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5.
Die Schlacht im Nordatlantik

I

Der Prinz Karl Albert hatte einen tiefen Eindruck auf Bert gemacht. Nie zuvor war ihm eine Persönlichkeit begegnet, die ihm so viel Schrecken eingeflößt hatte. Er erfüllte die Smallways-Seele mit leidenschaftlicher Furcht und Antipathie. Eine lange Weile saß Bert untätig in Kurz' Kabine; er wagte nicht einmal die Tür zu öffnen, aus Angst, jener niederschmetternden Gegenwart um so viel näher zu sein.

So kam es, daß er wahrscheinlich der letzte an Bord war, der die Nachricht erfuhr, die drahtlose Depeschen stoß- und bruchstückweise zu dem Luftschiff emportrugen – die Nachricht von einer großen Seeschlacht, die im mittleren Atlantik im Gang war. Schließlich erfuhr er es von Kurz.

Dieser kam herein mit einer Miene, als sähe er Bert überhaupt nicht, brummte dabei aber doch auf englisch vor sich hin. »Großartig!« hörte Bert ihn sagen. Und dann: »He! stehen Sie mal auf da!« Er begann, aus der Truhe zwei Bücher und ein Futteral mit Karten hervorzuwühlen, die er auf dem Klapptisch ausbreitete und sich beschaute. Eine Zeitlang stritt seine deutsche Disziplin mit seiner englischen Nonchalance und natürlichen Gutherzigkeit und Redseligkeit; schließlich unterlag sie.

»Sie machen's, Smallways!« sagte er.

»Was, Herr Leutnant?« sagte Bert zerknirscht und respektvoll.

»Krieg! Das amerikanische nordatlantische Geschwader und fast unsere ganze Flotte. Unsere Eisernes Kreuz hat eins abbekommen und sinkt. Und ihre Miles Standish – eins von ihren größten – ist mit Mann und Maus untergegangen. Torpedos vermut' ich. Er war größer als die »Karl der Große«, aber fünf oder sechs Jahre älter … Herrgott! Ich wollte, wir könnten's sehen, Smallways! Ein glatter Kampf im offenen Gewässer, nichts als Kanonen, und alle mit Volldampf drauf los!«

Er breitete seine Karten aus, er mußte reden, und darum hielt er Bert eine Vorlesung über die Situation.

»Hier ist es«, sagte er, »30° 50' nördlicher Breite, 30° 50' westlicher Länge. Jedenfalls eine gute Tagesreise von hier; und sie halten alle so schnell sie können Südwest bei Süd. Wir werden kein bißchen zu sehen kriegen! Pech! Kein Zipfelchen!«

 

II

Die Situation im Nordatlantik war in diesem Augenblick eine höchst eigentümliche. Die Vereinigten Staaten waren weitaus die stärkere Seemacht von beiden, aber die Masse der amerikanischen Flotte war noch im Pazifik. Man hatte den Krieg hauptsächlich in der Richtung von Asien her befürchtet, denn die Situation zwischen Asiaten und Weißen hatte sich außerordentlich gereizt und drohend gestaltet, und die japanische Regierung hatte sich unerhört schwierig gezeigt. Der Angriff der Deutschen fand darum die halbe amerikanische Streitmacht in Manila und die sogenannte zweite Flotte in drahtlosem Kontakt über den Pazifik zwischen der asiatischen Station und San Francisco ausgespannt. Das nordatlantische Geschwader war auf der Ostküste die einzige amerikanische Streitmacht; es war eben auf der Rückkehr von einem freundschaftlichen Besuch in Frankreich und Spanien begriffen und pumpte Petroleum von Tendern im mittleren Atlantik – denn die meisten ihrer Schiffe waren Dampfschiffe – als die Situation sich zuspitzte. Es bestand aus vier Panzerschiffen und fünf gepanzerten Kreuzern, die an Rang den Panzerschiffen fast gleichstanden; keins von den Schiffen war von jüngerem Datum als 1913. Tatsächlich hatten die Amerikaner sich so an den Gedanken gewöhnt, daß Großbritannien über den Frieden des Atlantik wachte, daß sie sich auf eine Seeattacke an der Ostküste auch nicht im Traum gefaßt gemacht hatten. Aber lang vor der Erklärung des Kriegs – schon am Pfingstmontag – hatte die ganze deutsche Flotte von achtzehn Panzerschiffen, mit einer Flottille von Tendern und degradierten Linienschiffen, die Munition und Proviant für die Luftflotte enthielten, die Straße von Dover passiert, um in gerader Richtung auf New York loszusteuern. Nicht nur waren die deutschen Kriegsschiffe den amerikanischen an Zahl um das Doppelte überlegen, sondern sie waren auch schwerer armiert und von modernerer Konstruktion. Sieben von ihnen besaßen Explosionsmotoren aus Charlottenburger Stahl und sämtliche führten Charlottenburger Stahlkanonen.

Am Mittwoch, noch vor der offiziellen Kriegserklärung, trafen die Flotten aufeinander. Die Amerikaner hatten die damals übliche Aufstellung genommen, in einer Reihe, mit Zwischenräumen von je ungefähr dreißig Meilen, und suchten sich zwischen den Deutschen und den östlichen Staaten von Panama zu halten; denn so wichtig auch die Verteidigung der Küstenstädte, vor allem New Yorks, war, so war es noch wichtiger, den Kanal gegen einen Angriff zu decken, der die Rückkehr der Hauptflotte aus dem Pazifik hätte verhindern können. Diese, so sagte Kurz, eilte jetzt zweifellos über den Ozean, »wenn nicht die Japaner auf den gleichen Gedanken verfallen sind wie die Deutschen«. Daß es außerhalb jeder menschlichen Möglichkeit war, daß die amerikanische Nordatlantikflotte der deutschen standhalten oder sie vernichten konnte, das lag auf der Hand. Anderseits aber konnte sie, wenn ihr das Glück günstig war, den Feind hinhalten und ihn so weit schädigen, daß dadurch der Angriff auf die Küstenbefestigungen geschwächt wurde. Ihre Pflicht war nicht Sieg, sondern Selbstaufopferung, die schwerste Aufgabe in der Welt. In der Zwischenzeit ließen sich die Unterseebefestigungen von New York, Panama und den anderen wichtigeren Punkten einigermaßen in Kriegszustand bringen.

So war die Situation. Und bis Mittwoch nach Pfingsten war es die einzige Situation, die die Amerikaner zu überschauen vermochten. An diesem Tag ging ihnen zum erstenmal eine Ahnung von der wirklichen Bedeutung des aeronautischen Parks von Dornhof und der Möglichkeit eines Angriffs nicht nur zur See, sondern auch aus der Luft auf. Aber seltsamerweise erfreuten sich die Zeitungen jener Periode eines so geringen Vertrauens von seiten ihrer Leser, daß eine große Mehrheit von New Yorkern zum Beispiel auch den längsten und ausführlichsten Berichten über die deutsche Luftflotte keinen Glauben schenkte, bis sie tatsächlich von New York aus in Sicht war.

Kurz redete halb im Selbstgespräch. Er stand mit einer Mercator-Projektionskarte in der Hand da, schaukelte sachte mit dem Schwanken des Schiffs hin und her und sprach von Kanonen und Tonnage, von Schiffen und von ihrer Konstruktion, ihrer Tragfähigkeit und Geschwindigkeit, von strategischen Punkten und Operationsbasen. Eine gewisse Schüchternheit, die ihn am Offizierstisch zum Zuhörer machte, war hier von ihm abgefallen.

Bert stand neben ihm. Er redete nicht viel, folgte aber Kurz' Finger auf der Karte. »In den Zeitungen haben sie das alles schon lang gesagt«, bemerkte er. »Daß es nun wirklich kommt!«

Kurz zeigte eine detaillierte Kenntnis der Miles Standish. »Das war ein Bombenschiff, was die Kanonen betrifft – hielt den Rekord. Möcht' wissen, ob wir gegen sie ankommen, und wie. Ich wollte, ich wär' dabei! Möcht' wissen, welches von unseren Schiffen sie schlägt! Vielleicht kriegt sie eine Granate in die Eingeweide. Ein wundervoller Kampf! Möcht' wissen, was die Barbarossa macht!« fuhr er fort. »Das ist mein altes Schiff. Nichts Erstklassiges, aber aus gutem Holz! Die hat schon ihre paar Schüsse abgegeben, das wett' ich, wenn der alte Schneider bei Laune ist! Ah! Wenn man bedenkt –! Da hauen sie aufeinander los, die Kanonen brüllen, die Granaten krepieren, die Kessel platzen, das Eisen fliegt in der Luft herum wie Stroh im Sturm – alles, was man sich seit Jahren erträumt hat! Und wir segeln wahrscheinlich glatt nach New York weiter – einfach als ob nichts wäre! Wir denken vermutlich, sie brauchen uns nicht da drunten. Es ist ja von uns aus überhaupt nur ein Maskierungsgefecht. Alle unsere Tender und Proviantschiffe gehen Südwest bei Süd weiter nach New York als schwimmendes Depot für uns. Sehen Sie?« Er tupfte mit dem Finger auf die Karte. » Hier sind wir. Unsere Proviantflottille ist hier, und unsere Kriegsschiffe schneiden dort den Amerikanern den Weg zu uns ab …«

Als Bert in die Kantine ging, um sich seine Abendration zu holen, beachtete man ihn kaum, außer daß vielleicht einer ihn dem andern geschwind zeigte. Alles sprach von der Schlacht – äußerte Vermutungen, stritt, manchmal stieg der Lärm bis zum Tumult, bis dann die Unteroffiziere wieder Ruhe schafften. Ein neues Bulletin war da, aber was es sagte, verstand er nicht; bloß daß es Barbarossa betraf. Ein paar von den Leuten starrten ihn an, und verschiedentlich hörte er den Namen »Butteridsch«; aber niemand belästigte ihn, und auch seine Suppe und sein Brot erhielt er ohne Schwierigkeit, als die Reihe zuletzt an ihn kam. Er hatte gefürchtet, es möchte keine Ration für ihn vorgesehen sein; und er hätte nicht gewußt, was er dann hätte anfangen sollen.

Später wagte er sich auf die kleine Hängegalerie mit ihrer einsamen Schildwache hinaus. Das Wetter war noch schön, aber der Wind nahm zu, und das Rollen und Schaukeln des Schiffs wurde stärker. Er klammerte sich fest ans Geländer. Ihm war ziemlich schwindlig zumut. Sie waren jetzt außer Sicht von Land über blauem Wasser, das in großen Wellen stieg und fiel. Eine armselige alte Brigg unter englischer Flagge hob und senkte sich auf den weiten, blauen Wogen das einzige Schiff, das in Sicht war.

 

III

Am Abend steigerte sich der Wind, und das Schiff rollte, während es durch die Luft eilte, wie ein Delphin. Kurz erzählte, verschiedene der Leute seien seekrank. Aber Bert verursachte die Bewegung keinerlei Unbequemlichkeiten. Er besaß die geheimnisvolle gastrische Konstitution des geborenen Seemanns. Er schlief gut; aber kurz vor Tagesanbruch weckte ein Licht ihn auf, und er sah Kurz auf der Suche nach irgend etwas umherstolpern. Schließlich fand er es auch in der Truhe und hielt es unsicher in der Hand – ein Kompaß. Dann verglich er seine Karte damit.

»Wir haben unsere Richtung geändert«, sagte er, »und kommen vor den Wind. Ich begreif das nicht. Wir kommen von New York ab und nach Süden. Fast als ob wir …«

Und er redete noch eine Zeitlang vor sich hin.

Der Tag kam, feucht und windig. Das Fenster war von außen angelaufen, so daß sie überhaupt nichts sahen. Zudem war es sehr kalt, und Bert beschloß, in seine Decken gewickelt, auf der Truhe sitzen zu bleiben, bis das Horn ihn zur Morgenration rief. Nachdem sie verzehrt war, ging er hinaus auf die kleine Galerie. Aber er sah nichts als wirbelnde Wolken, die hastig vorbeitrieben, und die nebelhaften Umrisse der nächsten Luftschiffe. Nur in seltenen Zwischenräumen zeigte sich durch das flutende Wolkentreiben ein kurzer Ausblick auf das graue Wasser.

Später am Vormittag veränderte die »Vaterland« ihre Flughöhe und erhob sich plötzlich in eine hohe, klare Region. Kurz sagte, sie wären jetzt fast dreizehntausend Fuß hoch.

Bert war in seiner Kabine und sah, wie der Tau von dem Fenster schwand und draußen das Sonnenlicht funkelte. Er blickte hinaus und sah wieder denselben sonnbeglänzten Wolkenboden, den er damals vom Ballon aus gesehen hatte, und die Schiffe der deutschen Luftflotte, eins ums andere, aus dem Weiß emportauchen, wie Fische aus der Tiefe der Wasser emporsteigen und sichtbar werden. Einen Augenblick starrte er hinaus; dann lief er auf die kleine Galerie, um dies Wunder besser zu sehen. Unten war Wolkenland und Sturm, ein großes, wirres Wolkentreiben, das eiligst in nordwestlicher Richtung vorüberjagte. Die Luft um ihn war kalt und klar und heiter bis auf eine ganz schwache, frostige Brise und ab und zu eine vereinzelte treibende Schneeflocke. Poch, poch, poch, poch, gingen durch die Stille die Maschinen. Die ungeheure Herde von Luftschiffen, wie sie so nacheinander emporstiegen, sah aus wie eine Reihe gewaltiger Ungetüme, die in eine fremde, unbekannte Welt einbrechen …

Entweder waren an diesem Morgen keine Nachrichten von der Seeschlacht gekommen, oder auch behielt der Prinz, was kam, bis nach Tisch für sich. Dann überstürzten sich die Bulletins nur so, Bulletins, die den Leutnant ganz wild machten vor Aufregung.

»Die Barbarossa kampfunfähig! Und sinkt!« rief er. »Gott im Himmel! Die alte Barbarossa! Aber sie hat sich gewehrt! Sie hat sich gewehrt!«

Er rannte in der schwankenden Kabine hin und her und war eine Zeitlang ganz Deutscher.

Dann wurde er wieder Engländer. »Denken Sie doch, Smallways! Das alte Schiff, das wir immer so rein und fein gehalten haben! Und alles durcheinandergeschmettert, und das Eisen fliegt in Fetzen durch die Luft, und die Jungens, die man gekannt hat – Herrgott! – fliegen mit! Und siedendes Wasser, das herumspritzt, und Feuer, und das Krachen der Kanonen! Ich sag' Ihnen, sie krachen! Und auch die in tausend Stücke! Kein Halten mehr – nichts! Und ich hier oben – so nah und doch so fern! Die alte ›Barbarossa‹!«

»Noch andere Schiffe?« fragte nach einer Weile Bert.

»Herrgott! Ja! Die Karl der Große haben wir verloren, unser bestes und größtes. In der Nacht in den Grund gebohrt von einem britischen Linienschiff, das sich aus dem Kampf retten wollte und natürlich mitten hinein geriet! Sie haben Sturm. Das Linienschiff treibt mit zerschlagener Nase drunten leck. Noch nie war solch eine Schlacht! Noch nie! Gute Schiffe und gute Mannschaft auf beiden Seiten … und dazu der Sturm und die Nacht und die Morgendämmerung … und alles auf offener See und immer mit Volldampf voraus! Kein Rammen! Keine Minen! Kanonen und Schießen! Von der Hälfte unserer Schiffe hören wir überhaupt nichts mehr, weil ihnen die Mäste weggeschossen sind. 30° 40' nördliche Breite – 40° 30' westliche Länge … wo ist das?«

Er wühlte seine Karte wieder heraus und starrte daraufhin mit Augen, die nichts sahen.

»Die alte ›Barbarossa‹! Es will mir nicht aus dem Kopf! Granaten in den Maschinenraum: und das Feuer, das aus den Öfen stürzt, und die Heizer und die Maschinisten verbrannt und tot! Männer, mit denen man bei Tisch gesessen hat, Smallways – Männer, mit denen man hundertmal gesprochen hat! Endlich ist auch ihr Tag gekommen! Aber nicht allen hat er Glück gebracht!«

»Kampfunfähig! Und sinkt! Es wird ja wohl nicht jeder das Glück auf seiner Seite haben können in der Schlacht! Der arme Schneider! Ich wette, er hat's ihnen heimgezahlt!«

So sickerten die Nachrichten von der Schlacht den ganzen Tag durchs Schiff. Die Amerikaner hatten ein zweites Schiff verloren; Name unbekannt. Die Hermann, die die »Barbarossa« gedeckt hatte, war beschädigt … Kurz lief wie ein gefangenes Tier voll Ungeduld im ganzen Schiff herum, ging einmal nach der Vordergalerie unter dem Adler, dann wieder auf die Schwebegalerie. Dann brütete er wieder über seinen Karten. Er steckte Smallways an mit seinem Gefühl von der unmittelbaren Nähe dieser Schlacht, die da just über der Erdkurve vor sich ging. Aber wenn Bert hinunterging auf die Galerie, war die Welt leer und stumm, oben ein klarer, tintigblauer Himmel, unten ein krauser Schleier ruhiger, dünner, sonnenbeglänzter Federwölkchen, durch den man einjagendes Treiben von Regenwolken und keinen Schimmer vom Meer sah. Poch, poch, poch, poch, gingen die Maschinen, und der lange, wogende Keil von Luftschiffen eilte hinter dem Flaggschiff her, wie ein Flug von Schwänen hinter dem Leitschwan. Bis auf das Geräusch der Maschinen war alles so lautlos wie ein Traum. Und dort unten, irgendwo im Sturm und Regen, donnerten die Kanonen, schmetterten die Granaten und kämpften und starben – nach altem Kriegsbrauch – die Menschen.

 

IV

Als der Nachmittag vorrückte, ließ das Unwetter in der Tiefe nach, und die See wurde von Zeit zu Zeit wieder sichtbar. Die Luftflotte sank langsam wieder in mittlere Luftschichten, und gegen Sonnenuntergang erhaschten sie fern im Osten einen flüchtigen Blick auf die kampfunfähige Barbarossa. Smallways hörte die Leute durch den Gang eilen und wurde mitgerissen, hinaus auf die Galerie, wo fast ein Dutzend Offiziere versammelt waren, die durch ihre Feldstecher das hilflose Wrack des Panzerschiffs betrachteten. Zwei andere Schiffe lagen neben ihm, ein ausgepumpter Petroleumtender, der sehr hoch aus dem Wasser ragte, und ein ehemaliges Linienschiff. Kurz stand, etwas abgesondert von den anderen, am Ende der Galerie.

»Herrgott!« sagte er endlich, das Glas sinken lassend, »es ist, als sah' man einen alten Freund mit abgeschnittener Nase – der auf den Gnadenstoß wartet! Die ›Barbarossa‹!«

In einem plötzlichen Impuls gab er sein Glas Bert, der, von allen unbeachtet, unter den Händen hinabgespäht und die Schiffe nur als drei bräunlich-schwarze Striche auf dem Meer gesehen hatte.

Nie in seinem Leben hatte Bert je etwas Ähnliches erblickt, wie dies vergrößerte, leicht verschleierte Bild da unten. Es war nicht einfach ein geschlagenes Panzerschiff, das da hilflos hin und her rollte, es war ein ganz und gar zerfetztes Panzerschiff. Wunderbar schien es, daß es überhaupt noch sich über Wasser hielt. Seine gewaltigen Maschinen waren sein Verderb gewesen. Während der langen Treibjagd der Nacht war es aus der Linie seiner Kameraden und zwischen die Kansas City und die Susquehanna hineingeraten. Diese entdeckten es, fielen zurück, bis es fast breitbeinig zur ersteren stand und signalisierten dann der Theodore Roosevelt und der kleinen Monitor. Als der Tag anbrach, fand sich die Barbarossa von allen Seiten umringt. Der Kampf hatte noch keine fünf Minuten gedauert, als das Erscheinen der Hermann im Osten und unmittelbar darauf der Fürst Bismarck im Westen die Amerikaner zum Rückzug zwang; aber in dieser Zeit hatten sie sein Eisen in Fetzen geschossen. Sie hatten alle Spannung, die sich an diesem heißen Tage während des Rückzugs angesammelt hatte, an ihm ausgelassen. Und als Bert es so sah, erschien es nur noch wie das Phantasiegebilde eines Metallarbeiters, ein wildes Gewirr von erstarrten Metallzuckungen. Kein Teil war mehr vom anderen zu unterscheiden, außer durch seine Lage.

»Herrgott!« murmelte Kurz, während er sein Glas wieder an sich nahm – »Herrgott! Und Albrecht – der gute Kerl – und der alte Zimmermann – und Rosen!«

Lang nachdem Dämmerung und Ferne die Barbarossa verschlungen hatten, stand er noch auf der Galerie und spähte durch sein Glas; und als er in die Kabine zurückkehrte, war er ungewöhnlich schweigsam und gedankenvoll.

»Es ist ein böses Spiel, Smallways!« sagte er schließlich.

»Ein böses Spiel, der Krieg! Ich weiß nicht – nach so etwas sieht man die Sache anders an. Wie viele Menschen haben an der ›Barbarossa‹ gearbeitet – und wie viele Männer waren drauf … Männer, wie man ihnen nicht jeden Tag begegnet. Albrecht – so hieß einer davon – spielte die Zither und improvisierte. Möcht' wohl wissen, was aus ihm geworden ist. Er und ich – wir waren sehr gut Freund!«

 

V

In der folgenden Nacht erwachte Smallways wieder. Die Kabine lag im Dunkeln, ein Luftzug wehte durch, und Kurz redete mit sich selber – deutsch. Bert sah ihn undeutlich durchs Fenster, das er aufgeschraubt und geöffnet hatte, hinunterspähen. Das kalte, klare, dünne Licht, das weniger Licht ist als ein Schwinden der Dunkelheit, das tintige Schatten aufs Gesicht wirft und in hoher Luft den Tagesanbruch verkündet, lag auf seinem Gesicht.

»Was ist los?« fragte Bert.

»Still!« sagte der Leutnant. »Hören Sie nicht?«

Durch die Stille kam das wiederholte schwere Donnern von Kanonen – ein Schuß – zwei – dann eine Pause – dann in rascher Reihenfolge drei.

»Alle Wetter!« sagte Bert, »Kanonen!« Im nächsten Augenblick war er neben dem Leutnant. Das Luftschiff flog noch sehr hoch, und drunten das Meer war von einem dünnen Wolkenschleier verhüllt. Der Wind hatte sich gelegt. Bert folgte der Richtung von Kurz' Finger und sah schattenhaft durch den farblosen Schleier erst einen roten Schein, dann einen raschen roten Blitz und dann, in einiger Entfernung davon, einen zweiten. Eine Weile schien es, als wären es stumme Blitze; erst Sekunden später, wenn man schon aufgehört hatte, darauf zu warten, kam der verspätete Knall: Bum – bum! Kurz redete fortwährend und sehr rasch auf deutsch vor sich hin. Ein Hornruf klang durch das Luftschiff.

Kurz fuhr auf, sagte in aufgeregtem Ton etwas, immer noch auf Deutsch, und ging zur Tür.

»He! Was gibt's?« rief Bert. »Was ist?«

Der Leutnant blieb einen Augenblick unter der Tür stehen. Seine Gestalt hob sich dunkel von dem erleuchteten Gang ab. »Sie bleiben, wo Sie sind, Smallways! Sie bleiben hier und tun gar nichts. Wir kommen in Aktion,« erklärte er und verschwand.

Berts Herz begann hastig zu schlagen. Er fühlte sich selber über den kämpfenden Schiffen da unten in der Tiefe hängen. Ob sie wohl im nächsten Augenblick hinabschießen würden wie ein Habicht, der auf einen Vogel stößt? »Alle Wetter!« flüsterte er endlich mit scheuer Stimme.

Bum – bum … Ganz fern entdeckte er einen zweiten rötlichen Schein, der dem ersten antwortete. Dann fühlte er, daß etwas auf der »Vaterland« anders war als bisher – was, konnte er sich nicht erklären. Und plötzlich merkte er, daß die Maschinen zu einem fast unhörbaren Pochen abgestoppt hatten. Er zwängte seinen Kopf durchs Fenster – es ging grade noch zur Not – und sah in der frostigen Luft auch die anderen Luftschiffe zu einer fast unmerklichen Bewegung zurückgestoppt.

Ein zweites Signal ertönte und wurde von Schiff zu Schiff aufgenommen. Die Lichter erloschen; die Flotte wurde zu einer Masse schattenhafter, dunkler Körper in einem intensiv blauen Himmel, der da und dort noch einen vereinzelten Stern aufwies. Lange Zeit, so schien es ihm, hingen sie so; dann kam das Geräusch von Luft, die in das Ballonet gepumpt wurde, und langsam, langsam sank die Vaterland hinab zu den Wolken.

Er reckte den Hals, aber er konnte nicht sehen, ob der Rest der Flotte ihnen folgte; die überhängenden Gaskammern versperrten ihm den Blick. Es lag in diesem langsamen, lautlosen Abstieg etwas, was seine Phantasie aufs tiefste erregte.

Eine Zeitlang wurde das Dunkel noch tiefer, der letzte verbleichende Stern schwand vom Horizont, und Bert spürte die kalte Nähe der Wolken. Dann, plötzlich, nahm der Schein unten deutliche Umrisse an, ward zur Flamme, und die Vaterland hielt in ihrem Abstieg inne und hing, beobachtend und augenscheinlich selbst unbeobachtet, dicht unter einer treibenden Wolkenschicht, vielleicht tausend Meter über der Schlacht drunten.

In der Nacht waren Gefecht und Rückzug in eine neue Phase eingetreten. Die Amerikaner hatten die Flügel ihrer zurückgehenden Linie gewandt und geschickt zu einer Kolonne zusammengezogen, die sich südlich von den langsam sie verfolgenden Deutschen hielt. Dann hatten sie, in der Dunkelheit vor dem Tagesanbruch, gedreht, und dampften jetzt in gedrängter Ordnung nordwärts, in der Absicht, die deutsche Schlachtlinie zu durchbrechen und die Flottille anzugreifen, die zur Unterstützung der deutschen Luftflotte auf New York zuhielt. Vieles hatte sich geändert seit dem ersten Zusammenstoß der Flotten. Der amerikanische Admiral, O'Connor, war jetzt vollkommen über die Existenz der Luftschiffe unterrichtet, und wandte seine Hauptaufmerksamkeit nicht mehr auf Panama, da er Nachricht hatte, daß die Unterseeflottille aus Key West dort eingetroffen und die Delaware und die Abraham Lincoln, zwei mächtige und vollkommen moderne Schiffe, schon in Rio Grande, auf der Pazifikseite des Kanals waren. Eine Kesselexplosion an Bord der Susquehanna verzögerte jedoch ihr Manöver, und der Tagesanbruch fand diese letztere so dicht bei der Weimar und der Bremen, daß diese sofort das Gefecht eröffneten. Wollte O'Connor sie nicht im Stich lassen, so mußte er mit der ganzen Flotte angreifen. O'Connor wählte das letztere. Es war keineswegs ein hoffnungsloser Kampf. Die Deutschen standen, obwohl weit zahlreicher und stärker als die Amerikaner, in einer von Flügel zu Flügel fast fünfundvierzig Meilen messenden, zerstreuten Linie, und die Möglichkeit lag sehr nahe, daß, ehe sie sich zum Kampf sammeln konnten, die Kolonne von sieben Amerikanern sie von einem Ende zum andern gesprengt haben würde.

Der Tag brach grau und umwölkt an, und weder die Bremen noch die Weimar bemerkten, daß sie es mit mehr als nur mit der Susquehanna zu tun hatten, bis das ganze Geschwader in einer Entfernung von kaum einer Meile oder weniger hinter dieser aufzog und zum Angriff vorging. So war die Lage der Dinge, als die Vaterland in der Luft erschien. Der rote Schein, den Bert durch die Wolkenwand gesehen hatte, kam von der unglücklichen Susquehanna; sie stand fast augenblicklich in Flammen und legte sich auf die Seite, focht aber noch immer mit zwei ihrer Kanonen und dampfte langsam südwärts. Die Bremen und die Weimar, beide an verschiedenen Stellen getroffen, entfernten sich nach West bei Süd von ihr. Die amerikanische Flotte, an der Spitze die Theodore Roosevelt, kreuzte hinter ihnen durch und schnitt ihnen den Weg ab, indem sie sich zwischen sie und die große moderne Fürst Bismarck stellte, die von Westen her kam.

Bert kannte natürlich die Namen all dieser Schiffe nicht und hielt, irregeleitet durch die Richtung, in der die Kämpfenden vorgingen, lange Zeit die Deutschen für die Amerikaner und umgekehrt. Er sah – wie er glaubte – ein Geschwader von sechs Panzerschiffen drei andere verfolgen, die durch einen Neuankömmling unterstützt wurden; bis schließlich der Umstand, daß die Bremen und die Weimar auf die Susquehanna feuerten, seine Berechnungen über den Haufen warf. Eine Zeitlang war er jetzt ganz verwirrt. Auch betäubte ihn der Lärm der Kanonen. Sie gingen jetzt nicht mehr bum – bum –, sondern krach – krach – krach – krach –, und bei jedem schwachen Blitz zitterte sein Herz in Erwartung des darauffolgenden Schlags. Zudem sah er diese Kriegsschiffe nicht, wie er gewohnt war, Kriegsschiffe auf Abbildungen zu sehen, im Profil, sondern von oben und sonderbar verkürzt. Fast überall zeigten sie leere Decks; nur da und dort hielten kleine Trupps von Menschen sich hinter stählernen Bollwerken verschanzt. Die langen, beweglichen Mündungen der Kanonen und die ihre dünne, durchsichtige Feuerstrahlen ausspeienden Schnellfeuergeschütze der Breitseiten waren so von der Vogelschau aus die Hauptzüge im Bilde. Die Amerikaner waren Turbinendampfer und hatten jeder zwei bis vier Schornsteine; die Deutschen zeigten größeren Tiefgang, sie besaßen Explosionsmotoren, die jetzt aus irgendeinem Grunde ein dumpfes Grollen von sich gaben. Ihrer Dampfturbinen wegen waren die Amerikaner größer und von eleganterem Bau. Und all diese verkürzten Schiffe sah er da unten schlingern und stampfen und ihre Kanonen über riesige, niedere Wellen, unter dem kalten, scharfen Licht des jungen Tages, gegeneinander feuern. Das ganze Schauspiel schaukelte sachte mit dem rhythmischen Steigen und Sinken des Luftschiffs hin und her.

Zuerst tauchte von der ganzen fliegenden Flotte nur die Vaterland über der Bildfläche drunten auf. Sie schwebte hoch über der Theodore Roosevelt, indem sie mit der vollen Geschwindigkeit des Schiffes Schritt hielt. Es mußte vom Schiff aus dann und wann durch die treibenden Wolken deutlich sichtbar sein. Der Rest der deutschen Luftflotte blieb in einer Höhe von sechs- bis siebentausend Fuß über dem Wolkenzelt, unterhielt zwar vermittels drahtloser Telegrafie einen lebhaften Verkehr mit dem Flaggschiff, ohne sich aber der Artillerie unten auszusetzen.

Es ist ungewiß, zu welchem bestimmten Zeitpunkt die unglücklichen Amerikaner die Gegenwart dieses neuen Faktors im Kampf bemerkten. Kein Bericht darüber ist vorhanden. Wir müssen uns so gut als möglich vorzustellen versuchen, was es für einen kampfesmüden Seemann gewesen sein muß, als er beim Emporblicken plötzlich über seinem Kopf diese riesige, lange, stumme Erscheinung erblickte, die bei weitem größer als jedes Kriegsschiff war und von deren Hinterteil eine große deutsche Flagge wehte. Dann, als der Himmel sich aufhellte, tauchten durch die abziehenden Wolken immer mehr und mehr solcher Schiffe im Blau auf, alle in stolzer Verachtung, ohne jede Armierung, ohne Kanonen, und alle in raschem Flug dahineilend, um mit dem Kampf unten Schritt zu halten.

Von Anfang bis zu Ende wurde nicht eine einzige Kanone auf die Vaterland abgefeuert, und nur wenige Gewehrschüsse. Es war lediglich ein unglücklicher Zufall, daß ein Mann an Bord getötet wurde. Es beteiligte sich auch nicht direkt am Kampf – bis zum Schluß. Es schwebte über der dem Untergang geweihten amerikanischen Flotte, während der Prinz vermittels drahtloser Telegrafie die Bewegungen der andern Luftschiffe dirigierte. Jetzt eilten die Vogelstern und die Preußen, jedes Luftschiff mit einem halben Dutzend Drachenflieger im Schlepptau, mit voller Fahrgeschwindigkeit herbei, übernahmen die Tête, und sanken dann, als sie den Amerikanern etwa um fünf Meilen voraus waren, durch die Wolken abwärts. Die Theodore Roosevelt feuerte sogleich mit ihren großen Kanonen aus ihrem vorderen Barbette; aber die Granaten krepierten weit unter der Vogelstern; und gleich darauf senkten sich ein Dutzend Ein-Mann-Drachenflieger herab, um ihrerseits den Angriff zu beginnen.

Bert, der noch immer den Hals zum Kabinenfenster hinausreckte, sah das Ganze mit an – diesen ersten Zusammenstoß zwischen Aeroplanen und Panzerschiffen. Er sah die seltsamen deutschen Drachenflieger mit ihren breiten, flachen Flügeln und viereckigen, schachtelförmigen Köpfen, ihren auf Rädern laufenden Rümpfen und ihrem einzelnen Reiter gleich einem Flug Vögel durch die Luft niederstoßen. »Alle Wetter!« sagte er. Einer rechts kippte plötzlich um, schoß senkrecht in die Luft hinauf, zerplatzte mit einem lauten Knall und stürzte lodernd in das Meer hinunter. Ein anderer fiel kopfüber ins Wasser und schien, als er die Wellen berührte, in tausend Stücke zu zerspringen. Auf dem Deck der Theodore Roosevelt sah er jetzt kleine Menschen umhereilen, die von oben nur wie Köpfe und Beine aussahen; sie machten sich bereit, auf die anderen zu schießen. Jetzt schoß die erste Flugmaschine zwischen Bert und das Deck des Amerikaners. Ein Krach, und ihre Bombe schmetterte mitten in die Vorderbarbette. Ein dünnes, kleines Geknatter von Gewehrfeuer antwortete. Bum, bum, bum, gingen die Schnellfeuerkanonen der amerikanischen Batterie; und Krach! kam als Antwort eine Granate von der Fürst Bismarck. Dann kamen eine zweite und eine dritte Flugmaschine zwischen Bert und das amerikanische Panzerschiff und warfen gleichfalls ihre Bomben; eine vierte, deren Reiter von einer Kugel getroffen war, taumelte abwärts und zerschmetterte in tausend Stücke, explodierte zwischen den Schornsteinen und zertrümmerte sie. Bert sah in einer Sekunde ein kleines schwarzes Wesen von der brennenden Flugmaschine abstürzen, gegen den Schornstein anprallen und leblos niedersausen, um sogleich durch Blitz und Schlag der Explosion in nichts zu verfliegen.

Krach! Eine ungeheure Explosion im Vorderteil des amerikanischen Flaggschiffs. Ein Riesenstück Metall schien sich daraus emporzuheben und in die See zu stürzen. In die Lücke, die es hinterließ, schleuderte ein Drachenflieger eine feuersprühende Bombe. Und dann – einen Augenblick lang, sah Bert, im immer heller werdenden, erbarmungslosen Tageslicht, nur allzu klar: eine Anzahl winziger, krampfhaft sich bewegender Lebewesen, die im schäumenden Kielwasser der Theodore Roosevelt kämpfen. Was war das? Doch nicht Menschen? Doch sicherlich keine Menschen? Mit ihren klammernden Fingern rissen und zerrten die zerschmetterten, ertrinkenden Lebewesen an Berts Seele. »O Gott!« rief er. Und noch einmal, fast wimmernd: »O Gott!« Er blickte wieder hin; sie waren verschwunden, und der schwarze, durch den letzten Schuß der sinkenden Bremen leicht entstellte Rumpf der Andrew Jackson teilte die Wasser, die sie verschlungen hatten, in zwei gleiche symmetrische Wellenlinien. Ein paar Augenblicke lang sah Bert vor blindem, hilflosem Entsetzen überhaupt nichts mehr von der Verwüstung da unten.

Dann – mit einem weithin donnernden Getöse – flog die Susquehanna, die einen ganzen speienden Vulkan krachender kleiner Explosionen auf ihrem Rücken zu tragen schien, und jetzt drei Meilen oder mehr ostwärts lag, auf und verschwand unmittelbar darauf in kochendem, dampfendem Gischt. Einen Augenblick lang sah man nichts als aufgewühlte Wasser; dann warf mit furchtbarem Gurgeln die Tiefe Wirbel von Dampf und Luft und Petroleum und Bruchstücke von Segeltuch und Holzwerk und Menschen aus.

Eine Pause entstand jetzt im Gefecht. Eine lange Pause, wie es Bert erschien. Er sah nach den Drachenfliegern aus. Die plattgeschmetterten Trümmer des einen schwammen im Kielwasser der Monitor, die anderen waren, Bomben in die amerikanische Linie schleudernd, vorbeigezogen. Ein paar waren im Wasser – augenscheinlich unverletzt. Und drei oder vier waren noch in der Luft und kehrten eben in weitem Bogen zu ihren Mutterluftschiffen zurück. Die amerikanischen Kriegsschiffe standen nicht mehr in Dwarslinie. Die Theodore Roosevelt, schwer beschädigt, hatte sich nach Südosten gewandt; und die Andrew Jackson, zwar sehr mitgenommen, aber in ihren Gefechtsteilen unverletzt, schob sich zu ihrer Deckung zwischen sie und die noch frische und kampffrohe Fürst Bismarck. Im Westen erschienen die Hermann und die Germanicus und traten in Aktion.

In der Pause nach dem Untergang der Susquehanna vernahm Bert ein schwaches Geräusch – wie das Knarren einer schlechtgeölten, verrosteten Türangel beim Öffnen: Es war das Hurrageschrei der Mannschaft der Fürst Bismarck.

Und dann – noch immer während dieser Pause im Aufruhr – stieg die Sonne empor. Die dunkeln Wasser wurden leuchtend blau, und ein Strom goldenen Lichts verklärte die Welt. Es war wie ein plötzliches Lächeln in einer Szene voll Haß und Entsetzen. Der Wolkenschleier war wie durch Zauber verschwunden; und die ganze Unermeßlichkeit der deutschen Luftflotte zeigte sich am Himmel – der Luftflotte, die jetzt auf ihre Beute herabstieß.

Krach – bum – krach – bum – hoben jetzt die Kanonen wieder an. Aber Panzerschiffe waren nicht für den Kampf mit dem Zenit gemacht, und das einzige, was die Amerikaner vermochten, waren da und dort ein paar glückliche Schüsse in einem im allgemeinen gänzlich wirkungslosen Gewehrfeuer. Ihre Kolonne war jetzt ganz gesprengt; die Theodore Roosevelt war, als Wrack, mit kampfunfähigen Vorderdeckgeschützen, hinter der Linie zurückgeblieben; die Susquehanna war gesunken, und die Monitor befand sich in ernstlicher Gefahr. Sie und die Theodore Roosevelt hatten ihr Feuer ganz eingestellt, ebenso die Weimar und die Bremen. Alle vier Schiffe lagen, in einem Waffenstillstand wider Willen, auf Schußweite nebeneinander, und alle vier hatten noch ihre Flagge aufgezogen. Nur vier amerikanische Schiffe, an der Spitze die Andrew Jackson, hielten noch ihren Kurs nach Südosten. Parallel mit ihnen, fortwährend feuernd, dampften die Fürst Bismarck, die Hermann und die Germanicus und versuchten, sie zu überholen. In der Luft erhob sich langsam die Vaterland und bereitete sich auf den Schlußakt des Dramas vor.

Jetzt nahmen etwa ein Dutzend Luftschiffe Aufstellung hintereinander und ließen sich dann rasch, aber ohne Hast, in Verfolgung der amerikanischen Flotte durch die Luft nieder. Sie blieben in einer Höhe von zweitausend Fuß oder mehr, bis sie über oder etwas vor dem letzten Panzerschiff standen; dann schossen sie rasch, inmitten eines Kugelregens, nieder und warfen, indem sie um eine Idee schneller gingen als unten das Schiff, einen Hagelschauer von Bomben auf seine mangelhaft geschützten Decks, bis diese eine einzige große Fläche voll detonierender Flammen waren. So zogen die Luftschiffe, eins hinter dem andern, über die amerikanische Linie weg, die noch immer versuchte, den Kampf gegen die Fürst Bismarck, die Hermann und die Germanicus aufrecht zu erhalten; und jedes Luftschiff brachte neue Verheerung und Verwirrung zu der alten, die sein Vorgänger angerichtet hatte. Das Kanonenfeuer der Amerikaner hörte bis auf wenige heldenmütige Geschütze auf; aber noch immer dampften sie weiter, hartnäckig, unbesiegt, blutig, zerschlagen, in grimmem Widerstand, Kugeln nach den Luftschiffen speiend und erbarmungslos verfolgt von den deutschen Panzerschiffen. Aber Bert erhaschte jetzt nur noch ab und zu einen flüchtigen Blick auf sie zwischen den massigen Rümpfen der Luftschiffe durch, die sie bekämpften …

Dann fiel es plötzlich auf, daß die Schlacht ferner rückte und immer kleiner und unhörbarer wurde. Die Vaterland erhob sich durch die Luft, langsam und stumm, bis das Donnern der Kanonen nicht mehr das Herz traf, sondern nur noch – gedämpft durch die Entfernung – ans Ohr schlug, und bis die vier stumm gewordenen Schiffe im Osten kleine, ferne Punkte waren. Aber waren es auch vier? Bert sah nur noch drei der schwimmenden, schwarzen, rauchenden Schiffsruinen in der Sonne dort unten. Aber die Bremen hatte zwei Boote ausgesetzt; und auch die Theodore Roosevelt ließ Boote herab, auf die eine Masse von winzigen, kämpfenden, mit den breiten, großen Wellen des Atlantik steigenden und fallenden Pünktchen zutrieb … Vaterland folgte der Schlacht nicht länger. Und der ganze hastende Tumult da unten trieb davon, südostwärts – wurde kleiner und kleiner, verstummte mehr und mehr … Eines der Luftschiffe lag brennend auf dem Wasser wie ein ferner riesiger Flammenwirbel, und weit im Südwesten tauchten erst eines und dann drei weitere deutsche Panzerschiffe auf, die ihren Kameraden zu Hilfe eilten …

 

VI

Ruhig und sicher stieg die Vaterland wieder empor und mit ihr die ganze Luftflotte, und nahm ihren Kurs auf New York zu; und die Schlacht wurde etwas ganz Kleines – weit Entferntes –; ein zufälliges kleines Erlebnis vor dem ersten Frühstück. Sie schrumpfte zusammen zu einer fernen Kette von dunkeln Formen und einem rauchenden gelben Feuerschein, der bald darauf nur noch ein undeutlicher Fleck im weiten Horizont und dem neuen, hellen Tag und schließlich ganz verschwunden war …

So also sah Bert Smallways den ersten Kampf des Luftschiffs und den letzten Kampf jener seltsamsten aller Dinge in der ganzen Kriegsgeschichte: der Panzerschiffe, deren Laufbahn mit den schwimmenden Batterien des Kaisers Napoleon III. im Krimkrieg begann und bei einem ungeheuren Aufwand an menschlicher Energie und an Kosten siebzig Jahre lang dauerte. Während dieses Zeitraums produzierte die Welt über zwölftausendfünfhundert dieser seltsamen Ungeheuer, in Klassen, in Typen, in Serien, jedes größer und schwerer und tödlicher als seine Vorgänger. Jedes wurde zuerst als ein Wunder seiner Zeit begrüßt, die meisten wurden zuletzt als altes Eisen verkauft. Nur etwa fünf Prozent von allen kämpften jemals in einer Schlacht mit. Einige gingen unter, andere strandeten und sanken, wieder andere rannten einander aus Versehen an und sanken. Das Leben zahlloser Menschen, das wundervolle Genie und die Geduld von Tausenden von Ingenieuren und Erfindern, unermeßliche Schätze an Geld und Material wurden in ihrem Dienst verbraucht; verkommene, verhungerte Existenzen an Land, Millionen von Kindern, die zu harter Arbeit gezwungen waren, unzählige ungenutzte, verlorene Möglichkeiten kostbaren Lebens haben wir ihnen zu verdanken. Für sie mußte Geld beschafft werden um jeden Preis – das war Gesetz für die Existenz einer Nation in jener seltsamen Zeit. Wahrlich – sie waren die unheimlichsten, die unheilbringendsten und kostspieligsten aller Riesenfaultiere in der ganzen Geschichte der mechanischen Erfindung.

Und dann machten billige Dinger aus Gas und Drahtgeflecht, die aus der Luft nach ihnen zielten, ihnen ganz und für immer ein Ende!

Noch nie zuvor hatte Bert Smallways so der bloßen Vernichtung ins Auge geschaut, noch nie waren ihm Verschwendung und Verheerung des Kriegs so zum Bewußtsein gekommen. Langsam begriff es sein aufgeschreckter Geist: auch dies war Leben! Aus all dem leidenschaftlichen Sturm der Empfindung löste sich – als Haupteindruck – ein Bild: das Bild der Mannschaft der Theodore Roosevelt, die nach der Explosion der ersten Bombe mit den Wellen gerungen hatte. »Herrgott« sagte er bei der Erinnerung … »Und das hätten grade so gut ich und Grubb sein können! … Man schlägt um sich – und Wasser läuft einem in den Mund, denk' ich mir … Lange wird's ja nicht dauern, glaub' ich.«

Es drängte ihn, zu sehen, was für einen Eindruck das alles auf Kurz gemacht hatte. Auch fühlte er, daß er hungrig war. Zögernd ging er zur Tür der Kabine und spähte hinaus in den Gang. Ganz unten, vorn, wo es zur Kantine abging, stand eine kleine Gruppe von Luftschiffern und besah sich etwas, das eine Nische ihm verbarg. Einer von ihnen war in dem leichten Taucheranzug, den Bert schon in der Gaskammermansarde gesehen hatte, und es kam ihm die Lust an, hinzugehen und sich den Mann und den Helm, den er unter dem Arm trug, näher zu betrachten. Aber als er zu der Nische kam, vergaß er den Helm. Vor ihm auf dem Boden lag der Leichnam des Mannes, den eine Kugel von der Theodore Roosevelt getötet hatte.

Bert hatte gar nicht bemerkt, daß überhaupt Kugeln bis zur Vaterland emporgedrungen waren; er wußte gar nicht, daß sie im Feuer gewesen war. Eine ganze Weile begriff er gar nicht, was den Jungen getötet hatte; es erklärte es ihm auch keiner.

Der Mann lag noch ganz so wie er gefallen und gestorben war – die Jacke zerrissen und versengt, das Schulterblatt zerschmettert und vom Rumpf gerissen und die ganze linke Seite seines Körpers zerfetzt und zermalmt. Er war voller Blut. Die Leute hörten dem Mann mit dem Helm zu, der allerhand erklärte und auf das runde Loch im Boden und die klaffende Holzverkleidung des Ganges wies, an denen das noch immer bösartige Geschoß den Rest seiner Kraft ausgelassen hatte. Alle Gesichter waren ernst und nachdenklich: Gesichter von blonden, blauäugigen, nüchternen Männern, die an Gehorsam und geordnetes Leben gewöhnt waren und denen dies vernichtete, nasse, jammervolle Etwas, das noch vor kurzem ihr Kamerad gewesen war, ebenso fremd und seltsam deuchte wie Bert.

Den Gang herab, von der Richtung der kleinen Galerie her, erscholl jetzt lautes Lachen, und jemand sprach – auf deutsch – in Tönen höchsten Triumphs.

Andere Stimmen von leiserem, respektvollerem Klang antworteten.

»Der Prinz!« sagte einer, und alle die Männer wurden steifer und weniger natürlich. Den Gang herab kam eine Gruppe von Personen. An der Spitze Leutnant Kurz mit einem Pack Papieren in der Hand.

Als er das Ding in der Nische erblickte, stand er stockstill, und sein frisches Gesicht ward weiß. »Oh!« sagte er bestürzt. Der Prinz kam dicht hinter ihm und redete über die Schulter weg mit dem Kapitän und Winterfeld. »He?« sagte er zu Kurz, indem er sich mitten im Satz unterbrach und der Bewegung von Kurz' Hand folgte. Er starrte den zerfetzten Gegenstand in der Nische an und schien einen Augenblick zu überlegen.

Dann machte er eine leichte Handbewegung nach dem Leichnam und wandte sich zum Kapitän.

»Fortschaffen!« sagte er und ging weiter, indem er in dem eben unterbrochenen Satz fortfuhr.

 

VII

Das Bild der hilflos ertrinkenden Menschen, das Bert hauptsächlich von dem Kampf im Atlantik geblieben war und das ihm einen so starken Eindruck gemacht hatte, vermischte sich unauflöslich mit dem der herrischen Persönlichkeit des Prinzen Karl Albert, wie er mit einer Handbewegung an der Leiche des getöteten Luftschiffers vorüberschritt. Bert hatte bisher sich in dem Gedanken gefallen, daß der Krieg eher etwas Lustiges, Wildes, Aufregendes sein müsse, so etwa in der Art einer Pfingstmontagkeilerei großen Stils, im ganzen erfreulich und angenehm. Jetzt wußte er es besser.

Der nächste Tag trug noch mehr zum Schwinden seiner Illusionen bei, durch einen Eindruck, der an sich trivial und eine bloße, unumgänglich notwendige alltägliche Begleiterscheinung des Kriegszustandes war, aber auf seine humane Phantasie äußerst verletzend wirkte. Man bedient sich des Ausdrucks »human«, um eine gewisse, jener Periode eigene Weichmütigkeit auszudrücken. Es gehört zu den eng durcheinanderwimmelnden Stadtmenschen jener Zeit, daß sie – ganz verschieden von jeder normalen Erfahrung aus vorhergehenden Zeitaltern – niemals töten sahen, niemals, außer durch die Vermittlung von Büchern oder Bildern, dem Faktum der gewaltsamen Tötung gegenüberstanden, die allem Leben zugrunde liegt. Dreimal in seinem Dasein, nur dreimal, hatte Bert einen toten Menschen gesehen; töten sehen hatte er nie etwas, außer höchstens ein neugeborenes Kätzchen.

Das Geschehnis, das ihm diesen dritten Schock versetzte, war die Hinrichtung eines der Leute auf der Vogelstern, der beim Anstecken einer Pfeife ertappt worden war. Der Mann war in flagranti überrascht worden. Er hatte sie, als er an Bord kam, vergessen. Strengste Verbote gegen dieses Vergehen waren jedem einzelnen eingeschärft worden, und an den verschiedensten Stellen in jedem einzelnen Luftschiff angeschlagen. Zu seiner Verteidigung brachte der Mann vor, er sei an die Verbote so gewöhnt gewesen und seine Arbeit hätte ihn so in Atem gehalten, daß er sie gar nicht mehr auf sich bezogen hätte. Er brachte also als Milderungsgrund vor, was beim Militär ein weiteres schweres Verbrechen ist – Unaufmerksamkeit. Die Untersuchung führte sein Kapitän, der Urteilsspruch wurde vom Prinzen vermittels drahtloser Telegrafie bestätigt, und es wurde beschlossen, an seinem Tod ein Exempel für die ganze Flotte zu statuieren. »Zum Maulaffenfeilhalten«, erklärte der Prinz, »seien die Deutschen nicht über den Atlantik geflogen!«

Und damit diese Lektion in Disziplin und Gehorsam für alle sichtbar sein sollte, wurde beschlossen, den Verbrecher nicht elektrisch hinzurichten oder zu ertränken, sondern ihn zu hängen.

Demgemäß sammelte sich die Luftflotte um das Flaggschiff wie Karpfen in einem Teich zur Fütterungszeit. Die Vogelstern hing im Zenit, unmittelbar neben dem Flaggschiff. Die ganze Mannschaft der Vaterland versammelte sich auf der Schwebegalerie; die Mannschaften der übrigen Luftschiffe hielten die Luftkammern besetzt, das heißt sie kletterten am Außennetz empor. Die Offiziere erschienen auf den Plattformen der Maschinengeschütze. Bert, der von seinem Platz aus die ganze Flotte unter sich sah, fand den Anblick geradezu überwältigend. Ganz unten, fern, sah er, als winzigste Objekte und gleichsam als Maßstab für das ganze Schauspiel, zwei Dampfer auf dem gekräuselten blauen Wasser – einer ein Engländer, der andere unter amerikanischer Flagge. Sie schienen unermeßlich fern. Bert stand auf der Galerie, voll Neugier auf die Exekution und voller Unbehagen.

Jetzt wurde der Mann von der Vogelstern gehängt. Sie hatten ein Tau von sechzig Fuß genommen, damit alle Übeltäter, die etwa auch Streichhölzer mit sich herumtrugen oder sich eines ähnlichen Ungehorsams schuldig machten, ihn deutlich sehen sollten. Bert sah ihn stehen – in dieser Sekunde noch ein lebender, widerstrebender Mensch, im Herzen sicherlich voll Furcht und Empörung, äußerlich aufrecht und stramm. Er stand auf der unteren Galerie der Vogelstern, etwa hundert Meter von Bert. Dann warfen sie ihn über Bord …

Er fiel, mit ausgestreckten Händen und Füßen, bis er mit einem Ruck am Ende des Taus angelangt war. Und nun hätte er sterben und zur allgemeinen Erbauung baumeln sollen. Aber etwas weit Fürchterlicheres geschah. Der Kopf trennte sich glatt vom Rumpf, und der Körper stürzte, in rasendem Schwung sich um sich selbst drehend, ein klägliches, groteskes, phantastisches Etwas, in die See. Der Kopf flog hinterher.

»Uff!« sagte Bert, sich ans Geländer klammernd; von verschiedenen der Leute neben ihm kam ein mitfühlendes Knurren.

Eine lange Weile blieb Bert an das Geländer der Galerie angeklammert stehen. Er empfand fast ein physisches Übelbefinden vor Entsetzen über dieses eine unwichtige Geschehnis. Er fand es weit schrecklicher als die Schlacht. Er war eben ein ganz degenerierter, moderner, zivilisierter Mensch …

Spät am Nachmittag kam Kurz in die Kabine und fand ihn, in seine Decken gewickelt und mit einem sehr weißen und kläglichen Gesicht, auf der Truhe zusammengekauert. Auch Kurz hatte etwas von seiner ursprünglichen Frische eingebüßt.

»Seekrank?« fragte er.

»Nein.«

»Heut abend müssen wir New York erreichen. Es bläst uns eine gute Brise unter das Heck. Dann werden wir was erleben.«

Bert antwortete nicht.

Kurz schlug Klapptisch und Stuhl auf und raschelte eine Weile mit seinen Karten. Dann lehnte er sich in düsterm Sinnen zurück. Schließlich raffte er sich zusammen und blickte zu seinem Kabinengenossen hinüber. »Was ist los?« fragte er.

»Nichts.«

Kurz starrte ihn drohend an. »Was ist los?« wiederholte er.

»Ich hab' gesehen, wie sie den Menschen umgebracht haben. Ich hab' gesehen, wie die Flugmaschine auf die Schornsteine stieß. Ich hab' den toten Burschen im Gang gesehen. Ich hab' zu viel Tod und Verderben gesehen heut! Das ist los. Ich mag es nicht. Ich hab' nicht gewußt, daß das der Krieg ist. Ich bin kein Soldat. Ich mag es nicht!«

»Ich mag es auch nicht«, sagte Kurz. »Beim Zeus! Nein!«

»Ich hab' über den Krieg gelesen und all so was. Aber wenn man es sieht, ist's anders. Und ich werd' auch schwindlig. Erst hat es mir gar nichts ausgemacht, daß ich in dem Ballon war; aber dies ewige Hinunterschauen und über alles andere Wegfliegen, und die Menschen zerschmettern, das geht mir nachgerade auf die Nerven. Verstehen Sie?«

»Wird auch wieder abgehen müssen.«

Kurz dachte nach. »Sie sind nicht der einzige. Die Leute sind alle ein bißchen mitgenommen. Fliegen – nun, das ist eben Fliegen. Natürlich macht es einen erst ein bißchen dumm im Kopf. Und was das Töten betrifft – nun, wir müssen uns eben ans Blut gewöhnen. Das ist alles. Wir sind zahme, zivilisierte Menschen. Und wir müssen uns ans Blut gewöhnen. Ich glaube, es ist kein Dutzend Leute auf dem Schiff, die wirkliches Blutvergießen erlebt haben. Ruhige, wohlerzogene, gehorsame Deutsche sind sie gewesen bis jetzt … Und jetzt so mitten drin … Natürlich sind sie ein bißchen verweichlicht jetzt. Aber warten Sie nur, bis sie erst einmal ordentlich angefangen haben!«

Er sann nach. »Jeden nimmt's ein bißchen mit«, sagte er dann.

Er wandte sich wieder seinen Karten zu. Bert saß zusammengekauert in der Ecke, augenscheinlich ohne auf ihn zu hören. Eine Weile sprachen beide nicht.

»Wozu mußte der Prinz eigentlich den Burschen aufhängen lassen?« fragte Bert plötzlich.

»Das war ganz in der Ordnung«, erwiderte Kurz, »das war ganz in der Ordnung. Ganz. Die Vorschriften waren da, so klipp und klar, wie die Nase in Ihrem Gesicht, und der Esel läuft mit einer Pfeife herum –«

»Alle Wetter! Das werd' ich nicht so bald wieder vergessen!« sagte Bert, ohne auf ihn zu hören.

Kurz erwiderte nichts. Er maß die Entfernung bis New York und vertiefte sich in Spekulationen. »Wie wohl die amerikanischen Aeroplane sein mögen?« fragte er. »So ähnlich wie unsere Drachenflieger? … Morgen um diese Zeit werden wir's ja wohl wissen … Möcht' wissen, was wir dann wissen werden! … Wenn sie nun doch einen Kampf riskieren? … Närrische Art von Kampf das!«

Er pfiff sachte vor sich hin und überlegte. Dann lief er aus der Kabine, und Bert fand ihn später im Zwielicht auf der schwankenden Plattform, wo er in die Höhe starrte und über Dinge spekulierte, die morgen geschehen konnten. Wolken verschleierten wieder die See, und der lange, keilförmige Schwarm von im Flug sich hebenden und senkenden Luftschiffen glich einer Herde seltsamer, fremdartiger, neuer Schöpfungen in einem Chaos, das weder Erde noch Wasser war, sondern nichts als Nebel und Luft.

 


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