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8.
Weltkrieg

I

Nur sehr langsam faßte Bert den Gedanken eines Weltkriegs. Nur langsam machte er sich ein Bild von den überbevölkerten Ländern südlich von dieser arktischen Einsamkeit, die das Vorüberziehen jener neugeschaffenen Luftflotten mit Unheil und Entsetzen schlug. Er war nicht daran gewöhnt, sich die Welt als Ganzes zu denken, sondern als ein unbegrenztes Hinterland von Ereignissen jenseits seines unmittelbaren Gesichtsfeldes. Der Krieg war in seiner Vorstellung eine Quelle von Neuigkeiten und Sensationen, ein Etwas, das auf einem beschränkten Territorium, das man »Kriegsschauplatz« nannte, vor sich ging. Jetzt war die ganze Atmosphäre ein Kriegsschauplatz und jedes Land eine Hahnenkampfarena. So ganz in gleichem Schritt hatten die Nationen die Bahn der Entdeckungen und Erfindungen zurückgelegt, so geheim und doch so absolut gleichartig waren ihre Pläne und Errungenschaften gewesen, daß schon wenige Stunden nach dem Aufstieg der ersten Flotte in Franken eine asiatische Armada ihren Weg hoch über die staunenden Millionen der Gangesebene weg nach Westen nahm. Aber die Vorbereitungen des ostasiatischen Staatenbundes waren von unvergleichlich viel größerem Umfang als die deutschen. »Mit diesem Schritt«, sagte Tan Ting-siang, »erreichen und überholen wir den Westen. Wir stellen den Weltfrieden wieder her, den diese Barbaren vernichtet haben.«

An Geheimhaltung, Raschheit und Erfindungsgeist hatten sie die Deutschen weit übertroffen, und wo die Deutschen hundert Leute bei der Arbeit hatten, hatten die Asiaten zehntausend. Ihre großen aeronautischen Parks in Chinsi-fu und Tsingyen erhielten durch die Einschienenbahnen, die jetzt ganz China durchschnitten, unbeschränkte Zufuhr von geschickten und talentvollen Arbeitern, Arbeitern, die an technischem Können weit über dem Durchschnittseuropäer standen. Die Nachricht von der deutschen Weltüberrumpelung beschleunigte nur ihre Vorbereitungen. Es ist zweifelhaft, ob die Deutschen zur Zeit der Beschießung New Yorks alles in allem auch nur dreihundert Luftschiffe besaßen; die Zahl der nach Osten, Westen und Süden fliegenden asiatischen muß mehrere tausend betragen haben. Außerdem besaßen die Asiaten eine wirkliche Kampfflugmaschine, die Riaio, wie sie sie hießen, eine leichte, aber höchst wirksame Waffe, die dem deutschen Drachenflieger unendlich überlegen war. Gleich ihm war es eine Ein-Mann-Maschinerie, war jedoch ganz leicht aus Stahl und Rohr und chemisch-präparierter Seide gebaut, mit einem Diagonalmotor und einem beweglichen Seitenflügel. Die Aeronauten hatten Gewehre, als Munition mit Oxygen gefüllte Hohlgeschosse, und daneben, treu der vornehmsten Tradition Japans, Schwerter. Zum größten Teil waren es Japaner, und es ist charakteristisch, daß es von Anfang an feststand, die Hauptkampfwaffe der Aeronauten müsse das Schwert sein. Die Flügel dieser Maschine hatten vorn Fledermauskrallen, mit denen sie sich, während sie den Gegner in der Flanke faßten, an seinen Gaskammern festhakten. Diese leichten Flugmaschinen wurden von den Luftflotten mitgeführt oder auch auf dem Land- oder Seeweg mit ihrer Besatzung zur Front transportiert. Je nach den Windverhältnissen legten sie Wege von 200-500 Meilen zurück. So stürzten sich unmittelbar nach dem Aufsturm der ersten deutschen Luftflotte diese asiatischen Schwärme in den Luftraum. Augenblicklich baute jeder organisierte Staat in der ganzen Welt mit fieberhafter Energie Luftschiffe und was an etwaigen Flugmaschinen seine Erfinder nur produziert hatten. Für Diplomatie war keine Zeit. Drohungen und Ultimaten wurden hin und her telegrafiert, und in wenigen Stunden war die ganze blind aufgescheuchte Welt in offenem Kriegszustand, und zwar in der verwickelten Form. England, Frankreich und Italien hatten Deutschland den Krieg erklärt und die Neutralität der Schweiz verletzt. In Indien war beim Anblick der asiatischen Luftschiffe in Bengalen ein Hinduaufstand und in den nordwestlichen Provinzen eine diesem feindliche Mohammedaner-Bewegung ausgebrochen, welch letztere sich wie ein Steppenbrand von Gobi bis zur Goldküste ausbreitete. Der ostasiatische Staatenbund hatte sich in den Besitz der Petroleumquellen von Birma gesetzt und griff gleicherweise Amerika und Deutschland an. Binnen einer Woche wurden in Damaskus, Kairo und Johannesburg Luftschiffe gebaut. Australien und Neuseeland rüsteten fieberhaft. Ein einzig dastehender und furchtbarer Umstand in der Entwicklung der Dinge war die Schnelligkeit, mit der diese Ungetüme produziert werden konnten. Zum Bau eines Panzerschiffs waren zwei bis vier Jahre nötig. Ein Luftschiff ließ sich in ebensoviel Wochen zusammensetzen. Außerdem war das Luftschiff – sogar im Vergleich mit einem Torpedoboot – von unendlich einfacher Konstruktion. Vorausgesetzt, daß das Material für die Luftkammern, die Maschinen, die Gasfüllungen da waren und der Plan, war es tatsächlich nicht komplizierter und weit leichter zu bauen als ein gewöhnliches hölzernes Boot vor hundert Jahren. Und vom Kap Horn bis Nowaja Semlja und von Kanton rund um die Erde gab es jetzt Fabriken, Werkstätten und Materialdepots.

Die deutschen Luftschiffe waren kaum in Sicht der atlantischen Gewässer, die erste asiatische Flotte war noch kaum von Oberbirma her gemeldet, als das phantastische Gebäude von Kredit und Finanz, das die Welt hundert Jahre lang ökonomisch zusammengehalten hatte, wankte und zusammenstürzte. Ein Realisationstornado raste durch alle Börsen der Welt. Die Banken stellten ihre Zahlungen ein, die Geschäfte gingen zurück und hörten auf. Die Fabriken arbeiteten in einer Art Beharrungsvermögen einen oder zwei Tage weiter, führten die Bestellungen bankrotter und aufgelöster Firmen aus und stellten dann den Betrieb ein. Das New York, das Bert Smallways sah, war trotz all seines Glanzes von Licht und Verkehr am Rande eines in der Geschichte noch nie dagewesenen ökonomischen und finanziellen Zusammenbruchs. Schon trat eine leichte Stockung in der Zufuhr von Lebensmitteln ein, und noch ehe der Weltkrieg zwei Wochen gedauert hatte, also zu der Zeit, als in Labrador der Mast aufgerichtet wurde, gab es außerhalb Chinas in der ganzen Welt keine Stadt, und mochte sie noch so fern von den Zentren der Vernichtung gelegen sein, in der nicht Polizei und Verwaltung zu den energischsten Maßnahmen griffen, um dem Mangel an Nahrungsmitteln und der Überfülle von Arbeitslosen zu begegnen.

Die Hauptwirkungen des Luftkriegs waren alle derart, daß sie, nachdem er einmal angefangen hatte, fast unvermeidlich auf soziale Auflösung losdrängen mußten. Die erste dieser Wirkungen zeigte sich den Deutschen während ihres Angriffs auf New York: die ungeheure Zerstörungsgewalt, die ein Luftschiff über alles hat, was unter ihm ist, und seine verhältnismäßige Unfähigkeit, einen besiegten Punkt zu besetzen, zu bewachen und zu halten. Natürlich führte dies angesichts der im Zustand ökonomischer Auflösung begriffenen, ergrimmten und hungernden städtischen Bevölkerungen zu gewaltsamen und gefährlichen Kollisionen. Und auch da, wo die Luftschiffe untätig oben schwebten, gab es unten Bürgerkonflikte und leidenschaftliche Tumulte. Nichts, was diesem Zustand der Dinge zu vergleichen wäre, ist aus der früheren Kriegsgeschichte bekannt, es wären denn vielleicht die Fälle, in denen Kriegsschiffe des neunzehnten Jahrhunderts große Eingeborenenlager angriffen oder eines der Küstenbombardements, wie sie die Geschichte Großbritanniens am Ende des achtzehnten Jahrhunderts belasten. Dabei allerdings waren Grausamkeiten und Verheerungen vorgekommen, die eine schwache Ahnung von den Schrecken des Krieges in der Luft geben. Außerdem besaß vor dem zwanzigsten Jahrhundert die Welt – in der Kommunistenerhebung von Paris im Jahr 1871 – nur ein einziges, und zwar verhältnismäßig leichtes Beispiel der Möglichkeiten, denen eine moderne städtische Bevölkerung unter dem Druck des Krieges ausgesetzt ist.

Ein zweiter charakteristischer Umstand des Luftschiffkrieges, so wie er zuerst in die Welt kam, und der ebenfalls auf sozialen Umsturz ausging, war die Wirkungslosigkeit der ersten Luftschiffe gegeneinander. Auf alles, was unter ihnen lag, vermochten sie mit tödlichster Wirkung Geschosse zu schleudern, Forts und Schiffe und Städte waren ihnen auf Gnade und Ungnade ausgeliefert; aber wenn sie sich nicht auf ein geradezu selbstmörderisches Handgemenge einlassen wollten, konnten sie sich gegenseitig nur wenig Schaden zufügen. Die Armierung der riesigen deutschen Luftschiffe, die so groß waren wie die größten schwimmenden Mammutlinienschiffe, bestand aus einem Maschinengewehr, das sich mit Leichtigkeit auf ein paar Maultiere hätte packen lassen. Außerdem wurden, nachdem es sich herausgestellt hatte, daß man um die Luft kämpfen mußte, die Luftschiffer mit Gewehren und Hohlgeschossen, die mit Oxygen oder irgendeiner brisanten Substanz gefüllt waren, versehen; aber kein Luftschiff führte an Geschützen und Waffen auch nur annähernd so viel mit sich, als früher das kleinste Kanonenboot der Kriegsschiffsliste. Die Folge davon war, daß diese Ungetüme, wenn sie in der Schlacht aufeinandertrafen, um den oberen Platz manövrierten, oder wie Dschunken miteinander handgemein wurden und kämpften, indem sie Granaten warfen und – in vollständig mittelalterlicher Weise – Mann gegen Mann fochten. Die Chancen des Siegens oder auch des Kenterns und Fallens waren für beide Seiten jedesmal so ziemlich gleich. Infolgedessen findet man nach den ersten Kampferfahrungen bei den Luftflotten-Admiralen eine ständig zunehmende Tendenz, eine Beteiligung am Kampf zu vermeiden und lieber den moralischen Vorteil eines anderweitigen vernichtenden Angriffs zu suchen.

Wenn die Luftschiffe zu wirkungslos waren, so waren die ersten Drachenflieger zu wenig stabil, wie die deutschen, oder zu leicht, wie die japanischen, um unmittelbar entscheidende Resultate zu erzielen. Später bauten allerdings die Brasilianer eine Flugmaschine, die ihrer ganzen Art und Größe nach imstande war, es mit einem Luftschiff aufzunehmen; aber sie bauten deren nur drei oder vier, sie operierten nur in Südamerika und verschwanden spurlos aus der Geschichte, als der Weltbankrott jeder ferneren Produktion des Ingenieurwesens in irgendwelchem nennenswerten Maßstab ein Ende machte.

Die dritte Eigentümlichkeit der Kriegführung in der Luft war, daß sie gleichzeitig ungeheuer verheerend und gänzlich entscheidungslos war. Ihr war der einzig dastehende Umstand eigen, daß beide Parteien gleichzeitig dem Angriff offen lagen. In allen früheren Formen des Krieges, sowohl zu Land als zur See, war der verlierende Teil bald nicht mehr imstande, Streifzüge in das Territorium des Gegners zu unternehmen und dessen Verkehrswege zu benutzen. Man kämpfte an einer »Front«, und hinter dieser Front waren die Vorräte und Hilfsquellen, die Residenz, die Städte und die Fabriken, überhaupt der Landesfriede des Erfolgreichen gesichert. Wenn der Krieg ein Seekrieg war, so vernichtete man die Kriegsflotte des Feindes, blockierte seine Häfen, nahm seine Kohlenstationen und fing jeden Kreuzer ab, der etwa die eigenen Handelshäfen bedrohte. Aber eine Küstenlinie blockieren und bewachen, sind zwei verschiedene Dinge. Und Kreuzer und Kaperschiffe wiederum sind Dinge, die nicht so schnell gemacht sind, die nicht zusammengepackt und versteckt und unauffällig von einem Punkt zum andern gebracht werden können. Im Luftkrieg mußte der Stärkere, auch vorausgesetzt, daß er die Hauptkriegsflotte des Schwächeren vernichtete, jeden nur möglichen Punkt, an welchem dieser eine neue, und vielleicht eine andere und tödlichere Form von Aeroplanen hervorbringen konnte, ständig im Auge behalten, bewachen oder zerstören. Das hieß, die Luft des Besiegten mit Luftschiffen völlig verdunkeln. Das hieß, sie selbst zu Tausenden bauen und Aeronauten zu Hunderttausenden ausbilden. Ein kleines, nicht gefülltes Luftschiff ließ sich in einem Eisenbahnschuppen, in einer Dorfstraße, in einem Wald verbergen; eine Flugmaschine war noch weniger ins Auge fallend.

Und in der Luft sind keine Straßen, keine Kanäle, ist überhaupt kein Punkt, wo man von einem Gegner sagen kann: »Wenn er meine Hauptstadt erreichen will, muß er hier vorüberkommen.‹In der Luft führen alle Richtungen überallhin.

Infolgedessen war es unmöglich, einen Krieg auf eine der hergebrachten Arten zu beenden. A., der B. an Zahl überlegen war und gesiegt hat, schwebt, etwa tausend Luftschiffe stark, über B.s Hauptstadt und droht, sie zu beschießen, wenn B. sich nicht ergibt. B. erwidert vermittelst drahtloser Telegrafie, daß er eben die Hauptfabrikstadt A.s durch ein Streifkorps von drei Luftschiffen beschießen läßt. A. erklärt B.s Streifschiffe für Piraten usw., beschießt B.s Hauptstadt und macht sich auf den Weg, B.s Luftschiffe zu verfolgen, während B. in einem Zustand leidenschaftlicher Erregung und heroischer Unbesiegbarkeit inmitten seiner Trümmer anfängt, neue Luftschiffe und Geschosse zum unfreundlichen Gebrauch gegen A. anzufertigen. Der Krieg wurde notgedrungen ein allgemeiner Guerillakrieg, ein Krieg, der Bürger und Familien und den ganzen Apparat sozialen Lebens unrettbar in sich verstrickte.

Diese Charakterzüge des Luftkrieges kamen als eine Überraschung über alle Welt. Niemand hatte diese Folgen vorausgesehen. Wäre es der Fall gewesen, so hätte die Welt im Jahr 1900 eine allgemeine Friedenskonferenz zustande gebracht. Aber die mechanische Erfindung war schneller fortgeschritten als die intellektuelle und soziale Organisation, und die Welt mit ihren Flaggen, ihrer törichten, sinnlosen Nationalitätstradition, ihren wohlfeilen Zeitungen und noch wohlfeileren Leidenschaften und Imperialismen, ihren gemeinsamen kommerziellen Beweggründen und gewohnheitsmäßigen Unaufrichtigkeiten und Plattheiten, ihren Rasselügen und -konflikten, wurde überrumpelt. Nachdem der Krieg einmal begonnen hatte, war kein Einhalten mehr. Das lockere Gewebe des Kredits, das die Menschen blindlings hatten anwachsen lassen und das jene Hunderte von Millionen in einer gegenseitigen finanziellen Abhängigkeit erhalten hatte, die kein Mensch eigentlich begriff, löste sich in Panik auf. Überallhin in der Höhe flogen die Luftschiffe, ließen Bomben fallen, vernichteten jede Hoffnung eines Wiedererstehens, und überall unten in der Tiefe waren finanzielle Katastrophen, hungernde, arbeitslose Menschen und soziale Unordnung. Was die Nationen an konstruktiver, führender Intelligenz besessen hatten, verschwand unter dem gewaltsamen Druck der Zeit. Die Zeitungen und Dokumente und Geschichten, die aus dieser Periode noch da sind, erzählen alle ein und dieselbe Geschichte von Städten, in denen die Zufuhr an Lebensmitteln abgeschnitten, deren Straßen von hungernden Arbeitslosen übervölkert waren; von Krisen in der Verwaltung und von Belagerungszuständen, von provisorischen Regierungen und Verteidigungskommissionen und – wie in Indien und Ägypten – Aufstandskomitees, die sich mit der Wiederbewaffnung der Bevölkerung, mit dem Aufstellen von Batterien und Geschützbettungen befaßten, von der fieberhaften Fabrikation von Luftschiffen und Flugmaschinen …

All das sieht man in flüchtigen, grell erleuchteten Momentbildern, wie durch einen treibenden Wolkenbruch, der über die ganze Welt hinzog. Es war die Auflösung eines Zeitalters; es war der Zusammenbruch einer Zivilisation, die sich auf das Maschinenwesen gestützt hatte; und die Werkzeuge ihrer Vernichtung waren Maschinen. Aber während der Zusammenbruch der vorhergehenden großen Zivilisation, der römischen, das Werk von Jahrhunderten gewesen war, etwas, das von Phase zu Phase fortschritt, wie das Altern und Sterben eines Menschen, war dieser – wie der Tod eines Menschen durch Eisenbahn oder Automobil – ein einziger, rascher, entscheidender Krach – und damit aus!

 

II

Die ersten Schlachten im Luftkrieg waren jedenfalls durch den Versuch geleitet, nach einem alten maritimen Grundsatz zu verfahren – nämlich die Stellung der feindlichen Flotte zu erkunden und sie zu vernichten. Da war zuerst die Schlacht vom Berner Oberland, in der die italienischen und französischen Luftschiffe bei ihrem Flankenangriff auf den Fränkischen Park angefallen wurden vom Schweizer Versuchsgeschwader, das später am Tag noch durch deutsche Luftschiffe verstärkt wurde, und dann der Zusammenstoß der britischen Winterhouse-Dunn-Aeroplane mit drei unglücklichen Deutschen.

Dann kam die Schlacht von Nordindien, in der die gesamte anglo-indische Kolonialflotte drei Tage lang gegen eine überwältigende Überzahl von Japanern und Chinesen ankämpfte und total vernichtet und zerstreut wurde.

Gleichzeitig damit begann der denkwürdige Kampf zwischen den Deutschen und Asiaten, der in Anbetracht des Ziels des asiatischen Angriffs gewöhnlich die Schlacht von Niagara genannt wird. Jedoch entwickelte er sich nach und nach in einen über den halben Kontinent verbreiteten sporadischen Konflikt. Die deutschen Luftschiffe, die der Vernichtung in der Schlacht entgingen, landeten und ergaben sich den Amerikanern, wurden neu bemannt, und das Ganze ward schließlich zu einer Kette mitleidloser und heroischer Zusammenstöße zwischen den Amerikanern, die grimmig entschlossen waren, ihre Feinde auszurotten, und einer fortwährend verstärkten Armee von Asiaten, die am Ufer des Pazifik ihr Quartier hatte und von einer ungeheuren Flotte unterstützt wurde. Von Anfang an ward der Krieg in Amerika mit grimmiger Unerbittlichkeit geführt; es gab keinen Pardon, es wurden keine Gefangenen gemacht. Mit wilder und großartiger Energie bauten die Amerikaner ein Luftschiff ums andere und ließen es vom Stapel, um gegen die asiatischen Massen zu kämpfen und unterzugehen. Alles ordnete sich diesem Krieg unter, die ganze Bevölkerung lebte und starb bald nur noch für ihn. Und bald fanden auch, wie ich später berichten werde, die Weißen in der Butteridge-Maschine eine Waffe, die den Flugmaschinen der asiatischen Krieger standzuhalten und sie zu bekämpfen vermochte.

Der Einfall der Asiaten in Amerika wischte den deutsch-amerikanischen Konflikt vollkommen aus. Er verschwindet aus der Geschichte. Anfänglich hatte es den Anschein gehabt, als sollte er an sich tragisch genug werden – durch das unvergeßliche Blutbad, mit dem er begann. Nach der Zerstörung Zentral-New Yorks hatte sich ganz Amerika erhoben wie ein Mann, mit dem festen Willen, lieber tausend Tode zu sterben, als sich zu unterwerfen. Die Deutschen, grimmig entschlossen, die Unterwerfung der Amerikaner zu erzwingen, hatten, gemäß den vom Prinzen ausgearbeiteten Plänen, Niagara eingenommen, um sich in den Besitz seiner ungeheuren Elektrizitätsanlagen zu setzen, hatten alle Einwohner verjagt und aus seiner Umgebung bis Buffalo eine Einöde gemacht. Sie hatten auch, sobald Großbritannien und Frankreich den Krieg erklärten, das Land auf der kanadischen Seite fast zehn Meilen landeinwärts verwüstet. Dann fingen sie an, von der Flotte an der Ostküste Leute und Material herbeizuschaffen, indem sie wie Bienen, die Honig sammeln, ein fortwährendes Hin und Her unterhielten. Gerade zu diesem Zeitpunkt erschienen die asiatischen Streitkräfte. Bei ihrem Angriff auf das deutsche Hauptquartier in Niagara stießen die Luftflotten des Ostens und Westens zum erstenmal aufeinander, und es zeigte sich die umfassendere Bedeutung des Krieges.

Eine besonders hervortretende Eigenheit des anfänglichen Kämpfens in der Luft rührte von der absoluten Geheimhaltung her, mit welcher die Luftschiffe gerüstet worden waren. Jede Macht hatte nur ganz von fern von den Plänen ihrer Rivalen munkeln hören, und sogar die Versuche mit ihren eigenen Erfindungen waren durch die Notwendigkeit der Geheimhaltung beschränkt gewesen. Keiner von allen Erbauern von Luftschiffen und Aeroplanen wußte ganz klar, gegen was seine Erfindung würde zu kämpfen haben; viele hatten sich überhaupt nicht vorgestellt, daß sie etwas in der Luft zu bekämpfen haben würden, und hatten sie nur für das Werfen von Bomben konstruiert. So war auch die deutsche Idee. Die einzige Waffe zum Kampf gegen ein anderes Luftschiff, mit der die fränkische Flotte aufwartete, war das Maschinengewehr am Vorderteil des Schiffs. Erst nach der Schlacht über New York erhielten die Leute kurze Gewehre mit Explosivkugeln. Der Theorie nach sollten die Drachenflieger die eigentliche Kampfwaffe sein. Sie wurden für die Torpedoboote der Luft erklärt; der Aeronaut sollte möglichst dicht auf seinen Gegner eindringen und, während er vorüberwirbelte, seine Bomben werfen. Aber in Wahrheit besaßen diese Drachenflieger nicht die geringste Stabilität; in allen Gefechten gelang es kaum einem Drittel derselben, wieder zum Mutterluftschiff zurückzukehren. Die anderen wurden entweder zerschmettert oder sie kollidierten.

Die verbündete chino-japanische Flotte machte den gleichen Unterschied wie die Deutschen zwischen Luftschiffen und Kampfmaschinen, die schwerer als Luft waren; aber ihr Typ war, in beiden Fällen, völlig verschieden von den abendländischen Modellen und – was die Energie beweist, mit welcher diese großen Völker die europäischen Methoden wissenschaftlicher Forschung aufnahmen und verbesserten – fast bis auf jede Einzelheit hinaus die Erfindung asiatischer Techniker. Der hervorragendste derselben, der genannt zu werden verdient, war Mohini K. Chatterjee, ein politischer Verbannter, der früher im britisch-indischen Park zu Lahore angestellt gewesen war.

Das deutsche Luftschiff hatte die Gestalt eines Fisches mit stumpfen Kopf; auch das asiatische Luftschiff war fischähnlich, aber weniger in der Form eines Kabeljaus oder Schellfischs, sondern eines Rochens oder einer Seezunge. Es hatte eine breite, flache Unterseite, die weder durch Fenster noch irgendwelche sonstige Öffnungen unterbrochen war, außer längs der Mittellinie. Die Kabinen lagen um die Achse, mit einer Art Brückenverdeck darüber, und die Gaskammern gaben dem Ganzen die Gestalt eines geschlossenen Zigeunerzelts, nur daß es viel flacher war. Das deutsche Luftschiff war in der Hauptsache ein lenkbarer Ballon, der sehr viel leichter als Luft war; die asiatischen Luftschiffe waren nur wenig leichter als Luft und durchschnitten diese mit weit größerer Geschwindigkeit, wenn auch mit beträchtlich geringerer Stabilität. Auf dem Vorder- und Hinterdeck hatten sie Geschütze – hinten sehr viel größere als vorn – mit Sprenggeschossen, und außerdem besaßen sie noch oben und unten Deckungen für Scharfschützen. So leicht diese Armierung auch war im Vergleich zu dem kleinsten Kanonenboot auf den Gewässern, so genügte sie doch, um den deutschen Luftschiffungetümen überlegen zu sein und sie zu besiegen. Im Kampf versuchten sie hinter oder über die Deutschen zu fliegen; sogar unter sie wagten sie sich und vermieden nur, unmittelbar unter das Magazin zu geraten. Sobald sie gekreuzt hatten, feuerten sie mit ihrer Hinterdeckkanone und schickten Schrapnells oder Oxygengranaten in die Gaskammern des Feindes.

Aber nicht in ihren Luftschiffen, sondern, wie schon gesagt, in ihren Flugmaschinen lag die Stärke der Asiaten. Mit Ausnahme der Butteridge-Maschine waren sie zweifellos die wirksamsten Schwerer-als-Luft-Flieger, die es je gegeben hatte. Sie waren die Erfindung eines japanischen Künstlers und ihrer ganzen Art nach völlig verschieden von dem Papierdrachenstil der deutschen Drachenflieger. Sie hatten merkwürdig gekrümmte, bewegliche Seitenflügel, die am meisten Ähnlichkeit hatten mit gebogenen Schmetterlingsflügeln und aus einem zelluloidähnlichen Material und buntbemalter Seide hergestellt waren, dazu einen langen Kolibrischwanz. An der Vorderspitze der Flügel waren Haken, etwa wie Fledermauskrallen, vermittelst derer die Maschine sich an den Wänden der Gaskammern eines Luftschiffs anklammern und festhalten und sie zerreißen konnte. Der einsame Reiter saß zwischen den Flügeln, über einem Diagonal-Explosionsmotor, der in den Hauptpunkten sich nicht von den Maschinen unterschied, die bei den leichten Motorfahrrädern jener Periode zur Verwendung kamen. Unten war ein einzelnes großes Rad. Der Reiter saß rittlings auf einem Sattel, wie in der Butteridge-Maschine, und war, neben seinem Hohlgeschoßgewehr, mit einem großen, zweischneidigen, zweihändigen Schwert bewaffnet.

 

III

Jetzt schreibt man diese Einzelheiten nieder und vergleicht Punkt für Punkt die amerikanischen und deutschen Aeroplan- und Luftschiffmodelle; aber denen, die in dieser ungeheuerlich verwickelten Schlacht über den großen amerikanischen Seen mitkämpften, war keiner dieser Umstände deutlich bekannt.

Jeder der Gegner ging in den Kampf – gegen er wußte nicht, was – unter ganz neuen Bedingungen und mit einem Apparat, der auch ohne feindliche Angriffe genügt hätte, die verwirrendsten Überraschungen hervorzurufen. Aktionspläne, Versuche zu geschlossenem Manövrieren zerfielen ganz von selbst in sich, sobald der Kampf begann, genauso, wie in fast all den ersten Seeschlachten mit Panzerschiffen im vorigen Jahrhundert. Jeder Kapitän hatte für sich selbst allein und nach eigenem Ermessen vorzugehen; der eine erblickte Sieg in etwas, was der andere als Grund zur Flucht und Verzweiflung betrachtete. Von der Schlacht von Niagara läßt sich mit demselben Recht wie von der Schlacht von Lissa sagen, daß es keine Schlacht war, sondern ein Haufen von Scharmützeln.

Für einen Zuschauer wie Bert erschien das Ganze als eine Reihenfolge von Geschehnissen, manche ungeheuerlich, andere trivial, aber alles in allem zusammenhanglos. Er hatte keinen Augenblick lang das Gefühl eines gemeinschaftlichen Streitpunkts, überhaupt irgendeines Punkts, um den gekämpft, der gewonnen oder verloren wurde. Er sah Entsetzliches geschehen, und das Ende war, daß seine Welt unterging in Unheil und Ruin.

Er sah die Schlacht von unten mit an, vom Prospect Park und der Ziegeninsel aus, wohin er geflohen war.

Aber es ist nötig, zu erklären, wie er überhaupt auf die Erde kam.

Der Prinz hatte vermittelst drahtloser Telegrafie das Kommando über seine Flotte wieder übernommen, noch lang ehe die »Zeppelin« zum Lager in Labrador gekommen war. Auf seinen Befehl hatte sich die deutsche Luftflotte, deren Vorposten über den Rocky Mountains mit den Japanern in Berührung gekommen waren, über Niagara zusammengezogen und erwartete dort seine Ankunft. Früh am Morgen des Zwölften war er zu seinem Stab gestoßen, und Bert erblickte die Niagaraschlucht zum erstenmal, während er bei Sonnenaufgang an der Außenseite der mittleren Gaskammer am Netz manövrierte. Die »Zeppelin« flog gerade sehr hoch, und Bert sah ganz tief unten das mit Gischt bedeckte Wasser der Schlucht und dann fern im Westen den großen Bogen des kanadischen Falls, der in der tiefstehenden Sonne glänzte, funkelte und schäumte und sein tiefes, unablässig donnerndes Rauschen zum Himmel emporsandte. Die Luftflotte hatte in einem riesigen Halbmond Aufstellung genommen, dessen Hörner nach Südwesten zeigten – eine lange Schlachtlinie blinkender Ungetüme mit langsam arbeitenden Propellern und deutschen Flaggen, die hinter den drahtlosen Leitungen vom Bauch der Schiffe herabhingen.

Die Stadt Niagara stand damals zum größten Teil noch, obgleich ihre Straßen jedes Lebens bar waren. Die Brücken waren noch unzerstört; auf den Hotels und Restaurants flatterten noch die Flaggen und erhoben sich einladend die Schilder; die Elektrizitätsanlagen arbeiteten noch. Aber das Land rings umher auf beiden Seiten der Schlucht sah aus, als ob ein riesiger Besen darüber hingefegt wäre. Alles, was möglicherweise als Deckung für das deutsche Lager über Niagara hätte dienen können, war so unbarmherzig dem Erdboden gleichgemacht, als Maschinen und Geschosse das nur vermochten; die Häuser waren zertrümmert und verbrannt, die Wälder vernichtet, die Hecken und Felder zerstört. Die Einschienengeleise waren aus der Erde gerissen, und die Wege bis ins kleinste von jeder Möglichkeit eines Verstecks oder Unterschlupfs gereinigt. Von oben gesehen wirkte diese Zerstörung geradezu grotesk. Junge Wälder waren durch Schleppdrähte völlig vernichtet, und die zerstörten Bäume lagen, zerschmettert und entwurzelt, in Schwaden am Boden, wie Ähren, über die die Sense hingegangen ist. Die Häuser sahen aus, als wären sie plattgedrückt von der Gewalt eines Riesenfingers. Überall brannte es noch, und große Bezirke waren nur noch Flecken von glimmendem und manchmal auch noch glühendem Schwarz. Da und dort lagen die Spuren verspäteter Flüchtlinge: Wagen und Leichname von Menschen und Pferden. Wo Wasserleitungen in den Häusern gewesen waren, erblickte man Wassertümpel und rinnende Brunnen, die sich aus den zerstörten Rohren speisten. Auf unversehrten Feldern weideten noch friedlich Pferde und Vieh. Jenseits des verödeten Bezirks war die Landschaft wie immer, nur daß fast alle Einwohner geflohen waren. In Buffalo wütete eine ungeheure Feuersbrunst, und nirgends sah man Anzeichen, daß jemand sich bemüht hätte, gegen die Flammen anzukämpfen.

Die Stadt Niagara selbst wurde rasch den Erfordernissen eines Militärdepots angepaßt. Schon war eine große Anzahl gewandter Techniker von der Flotte geholt worden, die eifrig dabei waren, den äußeren industriellen Apparat des Platzes für die Zwecke eines aeronautischen Parks herzurichten. Sie hatten an der Ecke des Amerikanischen Falls über der Drahtseilbahn eine Gasfüllstation hergestellt, und nahmen jetzt zum selben Zweck noch ein weit größeres Terrain im Süden in Angriff. Über den Elektrizitätswerken und Hotels und ähnlichen hervorragenden oder wichtigen Punkten flatterte die deutsche Flagge.

Die »Zeppelin« machte zweimal langsam über diesem Schauspiel die Runde, während der Prinz es von der Hängegalerie aus betrachtete; dann stieg das Luftschiff zur Mitte des Halbmonds auf, und der Prinz und seine Suite, darunter auch Kurz, begaben sich auf die »Hohenzollern«, die für die Dauer der bevorstehenden Schlacht zum Flaggschiff gewählt worden war. Sie wurden von der Vordergalerie aus an einem kleinen Kabel aufwärts gezogen; die Mannschaft der »Zeppelin« hielt das Außennetz besetzt, während der Prinz und sein Stab das Schiff verließen. Dann drehte die »Zeppelin«, kreiste langsam abwärts und landete im Prospect Park, um die Verwundeten abzusetzen und Munition und Bomben an Bord zu nehmen; denn sie war mit leeren Magazinen nach Labrador gekommen, da es unsicher war, wieviel Gewicht sie zu tragen haben würde. Ferner ergänzte sie das Hydrogen in einer ihrer vorderen Kammern, die leck geworden war.

Bert wurde den Trägern zugeteilt und half die Verwundeten nacheinander in das nächste jener großen Hotels schaffen, die auf das kanadische Ufer blickten. Das Hotel war ganz leer mit Ausnahme von zwei amerikanischen Berufskrankenpflegerinnen, dem Hausknecht, einem Neger und drei oder vier Deutschen, die die Kranken erwarteten. Bert ging mit dem Arzt von der »Zeppelin« zur Hauptstraße der Stadt, wo sie in eine Apotheke einbrachen und sich verschiedenes aneigneten, was eben vonnöten war. Als sie zurückkehrten, fanden sie einen Offizier und zwei Leute vor, die ein provisorisches Verzeichnis des Materials anfertigten, das sich in den verschiedenen Läden und Warenlagern vorfand. Sonst war die ganze breite Hauptstraße der Stadt völlig verlassen; man hatte den Leuten drei Stunden Zeit gelassen zum Abzug, und, wie es schien, war auch alles geflohen. An einer Ecke lag ein Toter an der Mauer – erschossen. Zwei oder drei Hunde zeigten sich auf der öden Fläche, und nach der Flußseite zu unterbrach das Vorübergleiten einer Reihe von Einschienenbahnwagen die Stille und das Schweigen. Sie waren mit Strümpfen bepackt und auf dem Weg zu dem Lager der Arbeiter, die den Prospect Park in eine Luftschiffswerft verwandelten … Bert fuhr, eine Kiste mit Arzneien vor sich, auf einem Rad, das er in einem benachbarten Laden entwendet hatte, zum Hotel zurück und wurde dann weitergeschickt, um Bomben in das Magazin der »Zeppelin« zu verladen, eine Arbeit, die die größte Sorgfalt erforderte. Bald darauf wurde er auch davon wieder abgerufen; der Kapitän der »Zeppelin« schickte ihn mit einem Brief zu dem Offizier, der das Magazin der anglo-amerikanischen Pulvergesellschaft besetzt hielt; denn das Feldtelefon sollte erst eingerichtet werden. Bert empfing auf deutsch seine Instruktion, deren Sinn er erriet, salutierte und nahm den Brief; er hatte keine Lust einzugestehen, daß er der Sprache nicht mächtig war. Er machte sich davon mit einer Miene, als wisse er den Weg ganz genau, bog um eine oder zwei Straßenecken und begann eben zu fürchten, daß er doch nicht wüßte, wohin er eigentlich ging, als seine Aufmerksamkeit durch einen Kanonenschuß von der »Hohenzollern« und ein himmlisches Hurra nach oben gelenkt wurde.

Er blickte in die Höhe; aber die Häuser zu beiden Seiten der Straße versperrten ihm die Aussicht. Er zögerte; dann trieb ihn die Neugier zum Stromufer zurück. Hier wiederum hinderten die Bäume den Ausblick; verwundert entdeckte er plötzlich die »Zeppelin«, deren Magazine doch, wie er wußte, zu einem Viertel noch ungefüllt waren, und die nun über der Ziegeninsel emporstieg. Sie hatte die Vervollständigung ihrer Magazine nicht abgewartet. Dann kam es Bert auf einmal zum Bewußtsein, daß man ihn zurückgelassen hatte. Er tauchte wieder unter die Bäume und Sträucher zurück, bis er sich sicher fühlte, daß der Kapitän der »Zeppelin« nicht mehr an ihn dachte. Dann überwältigte ihn die Neugier, zu sehen, was die deutsche Luftflotte eigentlich vorhatte, und trieb ihn halbwegs über die Brücke zur Ziegeninsel. Von hier aus überblickte er fast eine Halbkugel von Himmel und sah zum erstenmal tief am Horizont über den glitzernden Strudeln der Oberen Stromschnellen die asiatischen Luftschiffe auftauchen.

Sie wirkten sehr viel weniger großartig als die deutschen. Die Entfernung vermochte er nicht zu beurteilen, und sie flogen gerade auf ihn zu, so daß ihm die Längsseite ihrer Rümpfe verborgen blieb.

Da stand nun Bert, in der Mitte der Brücke, auf einem Platz, dessen sich die meisten, die ihn kannten, als eines Punktes entsannen, der von Touristen und Ausflüglern frequentiert wurde. Jetzt war Bert das einzige menschliche Wesen weit und breit. Über ihm, in höchster Höhe, manövrierten die kämpfenden Luftschiffe; unter ihm schäumte wie an einem Wehr der Strom dem amerikanischen Fall zu. Bert war merkwürdig gekleidet. Seine billigen blauen Baumwollhosen steckten in deutschen Luftschiffergummistiefeln; auf dem Kopf trug er eine weiße Aeronautenmütze, die ihm etwas zu groß war. Er schob sie zurück und enthüllte um so deutlicher sein verwundertes kleines Gassenjungengesicht, das noch eine Narbe auf der Stirn trug. »Alle Wetter!« flüsterte er.

Er starrte hinauf. Er gestikulierte. Ein- oder zweimal stieß er laute Ausrufe des Beifalls aus.

Dann packte ihn plötzlich das Entsetzen, und er lief so schnell er konnte in der Richtung der Ziegeninsel davon.

 

IV

Eine Zeitlang noch, nachdem sie sich gegenseitig erblickt hatten, machte keine der Flotten den Versuch zum Angriff. Die Deutschen zählten siebenundsechzig große Luftschiffe und behielten ihre halbmondförmige Aufstellung in einer Höhe von beinahe viertausend Fuß bei. Sie hielten eine Entfernung von etwa anderthalb Längen ein, so daß die Hörner des Halbmonds beinahe dreißig Meilen auseinander waren. Dicht im Schlepptau der Luftschiffe der äußersten Geschwader jedes Flügels waren ungefähr dreißig bemannte Drachenflieger; doch waren diese zu klein und zu fern, als daß Bert sie hätte unterscheiden können.

Zuerst wurde für ihn nur die sogenannte Südflotte der Asiaten sichtbar. Sie bestand aus vierzig Luftschiffen, die fast vierhundert Flugmaschinen an ihren Seiten mit sich führten. Eine ganze Weile flog diese Flotte langsam und mit einem Mindestabstand von etwa zwölf Meilen ostwärts an der Front der Deutschen entlang. Zuerst konnte Bert nur die größeren Massen unterscheiden, dann bemerkte er die Einmannmaschinen, als eine Menge von sehr kleinen Gegenständen, die wie Stäubchen durch den Sonnenschein und unter den größeren Rümpfen dahintrieben.

Von der zweiten Flotte der Asiaten sah Bert damals noch nichts, obgleich dieselbe wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt im Nordwesten in Sicht der Deutschen kam.

Die Luft war sehr still, der Himmel fast ohne eine Wolke, und die deutsche Flotte hatte sich zu einer ungeheuren Höhe erhoben, so daß die Luftschiffe nicht mehr besonders groß erschienen. Beide Enden des Halbmonds hoben sich deutlich ab. Während sie südwärts zogen, kamen sie langsam zwischen Bert und die Sonne und wurden zu schwarzen Umrissen. Die Drachenflieger sahen aus wie kleine schwarze Flecken auf jedem Flügel dieser Luftarmada.

Die beiden Flotten schienen es mit dem Beginn des Kampfes nicht eilig zu haben. Die Asiaten flogen weit nach Osten, wobei sie ihre Geschwindigkeit erhöhten und zugleich stiegen, bildeten dann eine lange Kolonne und kamen zurück, indem sie gegen die deutsche linke Flanke aufstiegen. Die Geschwader der letzteren wendeten, um diesem seitlichen Vorrücken zu begegnen, und plötzlich zeigte da und dort ein kleines Funkengeflacker und ein knatterndes Geräusch an, daß das Feuer eröffnet war. Eine Weile bemerkte der Zuschauer auf der Brücke keinerlei Wirkung. Dann flogen gleich einer Handvoll Schneeflocken die Drachenflieger zum Angriff, und ein Gewirr roter Funken wirbelte aufwärts, ihnen entgegen. Für Berts Empfinden war das Ganze nicht nur unendlich fern, sondern auch ganz merkwürdig unirdisch. Vor noch nicht vier Stunden war er selbst auf einem dieser Luftschiffe gewesen, und doch erschienen sie ihm jetzt nicht als Gassäcke, die Menschen trugen, sondern wie seltsame, fühlende, lebendige Geschöpfe, die aus eigenem Antrieb sich bewegten und handelten. Der Schwarm der asiatischen und deutschen Flugmaschinen stieß aufeinander und senkte sich erdwärts, war gleich einer Handvoll roter und weißer Rosenblätter, die aus einem Fenster geworfen werden, wurde dann größer, bis Bert die gekenterten durch die Luft wirbeln sah, und verschwand schließlich in großen Wolken dunklen Rauchs, der in der Richtung von Buffalo aufstieg. Eine Zeitlang waren alle verschwunden, dann erhoben sich zwei oder drei weiße und eine Anzahl von roten wieder in die Luft wie ein Schwarm großer Schmetterlinge, kreisten kämpfend umeinander und trieben dann wieder nach Osten davon.

Ein schwerer dumpfer Knall lenkte Berts Augen zum Zenit zurück. Und siehe! Der große Halbmond hatte seine Form verloren und war zu einer ungeordneten, langen Wolke von Luftschiffen geworden. Eines war halbwegs in die Tiefe gesunken. Es brannte vorn und hinten, und während Bert noch zusah, überschlug es sich, sank, sich unablässig um sich selbst drehend, und verschwand im Rauch von Buffalo.

Berts Mund öffnete und schloß sich; er klammerte sich fester an das Brückengeländer. Ein paar Augenblicke – lange Augenblicke schienen es – verharrten die beiden Flotten ohne scheinbare Veränderung, indem sie schräg gegeneinander anflogen und, wie es für Berts Ohren klang, ein summendes Geräusch verführten. Dann begannen plötzlich auf beiden Seiten, von Geschossen getroffen, die er nicht zu sehen vermochte, Luftschiffe aus der Schlachtlinie zu sinken. Die Reihe der asiatischen Schiffe machte eine Schwenkung und stürzte sich in oder über (es war von unten aus schwer zu erkennen) die zersprengte Linie der Deutschen, die sich zu öffnen schien, um ihr Platz zu machen. Es begann eine Art Manövrieren; aber Bert verstand nicht, was es eigentlich bedeutete. Links wurde die Schlacht zu einem wirren Tanz von Luftschiffen. Einige Minuten lang sahen die beiden sich kreuzenden Linien von Schiffen von unten gesehen aus, als wären sie so dicht beieinander, daß das Ganze wie ein Handgemenge am Himmel erschien. Dann zerteilten sie sich zu Gruppen und Zweikämpfen. Der Abstieg der deutschen Luftschiffe nach den niederen Regionen nahm zu. Eins von ihnen flackerte brennend herab und verschwand fern im Norden; zwei sanken mit verzerrten und krüppelhaften Bewegungen; dann senkte sich eine feindliche Gruppe in wirbelndem Konflikt vom Zenit nieder – zwei Asiaten gegen einen Deutschen, dem sich bald ein zweiter anschloß –, und alle trieben miteinander nach Osten, während aus der Linie der Deutschen da und dort ein Luftschiff sich ihnen zugesellte. Ein asiatischer Riese rammte einen noch riesigeren Deutschen oder kollidierte mit ihm, und alle beide stürzten, unablässig um sich selbst kreisend, der Vernichtung entgegen. Das nördliche Geschwader der Asiaten kam jetzt in Aktion, ohne daß Bert es bemerkte; nur daß ihm die Menge der Schiffe droben plötzlich noch viel größer erschien. In kurzer Zeit war der ganze Kampf eine einzige große Wirrnis, die in der Hauptsache südwestlich gegen den Wind trieb. Mehr und mehr wurde alles zu einer Reihenfolge von Gruppenzusammenstößen. Hier flammte ein ungeheures deutsches Luftschiff erdwärts, umgeben von einem Dutzend flacher, asiatischer Fahrzeuge, die jeden seiner Versuche, sich noch zu retten, vereitelten. Dort hing ein anderes, dessen Mannschaft sich gegen die Krieger eines ganzen Schwarms von japanischen Flugmaschinen verteidigte. Und hier wiederum sank ein asiatischer Riese, der von einem Ende zum andern in Flammen stand, aus der Schlacht. Berts Aufmerksamkeit wanderte von einem Geschehnis zum anderen in der uferlosen Klarheit über ihm; diese besonders das Auge auf sich lenkenden Fälle von Vernichtung erregten und fesselten ihn; erst ganz nach und nach wurde ihm überhaupt eine Art Zusammenhang zwischen diesen näheren und auffälligeren Episoden klar.

In der Masse der Luftschiffe, die hoch oben in der Ferne umherwirbelten, kam es mittlerweile weder zur Vernichtung noch zur Entscheidung. Der größte Teil derselben schien sich in voller Geschwindigkeit und unter beständigem Kreisen aufwärts zu bewegen, um sich eine möglichst günstige Stellung zu sichern, wobei fortwährend wirkungslose Schüsse gewechselt wurden. Auch Rammversuche wurden nur wenige gemacht, nachdem die ersten Rammer und Gerammten so tragisch abgestürzt waren; und wenn Enterversuche gemacht wurden, so waren sie jedenfalls für Bert nicht erkennbar. Dagegen zeigte sich ein unablässiges Bemühen, den Gegner zu isolieren, ihn von seinen Kameraden abzuschneiden und nach unten zu drängen, was ein fortwährendes Rückwärtssegeln und Durcheinander der wirbelnden Gestalten verursachte. Die größere Anzahl der Asiaten und ihre rascheren Drehbewegungen machte den Eindruck, als griffen sie die Deutschen fortwährend an. Zuoberst, und augenscheinlich im Bemühen, mit den Elektrizitätswerken von Niagara in Berührung zu bleiben, zog sich ein Korps von deutschen Luftschiffen zu einer enggeschlossenen Phalanx zusammen, die die Asiaten immer eifriger zu sprengen versuchten. Bert erinnerte das Ganze in grotesker Weise an Fische in einem Fischteich, die um Brosamen kämpfen. Er sah schwache Rauchwölkchen und das Aufblitzen der Bomben; aber kein Laut drang zu ihm herab …

Ein flatternder Schatten drängte sich auf einen Augenblick zwischen ihn und die Sonne; ein zweiter folgte. Ein Surren von Motoren, klick – klack – klitter-klack –, drang an sein Ohr. Und sofort vergaß er den Zenit.

Vielleicht hundert Meter über dem Wasser kamen von Süden her, rasch wie Walküren durch die Luft reitend, auf den seltsamen Rossen, die die künstlerische Inspiration Japans von der Technik Europas empfangen hatte, eine lange Reihe asiatischer Krieger. Die Flügel flatterten ruckweise, klick-klack – klitter-klack –, und die Maschinen flogen aufwärts; die Flügel breiteten sich aus und standen still, und der Apparat schwebte waagrecht durch die Luft. So stiegen sie und sanken und stiegen wieder. So dicht über seinem Kopf zogen sie dahin, daß Bert ihre Stimmen sich gegenseitig zurufen hörte. Sie flogen hinüber nach Niagara und landeten, einer hinter dem andern, in einer langen Reihe, auf dem freien Platz vor dem Hotel. Aber er blieb nicht stehen, um das mitanzusehen. Ein gelbes Gesicht hatte sich vornübergebeugt und ihn angesehen, und fremde Augen waren eine rätselvolle Sekunde lang seinen Augen begegnet …

Und in diesem Augenblick durchzuckte Bert der Gedanke, daß er hier, in der Mitte der Brücke, doch gar zu deutlich sichtbar sei; er lief, so schnell ihn seine Beine tragen konnten, nach der Ziegeninsel hinüber. Dort duckte er sich, vielleicht in einem übertriebenen Ichbewußtsein, unter die Bäume und beobachtete das Ende des Kampfes.

 

V

Als Berts Sicherheitsgefühl wieder so weit hergestellt war, daß er die Schlacht aufs neue beobachten konnte, bemerkte er, daß sich zwischen den asiatischen Aeronauten und den deutschen Ingenieuren ein lebhaftes kleines Scharmützel um den Besitz der Stadt Niagara entsponnen hatte. Zum erstenmal im ganzen Verlauf des Kriegs sah er etwas, das dem Kampf glich, so wie er ihn in den illustrierten Blättern seiner Jugend studiert hatte. Ihm kam es fast vor, als käme nun endlich die gehörige Ordnung in die Geschichte. Er sah Männer, die Gewehre trugen und Deckungen suchten und rasch, in loser Angriffsform, von einem Punkt zum andern liefen. Die erste Abteilung von Aeronauten hatte wahrscheinlich unter dem Eindruck gestanden, daß die Stadt verlassen sei. Sie waren auf einem offenen Platz in der Nähe des Prospect Park gelandet und näherten sich den Häusern in der Richtung der Elektrizitätswerke, als sie durch plötzliches Schießen aus ihrem Irrtum gerissen wurden. Sie hatten in der Nähe des Wassers hinter einer Erdwelle Deckung gesucht – ihre Maschinen waren zu weit entfernt, als daß sie sie hätten noch erreichen können; und jetzt lagen sie am Boden hinter ihrem Schutzwall und feuerten auf die Leute in den Hotels und Maschinenhäusern um die Elektrizitätswerke her.

Dann kam eine zweite Reihe roter Flugmaschinen von Osten her ihnen zu Hilfe. Sie tauchten aus dem Dunst über den Häusern auf und näherten sich in weitem Bogen, als wollten sie die Situation unten erst überblicken. Das Feuer der Deutschen wurde zu einem wahren Tumult, und eine der schwebenden Gestalten fiel mit einem plötzlichen Ruck hintenüber und verschwand zwischen den Häusern. Die anderen senkten sich, ganz wie große Vögel, auf das Dach des Elektrizitätswerks nieder, klammerten sich dort fest und von jeder sprang eine geschmeidige kleine Figur und lief auf die Brüstung zu. Weitere flatternde Vogelgestalten kamen; aber Bert hatte ihr Kommen nicht bemerkt. Ein Stakkato von Schüssen drang zu ihm hinüber und erinnerte ihn an Manöver, an Zeitungsbeschreibungen von Gefechten, an alles, was nach seinem Begriff von Krieg völlig korrekt war. Er sah eine ganze Anzahl von Deutschen von den entfernteren Häusern her nach den Elektrizitätswerken eilen. Zwei fielen. Der eine lag still; aber der andere zappelte noch eine Weile. Das Hotel, das in ein Lazarett umgewandelt worden war und in das er die Verwundeten von der »Zeppelin« hatte tragen helfen, hißte plötzlich die Genfer Flagge. In der Stadt, die so ruhig geschienen hatte, war augenscheinlich eine beträchtliche Anzahl von Deutschen versteckt gewesen, die sich nun alle sammelten, um das Hauptgebäude der Elektrizitätswerke zu verteidigen. Er fragte sich, was für Munition sie wohl haben mochten. Mehr und mehr asiatische Flugmaschinen mischten sich in den Konflikt. Sie hatten die unglücklichen deutschen Drachenflieger vernichtet und griffen nun den beginnenden aeronautischen Park, die elektrischen Gaserzeuger und Reparaturwerkstätten an, welche den Stützpunkt der Deutschen bildeten. Einige landeten, und ihre Aeronauten suchten Deckung und wurden zu energischen Infanteristen. Andere schwebten über dem Kampf, wobei ihre Bemannung dann und wann auf irgendeinen exponierten Punkt unten feuerte. Die Schüsse kamen ruckweise; einmal herrschte beobachtende Stille; dann wieder knatterte ein Schnellfeuer von Schüssen, das sich fast bis zum Tumult steigerte. Ein- oder zweimal kamen Flugmaschinen bei ihrem vorsichtigen Kreisen unmittelbar über Bert, so daß eine Weile sein ganzes Sinnen und Trachten nur auf Ducken und Kauern gerichtet war …

Dann und wann mischte sich in das Geknatter ein rollender Donner und erinnerte ihn an das Handgemenge der fernen Luftschiffe in der Höhe; aber der Kampf in der Nähe fesselte seine ganze Aufmerksamkeit.

Plötzlich fiel etwas vom Zenit herab; etwas wie eine Tonne oder ein riesiger Fußball.

Krach! Mit einem ungeheuren Geräusch schmetterte es herab. Es war zwischen die gelandeten asiatischen Aeroplane gefallen, die zwischen Rasen und Blumenbeeten in der Nähe des Stroms lagen. Sie flogen in Fetzen und Trümmer auf; Rasen, Bäume und Kies wurden in die Luft geschleudert und fielen wieder zu Boden. Die Aeronauten, die noch immer am Kanalufer entlang lagen, wurden wie Säcke umhergeworfen; Windwirbel flogen über die schäumenden Wasser. Alle Fenster des Hotellazaretts, die noch einen Augenblick zuvor blinkend den blauen Himmel und die Luftschiffe widergespiegelt hatten, wurden zu ungeheuren, schwarzen Höhlen. Bum! – Ein zweiter Krach. Bert blickte in die Höhe und hatte ein Gefühl, als ob eine Anzahl von Riesenkörpern sich wie ein Haufe sich bauschender Bettücher, wie eine Reihe riesenhafter Schüsseldeckel auf das Ganze herabsenkten. Das Haupt- Schlachtgewirr oben kreiste abwärts, als wolle es sich mit den um die Elektrizitätswerke Kämpfenden vereinigen. Bert hatte jetzt einen ganz neuen Eindruck von den Luftschiffen – er sah ungeheure Dinger, die auf ihn herabkamen, die rasch immer größer und überwältigender wurden, bis die Häuser drüben klein, die Stromschnellen schmal, die Brücke schwächlich, die Kämpfenden winzig erschienen. Und während sie sich so herabsenkten, wurden sie auch vernehmbar ein Gemisch von Geschrei und Gestöhn, von Krachen und Pochen und Pulsieren, von Ausrufen und Schüssen. Die verkürzten schwarzen Adler an den Vorderteilen der deutschen Luftschiffe machten tatsächlich den Eindruck, als kämpften sie mit, als flögen ihre Federn …

Einige der kämpfenden Luftschiffe kamen der Erde bis auf fünfhundert Fuß nah. Bert sah auf den unteren Galerien der deutschen Luftschiffe Leute, die ihre Gewehre abschossen; sah Asiaten, die sich an ihre Taue festklammerten; sah einen Mann im Aluminium-Taucheranzug blitzend kopfüber in die Wasser über der Ziegeninsel stürzen. Zum erstenmal sah er die asiatischen Luftschiffe aus der Nähe. Und sie erinnerten ihn in der Hauptsache an kolossale Schneeschuhe. Sie zeigten seltsame Muster in Schwarz und Weiß und in Formen, die an den inneren Deckel einer Uhr erinnerten. Hängegalerien hatten sie nicht; aber aus kleinen Öffnungen längs der Mittellinie guckten Männer und Gewehrläufe hervor. In langen, steigenden und fallenden Wellenlinien dahintreibend, fochten und kämpften die Ungetüme. Sie waren wie Wolken, die kämpften, wie Puddings, die sich gegenseitig zu morden versuchten. Sie wirbelten und kreisten umeinander und hüllten die Ziegeninsel und Niagara eine Zeitlang in ein rauchiges Dämmerlicht, durch das die Sonne in Strahlen und Pfeilen brach. Sie zerstreuten sich und sammelten sich und zerstreuten sich wieder, sie fochten und kreisten über den Stromschnellen und zwei Meilen und weiter nach Kanada hinein und wieder über die Fälle zurück. Ein deutsches Luftschiff fing an zu brennen, und die ganze Masse entfernte sich von ihm, stieg in die Höhe, zerteilte sich und ließ es einsam in der Richtung nach Kanada zu sinken und im Sinken explodieren. Dann sammelten sich die andern wieder unter erneutem Tumult. Einmal erklang von den Leuten in der Stadt unten etwas, wie ein Hurrageschrei in einem Ameisenhaufen. Ein zweites deutsches Luftschiff verbrannte, und ein drittes, das der Feind durch einen Rammstoß zertrümmert hatte, trieb in südlicher Richtung aus dem Gefecht.

Immer deutlicher zeigte es sich, daß die Deutschen in dem ungleichen Kampf den kürzeren zogen. Immer beharrlicher wurden sie verfolgt. Immer augenscheinlicher kämpften sie nur noch in dem Bestreben, sich die Flucht zu ermöglichen. Die Asiaten hefteten sich an ihre Seite, stürzten sich über sie, schlitzten ihre Gaskammern auf, steckten sie in Brand, vernichteten ihre wie durch einen Nebel sichtbare Bemannung, die in Taucherkleidung und Feuerlöschapparaten und seidenen Lappen im Innennetz gegen Flammen und Risse ankämpfte. Ihre einzige Antwort waren wirkungslose Schüsse. Die Schlacht kreiste wieder zurück über Niagara; und plötzlich, wie auf ein verabredetes Zeichen, stoben die Deutschen auseinander und zerstreuten sich nach Osten, Westen, Süden und Norden, in offener und ungeordneter Flucht. Die Asiaten, als sie dies erkannten, stiegen auf, um über und hinter ihnen her zu fliegen. Nur ein kleiner Knäuel von vier Deutschen und vielleicht einem Dutzend Asiaten blieb zurück und kämpfte, um die »Hohenzollern« und den Prinzen geschart, der noch immer über Niagara kreiste, in einem letzten Versuch, die Stadt zu retten.

Rundherum kreisten sie, flogen über den Kanadischen Fall, über die Wassermasse im Osten, bis sie ganz fern und klein waren, dann wieder zurück, eilends, ruckweise, geradewegs auf den einen, erstarrten Zuschauer zu.

Rasch näherte sich die ganze kämpfende Masse, wurde größer und größer, hob sich schwarz und ausdruckslos gegen die Abendsonne und über den blinkenden Strudeln der oberen Stromschnellen ab. Wie eine Wetterwolke schwoll sie an, bis sie aufs neue den Himmel verdunkelte. Die flachen asiatischen Luftschiffe hielten sich hoch über den deutschen oder hinter ihnen und feuerten unerwiderte Schüsse auf ihre Gaskammern und Flanken ab; die Flugmaschinen schwärmten um sie herum wie ein Volk wütender Bienen. Näher kamen sie und immer näher. Sie füllten den unteren Himmel. Zwei der deutschen sanken und erhoben sich wieder. Aber die »Hohenzollern« hatte zu sehr gelitten. Sie erhob sich matt, wandte scharf um, als wolle sie sich aus der Schlacht verziehen, fing plötzlich vorn und hinten zu brennen an, sank aufs Wasser hinab, fiel schräg in den Strom, trieb, sich wälzend und windend wie etwas Lebendiges, abwärts, blieb hängen und trieb dann wieder weiter. Ihr zerbrochener und verbogener Propeller schlug noch immer die Luft. Die hervorbrechenden Flammen erstickten in Wolken und Dampf. Es war eine in ihren Dimensionen gigantische Katastrophe. Die »Hohenzollern« lag über den Stromschnellen gleich einer Insel, gleich großen Klippen, Klippen, die rauchend, sich wälzend, übereinanderstürzend und zusammenfallend mit einer Art schwankender Geschwindigkeit auf Bert zutrieben. Ein asiatisches Luftschiff – Bert erschien es von unten wie etwa dreihundert Quadratmeter Straßenpflaster – wirbelte zurück und kreiste zwei- oder dreimal über dem großen Zusammenbruch, und ein halb Dutzend roter Flugmaschinen tanzte einen Augenblick lang gleich großen Mücken im Sonnenschein, ehe sie hinter ihren Kameraden hereilten. Der Rest des Kampfes war schon als ein wildes Crescendo von Schüssen und Geschrei und verheerendem Tumult über die Insel weggezogen. Jetzt verdeckten die Bäume alles, und Bert vergaß es auch über dem näherliegenden Schauspiel des riesenhaften, vernichteten deutschen Luftschiffs, das da auf ihn zukam. Etwas fiel unter einem gewaltigen Krachen und Splittern von Zweigen unbeachtet hinter ihm zu Boden.

Eine Zeitlang schien es, als müsse die »Hohenzollern« bei der Teilung der Wasser das Rückgrat brechen; dann arbeitete und schäumte ihr Propeller eine Weile im Strom und warf die ganze zerfetzte, verbogene Trümmermasse gegen das amerikanische Ufer. Aber die Strömung, die zum amerikanischen Fall hinabschäumte, packte sie, und in der nächsten Minute wurde das ungeheure Wrack, aus dem an drei neuen Stellen die Flammen hervorbrachen, gegen die Brücke geschleudert, die die Ziegeninsel und die Stadt Niagara verbindet, und reckte gleichsam einen langen Arm aus einem wogenden Gewirr unter dem mittleren Brückenbogen. Die Mittelkammern explodierten mit einem lauten Knall, und im nächsten Moment war die Brücke zusammengestürzt, und die Hauptmasse des Luftschiffs schwankte gleich einem grotesken, zerlumpten Krüppel, flatternd und Fackeln schwenkend, zum oberen Rand des Falls, zögerte einen Moment und verschwand dann mit einem verzweifelten, selbstmörderischen Satz.

Das abgerissene Vorderteil blieb gegen die kleine Insel gequetscht, die man die Grüne Insel zu nennen pflegte, und die die Schwelle vom Festland zu der Baumgruppe der Ziegeninsel bildet.

Bert verfolgte die Katastrophe von der Teilung der Wasser an bis zum Brückenpfeiler. Dann stürzte er, unbekümmert um das asiatische Luftschiff, das wie ein riesiges Hausdach ohne Wände über der Hängebrücke schwebte, nach Norden und gelangte zum erstenmal auf die Felsspitze bei der Luna-Insel, die direkt in den amerikanischen Fall niederblickt. Da stand er, mitten im ewigen Tosen des Lärms, atemlos, mit starren Augen …

Weit unten, rasch durch die Schlucht eilend, wirbelte etwas wie ein riesiger, leerer Sack. Für ihn bedeutete es – ja, was bedeutete es nicht? – die deutsche Luftflotte, kurz, den Prinzen, Europa, alles, was feststehend und vertraut war, die Mächte, die ihn getragen hatten, die Mächte, die ihm so unbestreitbar sieghaft erschienen waren. Und da trieb es die Stromschnellen hinunter wie ein leerer Sack und überließ die ganze sichtbare Welt Asien, gelben Menschen ohne Christentum, allem, was schrecklich und fremd war …

Fern über Kanada entschwebte der Rest des Konflikts und entschwand aus seinem Gesichtskreis …

 


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