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8

Nie vergesse ich den Gang durch das brennende Onderkuhle. Hinter mir auf dem hellen Hügel das lautlos flammende, wie in flüssige Bronze gebadete Hauptgebäude, über dem Schwärme von Vögeln kreisen, vor mir den lebhaft erleuchteten Park. Die Rauchschwaden haben sich in den Kronen der schönen Bäume verfangen, unter denen sich in jedem Augenblick mehr Menschen ansammeln. Durch viele Jahre haben nur Angehörige des adligen Stiftes diese Plätze betreten, jetzt sind von der ganzen Umgebung Menschen zusammengeströmt, in deren Mitte meine Kameraden, dann die Präfekten. Auch Gendarmen sind eingetroffen und umstehen mit drohenden Mienen den Meister. Der weist sie an mich, und ich berichte, was ich weiß: daß das Feuer in der Kanzlei ausgebrochen, daß aus dem Benzinbehälter eines Motorrades Brennstoff ausgeflossen ist und sich entzündet hat. Das bin ich bereit zu beeiden. Allen leuchtet dies ein, man läßt den Meister frei, der mit einer gemessenen Verbeugung dankt. Er weiß sich zu beherrschen, anders als der Direktor, der von den verbrannten blauen Schulfahnen faselt. Ist denn nicht heute, am 29. Juni, unser ganzes Leben verbrannt und zu Asche geworden? Wenigstens das meine ist es. Mit verhülltem Gesicht, in den Händen die verbrannten, mit schwarzen Kreisen gezeichneten Handschuhe, so nehme ich den dunkelsten Weg durch das Gehöft, komme aber einer neu eintreffenden Feuerwehr, der Gutswehr des angrenzenden Gutes, in die Quere. Der Gutsherr ist ein herkulischer, nie den Humor verlierender Mann, auch er ist ein ehemaliger Schüler unserer Anstalt, und zwar ausnahmsweise ein bürgerlicher. Er erkennt mich sofort und hält mich mit seiner bäuerischen gewaltigen Faust fest, während er seinen Knechten Anweisung betreffs der Feuerspritze gibt. Aber es wird nicht viel zu machen sein, wie der Meister meldet, da an den wenigen wasserspendenden Hydranten bereits die Dampfspritze und die unsere angeschlossen sind. Der Meister und Herr B. kennen einander, oft hat Herr B. den Meister zur Jagd eingeladen, als wäre er seinesgleichen. Auch jetzt sprechen sie ruhig wie Brüder miteinander.

Unsere Kapelle ist von innen erleuchtet, als würde eine Messe hier abgehalten. Von der Reitschule ist nur ein Feuerkranz da. Ich benütze den Augenblick und flüchte mich, verliere mich tiefer in den Teil des Parkes, wo die Tiere angepflockt sind. Die Rinder sind stumpf, sie haben sich niedergelassen, ihre vielfach gewellten, überhängenden Wampen sind vom Feuer rötlich angehaucht. Sie fressen das zusammengeschmorte, fast zu Heu gewordene Gras, mahlen es und käuen wieder, mit ihren schweren eisernen Ketten rasselnd, der Leitstier mit seiner tönern klingenden Glocke läutend. Faltig und hell glitzernd hängt ihnen die erwärmte Haut an der regelmäßig atmenden Brust. Ihnen allen ist trotz des Feuers friedlich zumute. Deutlich klingt das andauernde Sausen des Feuers hinüber, ab und zu durch ein dumpfes Donnern unterbrochen, welches das Zusammenstürzen einer Treppe, einer Traverse, einer Mauer kennzeichnet. Ich blicke nicht wie die großäugigen Rinder friedlich dem Feuer entgegen. Wie die Pferde habe ich mich scheu abgewendet, meine Augen tränen. Nein, ich weine nicht, denn ganz regelmäßig sammelt sich, ohne wahre seelische Erschütterung, ein Salztropfen nach dem anderen in meinen Augenwinkeln und rinnt von da ab. Mein Freund Titurel geht an mir vorüber, mit dem Prinzen Arm in Arm. Der Prinz hinkt etwas, beide sehen mich und sehen mich nicht. Die Pferde sind aufgeregt, sie reiben sich aneinander, öffnen die Mäuler, als wollten sie gähnen, sie wiehern, sie suchen etwas mit ihren erhobenen, schwanenartig gestreckten Hälsen, sie blicken ratlos und verstört, sie winden sich, wollen fort und knabbern mit ihren Raffzähnen an den sie festhaltenden Bäumen umher, vernichten die Rinde, scharren die Erde zu ihren Füßen auf. In den Schollen bricht sich die ferne Flamme, golden und zart. Keines berührt etwas von dem Heu, das der mitleidige Stallpage zu ihren Füßen ausgebreitet hat. Sie sind einander nicht freundlich gesinnt, obwohl sie sich aneinanderdrängen, sie stoßen und beißen einander, legen die Ohren zurück, und eines von ihnen, mein geliebter Cyrus, hat sich in seiner sinnlosen Angst auf den Boden geworfen und ist in Gefahr, sich zu erwürgen, da der lederne Haltezaum ihn fesselt und ihm schon eine tiefe Furche in seine seidenweiche, feine mausgraue Haut gezeichnet hat. Dabei stößt er in unbändiger Wut alle viere von sich. Sein gewaltiger Körper hat alles platt gedrückt, das zartere Gebüsch, dessen erste Früchte im fernen Feuerglanz wie Goldträubchen leuchten, wie in der Herbariumpresse gepreßt. Wie das Licht auf immer neue Stellen seines mit schwellenden Adern bedeckten Unterleibes fällt, habe ich die Gefahr erkannt, in der das Tier schwebt; ich schütze mich, so gut ich kann, vor den umherstampfenden, in der Luft umhersausenden Hinterbeinen mit den scharf beschlagenen Hufen, gewinne schnell die Kopfseite, zäume das Pferd ab, indem ich die Schnalle löse, rede ihm gut zu, denn ich weiß, daß Pferde auch in den Augenblicken stärkster Erregung der Menschenstimme zugänglich sind. Sofort wird das Tier ruhiger, erhebt sich, erst mit den Vorderfüßen und dann, aufschnellend wie ein Ball, auf den prachtvollen Hinterbeinen und steht, tief schnaubend, schweißbedeckt, gold und grau glänzend, wie aus Erz gegossen neben mir. Es reibt seine noch zitternden Nüstern an meinem hechtgrauen Gewande und wiehert mir leise zu.

Zu meinen Füßen schlängelt sich etwas Feuerfarbenes, Rauhhaariges. Jetzt stößt die Feuerkatze ihre langgezogenen Wehklagen aus, wimmernd wie ein kleines Kind. Sie ist auf immer aus ihrem Haus vertrieben, an das solche Tiere sich mehr gewöhnen als an den liebsten Menschen. Warum hat sie sich dem Feuer nicht ganz ergeben? Sie folgt uns, mir und dem Cyrus, den ich weiter ins Dunkel führe, bald aber wendet sie sich mit einem noch wehmütigeren, zarteren Klagen von mir ab und kehrt hopsend zu dem flammenden Hause zurück, läuft mir aber bald wieder nach, erhobenen Schwanzes, das große Maul weit geöffnet beim Schreien, so daß man die spitzen Zähne alle sieht und die geriffelte große Zunge. So will mich keines der Tiere verlassen.

Ich aber will allein sein, ich muß allein sein, auf meiner Brust liegt ein Gewicht, vielleicht nur das Gewicht des eingeatmeten schweren, beizenden Rauches, da mir bei jedem Ausatmen leichter wird und es sich bei jedem Einatmen mir mit neuem Gewichte auf die Herzgrube legt. Ich wußte damals nicht, wie Kummer tut. Nur dies war es. Sähe mich ein Fremder, etwa Titurel oder Prinz Piggy, so glaubte er, ich wäre ganz gebrochen, völlig zusammengefallen. Aber ich war es nicht. Ganz kann ein Orlamünde sich nicht vergessen. Jetzt erscheint es nur als Folge meiner legeren Haltung, ich tue, als käme ich von einem weiten Spaziergange oder von einer anstrengenden Reitstunde – so schleppe ich mich über den kiesbedeckten Weg, der aus dem Park herausführt.

Ich sitze auf, mein Pferd Cyrus hält ruhig still; obwohl ich keine grobe Gewalt mehr über das Tier habe, fügt es sich mir leicht. Ich bleibe ein Mann auch in dieser Stunde, ein Reiter auch in diesem Ort, in dieser brennenden Heimat, der sterbenden. Es ist düster unter den Lindenbäumen der Allee, denn durch das dichte Dach dringt der Feuerschein nur matt auf den Hals und die kurze Mähne des Pferdes vor mir und auf meine unbehandschuhten Hände, die stark zu schmerzen beginnen. Am leichtesten erträglich wird der Schmerz, wenn ich die Hände bis zur Schulterhöhe hebe und bloß durch Schenkeldruck mich auf dem hohen Gaul behaupte. Von selbst beginnt Cyrus weich loszutraben. Weit hinter uns die Brandstätte, leise klingen die Hornsignale der Gutswehr herüber. So geht es durch die immer stärker duftende, unter den Gewitterwolken fast schwarz daliegende Lindenallee, vorbei an den für immer verlassenen Spielplätzen der brennenden Schule. Jetzt muß ich über einen kleinen Steg, der unter den Hufen des Tieres dumpf wie eine Trommel eines wilden Kongonegerstammes erklingt. Bei der Wendung des Weges leuchtet es dunkelrot herüber zu uns. Das Pferd zuckt beim Scheine zusammen, es verstärkt sein Tempo zu einem kurzen Galopp. Viele Blätter fallen. Dürre, Sommerbrand und früher Herbst in einem. Ein heißer, starker Wind beginnt sie kreisend zu umgeben und emporzutragen.

So schnell das Pferd auch geht, so versuche ich doch, einen Blick zurückzuwerfen. Ich erblicke unser Schulgebäude, ohne Dach, mit den halb zusammengebrochenen Mauern, aus denen lebhafte Flammen schlagen; je weiter man kommt, desto gewaltiger scheint es sich gegen den erzdunklen Nachthimmel abzuheben. War dies nicht alles schon einmal? Niemals wieder wird es sein. Ich werde da nicht mehr leben. Das gleichmäßige, wiegende Heben und Senken, Fallen und Steigen im Galoppschritt soll mich beruhigen. Meine Augen sind in der reineren Luft schmerzfrei geworden. Aber wenn der Huf des Cyrus gegen einen Stein stößt, geht es mir zum Herzen, nicht ohne Schmerz.

Jetzt ist die Schule mit ihrer Brandhülle ganz verschwunden, wir reiten unter jungen Buchen dahin, die in der schwülen Sommerluft nur leise hauchen und raunen. Nun kommt die Pappelallee, und dann wendet es sich bergauf. Unter dem ernsten Grün der Nadelbäume erscheint der erste Widerschein des nächtlichen Sees. Ein düster roter, von Funkensternen durchbrochener Wolkenhimmel treibt die im ewigen Windhauche erschauernden Kronen der Bäume zusammen, es öffnet sich der Weg, der Abfluß des ferne goldig angehauchten Sees rauscht in gedämpftem Paukenschlage über das Wehr. Die Trompetensignale raunen, sie tönen wie Weckrufe am Morgen oder Schlußsignale nach einer Exerzierübung. Ist es das Ende aller Versuche, den Brand zu löschen? Durch den balsamischen Odem des Waldes haucht etwas von dem schweren, giftigen Geruch des Brandes. Wir stoßen an hohe, weiche Heuschober. Ohne Kraft jetzt bin ich nur an das Pferd geklammert, ich sinke herab. Ich liege auf dem schwer duftenden Heu. Über mir die großen steingrauen Augen des Pferdes. Das Wasser ist bewegt, es schlagen die Wellen regelmäßig an. Viele Vögel regen sich im nahen Walde, von dem Brande erweckt. Einige haben sich aufgemacht, sind über die Wasserfläche geflogen. Ihre ausgebreiteten Flügel zeigen den goldenen Widerschein des Brandes von Onderkuhle, oder ist es der spät aufgehende, kupferfarbene, übergroße Mond? Ich wende mein Gesicht von dem ruhig das Gras rupfenden Pferde ab, verberge mein Gesicht in dem Ärmel und weine die ersten Tränen, nicht die letzten.


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