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Liebesleid und Liebesglück.

In Dahlen war große Freude, als es am Nachmittage bekannt wurde, daß Vit und seine Leute entkommen waren. Jan stürmte in die Wohnstube und rief jubelnd: »Hurra! Vit und alle Gefangenen sind gerettet. Die Hessen und die Franzosen sind zusammengehauen worden wie die Wasserratten, haben fast die Hälfte der Mannschaft eingebüßt. Eine Handvoll Burschen Vits haben das Werk ausgerichtet. Köstlich!«

»Dem Himmel sei Dank, daß der Großvater lebt!« rief Eva. »Wäre doch auch nur der Offizier Hermann gerettet!«

»Ja, Mädchen, das wird seinen Haken haben,« versetzte der Schmied.

»Vater, komme in die Schmiede, es sind zwei Pferde zu beschlagen!« rief sein Sohn.

Nach einer Weile kam Jan wieder ins Zimmer und sagte: »Valliers ist hier. Es ist sofort Kriegsgericht über Hermann gehalten worden, in einer Stunde wird er erschossen.«

Eva stieß einen Schrei aus.

»Erschossen? Nicht möglich! Barmherziger Gott!«

»Jawohl. Er wurde einstimmig verurteilt und wird über eine Stunde vor dem Mühlentor an der Kapelle An der Stelle, wo der alte Kirchhof in Dahlen lag, hatte jahrhundertelang eine Kapelle gestanden, die wiederholt zerstört wurde. als Verräter erschossen werden wegen seiner Teilnahme an der versuchten Befreiung Vits.«

Eva sprang auf. Mutig blitzte ihr Auge. Sie winkte Jan in das andere Zimmer und redete eindringlich auf ihn ein.

»Was mögen die beiden doch für Heimlichkeiten haben, die ich nicht hören darf,« brummte Lisbeth. Gleich nachher kam Eva mit Jan aus dem Zimmer, ging mit ihm bis in den Hausgang und flüsterte dem Meister zu: »Sorgt vor allen Dingen, daß er das Sträußchen erhält. Opfert ein Goldstück oder zwei. Das Pergamentband muß aber um das Sträußchen bleiben.«

»Ja, ich will sehen, ob es gelingt, Mädchen, aber ich habe wenig Hoffnung,« meinte der Schmied bedenklich.

»Vater, es sind zwei Pferde zu beschlagen,« rief der Sohn wieder aus der Schmiede.

»Ei, so wollte ich doch, daß das ganze Volk beim –«

»Nimm dich doch etwas zusammen,« raunte Lisbeth ihm zu. »Wenn die Soldaten das hören, so gibt's einen schönen Spektakel.«

Jan ging in die Schmiede und gab sich mit an die Arbeit.

»Gleich muß der französische Verräter dran glauben,« erzählte ein Reiter, indem er auf der Werkbank Platz nahm.

»Schade um den jungen Mann!« meinte Jan.

»Schade? Für einen Verräter ist die Kugel zu schade. Dem gebührt ein Strick!«

»Na, wenn alle gehängt würden, die es verdienen, dann würde der Wald hier mit seinen dünnen Bäumen kaum ausreichen.«

»Ihr sprecht sehr frei, Meister! Was meint Ihr damit?«

»Ich meine gar nichts, sondern sage eben, was ich denke.«

»Das ist unter Umständen sehr gefährlich. Mir soll's ja gleich sein. Hütet Euch jedoch vor meinem Kameraden!«

»Ich danke Euch, Sarvin. Vit, gehe du ins Haus. Ich beschlage das andere Pferd allein.« Vit entfernte sich.

»Hört einmal, Sarvin,« flüsterte er, näher an den Soldaten herantretend, »möchtet Ihr ein Goldstück verdienen?«

»Ei, warum nicht. Aber was muß ich dafür tun?«

»Nur dieses Blumensträußchen dem Offizier Hermann übergeben, aber in Zeit von einer Viertelstunde.«

»Hm, das ginge. Warum soll er das Sträußchen erhalten?« fragte er mißtrauisch.

»Es ist der letzte Gruß eines Mägdleins an ihn.«

»So, weiter nichts,« lachte er. »Na, das will ich besorgen.«

»Auch sicher?«

»Nun, ehe Ihr das andere Pferd beschlagen habt, bin ich wieder hier und bringe eine Antwort mit.« Er nahm das Sträußchen und entfernte sich. Der Posten ließ ihn ein, da er sagte, er habe den Gefangenen noch etwas zu fragen. Hermann saß in seiner Zelle, den Kopf in die Hand gestützt, als Sarvin eintrat.

»Hier,« flüsterte Sarvin, ein letztes Lebewohl von Fräulein Eva.«

»Danke dir, Sarvin, das arme Kind denkt also noch an mich? Grüße sie herzlich, Sarvin. Ich habe nichts, was ich ihr als Andenken hinterlassen kann. Doch halt – hast du ein Messer, Sarvin?«

»Gewiß.«

»Hier schneide eine Locke von meinem Haare ab und nimm sie mit. Es ist das Einzige, was ich ihr geben kann.«

Sarvin schnitt, so gut es ging, eine Locke ab, wickelte sie um seinen Finger und entfernte sich. Als er fort war, entfernte Hermann das Pergamentband und las im Innern desselben einige Worte, von Evas Hand ziemlich undeutlich geschrieben. Nachdem er gelesen, schüttelte er schmerzlich lächelnd den Kopf und seufzte: »Keine Möglichkeit! Verloren – sterben – als Verräter sterben!«

Sarvin kam mit der Locke in die Schmiede und übergab sie Jan, welcher sie sofort Eva überbrachte. Der Soldat nahm dann das Goldstück, schwang sich auf sein Pferd und ritt von dannen. Eva schlüpfte in die Schmiede und fragte Jan, ob alles in Ordnung sei.

»Nein, Kind, ich habe ja das Pferd beschlagen müssen, ich werde aber gleich alles fertig machen. Ich verspreche mir aber nichts von dem ganzen Plane. Es ist Torheit. Es kann nicht gelingen.«

»Warum denn nicht? Höre, Ohm Jan, ich knie jetzt vor dem Bilde der allerseligsten Jungfrau in meinem Schlafzimmer und bitte um ihren Schutz, sie wird mich nicht im Stiche lassen!«

»Ja, tue das, Eva.«

Eva entfernte sich.

»Die Mutter Gottes würde viel zu tun haben, wenn sie sich um alles kümmern sollte,« brummte der Alte. »Alle Heiligen sind überhaupt geplagte Leute.«

»Da ist es wohl ein Glück für dich, Tölpel, daß du kein Heiliger wirst,« keifte Lisbeth, welche an der Türe das Selbstgespräch gehört hatte.

»Aha, hast du wieder an der Türe gelauscht, Bett?«

»Ja, das habe ich, ich will wissen, was hier im Hause vorgeht. Diese Geheimtuerei und das Verstecken! Warum wird nicht laut gesprochen, wie es sich gehört, – oder darf deine Frau nicht wissen, was du treibst?«

»Sei vernünftig Lisbeth, morgen sollst du alles erfahren und sollst dann auch sehen, daß es notwendig war, zu schweigen.«

»Ach was, Vit weiß nichts, ich weiß nichts; was doch die Eva wissen darf, darf ich auch wissen!«

»Bekomme keine Leibschmerzen, Bett. Morgen sage ich dir alles, und du sollst –«

Lisbeth warf die Tür ins Schloß.

»Diese neugierigen Weiber!« lachte Jan.

»Wär' auch schlimm bestellt mit uns, wenn wir's nicht wären!« eiferte Lisbeth von draußen.

»Ich wollt' nur sagen, wißbegierig,« rief Jan ihr nach, der es mit seiner gestrengen Hälfte nicht verderben mochte.


Dumpf rasselten die Trommeln durch die Straßen, und 100 Soldaten nahmen den Offizier Hermann, der nicht gefesselt war, in die Mitte. Langsam bewegte sich der Zug zum Tore hinaus. Vor dem Mühlentore an der Kapelle wurde Halt gemacht und der Offizier vor der Kapelle aufgestellt. Rund um ihn standen Soldaten. Valliers nahm den Degen des Verurteilten, zerbrach ihn, warf ihm die Stücke vor die Füße und sagte: »Mögen alle Verräter sterben wie du, ehrloser Wicht! Verachtet, vergessen und verflucht sei dein Name! Es lebe unser glorreicher König!«

»Es lebe unser glorreicher König!« riefen die Soldaten.

»Es lebe unser glorreicher König!« rief Hermann.

»Schweige!« rief Valliers ihm zu, »verunehre den Namen unseres Königs nicht!«

»Ich liebe meinen König, dem ich den Eid der Treue geschworen und gehalten habe, ebensogut wie Ihr. Ich protestiere gegen meine Verurteilung, die zu unrecht erfolgt ist, weil ich von niemand gehört worden bin. Warum? Weil ich dem Herrn Kommandanten nicht bei seinen Beutezügen behilflich sein will und weil er fürchtet, ich könne ihm gefährlich werden, darum muß ich sterben, und zwar als Verräter, ohne Beweise, ohne – –«

»Trommelt Tambouren,« rief Valliers erbost um den Sprecher zu übertönen, und die Tambouren schlugen einen dumpfen Wirbel. Sechs Schützen traten bis auf den Weg zurück und machten sich schußfertig. Die Trommeln schwiegen.

»Noch fünf Minuten hast du Zeit,« rief Valliers Hermann zu, »dann wirst du erschossen, und dein Leichnam wird einen dieser Bäume zieren.«

»Dann erlaubt Ihr wohl, daß ich einen Augenblick hier in die Kapelle trete um ein Vaterunser zu beten?«

»Meinetwegen, aber nicht länger als fünf Minuten.«

Hermann trat durch die alte verfallene Tür in das schmucklose Bethaus. Dort sah es wüst aus. Das Dach war teilweise eingestürzt, Balken, Holz und Steine lagen wirr durcheinander. Der Altar war halb niedergerissen. Hermann schritt über den Schutt hinweg und trat hinter den Altar. Hinter diesem war ein kleines Fenster in der Mauer, welches vergittert gewesen war, die Eisenstangen waren jedoch ausgebrochen. Hinter der Kapelle erblickte man Sträucher und Gestrüpp. Valliers hatte die Türe der Kapelle geöffnet und sah, wie Hermann hinter den Altar trat und dort niederkniete. Er ließ die Türe wieder zufallen und rief dem Offizier Corté höhnisch zu: »Der fromme Mensch betet. Na, wir wollen sehen, wie er sterben wird. Wahrscheinlich wie ein altes Weib!« Er ging einige Zeit auf und ab und rief dann in die Kapelle hinein: »Ist's bald gefällig, Herr Hermann, oder sollen wir Euch holen kommen?«

Es erfolgte keine Antwort.

»Vorwärts, zwei Mann holen den Feigling heraus!« kommandierte er.

Zwei Soldaten traten in die Kapelle, kehrten aber gleich mit verstörten Gesichtern wieder zurück und sagten: »Die Kapelle ist leer, Herr Kommandant, Hermann ist fort!«

»Wie, Hermann ist fort? Ihr Esel!« schrie Valliers wütend und lief selbst in die Kapelle, gefolgt von mehreren Offizieren. Er stolperte über die Balken, sprang hinter den Altar, aber es war niemand zu sehen.

»Aber zum Teufel, wo soll er denn geblieben sein?« rief er kirschrot vor Zorn.

»Wahrscheinlich hat ihn der Teufel bei lebendigem Leibe geholt,« lachte schadenfroh Corté, der den Kommandanten Valliers nicht leiden mochte.

»Ich verbitte mir Eure dummen Witze, Herr Offizier,« schrie Valliers, diesem einen wütenden Blick zuwerfend. »Heraus, das Gebüsch durchsucht!« schnaubte er die Soldaten an. Er ist hier jedenfalls durch das kleine Fenster entwischt.«

»Daß keiner sich von der Stelle rührt!« rief Corté seinen Soldaten zu, und dann, dicht vor dem Kommandanten hintretend und ihn herausfordernd ansehend, sagte er scharf: »Hört, Herr Kommandant Valliers, ich lasse mich von Euch nicht anschnauzen wie einen Betteljungen! Ihr habt hier nichts zu befehlen! So lange der General, an den ich eine Stafette sandte, nicht anders bestimmt, habe ich hier zu sagen. Wollt Ihr den Flüchtling haben, so sucht ihn Euch selbst mit Euren sechs Soldaten, die Ihr von Erkelenz mitgebracht habt! Ihr habt ihm ja auch erlaubt, in die Kapelle zu treten. Er ist zum Teufel, sage ich Euch! Glaubt Ihr's noch immer nicht?«

Valliers sah ein, daß er zu weit gegangen sei; zudem war es ihm bedenklich, daß Corté die Stafette an den General geschickt hatte. Er bezwang sich daher und sagte einlenkend:

»Ihr werdet mir doch wohl behilflich sein, den Verräter einzufangen?«

»Nein, das fällt mir gar nicht ein. Der Gefangene ist in der Richtung nach Erkelenz entflohen, dort habt Ihr zu befehlen! Sucht ihn Euch!« Damit drehte er ihm verächtlich den Rücken und rief seinen Soldaten zu: »Einrücken! Vorwärts!«

Die Soldaten zogen sich zum Mühlentore zurück, welches sich gleich hinter ihnen schloß.

»Valliers stand da und biß sich die Unterlippe blutig. Dann rief er seinen ruhig dastehenden Leuten zu: »Ihr Maulaffen, vorwärts, durchsucht draußen das Gebüsch! Der Kerl kann doch noch nicht weit sein!«

Die Soldaten durchsuchten das Gebüsch, fanden aber keine Spur, die in der Richtung auf Erkelenz zulief. Sie meldeten dies Valliers, der noch einmal in der Kapelle alles durchstöberte und mit seinem Degen überall herumstocherte, da er glaubte, der Offizier habe sich unter dem Schutt oder den Balken verborgen.

»Es ist gut,« sagte er, »ich komme jetzt. Ich muß ihn wieder haben, koste es, was es wolle,« brummte er leise vor sich hin, »denn der Kerl könnte mir jetzt gefährlich werden. Wo sind unsere Pferde?« fragte er, aus dem Gotteshäuschen tretend.

»Die sind in der Stadt.«

»Holt sie hierher.«

Die Soldaten entfernten sich, und Valliers schritt ärgerlich vor der Kapelle auf und ab. »Ich wollte doch lieber jeden Tag in offener Feldschlacht kämpfen, als in dieser verdammten Gegend hier mich mit solchem Gesindel herumschlagen. Wenn nicht diese dicke Freundschaft bestände zwischen dem Offizier Hermann und van Este, so könnte er meinetwegen beim Satan sein, aber jetzt, da ich einmal angefangen habe, jetzt muß ich auch vollenden. Wenn der Offizier mir entwischt, bin ich verloren, denn er sowohl wie van Este, können mir bei Guébriant etwas einsalzen, was mir nicht angenehm ist. Verfluchtes Mißgeschick! Daß ich Tölpel den Burschen auch in die Kapelle treten ließ; dazu ist der alte Gauner, der Vit Gilles mit seiner Bande auch wieder frei, und der wird sich gewiß in den ersten Tagen schon bemerkbar machen. Verdammt, der Boden fängt an mir hier unter den Füßen heiß zu werden. Am besten, ich melde mich zum Heere, und dann laß meinetwegen die Besatzung übernehmen, wer will!«

Jetzt kamen die Soldaten mit den Pferden an, alle schwangen sich in die Sättel, und jagten auf Erkelenz zu.

»So, jetzt reiten zwei dieser Straße nach, spähen genau aus und fragen jeden Wanderer, ebenso in den einzelnen Häusern, ob sie den Flüchtling nicht gesehen haben. Zwei andere nehmen den Pfad, welcher auf Merreter und Beeck zuläuft, während ich mit euch zwei so weit wie möglich rechts reite. Wir kommen dann rechts von Erkelenz auf der Straße nach Wassenberg zusammen. Hermann wird vermutlich den Weg nach Grippekoven eingeschlagen haben. Wir schneiden ihn ab; ehe er dort ist, müssen wir ihn haben. Findet ihr ihn, so schlagt ihn tot, er ist ja vogelfrei, jeder von euch erhält ein Goldstück, wenn wir ihn finden. Also schnell vorwärts!«

Die Gruppe sprengte auseinander, und Valliers und seine Begleiter ritten einer hinter dem andern auf einem schmalen Waldpfade weiter. Es war jedoch keine Spur von dem Flüchtling zu sehen. Sie kamen dann zwischen Kipshoven und Grippekoven, als auf einmal das Pferd Valliers stehen blieb und unruhig hin und her schnob.

»Aha,« flüsterte Valliers, »ruhig Leute, hier wird er sich versteckt haben! Mein Brauner wittert ihn.« Er zog eine Pistole aus dem Halfter, jedoch ehe er schußfertig war, fiel ihm ein Bursche, der wie ein Pfeil aus dem Gebüsche schnellte, in die Zügel und rief:

»Langsam, Herr Kommandant, macht Euch nicht unglücklich!«

»Zum Teufel – was fällt Euch ein!« fluchte Valliers, »laßt das Pferd los, oder ich schieße Euch nieder wie einen tollen Hund!«

»Seht da, Herr Kommandant,« sagte Lörs kaltblütig, denn er war es, »dort lugen vier Flintenläufe aus dem Gebüsche, jeder ist auf seinen Mann gerichtet.«

Valliers erblickte die Gewehre und sah vier Burschen dort stehen mit der Flinte im Anschlag.

»Was soll das heißen?« fragte er erbleichend.

»Was das heißen soll? Daß das Blatt sich gewendet hat und Ihr jetzt in unserer Gewalt seid, gerade so wie unser Kommandant das Pech hatte in die Eurige zu fallen. Also ergebt Euch!«

»Euer Kommandant? Wer ist denn das?«

»Vit Gilles.«

»Alle Teufel! Zurück, gib den Weg frei, Bursche, oder ich schieße dich – –«

Zwei Schüsse krachten in demselben Augenblick und das Pferd Valliers' stürzte zu Boden, einer von der Truppe hatte es niedergeschossen. Die Pistole Valliers war durch den Sturz des Pferdes losgegangen, ohne jemand zu verletzen. Ehe Valliers es sich versah, waren Lörs und Kluth auf ihn gestürzt und hatten ihn trotz aller Gegenwehr gefesselt, während die andern Burschen die Soldaten in Respekt hielten.

»Was machen wir mit den Soldaten, sollen wir die auch noch mitnehmen?« fragte Kluth.

»Nein,« sagte Lörs und trat zu den Reitern, »kommt, Jungens, gebt die Schießeisen her, denn ihr könntet euch damit unglücklich machen. So, nun reitet nur ruhig nach Erkelenz zurück, und begrüßt eure Kameraden von eurem Kommandanten.«

Die Soldaten ritten mit verdutzten Gesichtern von dannen, ohne sich weiter um ihren Hauptmann zu kümmern.

»Untersteht euch aber nicht zurückzukommen, ihr Burschen,« rief Lörs ihnen nach, »denn wir haben noch viel Blei zu verschießen.«

»Steffen und Reipe,« sagte Lörs zu diesen, »geht doch eine Strecke den Soldaten nach und seht zu, daß die uns nicht auf einmal mit noch mehr Soldaten auf den Hals kommen, denn es ist wohl nicht anzunehmen, daß der Herr Kommandant mit nur zwei Mann Begleitung diesen Ausflug gemacht hat.«

Steffen und Reipe schickten sich zur Verfolgung der beiden Reiter an.

»So, Herr Kommandant, wollt Ihr nun so gütig sein, mit uns gehen?« fragte Lörs.

»Wo wollt Ihr denn mit mir hin?«

»Zu unserer Feste!«

»Zu welcher?«

»Grippekoven, wir haben nur die eine. Ihr sollt ganz anständig behandelt werden, anständiger, wie Ihr mit unseren Leuten verfahren seid.«

»So, und was soll mit mir geschehen? Was habt Ihr vor?

»Seid nur nicht ängstlich, Herr Kommandant, wir wissen ziemlich genau, was wir dürfen, und auch, was wir nicht dürfen. Ihr wußtet das ja auch und habt doch vieles getan, was Ihr nicht durftet. Wie seid Ihr über uns hergefallen und wieviele habt Ihr von uns vernichtet!«

»Mag sein; aber mit Rebellen und Freischützen pflegt man im Kriege nicht anders umzugehen.«

»Eure Grausamkeit und Eure Schandtaten an Unschuldigen haben uns die Waffen in die Hand gedrückt, und wir haben sie gebraucht. Und ich denke, wir haben bewiesen, daß wir damit verstehen umzugehen.«

»Seht, das ist unsere Feste,« sagte Lörs, auf die Ruine deutend.

Nachdem er sich dann mit der Wache verständigt hatte, schritten sie über die Furt, Kluth zuerst, dann Valliers und zuletzt Lörs.

»Vorsichtig, Herr Kommandant,« sagte Lörs, den etwas strauchelnden Valliers haltend, »wenn Ihr hier in den Morast fallt, seid Ihr verloren, und es wäre doch schade um Euch!«

Auf der andern Seite angekommen, kam Vit ihnen entgegen und riß die Augen weit auf:

»Aber zum Donnerwetter, Jungens, wen bringt ihr denn da?« fragte er.

»Das ist der Kommandant Valliers, Meister Vit, der Euch seine Aufwartung machen will. Nicht wahr, ein prächtiger Fang?!«

»Das ist schön, Herr Kommandant, tretet ein.« Und er schritt vor ihm her in die Ruine. Zuerst erzählte Lörs, wie sie Valliers aufgefangen hatten, dann ließen sie sich alle am Feuer nieder. Valliers setzte sich auf einen Baumstumpf und stierte nachdenklich in die Glut. Er fürchtete um sein Leben, denn er glaubte nicht, daß man ihn wieder freigeben würde.

»Macht es kurz,« wandte er sich an Vit, »sagt, was Ihr von mir wollt!«

»Das kann ich Euch heute noch nicht sagen. Ich muß zuerst mit meinen Leuten beraten, und das hat Zeit bis morgen.«

»Wieviel Lösegeld verlangt Ihr?«

»Gar keins. Wir haben Geld genug! Ihr würdet uns doch nur mit dem Gold bezahlen, das Ihr uns geraubt habt und an dem Blut klebt!«

»Ich gebe Euch tausend Goldgulden für meine Freiheit!«

»Wir wollen kein Geld, und übrigens wären tausend Goldgulden auch kein Preis für einen Kommandanten.«

»Ich gebe zweitausend.«

»Spart Eure Goldstücke, und reden wir von etwas anderm. Seid versichert, daß wir ehrlich mit Euch verfahren werden und Euch nicht mit gleicher Münze heimzahlen, wie Ihr es eigentlich verdientet. Doch sagt mir, wo ist Eva, die Tochter des Hauptmanns van Este?«

»Soviel ich weiß, ist sie in Dahlen.«

»So, und der Offizier Hermann?«

»Das weiß ich nicht. Er ist entflohen.«

»Entflohen, warum?«

»Er war des Verrates angeschuldigt.«

»Wahrscheinlich, weil er in der Nähe war, als ich Euch befreien wollte in Dahlen?« fiel Lörs ein.

»Ist das wahr, Herr Kommandant?« fragte Vit.

»Ich weiß es nicht.«

»Ihr wißt das ganz bestimmt. Ich würde viel darum geben, wenn der junge Mann gerettet worden wäre.«

»Er ist entflohen, wohin, weiß ich nicht.«

»Wer verfolgt ihn?«

»Einige Soldaten von mir.«

»Wann ist er entflohen?« forschte Vit weiter.

»Heute.«

»Heute, also wäret auch Ihr zu seiner Verfolgung aufgebrochen, nicht wahr?«

»Ja!«

»Und wurdet selbst gefangen – fatal!« Vit lachte. »Es geht nun einmal so zu im Leben!«

Steffen und Reipe kehrten zurück und meldeten, daß die Soldaten ruhig auf Erkelenz zugeritten seien; weiter hätten sie niemanden bemerkt.

Jetzt wurden die Wachen für die Nacht verteilt, und die Burschen begaben sich zur Ruhe. Vit und Valliers blieben schweigsam noch eine Zeitlang am Feuer sitzen, dann erhob letzterer sich und legte sich ins Stroh. Es dauerte nicht lange, und alles lag in tiefem Schlafe. Die Nacht war friedlich und still. Man hörte nur den regelmäßigen Schritt der Schildwache. Vit war in Gedanken versunken und starrte in die langsam erlöschende Glut. Dann richtete er sich auf, und auf die Schlafenden blickend, lächelte er und sagte: »Ein schönes Vorrecht der Jugend. Sie legt sich sorglos hin und schläft, während das vorsichtige und bedenkliche Alter wacht und den Schlaf nicht finden kann.« Er legte noch Holz auf das Feuer und trat dann in die sternenhelle Nacht hinaus.

»Nun, Meister Vit, was führt Euch noch hinaus?« fragte der Bursche, welcher die Wache hatte.

»Ich konnte noch nicht schlafen, Hendrik, und habe auch eine seltsame Unruhe. Ich weiß selbst nicht, wie ich diese deuten soll.«

»Leistet mir ein wenig Gesellschaft, es ist so schön hier draußen.«

»Das ist wahr, Hendrik,« sagte Vit und ließ sich in das weiche Gras nieder.

Nach einer Weile flüsterte Vit aufstehend: »Mir ist, als hörte ich Stimmen auf der anderen Seite im Walde.«

Hendrik lauschte angestrengt und sagte dann: »Ich glaube auch etwas zu hören. Es ist jedoch unbestimmt, was es ist.«

»Sollten uns vielleicht die Truppen von Erkelenz einen Besuch machen wollen? Junge, dann wären wir aber übel dran mit unserer Handvoll Leute; da hätten der Kluth und der Lörs uns mit der Gefangennahme des Kommandanten einen dummen Streich gemacht.«

»Da, seht Ihr, Meister, dort tritt jemand aus dem Walde heraus. Er kommt auf die Furt zu. Alle Wetter, der will hierher. Halt! Wer da?«

»Langsam, brenn mir keins auf, Kamerad. Ich bin's, der Paul!«

»Der Tausend!« rief Vit erstaunt aus. »Da ist der Kerl wahrhaftig schon zurück. Mach schnell Junge, daß du herüberkommst!«

»Das tue ich, Großvater,« klang es zurück. »Es kommt aber noch jemand mit.«

»Und wer ist denn das?«

»Ein Freund und eine Freundin.«

»Hm,« brummte Vit zu Hendrik gewandt, »wer mag das wohl sein? Das fehlt noch gerade, daß der Bursche eine Dirne mit hierherbringt!«

Dann sahen die beiden drei Personen aus dem Gebüsch treten und über die Furt schreiten. Vit unterschied darunter die Umrisse einer weiblichen Gestalt. Ehe er sie aber recht erkannt hatte, hüpfte ein schlankes Mädchen behende auf ihn zu, fiel ihm um den Hals und riß ihn fast zu Boden: »Großvater, lieber Großvater, ich bin es!« jauchzte Eva, denn sie war es.

»Donnerwetter, Mädchen,« wehrte Vit ab, »du schnürst einem wahrhaftig den Hals zu. Wer soll auch an dich denken, du wilde Hummel!«

Dann trat Hermann hinzu und schüttelte Vit kräftig die Hand. »Gott sei Dank, daß wir in Sicherheit sind, Meister.«

»Ja, danken wir's unserm Herrgott, der uns beiden gnädig gewesen ist. Ich hatte es übrigens schon vernommen; Valliers hat's mir selber gesagt.«

»Wie – Valliers – –?« riefen Hermann, Eva und Paul wie aus einem Munde.

»Ja, er selbst; denn das Schicksal hat ihn in unsere Hände gespielt. Meine Burschen haben ihn im Walde geschnappt, als er hinter Euch herjagte. Er liegt hier unten gefesselt und morgen früh könnt Ihr ihn Euch betrachten. Aber nun erzählt: »Wie seid Ihr eigentlich entkommen? Wie habt Ihr das angestellt?«

»Hier steht meine Retterin, der ich alles verdanke,« erwiderte Hermann auf Eva deutend. »Und wäre nachträglich unser wackerer Paul hier nicht hinzugekommen, so wäre doch noch alles vergebens gewesen und ich mit Eva von neuem in Gefangenschaft geraten. Aber hört, wie das alles gekommen ist. Meine Flucht gelang in den letzten fünf Minuten meines Lebens. Vor der Kapelle in Dahlen sollte ich erschossen werden. Da erbat ich und erhielt auch von Valliers die Erlaubnis, in dieselbe zu treten, um noch ein Gebet zu verrichten. Als ich nun hinter den Altar trat, hob sich die große Steinplatte auf, und Eva, die mir schon ihre Hilfe in einem Blumensträußchen angekündigt hatte, hieß mich hinabsteigen, worauf die Öffnung sich wieder schloß. Wir hörten Valliers fluchen und toben, die Soldaten hin- und herrennen, verhielten uns aber ganz ruhig. Eva wollte mich mit in die Stadt nehmen, aber ich habe sie überredet, die Nacht abzuwarten und mit mir hierher zu fliehen, denn, wenn man mich in Dahlen witterte, hätten die Bürger darunter leiden müssen.

Soweit hatte alles gut gegangen. Als wir uns dann aber Kipshoven näherten, wurden wir plötzlich von zwei hessischen Soldaten, die aus dem Gebüsche traten, angerufen. Einer davon hatte mich erkannt. Ein Widerstand war nutzlos, weil ich unbewaffnet war; und jedenfalls hätten die Kerls uns niedergeschossen, wenn wir davongelaufen wären. In diesem Augenblicke erschien Paul als rettender Engel –«

»Der den beiden Soldaten das Laufen beibrachte,« unterbrach ihn Paul lachend, indem er Hermann kameradschaftlich auf die Schulter klopfte.

»Das ist ja eine hübsche Geschichte,« sagte Vit. »Siehst du, Eva, da war es ja ein Glück, daß du das Geheimnis des unterirdischen Ganges wußtest. Ich hätte aber nicht gedacht, daß meine Eva soviel Mut gehabt hätte, einen solchen Streich auszuführen. Ging denn das alles so leicht?«

»Ich hatte den Onkel ins Vertrauen gezogen, lieber Großvater, und der hielt im Keller Wache, sorgte für Licht und machte den Zugang frei. Er hatte sich von dem Mechanismus überzeugt, deshalb war ich sicher, daß alles gut gehen würde, wenn Hermann nur in die Kapelle kommen konnte. Der Weg durch den feuchten Gang war allerdings nicht angenehm, und was ich Schlüpfriges zertrat da unten – es waren wohl Kröten und sonstiges Getier – das war grauenhaft! Aber es gelang mir durchzukommen.«

»Und deshalb gelang auch die Rettung,« ergänzte Hermann.

»Und du, Paul?« sagte jetzt Vit zu diesem gewandt. »Hast du deinen Auftrag erledigt? Und wie steht's mit deinem Vater?«

»Der war überglücklich, daß ich ihn holen kam, denn er konnte keinen Schritt gehen und Ihr könnt Euch denken, wie die Mutter sich freute, als sie ihn und mich wiedersah, obschon sie sehr erschrak, als ich den Vater in diesem Zustande nach Hause brachte. Nun, er ist jetzt in guten Händen, denn die Mutter hat ihn gleich in Pflege genommen. Beide glaubten nun, ich wäre auch in Venn geblieben und die Mutter wollte mich wenigstens ein paar Tage dort behalten, aber Großvater, – keine zehn Pferde hätten mich da zurückhalten können. Ein unerklärliches Gefühl, eine seltsame Unruhe trieb mich wieder fort. Ich nahm daher bald Abschied, eilte hierher und kam denn auch noch rechtzeitig, um unseren Freund Hermann und Eva aus neuer Gefahr zu befreien. Vater und Mutter, sowie auch Gietens lassen Euch vielmals grüßen und wünschen Euch alles Gute. Sobald der Vater wiederhergestellt ist, will er mit uns ziehen, um uns zu helfen, die Hessen zu verhauen.«

»Soll mir recht sein,« erwiderte Vit. »Du hast deine Sache gut gemacht, Paul; aber nun denke ich, Kinder, wir begeben uns jetzt zur Ruhe, Eva, du bist ja hier bekannt, gehe hier links in die Nische, dort kannst du auf deinem früheren Lager ruhen. Es ist das ein von den anderen Räumen getrenntes Gelaß. Hermann, geht mit mir. Gute Nacht, mein Kind.«

Eva reichte beiden die Hand und verschwand in der Nische.

»Ein tapferes Mädchen!« meinte Hermann, als sie fort war.

»Das ist wahr. Gefällt Euch wohl, Herr Hermann?«

»Das will ich meinen, daß mir ein Mädchen gefällt, welches mir durch seinen Mut das Leben rettete!«

»Wird der Valliers morgen früh Augen machen, wenn er Euch kommen sieht!«

»Ich freue mich darauf! Übrigens ein kostbarer Fang, Meister Vit!«

»Nicht wahr? Das hättet Ihr Euch nicht träumen lassen! Na, er soll uns gute Dienste leisten, der Herr Kommandant. Wenigstens soll er dafür sorgen, daß wir unbehelligt fortkommen können. Wir sind nämlich nicht mehr sicher hier mit unserer Handvoll Leute. Doch kommt, laßt uns schlafen. Du, Hendrik, laß dich ablösen und gehe auch zur Ruhe, wenn der andere die Flinte in Händen hat.«

Beide suchten ihr Lager auf und waren bald eingeschlafen. Es mochte Mitternacht sein, als auf einmal ein Schuß fiel, welcher im Nu die Schläfer weckte. Alle sprangen auf.

Vit rief: »Ruhig, Leute, suche jeder seine Waffen, facht das Feuer wieder an und wartet, bis ich zurückkomme!«

»Meister Vit, schnell, kommt!« rief die Wache.

»Was gibt's denn, Peter?« fragte Vit.

»Seht, dort kommen mehrere Soldaten über die Furt auf uns zu, Meister. Wir sind verloren.«

»Donnerwetter, Junge! Was ist das? Hast du geladen, Peter?«

»Ja, ich bin eben mit dem Laden fertig.«

»Paul, Lörs, Reipe, schnell hierher!« rief Vit.

Die Burschen stürzten herauf. Da fiel ein Schuß von der Furt, und die Kugel pfiff über ihre Köpfe hin.

»Es wird ernst, Jungens,« sagte Vit. »Seht ihr, vier Soldaten kommen wahrhaftig über die Furt, und an der anderen Seite steht noch eine ganze Menge. Niederknien!« befahl er kurz.

»Halt, wer da?«

Keine Antwort.

»Sie sind bald auf dieser Seite. So wie ihr liegt, schießt ihr der Reihe nach einen nach dem andern nieder. Also, Lörs, nimm den ersten! Passe gut auf! Der Mond scheint hell genug.«

Ein Schuß krachte. Ein Aufschrei, – dann ein Plätschern im Moraste.

»Verdammte Bande! Das sollt ihr büßen!« schrie einer von den drei Soldaten und sie beeilten sich, an das Ufer zu kommen.

»Jetzt schnell nacheinander Feuer. – Reipe, Paul und du, Peter!« Die Schüsse krachten. Zwei Getroffene stürzten in den Morast, während der letzte schleunigst den Rückweg antrat.

Vit und seine Leute brachen in ein Gelächter aus, denn der letzte konnte jeden Augenblick in den Morast fallen. Er balancierte hin und her, um das Gleichgewicht auf der schmalen Furt zu behalten.

»Du hast schlecht gezielt, Peter, siehst du, er ist nicht getroffen.«

»Einen Augenblick,« sagte Lörs aufstehend, und riß seine Flinte an die Wange, ein Knall, und der Soldat, welcher ungefähr das jenseitige Ufer erreicht hatte, sank schwer getroffen in das dunkle Gewässer.

»Nun vier neue Soldaten!« rief Lörs.

Jetzt blitzte es auf der anderen Seite, worauf Lörs nach seinem linken Arme griff. Eine Kugel war ihm durch die Muskel gedrungen und war dann hinter ihm gegen das Gemäuer angeschlagen.

»Die habe ich fort!« meinte Lörs ruhig. »Es ist nur ein Läppchen Fell und Fleisch! Wird unser Könes mir schon verbinden.«

»Lege dich doch nieder, Lörs!« mahnte Vit, »gleich bekommst du einen besseren Schuß!«

»Ich werde mir die Kugel wieder suchen, welche mir durch den Arm fuhr, die sollen die Halunken wieder zurück haben. Du, Paul, lade mein Gewehr, ich kann es nicht!«

Paul lud das Gewehr und reichte es Lörs, der sich hinlegte und kniend auf die andere Seite spähte. Jetzt glaubte er einen Soldaten unterscheiden zu können, er drückte ab, und der arme Schelm, welcher sich etwas weit vorgewagt hatte, brach sofort zusammen.

»So,« sagte Lörs, »jetzt muß der Könes mich verbinden. Mein Rock ist ganz naß von Blut,« und er begab sich hinunter.

Eine ganze Salve krachte jetzt von drüben, jedoch wurde keiner getroffen, weil alle sich gelagert hatten.

»Wollt ihr euch ergeben?« rief eine Stimme von drüben.

»Noch nicht,« rief Vit zurück. »Ihr möchtet wohl gerne euren Kommandanten zurück haben. Wie?«

»Ja, gebt ihn frei, dann ziehen wir ab.«

»So? Nein, wir wollen ihn noch etwas hier behalten. Wenn ihr nicht hübsch brav seid da drüben, dann schicken wir euch seinen Kopf hinüber.«

»Untersteht euch nicht, ihm ein Haar zu krümmen, ihr würdet es alle mit dem Leben büßen müssen!«

»Habt nur keine Angst, die paar Haare, die der Herr Valliers noch hat, werden wir ihm lassen,« scherzte Vit. »Aber wenn ihr unterhandeln wollt, so will ich ihn heraufkommen lassen.«

»Heda, zwei Mann bringen den Kommandanten herauf!« rief Vit hinunter.

Die Hände auf dem Rücken gefesselt, wurde Valliers gebracht. Zwei Mann standen schußfertig neben ihm.

»Herr Kommandant,« sagte Vit, »Eure Leute haben Euch etwas zu melden, wollt Ihr sie anhören? Sie haben zwar eine schlechte Stunde gewählt, es ist eben Mitternacht.«

»Wer ist dort?« fragte Valliers.

»Jourdan mit 500 Mann.«

»Da werden doch wohl einige dran fehlen,« meinte Vit. »So viele sind ja gar nicht in Erkelenz.«

»Wo kommen die Soldaten her?« fragte Valliers.

»Jason ist mit 1090 Mann gekommen, um Euch abzulösen, Ihr sollt sofort zum Heere stoßen!«

»Ich bin gefangen!«

»Wir werden Euch befreien!«

»Lebendig bekommt ihr ihn aber nicht!« rief Vit.

»Das wollen wir schon sehen. Sollen wir stürmen, Herr Kommandant?«

»Nein, bleibt ruhig dort, ich will mit den Leuten unterhandeln.«

»Das ist vernünftig!« sagte Vit.

»Was verlangt Ihr von mir, Meister? Sagt es grad heraus.«

»Das weiß ich noch nicht. Fragt einmal, warum jetzt so viele Soldaten gekommen sind.«

Valliers fragte Jourdan.

»Alle Festungen, Gladbach, Dahlen und Erkelenz, sollen verstärkt werden,« erklärte Jourdan, »der deutsche Bär soll hierhin kommen, und diesem eine offene Feldschlacht angeboten werden. Der General Guébriant will selbst auch in den ersten Tagen hier eintreffen.«

»Habt Ihr verstanden, Meister?«

»Jawohl, doch wer ist der deutsche Bär?«

»Der Jan van Werth!«

»Aha, na, dann wird's bald lustig hergehen. Also darum soviele Soldaten. Jetzt verstehe ich das,« sagte Vit.

»Was verlangt Ihr denn nun von mir, Meister?« wiederholte Valliers seine Frage.

»Gebt einmal acht, Herr Kommandant. Wir wollen freien Abzug mit Waffen und Pferden, ferner eine Eskorte von 20 Mann Soldaten, welche uns bis unter die Mauern von Köln begleitet; und Ihr verpflichtet Euch mit Eurem Ehrenwort dafür, daß wir unbehelligt nach Köln kommen. Ihr schreibt uns einen Geleitschein, daß wir von Euch beauftragt sind, nach Köln zu reisen und überall frei passieren dürfen.«

»Das will ich tun.«

»Aber Großvater,« fiel Paul ein, »wenn er sein Wort nicht hält und wir niedergemacht werden, was dann?«

»Ihr werdet doch an dem Ehrenworte eines französischen Hauptmannes nicht zweifeln?« brauste Valliers auf.

»Sei ohne Sorge, Paul, und Ihr, Herr Kommandant, nehmt das dem Burschen nicht übel.«

»Befehlt jetzt, daß die Truppen eilends sich nach Erkelenz zurückziehen. 20 Mann können sich im Walde lagern, bis wir aufbrechen, die müssen uns dann begleiten. Von denjenigen, die nach Erkelenz gehen, muß einer schnell mit Pergament und Schreibzeug zurückkommen, damit Ihr uns den Paß schreiben könnt. So, nun erteilt diese Befehle.«

»Aber löst mir zuerst die Fesseln, Meister.«

»Nicht eher, bis wir fortreiten.«

»Das ist gegen die Absprache. Ich habe Euch mein Ehrenwort gegeben, nun laßt mich auch frei.«

»Das geschieht nicht eher, bis wir selbst in Freiheit sind, Herr Valliers.«

Als dieser sah, daß Vit unerbittlich blieb, gab er die verlangten Befehle und die Soldaten zogen sich zurück.

»So, nun kommt nach unten. Sorgt für ein gutes Frühstück, Jungens, und einige machen die Pferde zurecht, damit wir bei Tagesanbruch aufbrechen können. Außer einer Wache begeben sich alle wieder hinunter. Valliers bleibt hier bei Euch. Vier Burschen gehen mit mir.« Der geheime Gang wurde geöffnet die Beutel mit Goldstücken in eine Grube geworfen und diese zugescharrt. Einen Beutel nahm Vit an sich und einen zweiten verteilte er unter seine Leute. Der Gang blieb offen. Mehrere Burschen mußten Steine und Erde auf die Grube werfen und feststampfen, damit das verborgene Geld von den Soldaten nicht gefunden werden sollte. Der Soldat mit dem Schreibzeug kam zurück. Paul holte es auf der anderen Seite ab, da Vit keine Soldaten in der Ruine haben wollte. Dann schrieb er den Paß, der von Valliers untersiegelt wurde. Unterdessen war das Frühstück fertig, das aus einem tüchtigen Stücke Fleisch und einem Stück Brot bestand.

Als sie mit dem Essen fertig waren, meinte Vit, es sei nun bald Zeit zum Aufbrechen.

Jetzt verlangte Valliers in Freiheit gesetzt zu werden.

»Ich bedaure, Herr Valliers, Euch jetzt noch nicht freigeben zu können, denn wir sind noch nicht in Sicherheit.«

»Was, Ihr habt doch mein Ehrenwort!«

»Das ist richtig, aber wir müssen doch etwas mehr Sicherheit haben, als ein Ehrenwort. Ich denke, ihr wartet hier, bis wir außer Eurem Bereich sind, erst dann entfernt Ihr Euch von hier.«

»Das ist ein gemeiner Schurkenstreich!«

»Schimpft, soviel Ihr wollt! Wir müssen tun, was die Vorsicht uns gebietet. He, Burschen, bindet ihm die Füße!«

Im Nu waren diese gefesselt.

Valliers fluchte gottslästerlich und wand sich in seinen Fesseln, indem er verzweifelte Anstrengungen machte, dieselben zu sprengen.

»Gebt Euch keine Mühe,« sagte Vit, »die Stricke sind fest, die werdet Ihr nicht zerreißen. Aber hört nun, was ich Euch sage: Wir verbergen Euch hier, und Euer Versteck wird den Soldaten, die uns nach Köln begleiten, erst mitgeteilt, wenn wir dort sind.«

»Ihr habt mich also betrogen!«

»Betrogen? – Nein, aber wir sind ebenso klug wie Ihr. Kein einziger von uns käme lebendig fort, wenn wir Euch jetzt die Freiheit geben würden, das habe ich wohl bedacht. So, Burschen,« rief er dann, »nehmt eine Fackel, etwas Stroh und einen Wasserkrug nebst einem Stück Brot und tragt den Kommandanten in den Gang hinein, dort muß er sich bis morgen gedulden; dann wird er erlöst.«

Die Burschen taten, wie ihnen befohlen war. Vit begleitete sie und schritt voran.

»Hier ist es trocken,« sagte Vit, auf eine sandige Stelle deutend. »Legt hier das Stroh hin und den Herrn darauf, das Brot und den Wasserkrug daneben. So, Herr Kommandant, nun laßt Euch die Zeit nicht lang werden. Sobald wir in Sicherheit sind, schlägt auch für Euch die Stunde der Befreiung. Bei mir in Dahlen war es anders. Als ich aus dem Turme kam, wollte man mich verbrennen. Da habt Ihr doch bessere Aussichten. Rufen und Schreien ist zwar nutzlos, weil Euch doch niemand hört. Also verhaltet Euch ruhig.«

»So ruhig, Herr Kommandant, wie ich mich damals in Erkelenz verhalten mußte, als ich Euer Gefangener war,« bemerkte Paul mit ironischem Lachen und stellte sich mit verschränkten Armen vor den Genannten hin.

Valliers starrte ihm ins Gesicht, »Ihr, mein Gefangener? Wer – ah, Ihr seid jener –?«

»Ich bin der Tölpel, der so dumm war, sich von Euren Soldaten fangen zu lassen und den Ihr dann mit Gewalt zum schwarzen Baas gemacht hattet; denn in Wirklichkeit war und bin ich nur der Paul, hier meines Großvaters Vit Gilles Enkel Paul.«

Valliers war blaß geworden: er fürchtete jetzt Vits und Pauls Rache.

»Wird man mich auch hier finden, oder habt Ihr etwa die Absicht, mich hier umkommen zu lassen?« fragte er, bebend vor Angst um sein Leben.

»Nein, beruhigt Euch,« sagte Vit, »Ihr werdet morgen geholt. Darauf gebe ich Euch mein Ehrenwort, welches ebensoviel und vielleicht noch mehr gilt wie das Eure. Ich werde Euren Leuten schon Anweisung geben, daß sie Euch finden. Also gehabt Euch wohl!«

»Lebt wohl, Herr Kommandant!« sagte Hermann hinzutretend. »Wie Ihr seht, bin ich auch hier.«

Valliers glaubte seinen Augen nicht zu trauen. »Wie – Ihr seid es?« stotterte er.

»Jawohl, ich bin es selbst, Herr Kommandant,« fuhr Hermann mit spöttischer Verbeugung fort, »Ihr wißt ja, daß aus der Exekution, die Ihr über mich verhängt hattet, nichts geworden ist, weil ich es vorzog, rechtzeitig zu verschwinden. Wie ich das angestellt habe, kann ich Euch allerdings nicht verraten. Genug: ich verstehe etwas von der Zauberkunst und mache gelegentlich Gebrauch davon, wenn ich meinen Gegnern einen Streich spielen will.«

»Der Euch aber diesmal doch nur gelungen ist, weil ich so gutmütig war und Euch in die Kapelle treten ließ,« erwiderte Valliers mit bitterem Lachen.

»Na, seid zufrieden, daß es so gekommen ist,« gab Hermann zurück, »denn wäre Eure Absicht nicht vereitelt worden, so hättet Ihr es jetzt vielleicht mit dem Leben büßen müssen.«

»Das will ich wohl meinen,« bekräftigte Vit.

Valliers biß sich in die Lippen und ergab sich in sein Schicksal.

Jetzt wurde die Öffnung verschlossen, und dann begaben sich alle auf die andere Seite, wo die Soldaten mit den Pferden bereit standen.

»Warum kommt unser Kommandant nicht?« fragten die Soldaten.

»Der hat noch nicht ausgeschlafen,« beruhigte sie Vit und zeigte ihnen den Paß des Kommandanten vor.

Eva, welche wenig geschlafen hatte, war dennoch fröhlich und guter Dinge, scherzte mit Paul und Hermann und nahm auch auf einem Pferde Platz. Dann saßen alle auf, und fort ging's in den taufrischen Morgen hinein.

Schweigend schlug der Trupp die Richtung auf Dahlen ein. Die Soldaten, lauter Hessen, blickten finster auf Vit und seine Leute und hätten sie am liebsten niedergemacht, jedoch hatten sie Respekt vor den kräftigen kampfgeübten Burschen, die sich eher in Stücke hauen ließen, als daß sie duldeten, daß ihrem Vit ein Haar gekrümmt würde. Als sie vor Dahlen kamen, sprengten zwei Hessen voraus, um, wenn nötig, eine Meldung zu machen. Eva und Hermann ritten am Schlusse des Zuges. Eva trug ein dunkles Wollkleid; das braune Haar, das in schweren Flechten um den schön geformten Kopf gewunden war, gab dem rosigen Gesichtchen mit den braunen Zügen einen lieblichen Ausdruck. Sie war lustig und heiter. Bei ihren Kreuz- und Querfahrten und auch in Venn hatte sie die Kunst des Reitens erlernt und wußte ihren Braunen recht gut zu behandeln. Vit blickte wiederholt auf das hübsche Paar und lächelte zufrieden vor sich hin.

»Hier,« sagte Hermann, gedankenvoll auf die Kapelle deutend, »sollte ich gestern erschossen werden. Es wäre am Ende besser gewesen, wenn ich gestorben wäre ...«

»Ei, ei, Herr Hermann, das kann doch Euer Ernst nicht sein. So jung stirbt man doch nicht gerne!«

»Nun, Fräulein, ob heute oder morgen sterben, ist mir gleich, nur nicht als Verräter. Jetzt bin ich geächtet und darf mich kaum bei meinem Heere sehen lassen und wenn ich Euren Vater nicht finde, dann sieht es traurig für mich aus. Vielleicht ist er tot oder verwundet und ich finde ihn nicht wieder. Ich wüßte auch nicht, warum und für wen ich leben soll. Als Fremdling, ohne Freunde, ungeliebt und ungekannt, stehe ich seit meiner frühen Jugend da, freudlos und verlassen – –«

»Ohne Freunde – ungeliebt?« unterbrach ihn Eva, indem sie vorwurfsvoll zu ihm aufblickte und ihr Pferd dicht an das seinige lenkte. »Bin ich denn nicht Eure Freundin, die teilnimmt an Eurem Geschick, das ja soviel Ähnlichkeit mit dem meinigen hat?! Ach, wie habe ich mit Euch gelitten und mich geängstigt, als Ihr gefangen waret! Wie habe ich die Heiligen angefleht um Eure Rettung –!«

Mit gesenkten Blicken und tief errötend hatte Eva diese letzten Worte gesprochen.

»So ist's also wahr, Eva, was ich bis jetzt nur zu hoffen wagte – Ihr seid mir gut? Ihr erwidert meine Zuneigung? Oh sprecht!«

»Ja, es ist wahr,« sagte sie leise. Ihr wißt es ja schon längst. Warum soll ich es nicht sagen dürfen?!« setzte sie kindlich hinzu.

»Oh Eva, dieses Wort macht mich zum Glücklichsten aller Sterblichen und gibt mir neuen Lebensmut. Ja, Mädchen, ich fühle es: für mich gibt es kein anderes Glück, als mit dir vereint zu sein. Du warst mein Schutzgeist, dir verdanke ich mein Leben ...!«

Hermann hatte ihre Hand ergriffen und preßte sie an seine Lippen. »Und dieses Leben,« fuhr er fort, »soll von nun an dir gehören, es soll dein sein bis zum letzten Atemzuge!«

Die voranreitenden Soldaten hatten das Zurückbleiben der beiden bemerkt und schauten jetzt neugierig nach ihnen um. Hermann und Eva gaben daher ihren Pferden die Sporen und hatten bald die Truppe wieder eingeholt.

»Donnerwetter!« fluchte ein Soldat, als die Pferde plötzlich durcheinanderliefen und einige sich aufbäumten, »Bauer, rufe doch den Hund hier fort!«

Ein grauer Spitz lief bellend zwischen den Pferden her und machte diese unruhig.

»Der Hund gehört nicht mir,« antwortete der am Wege stehende Bauer. »Der gehört meinem Nachbarn.«

»Halt!« kommandierte der Korporal, welcher den Zug befehligte. Der Zug hielt, der Hund sprang noch immer zwischen den Pferden her.

»So rufe doch den Hund zurück, Bauer. Worauf hört er denn? Das wißt Ihr doch!«

»Ja, der hört nur auf dem linken Ohre, auf dem rechten ist er taub,« versetzte trocken der Bauersmann.

Alle brachen in ein Gelächter aus, und der Korporal zog wütend seinen Säbel, um auf den Hund einzuhauen, jedoch der wich geschickt aus.

»Langsam, Herr Korporal,« sagte Vit, »Ihr verletzt noch unsere Pferde. He, junger Krieger,« wandte er sich an einen Soldaten, reitet einmal aus der Truppe beiseite. Seht Ihr, der Hund folgt Euch nach. Warum? Weil der Hund vermutlich ein Freund des Pferdes ist, welches Ihr jedenfalls hier einem Bauern geraubt habt.«

»Das ist verdammt die Wahrheit,« bekannte der Soldat, »das Pferd haben wir, wenn auch nicht geraubt, so doch requiriert.«

»Auch bezahlt?« fragte Vit.

»Das kümmert Euch nicht?« polterte der Korporal. »Vorwärts!«

»Dann muß der Soldat mit dem requirierten Pferde am Schluß der Truppe reiten,« sagte Vit, »und sonst warten wir noch etwas. Verstanden?«

Der Soldat wurde an das Ende der Truppe verwiesen und schloß sich hinter Hermann und Eva an. Der Hund lief noch längere Zeit bellend hinter der Truppe her. Mit Umgehung der Orte Kleinenbroich und Büttgen, wo die Hessen sich nicht mehr sehen lassen wollten, ging es auf Köln zu. Bei Grimlinghausen kommandierte der Korporal »Halt!« und sagte: »So, weiter reiten wir nicht mit. Was habt Ihr uns noch zu sagen?«

»Herr Korporal,« sagte Vit, »Ihr habt Euer Wort gehalten, ich halte auch das meinige. Reitet jetzt so schnell Ihr könnt nach Grippekoven zurück und zündet dort ein Licht an, geht dann in die Nische rechter Hand, dort ist ein Backstein mit einem Kreuze gezeichnet. Den ganzen Steinkoloß könnt Ihr ausheben, dann kommt Ihr durch die Öffnung in einen breiten Gang, dort findet Ihr Euern Herrn Kommandanten.«

»Wie? Was soll das heißen? Ist der denn nicht frei?«

»Doch,« sagte Vit, »er ist frei, sobald Ihr dort seid, eher nicht. Seine Freiheit hängt also von der Schnelligkeit ab, mit der Ihr wieder zurückreitet. Wir wollten ihm nur Gelegenheit geben, sich ein wenig auszuruhen, und das wird er inzwischen wohl getan haben.«

»Warte, alter Spitzbube,« rief der Korporal, Vit die Faust entgegenstreckend, »wir sehen uns heute nicht zum letztenmal!«

»Das ist wohl möglich,« erwiderte Vit, drängte sein Pferd an das des Korporals und sagte: »Damit Ihr den alten Spitzbuben nicht vergessen sollt, will er Euch ein kleines Andenken geben,« und damit sauste die schwere Hand Vits um seine Ohren, daß ihm Hören und Sehen verging und er von seinem Gaule taumelte.

Jetzt rissen die Soldaten die Säbel heraus, um über Vit und seine Burschen herzufallen.

»Kommt heran, wenn Ihr Lust habt!« rief Vit, indem er einen Schritt zurücktrat. Seht her, meine Leute sind schußbereit. Wenn Ihr aber gescheit seid, müßt Ihr Euch sagen, daß es nicht der Mühe wert ist, denn diese Ohrfeige hat Euer Korporal redlich verdient. Noch nie hat Vit Gilles sich ungestraft beleidigen lassen –! Also packt lieber Euren Korporal gleich auf und geht hübsch nach Hause. Vorwärts, Jungens!«

Vit und seine Burschen trabten von dannen.

»Sollten sie uns nicht folgen, Großvater?« fragte Paul.

»Die werden sich schon hüten, Junge.«

Sie kamen unbehelligt in Köln an und suchten eine große Soldatenherberge auf. In der Stadt war ein bewegtes Leben und Treiben. Allerlei Soldaten zu Pferd und zu Fuß zogen durch die Straßen. Es schien, als ob ein großes Heer ausgerüstet werden sollte. Hermann und Paul führten Eva zu den Verwandten des Vit Tempel, dem Kaufmann Rosenberg, bei denen Eva mit Freuden aufgenommen wurde und ein gutes Unterkommen fand. Hier befand sich, wie Paul es uns früher mal erzählt hat, Gretchen Tempel, welche den Haushalt führte und bei Rosenbergs wie Kind im Hause war. Letztere freute sich besonders über die Ankunft Evas, an der sie nicht nur eine Stütze, sondern auch eine Freundin erhielt. Denn, wie die beiden Mädchen einander im Hause halfen und sich die Arbeit teilten, so teilten sie auch ihre kleinen Geheimnisse und Herzensangelegenheiten.


Eva war glücklich und dankte dem Himmel dafür, daß die Rettung Hermanns, des Großvaters und Pauls, die man ihr ja größtenteils zu verdanken hatte, so gut gelungen war, und sich nun alle in Sicherheit befanden. Noch glücklicher aber war sie in dem Bewußtsein, daß es außer ihrem Vater noch jemand gab, der ihrem Herzen nahe stand, der sie und den sie liebte. Seitdem die Liebe in ihr Herz eingezogen war, hatte sich ihr eine neue Welt aufgetan und alles erschien ihr wie in einem neuen Lichte: sie sah in der Ferne tausend blumige Pfade ...

Fast täglich hatten die Liebenden Gelegenheit, sich zu sehen und zu sprechen; war's nicht im Hause, so doch auf der Straße beim Kirchgange. Und wenn der Tag sich neigte und die Arbeit getan war, dann schlüpfte Eva wohl noch einmal hinaus, auf die hinter dem Hause gelegene Kastanienallee. Dort trafen sie sich wieder, von niemand gesehen und belauscht als vom Mond, der still am Firmamente heraufstieg und wehmütig auf die beiden herabschaute, die hier miteinander Zwiesprache hielten und deren junge Herzen sich so viel zu sagen hatten. Er allein, der mit seinem silbernen Lichte durch die Baumkronen drang, war Zeuge ihrer Zärtlichkeiten und vernahm ihre geflüsterten Liebesworte, womit sie sich ewige Treue gelobten ...

Ja, es waren schöne glückliche Tage für Eva gekommen, Tage, die sie die Nöten und Trübsale ihrer Kindheit vergessen ließen. Und doch gab es Augenblicke, wo ein banges Gefühl sie beschlich und eine düstere Ahnung ihr sagte, daß ihr Glück einmal ein jähes Ende nehmen würde. Dann war es ihr, als ob der Horizont sich plötzlich verfinsterte, wie wenn eine schwarze Wolke ihn bedeckte und es befiel sie eine tiefe Traurigkeit.

In einer Nacht hatte sie folgenden Traum: Sie sah Hermann neben sich zu Pferde, totenblaß im Gesicht mit erloschenen Augen. Plötzlich teilte sich dessen Persönlichkeit in zwei Gestalten: die eine fiel leblos herab in ihre Arme, während die andere auf dem Pferde davonritt und verschwand.

Am Abend warf sie sich weinend in seine Arme und erzählte ihm, was sie geträumt. Doch er schalt sie eine Törin, küßte ihr die Tränen von den Wimpern und beruhigte sie. Indessen vermochte er die Schatten nicht zu bannen, die dieser Traum auf das Gemüt des jungen Mädchens geworfen hatten und die es nun ständig bedrückten.


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