Johann Carl Wezel
Belphegor
Johann Carl Wezel

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Des Abends wurde sie ersucht, ihnen zu melden, wie sie ein Land der Menschlichkeit und feiner Sitten wie ihr Vaterland mit diesem Wohnhause der Barbarey und der Grausamkeit habe vertauschen können. »Schreckliche Schicksale mußten Sie hieher verschlagen haben, Madam«, sagte Belphegor.

»Ja, schreckliche Schicksale!« war ihre Antwort. »Ich bin die bekannte Markisinn von E., die den großen Kriminalprozeß verlor, die überführt wurde, ihren Mann vergiftet zu haben, und doch vor Gott und ihrem Gewissen unschuldig war; und davon wissen Sie nichts? – Wie ist es möglich, daß Sie auf der Welt sind und eine Sache nicht wissen können, die in Frankreich vorgieng? – Mein Mann starb plözlich, und alle Merkmale der Vergiftung machten die Art seines Todes unzweifelhaft. Ich hatte nicht allzu wohl mit ihm gelebt: er war ein mürrischer, eigensinniger, harter Ehemann, so unfreundlich und tükisch, daß er mich mit seinem Vorwissen keine Freude genießen ließ und sie zu hindern oder doch zu verbittern suchte, wenn mir der Zufall eine ohne sein Zuthun zuwarf. Sein finstres, menschenfeindliches Gemüth konnte unmöglich jemanden froh, zufrieden und glücklich sehn, ohne sich selbst für minder glücklich zu halten, und weil er keines Vergnügens fähig war, so war ihm alles verhaßt, was ihn hierinne übertraf: die Munterkeit eines Thiers gab ihm schon schlimme Laune. Da ich ein beträchtliches Vermögen zu ihm gebracht hatte, so trennte ich mich auf eine Zeit lang von ihm; und er war untröstlich und arbeitete mit allen Kräften, mich wieder zu einer Aussöhnung zu bringen: – vermuthlich war es ihm unerträglich, niemanden zu haben, an dem er seine böse Laune befriedigen konnte. Das Herz einer Dame vergiebt schon, indem es über die Beleidigung zürnt: die dringenden Bitten seiner Anverwandtinnen beredeten mich, wieder zu ihm zurückzukehren. Im Anfange war er, wenigstens so sehr er es seyn konnte, ein erträglicher und beinahe gütiger Gemahl. Doch in vier Wochen war er durch diesen Zwang erschöpft; er warf ihn ab: seine Gütigkeiten waren nur, so zu sagen, pattes de velours gewesen, und er zog izt seine ganzen Krallen hervor. Mitten unter unsern Unzufriedenheiten starb er plözlich an einer Vergiftung, die durch die gültigsten Beweise gerichtlich dargethan wurde. Ich hatte keine sonderliche Ursache, betrübt zu seyn, ich war es nicht und fand auch keine, es mehr zu seyn, als ichs war. Ich wollte mein Vermögen zurückziehn und seinen Erben das seinige überlassen, denen es gebührte, weil wir keine Schenkung errichtet hatten. Doch dieses war mit jenem in den lezten Jahren so verwebt worden, daß eine Absonderung ohne weitläufige Streitigkeiten nicht geschehen konnte. Eine Dame ist für die Kämpfe der Liebe, aber nicht für die Kämpfe der Gerechtigkeit gemacht: ich ließ von meinem Rechte bis zu einer beträchtlichen Schmälerung meines Vermögens nach, um zur Ruhe zu gelangen. Umsonst schmeichelte ich mir mit dieser Hoffnung: seine Erben machten auf einmal, schon einige Zeit nach dem Tode meines Mannes, einen Prozeß wider mich anhängig, worinne sie mir die Vergiftung meines Mannes schuld gaben. So rein ich mein Gewissen fühlte, so wenig fürchtete ich von dem Ausgange etwas mehr als einen Verlust meines Vermögens. Doch die Sache bekam die unglücklichste Wendung wider mich. Advokaten, Schreiber, Richter parlirten, schmierten, referirten, dekretirten so lange, bis ich für schuldig erkannt und mir Vermögen, Leben und Ehre abgesprochen wurden. Ich Unglückliche! um dem traurigsten Schicksale zu entgehn, floh ich aus meinem Vaterlande und ließ die Schande auf meinem Namen zurück, die ich nicht selbst tragen wollte. Ich wurde von einigen Kaufleuten, die meinem Vater große Verbindlichkeiten schuldig waren, nebst einem kleinen Reste meines Vermögens hieher gerettet. Ich kaufte diese elende Hütte und eine Sklavinn, mit welcher ich hier in der Einsamkeit lebte und noch lebe. Vor einem Jahre besuchte mich einer von diesen edelmüthigen Männern, der mir die angenehme Nachricht brachte, daß mein Name von der Schande des Mordes befreyt sey und daß ich ungehindert und ohne Gefahr in mein Vaterland zurückkehren könne. Durch die Aussage eines Mädchens, das unter neun Vergiftungen auch diese bekannt hatte, waren einige meiner Freunde veranlaßt worden, die Sache von neuem in Bewegung zu bringen. Nachdem mein Name zwanzig Jahre lang unter der entehrendsten Schande gelegen hatte, nachdem ich meines Vermögens, meiner Freunde, meines Vaterlandes, meiner Ruhe, meiner Glückseligkeit beraubt war, nachdem ich meine besten Tage in der Einsamkeit, dem Kummer, der Verachtung, der Dürftigkeit verseufzt hatte, ließ man mir die Gerechtigkeit widerfahren, mich für unschuldig zu erklären, fand man, daß einer meiner ehemaligen Richter, der einen von mir wenig geachteten Anspruch auf mich machte, den ich mit einiger Verachtung von mir wies, der Anstifter der Vergiftung war, daß er durch tausend listige Kunstgriffe der Sache eine solche Wendung zu geben gewußt hatte, wodurch der Verdacht wider mich bis zur höchsten Wahrscheinlichkeit erhöht und dadurch von ihm desto weiter entfernt wurde, welches um so viel leichter geschehn konnte, weil niemand als das Mädchen und Er um den Mord wußten und jenes mit einem Offiziere außer Landes geflüchtet war. Die Treulose war, wie ich mich nachher besonnen habe, zu der Zeit, als mein Mann starb, mein Kammermädchen und entfloh denselben Abend, als die Vergiftung bekannt wurde – ein Umstand, den man wider mich nüzte und mich beschuldigte, mit Bestechungen das Mädchen vermocht zu haben, durch ihre Flucht meine Schuld auf sich zu nehmen. – Gütiger Gott! Meine Ehre, meine Unschuld, mein Name ist gerettet; aber zwanzig Jahre lang unter dem drückenden Joche der Schande zu schmachten, das, meine Herren, das nagt das Herz. Kann eine so spät, so zufällig erlangte Gerechtigkeit den langen Kummer, Schmerz, Schande wieder ersetzen? kann sie mir zwanzig unglückselige Jahre wiedergeben und glücklich machen? – Nein! – Wehe dem Unterdrückten, dem Unrecht leidenden! Seichter Trost, daß man ohne Verschuldung leidet! Er erhält das Leben, daß es der Schmerz nicht gleich zerfrißt, um desto länger daran zu nagen.«

Belphegor konnte von seinem Erstaunen nicht zurückkommen, daß man in einem Lande, welches die Gesezgebung der Manieren, der Moden und Ergözlichkeiten in ganz Europa an sich gerissen hat, die Gesetze, welche das Eigenthum, die Ehre und das Leben des Einwohners sichern sollen, in einer Verfassung läßt, die eine solche Unterdrückung, eine solche Uebersehung der Unschuld möglich macht. »Die Gesetze, die Art des gerichtlichen Verfahrens, die Verfassung muß doch die einzige Quelle seyn, aus welchem Ihr Unglück herfloß«, sagte er. »Leicht bleibt der Schuldige ungestraft: tausend Umstände, ohne die menschliche Schwachheit, machen es möglich! aber wehe, wehe! wenn es möglich ist, daß der völlig Unschuldige mit dem Schuldigen verwechselt und an seiner Stelle gestraft wird!«

»In Deutschland würde das nicht geschehn«, sprach Medardus; »das ist gar ein braves Ländchen, Madam. Wenn mich nur der unglückliche Sturm nicht so weit von meiner Heimath verschlagen hätte! – Sie sollten wahrhaftig bey mir wohnen und allen meinen Apfelwein mit mir theilen. Wenn Sie wollen, noch ist es Zeit: in dem Lande hier könnte ich so nicht bleiben; es geht ja so barbarisch wie unter den Menschenfressern zu.«

»O mein Herr«, erwiederte die Markisin, »hier hat die Unterdrückung ihre natürliche, grause, wilde Mine. Doch anderswo trägt sie tausend betriegerische Larven, wovon einige das Ungeheuer ganz unkenntlich machen, nicht eher darunter vermuthen lassen, als bis man von seinen Zähnen gewürgt wird. Einer meiner Brüder ist exilirt, der andre verbrannt worden.«

Beide Gäste exklamirten laut vor Erstaunen.

»Der eine war ein Hugenott«, fuhr sie fort, »der andre ein Feind der Geistlichkeit und besonders der Jesuiten. Dieser, der jüngste von beiden, ließ sich von jugendlichem Feuer und dem noch ungestümern Eifer der Rechtschaffenheit hinreißen, etlichen ihrer unverantwortlichen, schädlichen Meinungen zu widersprechen. Er glaubte aus Mangel an Erfahrung, daß es genug sey, Recht zu haben, um Recht zu behalten, und daß man, um unsinnige Meinungen zu verdrängen, nichts brauche als den Schuz der Vernunft und Wahrheit. Man begnügte sich anfangs, seine Meinungen als ketzerisch und schädlich zu verdammen, dem Urheber derselben etwas von der Verdammniß mitzutheilen und ihn in die Flammen zu wünschen, die sein Buch verheerten. Man lärmte, man schrie, man verfolgte ihn mit Verläumdungen, man machte seinen Namen bey jedermann beinahe infam und behielt den Groll im Herzen, um ihn bey der ersten günstigen Gelegenheit zu seinem Verderben auszulassen. Sie zeigte sich: die Boshaften, die kein andres Interesse hatten, ihn zu Grunde zu richten, als daß er sich Vorurtheilen widersezte, die sie blos vertheidigten, weil es verjährte Vorurtheile waren, stürmten mit einer Wuth auf ihn los, die nicht heftiger hätte seyn können, wenn er die Grundstützen der Religion mit verwägener Hand niedergestürzt hätte. Man streute eben damals Erzählungen von Wundern aus, die ein neu entdecktes Haar von den Augenwimpern des heil. Ignatius gethan haben sollte. So lächerlich und ungereimt die Erdichtungen waren, so sehr ihre Falschheit in die Augen sprang, so leicht ließen sich vornehme und geringe Laien von ihrer Wahrhaftigkeit überzeugen. Die Absicht war eigentlich, einem ungestifteten Kloster Gönner, Bewunderer und Beiträge zu verschaffen. Der Franzose, der alle Nationen über die Schultern ansieht und vielleicht in vielen Stücken ein Recht dazu hat, glaubte übel ersonnene Mährchen, die mit Mutter Gans in einem Range standen, und opferte reichlich. Mein Bruder, vielleicht halb von Rache, aber gewiß auch halb vom Eifer der Wahrheit angefeuert, trat zum zweitenmale auf den Kampfplaz; aber zu seinem Unglücke. Man beschuldigte ihn der schwärzesten Verbrechen, man brauchte die niederträchtigsten Kunstgriffe, falsche Zeugen, untergeschobne Briefe, um ihn der Gotteslästerung und Irreligion zu überführen. Man gelangte zu seinem Zwecke; der unwissende Pöbel ist jederzeit auf der Seite des Betriegers: er verlangte die Verurtheilung meines Bruders. Der Mann, der sie aus den Ketten der Unwissenheit und dem Despotismus fanatischer Mönche reißen wollte, wurde auf Begehr Hoher und Niedriger öffentlich verbrannt.«

»Himmel!« schrie Belphegor, »öffentlich verbrannt! So sind ja die Banden der türkischen Sklaverey tausendmal leichter als die Tiranney eines unerleuchteten Klerus!«

»Tausendmal leichter, mein Herr! Hier stirbt der Sklave mit Einem Dolchstiche, ohne Schande; der Despot, dessen Eigenthum er ist, wirft ihn weg wie ein abgenuztes Kleid; sein Loos befremdet ihn nicht, weil er auf kein andres Anspruch machen kann. Allein wo der Bürger eines Staats den mächtigen Gedanken der Freiheit im Kopfe hat, da ist es ihm unendlich schwer, etwas zu dulden, das nicht mit ihr besteht. Unter dem despotischen Himmel tödtet man mit Einem Hiebe, unter vielen andern quält man mit hunderttausend Stichen langsam zu Tode; denn alle kann man nicht verbrennen, wie meinen Bruder.«

»O«, seufzte Belphegor, »welch Unthier ist der Mensch! Immer ein Unterdrücker, hier des Eigenthums, dort des Menschenverstandes, hier des Rechtschaffnen, dort des Armen!«

»Ja«, faßte Medardus die Rede auf, »daß die Menschen doch so einfältige Kreaturen sind! In Ruhe und Friede könnten sie bey einander sitzen, ein Glas Apfelwein trinken und sich einander ihr Leben erzählen; aber nein! da schlagen, schmeißen, balgen sie sich wie das liebe Vieh; und noch ärger machen sies; denn die Thiere verschlingen sich doch nur aus Hunger, aber die Menschen, wenn sie der Hunger nicht dazu zwingt, suchen ein Sylbchen, ein Wörtchen und verbrennen, hängen, köpfen und sengen sich darüber.«


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