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12

Nun beginnen wir loszutraben in sehr ruhigem Tempo. Denn es ist nicht leicht, sich ohne Sattel und besonders ohne Bügel längere Zeit oben zu halten, das Gleichgewicht zu bewahren und den Tieren seinen Willen aufzuzwingen. Sicherlich hätte der eine oder der andere der körperlich schwächeren Jungen Schwierigkeiten gehabt, wenn nicht die Pferde, als richtige Gesellschaftstiere, eines dem anderen voll Freude und Genuß gefolgt wären, Gefühle, die sie durch unaufhörliches Aufwiehern, durch Heben der Köpfe, Aufstellen der Ohren und durch einen besonderen, tanzartigen, maskierten, unnatürlichen Schritt dartun. Die Wärme der Tierkörper teilt sich uns mit. Ihre weichen, samtartigen Haare rascheln an unseren Zwilchanzügen. Bei jedem Schritt schnellen unsere Figuren wie elektrisiert auf und nieder. So kommen wir durch die immer stärker duftende, unter Gewitterwolken fast schwarz daliegende Lindenallee, vorbei an den Spielplätzen der Schule, an den Ställen und Gehöften. Jetzt geht es über einen kleinen Steg, der unter den vielen Pferden dumpf wie eine Trommel eines wilden Kongonegerstammes ertönt.

In den Obstgärten ist schon lange alles abgeblüht. Jetzt beginnt ein starker, heißer Wind die abgefallenen Blätter kreisend zu umgeben und emporzutragen. Das Laub der Bäume hat einen grellen, grünen Schein angenommen. Die Stämme scheinen aus einer Stange Tabak gebildet, so stumpf und gesättigt sind sie in ihrer Schwärze unter dem dicken, blau gefütterten Gewitterhimmel. Ich wende mich nach meinen Kameraden um, die mir nicht alle gleich schnell folgen können. Ich erblicke unser Schulgebäude, das sich, je weiter man sich entfernt, desto höher und gewaltiger gegen den Himmel abzuheben scheint. Sein sonst etwas rohes Rot hat sich, gegen den dunklen Wolkenhintergrund gehalten, in etwas Zarteres, Erdbeerfarbenes, trotz der düsteren Stimmung Heiteres verwandelt. Ich fühle es mit besonderer Freude, wie schön unser Haus ist, wie sicher gebaut, für lange Zeiten gegründet. Soll ich darin alt werden, immer da leben?

Das gleichmäßige Traben meiner Schimmelstute ist mir angenehm. Wenn der Huf gegen einen Stein stößt, geht es mir bis zum Herzen, so freudig. Kommt Titurel mit seinen etwas abstehenden spitzen Ellenbogen mir beim Reiten nahe, ist mir, als streichele er mich; trotz seines noch immer abweisenden, fieberhaft stolzen Wesens empfinde ich seine Nähe, sein immerwährendes Nebenmirsein. Wir sollen alt werden in unserer wortarmen Freundschaft und stillen Sympathie. Nun, als die Schule hinter uns liegt und wir unter jungen Buchen, die in der Windstille nur leise hauchen und raunen, dahinreiten, fühle ich mich von allem T. so weit entfernt wie noch nie.

Nun kommt die Pappelallee, die man die italienische nennt, an die sich zu beiden Seiten ein Forst anschließt. Es ist still, auch das leise Raunen ist verstummt, kein Vogelruf, bloß das gleichmäßige Traben unserer Pferde, die sich in ein und denselben Takt gefunden haben, das silberne Klingen der Kinnketten und Knistern der Kleider der Schüler und das durch die mühselige Art des Reitens hervorgerufene schwerere Atemholen. Es spricht niemand mehr. Im Anfange habe ich hinter mir Lachen gehört; Prinz Piggys bellendes Lachen, das durch die Gangart seines stoßenden Pferdes zerschnitten wurde. Jetzt ist auch dies zu Ende. Die Pferde gehen ruhiger, sie treten in das Gras neben der Straße, sie weichen auch dem feuchten Grunde nicht aus, unter ihren Hufen zermalmen sie ruhig die hohen, hier am Wegesrand riesig aufschießenden üppigen Kletten. Dies ist aber nicht ungefährlich, da sich ihnen hinter den Hufen in der Gelenkbeuge Reste der stacheligen Köpfe ansammeln können, was zu einer bösartigen Fußkrankheit, Brandmauke, Veranlassung geben kann. Ich reite also den Zug entlang und bringe den jüngeren Reitern dadurch Unterstützung, daß ich ihre Pferde trotz ihrem Widerstreben auf die Straße zurückbringe. Die Knaben sehen mich an, sie lächeln mir entgegen, von ihren gesunden, frohen Gesichtern trieft der Schweiß, den dieser oder jener mit der aufgeworfenen Oberlippe auffangen will. Vergebens versuchen sie, die etwas heftigen Stöße zu mildern, ja sie wären nicht abgeneigt, die Pferde lieber in den gefahrvollen Kletten laufen zu lassen, wenn es nur für sie persönlich schmerzloser wäre. Aber ich bin für beide verantwortlich, für die Pferde wie für die Knaben, ich bin hier an Stelle eines Offiziers unter ihnen, nicht ganz als Kamerad.

Nun geht es bergauf, dem kleinen See entgegen. Hier stehen Buchen, Eichen, und mitten unter dem helleren, weich umflaumten, milchigen Laube erscheint das ernste, erzähnliche Grün der Nadelbäume, unter dem, wie Früchte verteilt, die weißgrünen neuen Sprossen hervorschimmern. Ein dunkler, fast schwarzer Wolkenhimmel treibt die im Windeshauche bebenden Kronen der Bäume zusammen. Dann öffnet sich dieser Weg, der Abfluß des völlig schwarzen Sees rauscht in gedämpftem Paukenschlage über das vor einem Jahre frisch gezimmerte Wehr aus weißen, gehobelten Stämmen ohne Rinde, an denen sich Moos und Algen erst in dünnen Streifen angesetzt haben.

An dieser Stelle biegen wir vom Wege ab und reiten auf eine abgemähte Wiese, in deren Mitte sich einige hoch aufgeschichtete Heuschober befinden. Sie hauchen jetzt unter dem völlig verhangenen Himmel einen fast betäubenden Brodem aus. Vögel sind nur kurz, abgebrochen zu hören. Weiter in der Ferne weidet eine Rinderherde. Viele Tiere liegen da wie erschlagen, bloß die Mäuler matt bewegend und die Rippen beim Atmen ausweitend. Wenige, weiße und schwarze, wandeln langsam und beugen die schweren Häupter mit den geringelten grauen und schwarzen Hörnern. Es ist sehr still.

Titurels Pferd, ein junger Rapphengst, ist unruhig geworden. Es fängt jetzt, von Mücken belästigt, an, mit seinem starken Schweife zu schlagen und, als dies nicht hilft, mit seinem starken, wie ein Mistkäferrücken schwarz glitzernden Kreuz zu tanzen. Jede dieser Bewegungen bereitet dem sichtlich erschöpften Titurel Schmerzen. Ohne zu reden, lege ich meine Hand auf den Kopfzaum des Pferdes. Schon will sich das Tier beruhigen, als Titurel heftig seine Knie scharf dem sofort wieder wilder und unregelmäßiger atmenden, mit der Hinterhand auskeilenden Pferd in die Seiten preßt. Ich lasse aber diesen Zweikampf nicht weiter gewähren, sondern besänftige das Tier durch einen leisen Pfiff und lege gleichzeitig mildernd meine linke Hand zwischen Titurels Knie und die Flanke seines Pferdes. So wird alles ruhig.

Inzwischen sind die andern Knaben schnell von den Pferden geglitten, manche so ungeschickt, daß sie sich auf dem weichen Grasboden kugeln und sich von den übermütig wiehernden und mit allen vieren zugleich aufspringenden Pferden noch eine Minute lang herumzerren lassen, ein Spiel, das schon deshalb ohne Gefahr ist, weil sie ja jederzeit die verbindenden Handzügel loslassen können. Die meisten kleiden sich rasch aus, das heißt, sie werfen die Turnschuhe, Zwilchröcke und Hosen auf einen Haufen und stehen nun in ihren grün-weiß gestreiften Trikotbadeanzügen da. Sie reiben sich in Vorfreude des Bades die Hände, während die Pferde, ebenfalls ungeduldig, mit ihren Nüstern den Knaben die nackten Schultern »ausradieren« und dabei wie bittend mit den Vorderhufen auf dem grasigen Boden scharren. Andere Schüler haben sich den Spaß erlaubt, die Pferde zu dreien an einem Halfter zusammenzukoppeln, so daß diese nicht weit kommen können. Dafür halten sich die Gäule an den hohen Heuhaufen gütlich, sie ziehen Bündel von graugrünem, duftendem, aber schon etwas unscheinbar gewordenem Heu hervor und mahlen es langsam zwischen ihren Zähnen ohne rechten Hunger, dann werfen sie sich, miteinander kämpfend und spielend, gegen einen der leicht zu erschütternden Heuschober, bis er einstürzt und die verblüfft aufblickenden Tiere unter dem zerflatternden Heu begräbt. Der Himmel ist inzwischen immer dunkler geworden. Der Regen muß ganz nahe sein, Fische springen häufig über die bleifarbene, bloß am Uferrande lichtere Wasserfläche. Völlig sind die Vögel im nahen Forst verstummt. Eine Kuh beginnt zu brüllen. Mücken singen hoch, doch sind sie jetzt nicht zu sehen.

Alle Knaben haben nun bloß die bis an den Hals reichenden Badekostüme an. Wir lösen die zusammengekoppelten Pferde los, sitzen von neuem auf und reiten langsam, die Pferde stark zurückhaltend, in das flache Uferwasser vor. Die Tiere empfinden die Kühle des Wassers als Wohltat. Sie wiehern freudig, trompeten laut, sie trinken mit Gier. Dann gehen sie vorsichtig ins Wasser, sie heben die Beine hoch wie zimperliche Mädchen. Es weitet sich ihnen die Brust, und sie schwimmen, sie peitschen das Wasser mit ihren fächerförmig sich ausbreitenden mächtigen Schweifen.


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