größten Theile der Sklavinnen entlief ich, um ein leichter Joch zu finden, als das wir bey unserm gegenwärtigen Tyrannen zu tragen hatten. Doch wir wurden von etlichen Verschnittnen eingeholt, gemustert und bis auf eine kleine Anzahl verkauft, bey welcher Gelegenheit ich in die Hände des großen, mächtigen Fali gerieth, um die Aufwärterinn einer seiner Beyschläferinnen zu werden. Er hatte dem Sultan, seinem Herrn, wichtige Dienste im Kriege gethan und noch vor kurzem etliche Provinzen erobert, weswegen ihm sein Herr mit vieler Achtung und Schonung begegnete. Einer von den Feldherren, der mit ihm eine gleich lange Zeit gedient hatte und es höchst übel empfand, daß ihm das Glück weniger gewogen war und ihn etliche Stufen niedriger in der Gunst seines Despoten sitzen ließ, hielt sich für verpflichtet, einen solchen Mann zu hassen, zu verfolgen und, wo möglich, unter sich zu erniedrigen. Er suchte jede Gelegenheit anzuwenden, ihn seinem Herrn verdächtig zu machen; und keine glückte ihm. Seine Mißgunst stieg zu einer solchen Höhe, daß es ihm genug war, seinen Nebenbuhler zu stürzen, wenn er gleich selbst in seinen Fall mit hinabgezogen werden sollte. Unter den vielen fehlgeschlagenen Listen erfand er endlich eine glückliche, wobey ich die Hauptrolle spielte.

Als ich eines Tages dicht an den Mauern des Harems Feldblumen für meine Gebieterinn suchen mußte, so näherte sich mir ein alter Evnuche und versprach mir gleich bey der ersten Anrede, mein Glück auf ewig zu machen, wenn ich mich in ein Verständniß von der äußersten Wichtigkeit mit ihm einlassen wollte. Ich wurde neugierig, und er verlangte von mir, daß ich mich schlechterdings in die Gunst des Fali einschmeicheln und zu der Ehrenstelle einer wirklichen Beyschläferinn erheben lassen müßte. ›Wie kann ich das?‹ fragte ich. ›Dafür laß mich sorgen!‹ war seine Antwort. ›Gieb mir nur dein Wort, daß du dich zu allen Schritten, die die Sache erfodert, gehorsam bequemen willst, ohne jemals zurückzuweichen oder furchtsam vor Schwierigkeiten zu erschrecken, die sich dir in Menge entgegenstellen werden. Ueberlaß dich meiner Führung und folge an meinem Arme jeder meiner Bewegungen ohne Widerstreben nach! In wenig Wochen sollst du im Triumphe auf dem Gipfel stehen, von welchem deine Gebieterinn itzo auf dich herabsieht.‹ – Ich versprach, ihm in allem zu gehorsamen: und sogleich verließ er mich, ohne mir das mindeste von dem Gange seines Anschlags zu entdecken. Ich war erstaunt, ich sann nach und gieng voll unruhiger Erwartung und Erstaunen mit meinen Blumen in den Palast zurück. Ich mußte jeden der folgenden Tage Blumen suchen; ich glaubte jedesmal, den alten Evnuchen zu finden, um etwas bestimmteres von meinem bevorstehenden Glücke zu erfahren. Allein statt seiner kam den dritten Tag der große Fali und eine kleine Weile darauf der alte Evnuche, der uns aber bald wieder verließ, nachdem er mir einen verstohlnen Wink gegeben hatte, die Gelegenheit zu nützen. Ich nahm die schönste unter meinen Blumen, überreichte sie ihm demüthig und warf mich vor ihm nieder. ›Herr‹, sprach ich, ›siehe in Gnaden das geringe Geschenk deiner Magd an und verschmähe nicht die Gabe ihrer Hände!‹ – Er befahl mir aufzustehn und versicherte mich sehr freundlich, daß ich Gnade vor seinen Augen gefunden hätte, worauf er mir zu meiner Arbeit zurückzukehren gebot und mich verließ. Ich pflückte gedankenvoll weiter und fand in diesem Räthsel alles unauflöslich: ich brachte vier und zwanzig Stunden in der quälendsten Ungewisheit zu, bis der alte Evnuche zu mir kam und mir das Geheimniß zum Theil entwickelte. ›Du sollst‹, sagte er mir, ›von Stund an zur Beyschläferinn des erhabnen Fali, des großen Feldherrn ausgerufen werden, und sogleich wirf die Sklavenkleider von dir und ziehe dieses Gewand an, das dich mit deiner bisherigen Gebieterinn in gleichen Rang setzt und, wenn du klug genug bist, meinen Rathschlägen getreulich folgst und die nöthige Vorsichtigkeit gebrauchst, dich an die Spitze des ganzen Harem emporheben wird.‹ – Ich zog das kostbare Kleid an, gelobte ihm den unverbrüchlichsten Gehorsam und folgte ihm, worauf ich in ein schönes möblirtes Zimmer kam, das mir nebst etlichen andern zu meiner Wohnung bestimmt war; die für mich bestellten Verschnittene und Sklavinnen empfiengen mich und stunden auf jeden meiner Winke in Bereitschaft – kurz, ich war die geehrteste, glücklichste Bewohnerinn des ganzen Harems und in der Gunst meines Herrn die oberste.

Guter Mann! Du weißt es vielleicht aus eigner trauriger Erfahrung, daß der Neid unmittelbar in die Fußtapfe tritt, wenn die Größe den Fuß von ihr aufhebt: ich erwartete ihn und trug ihn daher desto standhafter. Meine vorige Gebieterinn setzte den ganzen Harem wider mich in Aufruhr; ihre ehemaligen Feindinnen – welches alles ihres gleichen waren – wurden itzt die auserlesensten Freundinnen, die sich mit ihr zu meinem Untergang verschwuren. Der alte Evnuche stellte mir die Größe der Gefahr oft vor Augen, da ich sie ohne ihn nicht einmal erfahren haben würde, so versteckt waren alle Minen, die mich sprengen sollten, ermahnte mich zu vorsichtiger Standhaftigkeit und schwur mir theuer zu, daß mich nicht der mindeste Stoß von der angelegten Untergrabung treffen werde, weil er mein Beschützer sey. Sein Wort war mir um so viel sichrer, weil ich wußte, daß er der Liebling unsers Herrn war und so viel über ihn vermochte, daß auch die Neigungen des großen Fali von dem Willen und der Billigung dieses alten Geschöpfes abhiengen. Alle Unternehmungen wider mich giengen also fehl, nur die einzige, die unglücklichste unter allen wäre beynahe gelungen – man trachtete mir nach dem Leben. Weil man nirgends zum Zwecke gelangen konnte, so ließ man die Decke meines Schlafzimmers allmählich so zerwühlen und die Befestigung derselben so locker machen, daß sie unfehlbar herunterfallen und mich tödten mußte. Ob man gleich bey diesem mörderischen Anschlage die nöthigsten Maasregeln ergriffen hatte, um den völligen Einsturz zu veranstalten, wenn ich den Untergang nicht vermeiden konnte, so kam doch der Zufall ihren weisen Veranstaltungen zuvor und warf die Decke mit einem gewaltigen Krachen hernieder, als ich eben auf den glücklichen Sofa in den Armen des großen Fali in der vollsten Empfindung lag. Der Feldherr, der über diese Störung seines Vergnügens ergrimmte, forschte nach dem Thäter; denn man fand deutliche Spuren, daß Kunst gebraucht worden war, den Fall zu befördern: er forschte mit aller Strenge nach ihm, doch ohne ihn zu entdecken. Diese Fruchtlosigkeit seiner Bemühung ließ ihm eine Verschwörung vermuthen, in welche, wo nicht das ganze Harem, doch wenigstens der größte Theil desselben verwickelt seyn mußte. Theils um zu strafen, theils um abzuschrecken, ließ er ein schreckliches Blutbad anrichten, das die Hälfte des Serails und mit derselben auch meine vorige Gebieterinn wegnahm. Ich bat, ich flehte; aber der rasende Fali war unerbittlich und ruhte nicht eher, als bis er die Zusammenrottung in Strömen Menschenblut ersäuft hatte.


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