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13

Ich blieb in England zurück, meine Nerven, mein persönlicher Stolz und meine Phantasie waren aufs schwerste erschüttert. Wirbelstürme sinnlosen Zornes erhoben sich immer wieder in der trostlosen Einsamkeit meines Gemüts. Ich tat, was ich konnte, um mich zusammenzuraffen, aber eine Zeit lang wollte es mir nicht gelingen.

Diese Phase der Verzweiflung ist meinem Gedächtnis noch sehr gegenwärtig. Sie dünkt mich die schlimmste Phase, die ich jemals durchmachte; wahrscheinlich war sie auch wirklich die schlimmste. Der uralte Konflikt in meiner Natur zwischen sinnlicher Erotik und schöpferischer Leidenschaft kam zu seiner letzten Krise. Ich hatte ein letztes Mal die beiden zu vereinen versucht und der Versuch war fehlgeschlagen. Ich hatte mich für das Schaffen entschlossen und die Fessel der romantischen Liebe gebrochen. Aber um einen Preis! Mein Wille schien sich in dieser Anstrengung erschöpft zu haben, es blieb ihm keine Kraft zu weiteren Taten.

Gott Weltall sprach zu mir: ›Du bist auf Geschlechtlichem gegründet. Was du Leben nennst, ist auf Geschlechtlichem gegründet. Eine Frau war dir geschenkt, die dir das Lieblichste auf der Welt ist, und du hast dich geweigert, für dieses Geschenk dein Leben hinzugeben. Nun leidest du. Du hast den absonderlichen Einfall, mich überlisten, mich überwinden zu wollen, mich, der dich gestern gemacht hat und der Mühe, dich zu vernichten, enthoben ist, da du morgen doch stirbst. Dir ist ein Erfolg gegeben und die Schönheit jener Frau könnte dir immer noch gehören. Aber trotzdem kannst du nicht zufrieden sein, denn die verrückte Idee, du seist zu dienen berufen, beherrscht dich. Ein Gefühl der Verpflichtung ist in dir. Welch eine Verpflichtung? Wem gegenüber? Du trittst meine Geschenke mit Füßen. Sieg, Besitz, Frauen, das sind die Gaben, die dem Manne zuteil werden können. Dir wurden sie alle geschenkt. Aber du achtest sie gering. Dann mußt du dir außerhalb des Geschlechtlichen und der Sinnesfreude suchen, was du brauchst. Ich kann es dir nicht geben. Zieh deines Weges. Ich fürchte, du wirst dein Leben beenden wie der heilige Simon, hoch oben auf einer Säule, von der Erde losgetrennt und trotzdem dem Himmel nicht näher!‹

Eine Zeit lang beherrschte mich das Gefühl, daß mein Leben, das äußerlich so erfolgreiche, endgültig vernichtet sei. Mein Wille war durch das Verlangen nach Helen, das ich unverändert in mir trug, verkrüppelt worden. Ich war keiner kräftigen Initiative mehr fähig, war neurasthenisch und krank.

Ich dachte daran, eine Reise um die Welt zu machen, um dem Gedanken an sie zu entrinnen, aber ich wußte, daß diese Flucht mir im Grunde nichts nützen, daß sie bestenfalls die Dumpfheit der Übermüdung zur Folge haben würde. Das andere Ende der Welt barg keine Geheimnisse und keine Erleichterung für mich, die mir London oder Paris nicht auch hätten bieten können. Vergnügungen brachten nur vorübergehende Ablenkung; da konnte ich ebenso gut zum Alkohol oder zu Giften greifen. An Flucht war nicht zu denken; ich mußte mich meiner Verzweiflung stellen, mußte sie bekämpfen, um – vielleicht – ihrer Herr zu werden. Ich mußte meine zerflatterten Gedanken wieder in Ordnung bringen und mir die Arbeit meiner letzten Lebensjahre zurechtlegen.

Ich war so sehr an die Freude des Zusammenseins mit Helen gewöhnt, an ihre Stimme, an ihre vertraute Nähe, daß mich ihr Bild auf Schritt und Tritt verfolgte. Fünf Jahre hindurch war ich, wenn ich nicht arbeitete, immer bei ihr gewesen. Glück und Zorn, beides hatte sie allein in mir erweckt. Meinen Stolz hatte ich ihr anvertraut. Sie hatte mir Genüge getan. In England war ich ganz und gar außerstande, meinen Erinnerungen zu entgehen. Ich mußte fort. Ich brauchte etwas, was meine Phantasie anregen und beleben konnte. Ich beschloß, zur Tagung des Völkerbundes nach Genf zu reisen und meine Aufmerksamkeit der Hoffnung auf einen Weltfrieden zuzuwenden, den diese Versammlung gewähren mochte. Ich flog mit einem Privatluftschiff von London aus hinüber, flog durch Sturm und Regen, der wie ein Mantel von uns abfiel, als wir den Jura überquert hatten; das zumindest war unterhaltend.

Es war in jenem Jahr, da der seltsame Staatsmann Ramsay MacDonald in Genf auftrat. Herriot war ihm ein einigermaßen schüchterner Widerpart. MacDonald sprach davon, daß die ›Mächte der Finsternis‹ bekämpft werden müßten. Wie das zu geschehen habe, wurde mir aus seinen Reden nicht klar. Lord Parmoor verblüffte die Versammlung durch eine schlichte Frömmigkeit, die europäischen Staatsmännern im allgemeinen fremd ist. Ich saß mit verkrampften Knien auf der dumpfen Galerie des Versammlungsgebäudes und hörte den langsam sich entwickelnden Diskussionen zu, bei denen nichts diskutiert wurde, bei denen es keinen Gedankenaustausch gab. Alle Reden waren vorbereitet und standen infolgedessen in keinerlei Zusammenhang miteinander. Ich hörte zu. Manche Phrasen der Vertreter meines Landes machten mich bitter lachen. Ich war nicht einmal empört. Alle diese Politiker waren Schaumschläger, waren Phantome, die weiter nichts konnten als längst überholtes Zeug langatmig bequatschen.

Genf wurde mir eine arge Enttäuschung. Die Versammlung war unglaublich vielsprachig und bunt zusammengewürfelt. Und es gab Frühstücke und Diners ohne Ende, gab private Diskussionen, bei denen allerlei Pläne und Intrigen gesponnen wurden, die mit der eigentlichen Völkerbundtagung nichts zu tun hatten. Viel zu viele Menschen waren da.

Sonnig, schwül und staubig war es die ganze Zeit. Die Luft schien von jeder Nation der Erde bereits etliche Male ein- und ausgeatmet worden zu sein; um richtig atmen zu können, mußte man in einem Motorboot auf den See hinausfahren oder eine Autotour ins Gebirge machen. Am stärksten tritt in meinem Erinnerungsbilde jene lange Brücke über die Rhone hervor, die von den Haupthotels zum Versammlungsgebäude führt. Es schien, als ob alle Anwesenden diese Brücke andauernd in der einen oder anderen Richtung überquerten. Man konnte dort jedermann auflauern. Weiß Gott, wie oft ich selbst hin- und herüberlief, in dem Versuche, von mir loszukommen und an etwas außerhalb meines Ichs Interesse zu gewinnen.

In einem anderen Gemütszustande hätte ich an dieser erstaunlichen Versammlung sicherlich viel zu beobachten gefunden. Aber mein Gemüt war beschwert und krank. Das Internationale Arbeitsbüro des Albert Thomas war immerhin etwas, was mit der Narretei des vielsprachigen Schein-Parlaments der Menschheit nichts zu tun hatte. Und Männer wie Salter und Maderiaga, mit denen ich zusammentraf, hätten mir, wenn ich nur imstande gewesen wäre, ihren Worten zu lauschen, von vielerlei weniger auffälligen, aber weitaus bedeutenderen Bewegungen erzählen können, die sich in diesem Versammlungsort – eben weil es ein solcher war – ergeben hatten. Ich muß mich in nicht allzu ferner Zeit noch einmal nach Genf begeben und das Treiben dort von diesem Gesichtswinkel aus betrachten. In der Halle eines Hotels sah ich eines Nachmittags Lamont, den Vertreter von J. P. Morgan & Co., und Lubbock, den Vertreter der ›Bank of England‹, beisammensitzen; sie sahen aus, als hätten sie sich zufällig getroffen und sprächen über nebensächliche Dinge. In Wirklichkeit aber trafen sie, indes Ramsay MacDonald und Parmoor mit den Armen gestikulierten und die Versammlung anödeten, Verabredungen, die für die ganze Menschheit äußerst wichtig waren. Ein andermal sah ich meinen Freund Loucheur, der nunmehr – wie ich fürchte, nur vorübergehend – daran ist, den Franc zu retten, im Restaurant du Parc eifrig essen und dachte flüchtig daran, welche Absichten ihn wohl hierher geführt haben mochten.

Während meines ganzen Aufenthaltes in Genf war es meinem verstörten Geist unmöglich, unter die Oberfläche der Vorgänge zu dringen. Wo immer ich war, sehnte ich mich, anderswo zu sein; es war kein Friede in mir, alles irritierte mich. Das also, sagte ich mir, sind die Leute, die eine Weltordnung schaffen sollen. Vielleicht wird die Menschheit über diesen kläglichen Versuch, einen Weltstaat zu gründen, niemals hinauskommen. Gemessen an der Größe der Welt und dem Umfang der Probleme, die dieser Völkerbund zu lösen beabsichtigt, ist Genf eine kleine Stadt und die Zahl der hier Versammelten gering, und trotzdem sind neun Zehntel von ihnen gewöhnlich, oberflächlich, unehrlich oder albern.

Tiefe Unzufriedenheit erfüllte mich. Da erschien mit einem Male Helen wieder und ergriff Besitz von Genf.

In Wirklichkeit war Helen in Südafrika, aber der Zufall brachte eine Frau nach Genf, die ihr so ähnlich sah, daß sie als ihre Doppelgängerin gelten konnte. Ich saß mit Edwin Mansard in einem Restaurant am See, als ich dieser Frau ansichtig wurde; sie saß in Gesellschaft eines Mannes in einiger Entfernung an einem Tisch. Sie sprach mit ihm, und während sie sprach, bewegte sie ihre hübsche Hand ganz ebenso wie Helen, spielte mit dem Brötchen und den Dingen auf dem Tisch, genau wie Helen es zu tun pflegte. Ich hatte meine Phantasie so wenig in der Gewalt, daß ich kaum imstande war, mein Gespräch mit Mansard weiterzuführen. Mein Blick hing gebannt an der Fremden.

Mein Verstand, meine Augen sagten mir, daß es unmöglich Helen sein konnte. Jedoch die Ähnlichkeit allein löste einen Sturm unterdrückter Sehnsucht in mir aus.

»Langweile ich Sie mit alledem?« fragte Mansard, seine Schilderung des internationalen Arbeitsbüros unterbrechend. Ich muß ihm recht sinnlose Antworten gegeben haben.

»Nicht im geringsten«, sagte ich. »Nicht im geringsten. Sprechen Sie weiter, lieber Freund.« Doch meine Augen waren immer noch auf Helens Doppelgängerin gerichtet.

Mit einem Ruck wendete ich mich schließlich Mansards beleidigtem Gesicht zu. »Was sagten Sie?« mußte ich fragen.

Bald darauf stand das Paar auf, um wegzugehen. Ihre Haltung war die Helens. Sie ging wie Helen.

Mit erneuter Anstrengung wendete ich mich Mansard zu.

Später sah ich sie hoch über mir auf dem Balkon irgendeines Hotels in Betrachtung des Sees versunken. Sie trug ein blaues Kleid von einer Schattierung, die Helen besonders gut stand. Helen besaß ein ebensolches Kleid und konnte in ebensolcher Weise an einer Balkonbrüstung lehnen und den Sonnenuntergang beobachten. Ich stand und starrte sie an. Der phantastische Einfall kam mir, die Bekanntschaft dieser Frau zu suchen, mit ihr zu sprechen. Aber das war ja Wahnsinn. Ich riß mich zusammen, packte und floh nach Paris.

Als ich im Schlafwagen lag und keinen Schlaf finden konnte, begann ich mir selbst Vernunft zuzusprechen. Irgendwie müsse ich, so sagte ich mir, mein Gemüt wieder in Ordnung bringen, mich von meiner Besessenheit befreien. Das beste Mittel, eine Frau aus dem Herzen zu bannen, ist, sich einer anderen zuzuwenden – davon war ich überzeugt. Aber es war mir bisher nicht gelungen, an irgendeinem weiblichen Wesen so viel Interesse zu gewinnen, daß ich mich oder sie an Verliebtheit hätte glauben machen können.

Ich beneidete die frommen Katholiken um ihre Klosterzellen, ihre Zufluchtsstätten, ruhige Orte, in denen man quälenden Gedanken und leidenschaftlichen Erinnerungen entfliehen und seine Seele gründlich und endgültig in Ordnung bringen kann. Eine Zeit mag kommen, da wir, die wir uns längst von den alten Religionen losgesagt haben, uns ähnliche Zufluchtsstätten schaffen werden.

Der Zug schwankte ratternd; er fuhr zu schnell für die schlechten Geleise der französischen Eisenbahnen; der klappernde Rhythmus der Räder wurde durch seltsames Heulen und dessen Widerhall unterbrochen, so oft wir Brücken, Tunnels oder Kreuzungen passierten. Da stieg der Wunsch in mir auf, es möge ein endgültiger Stoß kommen, ein wildes Krachen, das den Zug zertrümmerte, Feuer entzündete und meinem Elend in einer letzten Schmerzensekstase ein Ende bereitete. Ich habe eine starke Abneigung gegen Selbstmord; in jener Zeit aber war ich viel geflogen, und zwar mit alten Maschinen, auf überlasteten Strecken und in schlechtem Wetter, und nun wurde mir plötzlich klar, daß eine unterdrückte Sehnsucht nach Befreiung mich dazu veranlaßt hatte. Das war Ungeduld, war Feigheit und Trägheit. Im tiefsten Innern meines Herzens wußte ich, daß ich nicht geschlagen war, daß ich mich schließlich aus der Not der Begierde befreien, wieder Herr meiner selbst sein und mich zu neuer Heiterkeit durchringen würde; noch aber lastete die Qual der Wünsche so schwer auf mir, daß der Tod etwas Verlockendes hatte.

In dem schüttelnden, krachenden Schlafwagenabteil sprach ich laut mit mir selbst ›Was wirst du nun mit dir tun?‹ fragte ich mich. ›Was wirst du nun mit dir tun?‹

Wump, pump, ging der Zug über eine Weiche; ich wurde hoch geworfen und seitwärts geschleudert; allmählich gingen die Stöße wieder in gleichmäßiges Rattern über.

Das Abteil wies eine widerwärtige Einrichtung auf, die ein völliges Dunkelmachen verhinderte. Wenn man das volle Licht abdrehte, leuchtete eine widerliche, kleine violette Lampe auf und verbreitete einen geisterhaften Schimmer über die Decken und Vorhänge und die fettglänzende Vertäfelung, und es gab keine Möglichkeit, dieses Licht abzudrehen.

›Was wirst du nun mit dir anfangen? Da es keine Klöster für dich gibt, mußt du dich eben allein von der Welt zurückziehen. Werde ein Einsiedler. Es hat Einsiedler gegeben, ehe es Klöster gab.‹

›Was du tun mußt, ist: alles klarstellen. Schreib es nieder ... mach es dir klar. Schreib es nieder. Mach es dir klar, schreib es nieder.‹

Ich sprach zu mir, indes die verfluchte Eisenbahn Fangball mit mir spielte, mir die Zähne aufeinander schlug und mit ihrem tosenden Lärm meine Gedanken in einen Rhythmus zwang.

Was war in Genf denn eigentlich nicht in Ordnung? Welchen Sinn hatte es, diesem Versuch den Rücken zu kehren, solange ich nichts Besseres wußte? Dieser Völkerbund hatte seinen Zweck verfehlt – was aber war sein Zweck? Er wurde der Wirklichkeit nicht gerecht. ›Gut,‹ sagte ich mir, ›dann stelle du einmal fest, wie man der Wirklichkeit gerecht werden könnte. Das ist noch keinem klar. Versuche also du, es klar zu machen. Keiner sieht es klar vor sich. Einer muß damit anfangen.‹

Ich fühlte, wenn der Zug nur einen Augenblick lang ruhig fahren wollte, so würde mir die rechte Erkenntnis kommen.

Der niederträchtige Zug schien mir wie das Dasein selbst – in intensiverer Form. ›Niemals hat man Zeit, seine Gedanken zu sammeln, niemals. Immer hastet man dahin, immer ist man infolge der Stöße und Schwankungen des Fahrzuges gezwungen, in bestimmten Rhythmen und Kehrreimen zu denken.‹ Neben dieser Betrachtung tauchte aufs neue der Wunsch nach einer Zufluchtsstätte auf, nach einer Einsiedelei. Es dürfe kein Ort sein, an dem es eine Menge anderer Leute gibt, sagte ich mir. Ein kleines alleinstehendes Haus müsse es sein. Aus irgendeinem dunklen Grunde bestand mein Geist darauf, daß es ein kleines, weißes, niedriges und langgestrecktes Haus sein müsse. Daß es in der Sonne stehe, in der freien Luft. Viel Luft müsse ich dort haben – nicht wie in Genf. Ganz fernab soll es liegen, fernab von Leuten mit Argumenten, nichtigen Vorschlägen und Beschwerden; und vor allem, fern, fernab von Frauen, die Helen gleichen. Dort könne ich eine Zeit lang ganz einfach leben, ohne Diener, in einem Gasthause essen.

Ich würde dort einen großen Tisch haben, überlegte ich. Ich sah den Tisch vor mir, massiv und schlicht. Ich würde die Fragen, die mich beschäftigten, schriftlich niederlegen, eine gegen die andere abwägen und nachdenken. Ruhig, ohne Hast würde ich da arbeiten, eine lange Reihe von Tagen vor mir. Auf solche Art würde ich beschließen, was mit dem Universum anzufangen sei, mit diesem Universum, das bisher mit mir verfahren war, wie es ihm beliebte.

Und keine Frauen dürfe es mehr in meinem Leben geben, keine Frauen mehr.

Die Lokomotive stieß einen grellen und wie mir schien, spöttischen Schrei aus, holperte schwerfällig über eine Weiche und sauste durch eine Station; glitzernde Lichter glitten geisterhaft über die Wände meines Abteils.

Ich hatte ein Gefühl, als ob ich niemals im Leben wieder schlafen und dieses Kopfweh nie mehr los werden würde. Mein Hals war trocken, ich war entsetzlich durstig und in meinem Mund war der üble Geschmack des schwefeligen Kohlenrauches.

Trotzdem kam mir plötzlich die Überzeugung, daß ich meine letzte Schlacht mit dem Universum durchkämpfte und siegen würde. Vielleicht hatte der metallische Lärm des Zuges die Vorstellung eines tosenden Schlachtfeldes in mir erweckt und die Erinnerung an eingebildete Vorsätze aus der Kriegszeit aufgerührt. Ich wurde kriegerisch. Geschüttelt und gestoßen kämpfte ich mich durch jene lärmende Nacht; nach ungezählten vergeblichen Anstrengungen, ungezählten Wiederholungen desselben Gedankens begann ich endlich bestimmte Pläne zu machen.

Wo war ich stehen geblieben? Es sollte keine Frauen mehr in meinem Leben geben, keine Frauen mehr. Das war es! Zweck und Ziel meines Lebens waren mir verloren gegangen, weil ich diese meine wesentliche Schwäche niemals bekämpft hatte. ›Du mußt ohne Frauen auskommen. Von nun an ohne Frauen auskommen. Von nun an ohne Frauen auskommen. Von nun an ohne Frauen auskommen. Das hättest du schon vor einem Menschenalter am Edenbridge Square beschließen sollen.‹

Ich versuchte das laute Gespötte des Zuges zu überschreien. ›Schluß mit den Frauen. Es ist höchste Zeit. Allerhöchste Zeit. Ich habe Zeit und Kraft an sie verschwendet. Die Wissenschaft habe ich um der Frauen willen im Stich gelassen. Die Wissenschaft habe ich im Stich gelassen.‹

An diesem Gedanken hielt mein Geist zähe fest. Clara wurde auf geheimnisvolle Weise zu Helen und Helen zu Clara. Sie waren meine Feinde, meine Verwüster, Alpha und Omega, die Führerinnen einer Heerschar von feindseligen Frauen.

›Wozu aber sind die Frauen da?‹

Ich überlegte eine Weile und begann zu toben.

›Einerlei. Laß sie in Frieden, mein Junge! Tu deine Arbeit, verdammt noch einmal. Vorwärts an deine Arbeit. Tu sie, so gut du kannst, aber allein. Mach dich an deine halb ausgereiften Ideen und kläre sie. Denk sie zu Ende, arbeite sie aus. Was willst du sonst tun? Was sonst?‹

Der Rhythmus des Zuges schien freundlicher werden zu wollen. Er ging in ein hartnäckiges, aber vertrauenerweckendes ›Tu deine Arbeit allein, tu deine Arbeit allein‹ über. Dann brach er in ein Geratter aus, das wie das Gelächter eines hysterischen Riesen klang.

›Das kleine, weiße Haus auf jeden Fall‹, sagte ich. ›Und wenn es zum Ärgsten kommt, die alte Gier wieder erstickt werden muß, dann – das Bordell im Tale.‹

Eine Weile hielt ich mich still und starrte in das violette Licht. Die Hölle wird von solchen kleinen, schwachen, aber unauslöschbaren Lampen beleuchtet sein. Ich weiß nicht, ob die Hölle heiß oder kalt ist, weiß nicht, welch ein Ort sie sein mag. Eines aber weiß ich bestimmt: wenn es eine Hölle gibt, dann ist sie schlecht beleuchtet und es riecht in ihr wie in einem Zuge.

Schließlich muß ich doch eingeschlafen sein. Als ich wieder zur Besinnung kam, stand ich in dem schwankenden Abteil und zog die Vorhänge in die Höhe. Schon waren Felder und Bäume sichtbar, die an mir vorüberhuschten. Die Morgendämmerung war angebrochen, der Himmel war gerötet und klar. Entzückende Wolkenstreifen lagen übereinander, wie rosig gefärbte Messerklingen.

›Nichts währt ewig‹, dachte ich. Bald würde ich in Paris frische Luft atmen, den Kopf unter kaltes Wasser halten und ein Bad nehmen. Und dann jenes Häuschen. Es wird schon gehen ...


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