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13

Es war ein ernster, vorsorglicher Mann, der die vorige Nacht an diesem Tisch bis in die frühen Morgenstunden schrieb. War das ich? Vor zehn, vor acht Stunden? Die Schrift läuft ohne Zögern hin, höchst vernünftig. Dies hat zu geschehen und dann das. Eine Reihe von Leuten sind zu interviewen. Und die Behandlung Clementinas scheint mir, um es mild auszudrücken, anständig ...

Dieser methodische, umsichtig planende Bursche ist, wie ich zugebe, mein besseres Ich. Ich bin mit ihm immerhin so weit identisch, daß ich einige Stilfehler verbessern und einen oder den anderen Satz ändern kann, wenn er nicht ganz klar geraten ist. Aber ich kann in dieser Richtung nichts mehr schreiben.

Und wie mir scheint, überhaupt nichts mehr. Seit einer Stunde habe ich kein Wort geschrieben. Ich sitze bei meinem Tisch, zufolge der unumstößlichen Gesetze der Villa Jasmin, aber meine Gedanken gehen mir durch. Ich kann an nichts denken als an Clementina.

Wie ist unsere Geschichte doch sonderbar, aus Zufall geboren und phantastisch! Am Ende wie am Anfang jeder individuellen Sache steht sorglos, unverantwortlich der Zufall und lächelt unserer Regeln, unserer Voraussicht, unserer Vorsorge. Vielleicht hat das große Leben des Menschengeschlechtes irgend ein anderes, uns unbekanntes Gesetz; ich glaube fast, daß dem so ist; wir Individuen aber, Atome des großen Lebens, scheinen vom Zufall regiert.

Gestern stand ich zu den Sternen in Beziehung. Ich war nicht nur historisch und geographisch, ich war astronomisch, ich war riesenhaft. Ich saß und schrieb über die große Revolution der Menschheit, schrieb vom Altwerden und von der ernsten Verantwortung der Alternden und vom Tode. Heute morgen habe ich ein beliebiges Alter oder überhaupt keines. Ich bin ein Mann und bald kommt meine Frau zu mir herunter, und ich habe Gaben für sie, kann ihr ein Glück schenken.

Ich wollte, sie wäre jetzt bei mir, aber es war ja mein Wille, der bestimmte Gesetze zwischen uns aufgestellt hat. Ein und ein halbes Jahr habe ich sie warten lassen, und nun machen mich Minuten des Wartens ungeduldig. Ich will ihr mitteilen, was ich beschlossen habe.

Gestern abend war ich noch nicht einmal sicher, wann wir die Lage verändern sollten, und zweifelte, ob ich Clementina sofort in dieses Haus nehmen würde. Heute bin ich von Ungeduld erfüllt, sie hier zu sehen und die letzte Wolke aus ihrem sonnigen Gemüt zu scheuchen. Sie wird tun, was ich wünsche, sie muß tun, was ich wünsche. Jetzt, gleich. Es wäre mir unerträglich, zu denken, daß wir nicht schon diesen Nachmittag ihre Habseligkeiten aus der Pension hieher schafften, ihre lieben Teppiche, ihre kleine Schreibmaschine, ihre Lieblingsbücher und ihre Töpfe und Vasen, und daß wir nicht heute nacht schon von dem gemeinsamen Leben sprechen sollten, das nun vor uns liegt.

Es ist ein Tag voll Sonnenschein, und nur die Gewohnheit eines Jahres und die Tatsache, daß Clementina heute später als sonst zum Frühstück kommt, halten mich an diesem Schreibtisch fest. Ich sitze hier, kritzele ein wenig und stehe wieder auf. Dreimal bin ich schon unten gewesen und bis an das Ende der Terrasse gegangen, um auf den Weg hinunter zu sehen, auf dem sie zu mir kommen wird.

Ich weiß genau, wie sie kommen wird, mit erhobenem Kinn, mit tänzelndem Schritt – sie ist sehr leichtfüßig –, mit flatterndem kurzen Rock, das Gesicht ernst, aber zu einem Lächeln bereit, das aufblitzt, wenn sie meiner ansichtig wird. Es ist ein sehr schenkensfrohes Lächeln. Wie oft hat es mich entzückt!

Ich war dreimal unten, aber ich weiß nicht, wie oft ich schon zum offenen Fenster hinausgesehen habe, hinunter auf den fröhlich gedeckten, hergerichteten Frühstückstisch neben der Palme unter der japanischen Mispel.

Der heutige Tag hat etwas Festliches. Es ist, als ob das Sonnenlicht heute frisch angezündet worden wäre; die Schatten sind voll stiller Erwartung. Alles ist in Ruhe, in Feiertagsruhe; meine Katze, die regungslos auf der Balustrade liegt, könnte das sanfte graue Bildnis einer Katze sein. Die Blumenbeete glühen in bunten Farben. Die Rosen sind wunderbar, und nie habe ich solche Irisblüten, niemals solche Nelken gesehen.

Ich habe dieselbe freudige Qual des Wartens in meiner Kindheit in Mowbray gekannt, dieselbe Ruhelosigkeit, denselben Zwang, immer wieder vor die Tür zu laufen, wenn mein Vater heimkam.

Irgend etwas muß sie aufgehalten haben, und da es zwei Wege den Hügel herab gibt, ist es nicht bestimmt, welchen sie nehmen wird. So bin ich gezwungen, hier zu bleiben und an meinen Schriften herumzukritzeln, bis sie kommt.

Ich will in diesem Zimmer auf sie warten, hier werden wir sicher allein sein. Unten würde Jeanne uns vielleicht neugierig belauschen und auf dem Hügel droben könnten irgend welche Bauern uns beobachten. Die wenigen Worte, die ich zu sagen habe, sollen gesagt werden, wenn wir allein sind; dieser Augenblick muß uns ganz allein gehören. Hier will ich ihr diese Worte sagen, hier in diesem Raum, der in der Theorie ihr immer verschlossen war.

Ich bilde mir ein, daß Titza in der Ferne bellt und sie ankündigt.

Dieser Apriltag ist voll Leben und Bewegung, voll Wärme und Frühlingsdrängen. Ich zittere, es ist ganz töricht.

Wieder höre ich Titzas schwaches Gebell und nun weiß ich, daß sie kommt. Ich höre ihre Stimme ganz in der Nähe, ihre helle Stimme, die mich an klares kaltes Wasser erinnert. »Titza«, ruft sie. »Komm', komm'.«

In wenigen Augenblicken wird sie unter meiner Türe stehen, zweifelnd, wie sie empfangen werden wird. Sie wird mich einen Augenblick lang ernst anblicken und dann leise lächeln, wenn sie sieht, daß ich meinen Stuhl vom Schreibtisch weggeschoben habe. Denn das bedeutet: die Morgenarbeit ist beendet.

Dann werden wir einander forschend betrachten, denn sie wird sofort merken, daß irgend etwas verändert ist, und auch ich werde erstaunt dreinsehen. Ich weiß nicht, warum.

»Störe ich dich?« wird sie mich gemäß unserem Übereinkommen fragen.

Und ich werde sagen – – Meine Liebe! Meine Liebe! Was werde ich dir sagen?


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