Johann Carl Wezel
Belphegor
Johann Carl Wezel

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Sich beobachten und argwöhnisch seyn ist beinahe eins, wenigstens giebt das erste unendliche Gelegenheit, das lezte zu werden. Sie lauerten bald auf einander und bemerkten oft vieles, worüber man sich bey weniger Freundschaft hätte zanken können. Doch blieb es ohne Bruch.

Belphegor hatte einen Extrakt von tummen Geschöpfen zu regieren bekommen, die sich nicht im mindesten in seine Anstalten zu ihrer Verfeinerung fügen wollten, zumal da ihm seine natürliche Hastigkeit nicht erlaubte, anders als sprungweise zu verfahren. Durch Einen mächtigen Zauberschlag sollten seine afrikanischen Thiere in europäische Menschen verwandelt sein. Sie lehnten sich gegen seine schnelle Umschaffung auf, blieben, was sie waren, und ihr Regent ward misvergnügt, überdrüßig, an ihrer Polirung zu arbeiten. Fromal hingegen war glücklicher: entweder waren seine Untergebnen von besserm Stoffe oder durch zufällige Ursachen schon vorher in der Kultur weiter fortgerückt oder hatte ihr Beherrscher bessere Maasregeln ergriffen – genug, sein Reich war polirter und mit bessern Menschen angefüllt als Belphegors Gebiet. Fromals Bemühungen waren freilich durch etliche günstige Zufälle unterstüzt worden, die jenem fehlten, allein er gieng auch mit kälterer Bedachtsamkeit und mehr anhaltender Geduld zu Werke als jener. Genug, die beiden Distrikte schienen zwo Nationen von verschiedenem Geschlechte zu seyn, so auffallend war ihr Unterschied; und Belphegor konnte sich nicht enthalten, den Unterschied mit scheelem Blicke zu bemerken, Fromals Geschicklichkeit dabey zu verringern und die Ursache dem Zufalle zuzuschreiben.

Sie hatten einen kleinen Handel unter sich und den benachbarten Distrikten eingeführt, wovon nur unbeträchtliche Anfänge vorhanden waren. Auch hierinne war Fromal glücklicher: seine Unterthanen waren gesittet, bis zu einem gewissen Grade freundlich, arbeitsam, keine Mühe eines ehrlichen Gewinstes zu scheuen, und erfindsam, die Gelegenheiten dazu zu entdecken. Belphegors Horde war grob, tumm, träge, wollte ohne Mühe durch Betrug gewinnen, nahm den Vortheil, wo sie ihn fand, ohne ihn jemals aufzusuchen. Mit ihnen wollte niemand zu thun haben, indessen daß jene überflüßig beschäftigt waren. Die meisten in Belphegors Gebiete giengen zu dem alten Gewerbe des Raubens und der Jagd zurück, und der gute Mann war im Grunde der Regierer einer Bande Spizbuben, die den Handel und das Verkehr der umliegenden Gegenden auf alle Art zu hindern suchten, woraus beständige Privatkriege entstunden.

Belphegor war seiner Hoheit so satt, daß er sich ihrer gern entladen hätte, wenn der Geschmack des Herrschens nicht zu süß wäre, um ihn ohne Reue zu entbehren. Er war außer sich gesezt und wünschte, seine ganze unselige Rotte mit Einem Schwertstreiche vernichten zu können. Unter diesem Unwillen dachte er an Fromals Fortgang, der geliebt und bekannt, wie er hingegen vergessen oder verachtet war; und er konnte sich nicht enthalten, mit einem Zähneknirschen sich von einer solchen Vorstellung wegzuwenden. Er argwohnte gar, daß ihn Fromal durch listige Ränke in der Ausübung seiner Absichten verhindert habe; er wußte sich keinen Beweis davon anzugeben, aber der Argwohn grub sich doch bey ihm ein und unterminirte von Tag zu Tag seine Freundschaft und gute Meinung von ihm, die ohnehin schon geschwächt war.

Die Gährung war vorhanden; nur noch eine Gelegenheit zum Ausbruche! – und die größten Freunde sind die größten Feinde. Sie kam. Ihr Oberherr, der König von Segelmesse, sahe mit Erstaunen und Unwillen die Schritte, die Fromals Gebiet in der Polizierung gethan hatte, daß seiner Hauptstadt ein Theil ihres ehemaligen Handels entzogen wurde; und da er überhaupt es nicht verdauen konnte, daß seine Tributaren sich mit ihm in gleiche Linie setzen und vielleicht gar eine Macht erlangen wollten, die der seinigen das Gleichgewicht hielt, so beschloß er, sich von einer so ängstlichen Besorgniß zu befreyen. Gleichwohl konnte er nicht die Stärke der Waffen ohne Gefahr gebrauchen, weil sie, insgesamt vereinigt, ihm das Gleichgewicht hielten. Der Franzose, der sich izt an seinem Hofe aufhielt, merkte kaum seinen Wunsch, als er ihm mit seinem Rathe beystund. Er beredete ihn, Belphegors gährende Eifersucht so lange anzufeuern, bis sie zu offenbarer Feindseligkeit aufbrauste, und nahm das Geschäfte über sich.

Er that weiter nichts, als daß er Belphegorn die guten, herrlichen Anstalten seines Freundes, den Fortgang derselben, den blühenden Zustand seines kleinen Staats, seine Macht, seinen Reichthum, seinen Ruhm, den Zuwachs seiner Unterthanen pries und dagegen das kontrastirende Bild seines Gebietes hielt, das mit einer Handvoll Jäger und Räuber besezt war, die hartnäckig von ihrer alten Lebensart nicht abgehn oder ihren Regenten ermorden wollten, wenn er sie zu einer andern zu zwingen versuchte. Belphegor seufzte anfangs, biß sich vor Aerger in die Lippen, verringerte die Größe seines Freundes; doch der Abgeschickte, ein Adept in der Kunst der Intrigue, wiederholte jene Vorstellungen täglich so oft und wußte ein so verhaßtes Licht darüber zu verbreiten, daß Belphegor voll Zorn und Aerger ihn von sich gehen hieß und ihm drohte, ihn mit Gewalt von sich zu entfernen, wenn er ihn mit einem so widrigen Vortrage unterhalten wollte. Der Franzose sagte ihm ganz gelassen, daß er ein Mittel wüßte, ihn von einer so schaudernden Inferiorität zu befreyen. Er bot ihm den Schuz und große Versprechen von Seiten des segelmessischen Königs an, wenn er sich mit ihm wider seine Mitvasallen, besonders wider Fromaln, vereinigen wollte, um ihn wegen einer Grausamkeit zu strafen, die er an etlichen Unterthanen seines Lehnherrn begangen haben sollte. Belphegor fühlte einen gewissen Zug zur Einwilligung in sich und gleichwohl zu gleicher Zeit ein Etwas, das ihn davon zuruckriß. Er blieb wankend zwischen Ja und Nein stehen.

Da der Abgeordnete gewahr wurde, daß er nur noch einen starken Stoß brauchte, um sich auf die Seite zu lenken, wohin er ihn zu bringen suchte, so veranstaltete er heimlich, daß etliche von Belphegors Räubern eine ungleich stärkre Anzahl Handelsleute aus Fromals Gebiete anfallen und von diesen umgebracht werden mußten. Kaum war der Vorfall geschehn, als er zu Belphegorn eilte, ihn davon benachrichtigte, seinen Bericht mit den schwärzesten Farben zeichnete, Neid, Eifersucht, Zorn, Ehrbegierde, Rechtschaffenheit in ihm aufwiegelte und ihn zum Kriege wider Fromaln antrieb. Belphegors Gerechtigkeit ließ es aber doch nicht anders zu, als daß er erst Genugthuung von Fromaln verlangte; ob ihm gleich an den schwarzen Kreaturen im Grunde wenig lag, so war ihm doch ihr Leben izt, da andre Leidenschaften sich ins Spiel mischten, so wichtig, so theuer, daß er schwur, ihren Tod unablässig zu rächen. Fromal stellte ihm mit der größten Billigkeit vor, wie viele Ursachen er habe, Genugthuung zu fodern, und daß seine Untergebnen das Recht der Selbstvertheidigung wider Räuber und keine Ungerechtigkeit ausgeübt hätten. Der Franzose machte Belphegorn so verwirrt, daß er die Billigkeit dieser Vorstellung verkannte, der Neid, sein vorgefaßter Groll gegen Fromaln machten ihn noch verwirrter, und alles mahlte ihm in seinem Kopfe das Verfahren seines vorigen Freundes als eine verweigerte Gerechtigkeit ab; er folgte den Einblasungen des Abgeordneten und glaubte mit völliger Ueberzeugung, daß er ein auf natürliche und willkührliche Gesetze gegründetes Recht habe, die von Gott verliehene Macht der Waffen wider seinen Freund anzuwenden und ihn mit Gewalt zur Gerechtigkeit zu nöthigen.

Das Bündniß mit dem Könige von Segelmesse wurde errichtet und der Krieg angefangen. Der Franzose vermochte durch seine politische Geschicklichkeit noch einige andre von den kleinen Potentaten, zu dem Bündnisse zu treten; und kaum hatten diejenigen, die durch Fromaln in Flor und Wohlstand gesezt waren, die Nachricht erhalten, was man wider ihn unternehme, als sie alle, um ihren geheimen Neid über seine Vorzüge zu befriedigen, auf die Seite des segelmessischen Königs traten. Fromal sah sich ganz allein wider so viele, deren Misgunst ihm den Untergang geschworen hatte. Nicht lange hielt er einen so ungleichen Kampf aus; er wurde geschlagen, gefangen genommen und zum Tode bestimmt.

So sehr es ihn schmerzte, seinen ehmaligen wärmsten Freund an der Spitze seiner Widersacher zu erblicken, so kam ihm doch dieses und die erstaunliche Revolution seines Glücks so wenig unerwartet, daß er muthig seinem Tode entgegengieng. »Die von Ewigkeit her geknüpfte Reihe der Begebenheiten«, sprach er zu sich, »ist durch den Zufall so geordnet, daß dies alles so und nicht anders erfolgen mußte. Ebendieselbe unwiderstehliche Nothwendigkeit riß auch meinen vorigen Freund zur Feindschaft gegen mich hin; alle Ursachen und Wirkungen vereinigten sich in ihm und außer ihm so, daß dies die einzige mögliche Folge war. Wir haben gekämpft, das Schicksal hat entschieden, wer Recht haben soll: das eingeführte Recht verlangt meinen Tod. Wohlan! ich sterbe, weil ich nicht länger leben kann, weil ich muß

Kaum wurde Belphegor inne, zu welcher äußersten Gefahr sein Freund durch seine Mitwirkung sich getrieben fand, als plözlich alles in ihm aufwachte – Mitleid, Freundschaft, Reue, Betrübniß, Schrecken, die sein Herz mit den schärfsten Stacheln zerrissen. Er arbeitete mit allen Kräften seiner Beredsamkeit und seiner Macht daran, ihn wenigstens vom Tode zu erretten. Er bot dem Könige von Segelmesse alles, sein eignes Leben, für das Leben des Gefangnen an; er war unerbittlich. Er drohte ihm in der äußersten Verzweiflung mit Krieg und der Aufwiegelung aller seiner Vasallen, er wütete, er raste, er schrieb sich die Veranlassung zu Fromals Tode einzig zu, er wollte sich neben ihm mit dem nämlichen Werkzeuge umbringen, das das Leben seines Freundes zerschneiden würde. Endlich verstand sich der König dazu, ihm das Leben zu schenken mit der Bedingung, daß er mit der nächsten Karavane nach Nigritien gebracht werden sollte, um dort als Sklave verhandelt zu werden; und von dieser Bedingung sollte ihn sein eigner Untergang nicht abbringen.

Belphegor sahe sich genöthigt einzuwilligen, obgleich mit schwerem Herzen, und in wenigen Tagen wurde er mit der gewöhnlichen Karavane nach Nigritien geschaft, um dort von dem weisesten und menschlichsten Volke des Erdbodens, den Engländern, als Sklave eingehandelt zu werden.

Keine Seuche auf unserm Planeten kann eine so ansteckende Kraft haben als die Leidenschaft: hat sich eine in unser Herz geschlichen, so können wir sicher seyn, daß bald ein ganzes Heer daraus aufwachsen wird wie aus den Drachenzähnen des Kadmus, das sich auf dem Grunde, wo es aufschoß, ewig herumtummelt, kämpft, haut und sticht, bis alle außer einer niedergemacht sind. Belphegor war von seiner Unruhe über das Unglück seines Freundes noch nicht völlig wiederhergestellt, er machte sich noch täglich Vorwürfe über seinen Antheil an der Veranlassung desselben und nahm Besiz von seinem entledigten Reiche; weder er noch ein andrer seiner Mitvasallen hatten Anspruch darauf, und doch war er der erste, der einen darauf machte. Der König von Segelmesse war keineswegs gesonnen, einem andern als sich selbst ein Gebiet zu gönnen, dessen Besitzer er in kurzem wieder zu fürchten hätte; er erklärte sich ohne Umstände für den rechtmäßigen Herrn davon und ließ Belphegorn die Wahl, ob er aus seiner Eroberung gehn oder herausgeworfen seyn wollte. Belphegor foderte sie als eine Belohnung seiner geleisteten Hülfe und bekam eine zweite Drohung zur Antwort.

Unterdessen hatten einige andre Nachbarn gleichfalls Lust zu Fromals Hinterlassenschaft bekommen; ohne ihr Recht darauf vorher zu beweisen, erwarben sie sich es mit den Waffen und vertrieben Belphegorn, zankten sich unter einander selbst, gaben ihren schwarzen Unterthanen den Auftrag, sich an ihrer Stelle herumzuschlagen, bis der König von Segelmesse der Komödie ein Ende machte, alle Akteurs hängen ließ und das Theater in Besiz nahm.


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