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Die Flucht.

Am Abend nach dem Tage, an dem die Leiche Evas in der Krypta aufgebahrt war, brannte neben dem geschlossenen Sarge ein kleines Licht, welches den unheimlichen Raum geisterhaft erhellte.

Durch die Stille drang jetzt ein knarrendes Geräusch, ein großer Stein in der Wand bewegte sich wie eine Türe in ihren Angeln, und aus der Öffnung kroch unser Vit heraus. Er lauschte, alles war still. »Es ist doch eine unheimliche Arbeit,« murmelte er, »und besonders in der Nacht. Bin neugierig, ob mich auch jemand stört.« Er stellte ein geladenes Gewehr zur Seite, öffnete den Sarg, legte den Deckel daneben und auf denselben einige Kleidungsstücke. Eva lag still und friedlich da, Vit erfaßte ihre Hand und flüsterte: »Du armes Kind!« Um sich zu vergewissern, ob die Luft auch rein sei, schlich er durch die Kirche und öffnete eine kleine Seitentüre, dann trat er in das Dunkel der Nacht hinaus auf den Münsterplatz. Nichts regte sich, nur von der Wache am Weihertore her drang Lärm und wüstes Geschrei an sein Ohr. Plötzlich vernahm er Schritte. »Wer mag denn dort kommen?« flüsterte er und drückte sich in eine Ecke. Der Tritt kam langsam näher. Jetzt blieb eine dunkle Gestalt kurz vor ihm stehen. Vit griff nach seinem Dolche und lockerte ihn etwas aus der Scheide, damit er ihn leichter handhaben konnte, wenn's nötig wurde.

»So, jetzt will ich meinen Spaziergang schließen und nach Hause gehen,« sprach die Gestalt. »Beim alten Vit ist ein weiches Bett, ich werde dort gut schlafen.«

Vit hatte jedes Wort gehört.

»Da habt Ihr recht,« sagte er halblaut und trat auf die Gestalt zu.

Diese prallte entsetzt zurück und zog den Degen.

»Laßt die Klinge stecken, Herr Offizier,« sagte Vit, »ich denke, wir kennen uns doch, nicht wahr?«

»Ihr seid doch nicht – – –?«

»Der alte Vit, doch, der bin ich.«

»Aber, mon Dieu, wißt Ihr denn nicht, daß Ihr vogelfrei seid und ein Preis auf Euren Kopf gesetzt ist?« sagte der junge Mann.

»Das weiß ich,« sagte Vit, »daran könnt Ihr sehen, daß ich einen wertvollen Kopf haben muß.«

»Ich könnte Euch ja töten und den Preis gewinnen.«

»Ich konnte dasselbe tun, als Ihr mir vor die Flinte kamt, geradesogut wie ich Euer Pferd niederschoß.«

»Das ist wahr,« sagte Hermann, denn er war es. »Aber Alter, es ist doch gefährlich hier in der Stadt für Euch. Ich werde Euch zwar nicht verraten, aber Ihr hattet mir unrecht getan, Vit, als Ihr mir das Pferd unter dem Leibe erschossen habt, denn ich war wirklich auf der Flucht.«

»Ich habe das gehört. Es tut mir auch leid, namentlich da ich die Ursache war, daß Ihr betrunken wurdet, und derjenige war, der die beiden Pferde mitnahm.«

»So, also Ihr hattet das Kunststück geliefert? Es war eine Schande, daß wir uns von Euch so übertölpeln ließen! Ich wäre übrigens durchgepeitscht worden, wenn nicht der Hauptmann van Este sich für mich verwandt hätte. Ich stehe jetzt unter seinem Befehle.«

»So, das scheint ein prächtiger Herr zu sein, dieser Franzose, werde ihn wohl noch einmal kennenlernen. Er ist also kein Unmensch, wie ihr Hessen?«

»Mit Verlaub, ich bin kein Hesse,« sagte Hermann stolz. »Ich stamme aus Flandern. Nach der Krefelder Schlacht wurde ich zu Leßlins Truppen kommandiert. Ihr werdet mir doch wohl keine Hessentat nachweisen können, Vit?«

»Nein, das kann ich nicht. Ihr scheint sogar ein recht braver Junge zu sein. Ich begreife nur nicht, wie Ihr hier bei diesem Räuberpack bleiben könnt!«

»Ich tue hier keinen Dienst mehr und will in den ersten Tagen zum französischen Heere stoßen.«

»So, dann habt Ihr augenblicklich wohl nichts zu tun?«

»Nein, wenigstens in den ersten Tagen nicht.«

»Hm, da hätte ich vielleicht eine kleine Arbeit für Euch. Was meint Ihr dazu?« fragte Vit, vertraulich näher tretend.

»Wenn Ihr mir Vertrauen schenken wollt, so sollt Ihr Euch nicht täuschen. Was ich tun kann, das werde ich für Euch tun.«

»Ich glaube es und vertraue Euch. Also hört. Ich habe hier ein Mädchen von 16 Jahren, das ich aus Gladbach nach Köln schaffen will. Dasselbe wird hier verfolgt. Wollt Ihr mit einem Bauernburschen, der draußen auf mich wartet, das Wagestück unternehmen und das Kind nach Köln bringen!«

»Ei, das tue ich gerne. Als Knabe habe ich immer den Wunsch gehabt, einmal als Ritter für eine verfolgte und bedrängte Jungfrau einzutreten – – –«

»Wohlan, dann habt Ihr heute nacht Gelegenheit dazu,« sagte Vit.

»Heute nacht schon? Das wird wohl schwer halten, denn ich wüßte nicht, wie ich aus der Stadt kommen soll, die Tore sind verschlossen und werden scharf bewacht. Der Kommandant von Gladbach, Oberst Leßlin, ist nach Dülken und wird erst über einige Tage wiederkommen. Gerson hat das Kommando.«

»Laßt mich nur machen. Ich gehe mit Euch und dem Kinde durch einen unterirdischen Gang, der uns vor die Mauern führt. Also ich kann mich auf Euch verlassen?«

»Ganz und gar. Hier meine Hand und mein Wort zum Pfande, daß ich Euren Auftrag getreulich ausführen werde!«

»Gut, dann schließen wir hiermit ein Schutz- und Trutzbündnis miteinander, indem wir uns gegenseitig in der Gefahr beistehen und helfen, sofern wir uns im Felde nicht als Feinde gegenüber stehen – wollt Ihr?«

»Es gilt!« erwiderte Hermann und schlug kräftig in die dargebotene Rechte Vits.

Letzterer wandte sich darauf zum Gehen. »Ich will jetzt sehen,« sagte er, »wie es mit dem Mädchen steht.«

Vit ging wieder in die Münsterkirche. Dumpf hallten seine Schritte durch das Gotteshaus. In der Krypta hörte er Geräusch und glaubte, ein leises Weinen zu vernehmen. Leise öffnete er die Türe und blickte in den matt erhellten Raum. Der Sarg war leer. Dann schritt er langsam in die Krypta hinein und rief: »Eva, Kind, wo bist du?«

»Ach Gott, Großvater, bist du hier?« schallte es aus einer dunklen Ecke.

Vit schritt näher und sah Eva wie eine Spukgestalt auf einem Grabsteine sitzen. Sie war sehr schwach und konnte sich kaum erheben. Dann faßte sie nach seiner Hand und sagte schaudernd: »Ach, Großvater, wo bin ich? Hilf mir doch! Denke dir, ich lag in einem Sarge, hu! Mir graut noch, wenn ich daran denke. Ich bin doch nicht tot, Großvater? Sag an, wo sind wir hier?«

»Nein, Gott sei Dank, Kind, du lebst und bist bei mir! Hast du die Kleider neben dem Sarge gefunden?«

»Gewiß. Ich habe Hemd und Totenmantel ausgezogen und die Kleider angezogen, die neben dem Sarge lagen. Aber wie kam ich hierher, Großvater, und wo bin ich hier? Welch ein grausiger Ort!«

»Sei ruhig, Kind, hier, trinke einmal und iß diesen Bissen Brot,« sagte Vit, indem er dem Mädchen einen Schluck Wein und ein Stück Brot reichte.

»Ich kann nicht, Großvater, mir ist übel, mich friert, der Hals ist mir wie zugeschnürt.«

»Versuche nur, Kind, es muß gehen.«

Eva versuchte und trank das Glas, das Vit ihr reichte, mit Anstrengung aus.

»So ist's recht. Nun gehe etwas auf und ab und bewege deine Glieder.«

Während Eva sich etwas Bewegung verschaffte, erzählte Vit:

»Wir sind hier in der Krypta der Münsterkirche, und ich wußte dich nicht anders hierher zu bringen, als wenn ich dich, während du schliefst, in einen Sarg legen ließ. Nur Mut, Eva! Wir gehen jetzt durch einen unterirdischen Gang bis vor die Stadt, dort erwartet uns ein junger Bursche mit zwei Pferden. Mit diesem gehen wir nach Kleinenbroich, und von da flüchten wir nach Köln. Dort wirst du vorläufig bleiben.«

»Ich fühle mich jetzt stark genug, Großvater. Aber laß uns gehen, denn hier ersticke ich.«

»Ich muß eigentlich noch einen jungen Mann mitnehmen, der hier draußen auf mich wartet, jedoch können wir schon bis vor die Stadt gehen, damit du an die Luft kommst. Ich kann ihn holen, wenn du draußen bist.«

Vit öffnete die Steintür und schleppte zuerst ein Stück Holz aus dem Gange in die Krypta, legte dieses in den Sarg und befestigte den Deckel wieder, stellte die umgefallenen Kerzen, die den Sarg umstanden, wieder auf und verließ dann mit Eva die Krypta. Sie schritten einige Zeit in gerader Richtung in dem schmalen Gange weiter. Dann ging es eine gemauerte Treppe hinunter, und nun wurde das Sehen beschwerlich, da die Erde naß und feucht war. Nach kurzer Wanderung traten sie durch einen schmalen Spalt, der ganz mit Dornengesträuch verdeckt war, ins Freie. Vit schritt, Eva an der Hand führend, in den Wald hinein und pfiff dreimal leise. Sofort kam Antwort, und man hörte Schritte nahen.

»Wer ist da?« frug Vit.

»Jakob Born ist es.«

»Gut, Junge. Komm näher. So, hier vertraue ich dir meine Eva an. Es ist nicht gut, daß ihr lange hier wartet. Ich muß noch einmal zurück. Führe die Pferde am Zügel und schlage schon die Richtung nach Hause ein, sorge mir aber für das Mädchen, Jakob. Wenn unsere Wege sich trennen sollten und ich euch nicht einholen kann, so sehen wir uns bei deinem Vater wieder.«

»Seid ohne Sorge, Meister Vit. Ich bringe das Mädchen auch allein nach Haus und stehe ein für seine Sicherheit.«

»So, dann gehe mit Gott, Eva,« sagte Vit, dem Mädchen die Hand reichend, »wir sehen uns bald wieder.«

Eva ging mit ihrem Begleiter zu den Pferden, und Vit begab sich wieder durch den Gang in die Kirche. Als er hier der Türe zuschritt, hörte er draußen rauhe Stimmen und Waffengeklirr. Er blieb an der Türe stehen und horchte. Es schien, als ob Hermann mit einigen Hessen aneinander geraten war. »Verdammter Franzose,« rief einer, »du sollst sagen, wer bei dir war!«

»Aha,« murmelte Vit, »man hat uns bemerkt!«

»Ich spreche mit wem ich will und bin euch keine Rechenschaft schuldig!« rief jetzt Hermann.

»Haut ihn nieder!« schrie ein anderer, »der Halunke hält's mit den Bürgern! Klingen heraus!«

»Kommt nur heran!« rief Hermann und trat rasch an die Kirchenmauer, zog seinen Degen und erwartete den Angriff seiner Gegner.

»Alle Wetter,« sagte Vit, »die Sache wird ernst. Da muß ich eingreifen.« Er zog sein Schwert, öffnete die Türe und stürzte auf die Streitenden zu. Mit dem ersten Schlage spaltete er einem Soldaten den Schädel und hieb dann auf den zweiten ein, während der dritte von Hermann niedergehauen wurde. Vit hatte aber mit dem zweiten doch seine Arbeit, denn derselbe parierte jeden Schlag. Jetzt kam Hermann ihm zu Hilfe und stieß den Hessen nieder.

»Meiner Treu!« sagte Vit, »der Kerl schlug sich nicht schlecht. Ich hätte beinahe den Kürzeren gezogen. Na, jetzt hat er genug. Aber nun wollen wir aufbrechen. Die Hessen werden sich wundern, daß hier einige der ihrigen gefallen sind und werden sagen – – –«

Da – jetzt tauchten von allen Seiten dunkle Gestalten auf, und ehe die beiden wußten, was geschehen war, lagen sie überwältigt und gefesselt am Boden.

Die so plötzlich Überfallenen wurden so fest geknebelt, daß sie nicht imstande waren, auch nur ein Glied zu rühren. Als das Augenblickswerk beendet war, kommandierte eine Stimme: »Ruhe, Leute, alles still abgemacht. Wir haben 100 Goldgulden verdient, daß wir den alten Spitzbuben gefangen haben. Jetzt schaffen wir ihn zum Weihertore und bringen ihn in den Turm. Daß mir keiner von euch von diesem Fange etwas verlauten läßt.« Die Soldaten schleppten die Gefangenen zum Weihertore, wo sie je ein besonderes Verließ bekamen.

Der Offizier Grov war es, der bei seinem Patrouillengange die beiden bemerkt hatte und dann zur Wache gelaufen war, um Verstärkung zu holen. Nachdem die drei Soldaten, die den Offizier Hermann angegriffen hatten, niedergehauen waren, hatte Grov mit acht Mann, welche zu vier und vier von beiden Seiten über die Ahnungslosen herfielen, diese gefesselt. Die Waffen wurden ihnen abgenommen, und nun lagen sie gebunden auf halbverfaultem Stroh. Oberst Leßlin hatte dem Grov besonders anbefohlen, ihm den Sattel des durch Vit erschossenen Pferdes zurückzuschaffen, und Grov hatte sich alle Mühe gegeben, aber Vit nicht ergreifen können und selbstredend auch den Sattel nicht gefunden. Es war ihm verdächtig, daß der Oberst so großen Wert auf den Sattel legte. Allerdings hatte dieser ihm gesagt, es sei ein teures Familienandenken. Vit hatte den Sattel einfach im Hause des Peter Krumm auf den Söller gebracht und sich weiter um denselben nicht gekümmert.

Einige Tage waren vergangen und unserm Vit wurde die Zeit sehr lang. Dreimal täglich kam ein Soldat, der ihm Essen nebst einem Kruge mit Wasser brachte. Vit fragte den Soldaten nichts und hörte daher von demselben auch nichts. Am vierten Tage wurde er jedoch ungeduldig, und er frug den Soldaten, wie lange man ihn eigentlich in dem Loche sitzen lassen wollte.

»So lange, wie es dem Herrn Obersten gefällt,« gab dieser zur Antwort.

»Hm, dann kann es am Ende noch etwas dauern,« meinte Vit.

Der Soldat setzte schweigend den Krug hin, legte ein Stück Brot dazu und entfernte sich.

Vit nahm den Wasserkrug und tat einen herzhaften Zug. »Alle Wetter,« sagte er, »was soll das bedeuten – Wein statt Wasser? Ah!« Er trank wieder und meinte: »Bei St. Vit, meinem Namenspatron, der schmeckt nicht übel! Ich habe gewiß einen guten Freund hier, oder man will mich betrunken machen. Na, fürs erste wollen wir auf das Wohl des Geschenkgebers den Krug mal leeren.« Nachdem er noch einige kräftige Züge getan hatte, sagte er, vom Boden aufstehend und so weit von der Mauer abgehend, als die Kette, die ihn fesselte, es ihm erlaubte: »Das gibt einmal neuen Mut, das lasse ich mir gefallen! Aber ich glaube, es war meine Henkersmahlzeit. Nun, ein paar Tage früher oder später, – lebendig komme ich ja doch nicht aus der Stadt. Da wäre es wohl gut, mit unserm Herrgott reine Bahn zu machen. Das will ich sofort besorgen.« Kaum saß Vit wieder auf seinem erbärmlichen Lager, als ein Schlüsselbund rasselte, und Grov mit einer brennenden Laterne eintrat.

»Nun Vit,« begann der Eintretende, »der Herr Oberst und Kommandant von Gladbach ist wieder hier, und er will Euch die Freiheit und das Leben schenken unter einer Bedingung.«

»Das läßt sich hören, Herr Grov! Aber die Bedingung?« fragte Vit.

»Das Pferd, das Ihr dem Offizier Hermann erschossen habt, gehörte dem Obersten Leßlin, und dieses Pferd hatte einen Sattel, der ein teures Andenken für den Obersten ist. Wenn dieser Sattel wieder unversehrt in den Besitz des Obersten gelangt, sollt Ihr sofort in Freiheit gesetzt werden.«

»Hm, wenn's weiter nichts ist, dann laßt mich los und in Zeit von drei Stunden schaffe ich den Sattel hierher.«

»Das geht nicht. Gebt mir genau den Ort an, wo der Sattel ist, und ich werde ihn holen. Ich gebe Euch mein Ehrenwort, daß ich den Sattel bringe und Ihr sofort die Freiheit erhaltet.«

»Daraus kann nichts werden, denn erstens gebe ich keinen Blaffert für Euer Ehrenwort und zweitens würde der Vit schön ausgelacht werden, wenn der Sattel zur Stelle wäre. Auch wird der Sattel kein teures Andenken sein, sondern es ist etwas in demselben, was der Herr Oberst gern holen möchte. Jetzt weiß ich auch, warum der Sattel so schrecklich schwer war. Daß ich Schafskopf nicht eher auf die Idee kam!«

»Also, Ihr zweifelt an meinem Ehrenwort?«

»Na, über Ehrenworte wollen wir nicht streiten. Übrigens verpfände ich Euch das meinige, daß ich den Sattel in drei Stunden hierherschaffe, aber verlangt nicht, daß ich den Ort angebe, wo er liegt, Ihr würdet die armen Leute, bei denen Ihr ihn findet, mißhandeln und berauben und den einfältigen Vit einfach totschlagen. Nein, spart Eure Worte! Wollt Ihr so, wie ich gesagt habe, dann ist's gut, wollt Ihr nicht, – auch gut!«

»Wir haben aber noch andere Mittel, um Euch zum sprechen zu bringen, und so Ihr nicht wollt, werden wir diese schon anwenden, verlaßt Euch darauf!«

»Das weiß ich. Na, laßt einmal Eure Henkersknechte kommen. Wir wollen sehen. Dann bekommt Ihr den Sattel erst recht nicht, und das kostbare Ding bleibt hängen, wo es hängt.«

»Ist das Euer letztes Wort?«

»Mein allerletztes.«

»Gut, Ihr werdet es bereuen!«

Damit verließ Grov das Verließ. Vit trank den Krug aus und war ganz munter geworden. Wieder rasselte ein Schlüsselbund und eine dunkle Gestalt trat in die Zelle. Soviel Vit bei dem schwachen Lichte, das durch eine Mauerspalte in das Verließ fiel, erkennen konnte, war es ein Mönch.

»Friede sei mit dir, mein Sohn!« begann letzterer.

»Ich danke Euch, ehrwürdiger Herr, Ihr seid gewiß gekommen, um mich auf den Tod vorzubereiten?«

»Nein, mein Sohn, ich bringe dir Leben und Freiheit,« erwiderte der Mönch salbungsvoll. »Zwar hast du dein graues Haupt mit Schande bedeckt, indem du wehrlose Leute angegriffen und sie der ihrigen beraubt hast; mache das wieder gut und du sollst Verzeihung erhalten.«

»Wer zum Henker, wer seid ihr denn eigentlich, ehrwürdiger Herr? Ich kenne Euch ja gar nicht! Doch halt, diese Stimme, wo habe ich die gehört?« sagte Vit zu sich selbst.

»Deine Augen sind mit Blindheit geschlagen. Kennst du den Bruder Hubertus nicht?«

»Bruder Hubertus? Den habe ich gekannt, aber der ist tot – schon lange tot. Einen anderen Hubertus kenne ich nicht. Aber sagt einmal, wo habe ich denn wehrlose Leute beraubt, wo? Aber ich merke schon, worauf Eure Rede hinauswill: Ihr kommt gewiß wegen des Sattels, wie?«

»Jawohl. Ein teures Andenken hast du – – –«

»Nun, spart Euch den Atem, die Litanei wegen des Sattels kann ich schon auswendig; aber hört einmal, ich will Euch doch etwas sagen,« der Mönch trat neugierig an Vit heran. Vit ergriff den ahnungslosen Mönch mit Riesenkraft, preßte seine Hände um dessen Hals und riß ihn zu Boden, dann kniete er auf seine Brust und rief mit vor Erregung heiserer Stimme: »So, Halunke, wenn du jetzt das Maul auftust, so haue ich dir den Schädel ein,« und zum Beweise seiner Kraft hämmerte er einige Male mit den Fäusten auf den Schädel des Daliegenden ein, daß demselben die Besinnung verging. Alsdann ergriff Vit den Schlüsselbund, der am Gürtel des Mönches hing, schloß mit einem kleinen Schlüssel seine Kette von den Füßen und schlang die Eisen rasch um dessen Bein. Nachdem er die Kette geschlossen, zog er demselben die Kutte aus. Jetzt erwachte der Mönch und begann zu rufen: »Hilfe, Mörder – –!«

»Pst, leise,« sagte Vit und gab ihm einen gewaltigen Rippenstoß, daß er vor Schmerz laut aufschrie. »Hört einmal, ehrwürdiger Herr, wenn Ihr Euch nächstens maskieren wollt, dann wählt doch ein anderes Kostüm. Ein Wolf in Schafskleidern verrät sich zu leicht. So ein Räuberhauptmannskostüm paßt Euch besser, Herr Leßlin. Meint Ihr, ich hätte Euch nicht erkannt? Ha, Ha! Haltet Ihr mich für so dumm? Was meint Ihr, wenn ich Euch jetzt den Garaus machen würde?«

»Hört, Vit,« begann der Oberst kläglich, »gebt mich frei, Ihr sollt auch frei sein!«

»Auf den Leim geht kein Vit Gilles! Ich will Euch etwas sagen: Ich ziehe jetzt Eure Kutte an und verlasse die Zelle. Gleichzeitig nehme ich den Offizier Hermann mit. Hört Ihr, Herr Stadtkommandant an der Kette!«

»Hilfe, Räuber!« rief der Oberst.

Vit schritt mit einem Seile, das der Mönch um die Lenden getragen hatte, auf den Oberst zu, erhielt aber von diesem unversehens einen heftigen Faustschlag in das Gesicht, daß ihm das Blut aus Mund und Nase quoll. Jetzt fing der gefesselte Oberst aus Leibeskräften an zu schreien: »Hilfe! Hilfe!« Vit hatte sich indessen bald wieder erholt, sprang auf ihn zu und schlug ihn mit der Faust gegen die Schläfe, daß er zu Boden taumelte. Jetzt band er ihm die Hände auf den Rücken und schlang ein dickes Wolltuch um seinen Mund, dann zog er die Kutte an und betastete seine Nase, welche bedenklich angeschwollen war und fürchterlich schmerzte.

»Hat der Halunke mir wahrhaftig die Nase fast zu Brei gehauen,« brummte er. »Ich werde eine nette Visage haben. Nun, vielleicht hat es sein Gutes; man erkennt mich nicht. So, jetzt, ehrwürdiger Herr, laßt Euch die Zeit nicht lang werden,« höhnte Vit den jetzt wieder zu sich gekommenen Oberst. »Vor morgen früh kommt niemand hierher, und so lange müßt Ihr Euch gedulden. Ah, was ist das, Ihr habt ja eine Börse in der Tasche der Kutte zurückgelassen. Das kommt ja gut aus, prächtig! Ich hatte gerade kein kleines Geld mehr. Nun lebt wohl, ich erstatte Euch das Geld gelegentlich zurück. Wir sehen uns doch noch einmal wieder. Ich bedanke mich für Euren Besuch und werde mich auch einmal gefällig erweisen. Den Sattel bekommt Ihr auf alle Fälle zurück.« Damit verließ Vit den Kerker.

»Wenn ich mich recht entsinne, so wurde der Offizier hier hineingeworfen,« sagte Vit zu sich selbst. »Wir wollen einmal versuchen.« Er probierte die Schlüssel. Richtig, der passende war dabei. Die Türe ging auf, und Vit blickte in einen ähnlichen Raum, wie der seinige gewesen war. Er stieg einige Stufen hinunter und rief:

»Hermann, seid Ihr hier?«

»Jawohl, ich bin hier. Wer seid Ihr?«

»Kommt, Junge, ein wenig Mut, und wir sind gerettet.«

»Aber wer seid Ihr denn?«

»Kennt Ihr mich nicht? Vit bin ich, der alte Vit!«

»Aber was habt Ihr für eine Kleidung an? Wie kommt Ihr hierher?«

»Still, nicht so viel Worte, dazu ist jetzt keine Zeit! Ich komme, Euch zu befreien. Also macht schnell, jede Minute ist kostbar. Das andere kommt später.«

»Ja, dann macht mir zunächst hier die Ketten los.«

Vit rasselte an dem Schlüsselbund und hatte eben das Schloß der Kette geöffnet, als die Türe des Verließes geöffnet wurde und ein Soldat mit einer Laterne eintrat.

»Seid ihr noch nicht fertig, Mönch?« fragte er, »die Zeit ist doch lange vorbei. Was macht Ihr eigentlich dort bei dem Gefangenen?«

»Ich bringe ihm Trost und Hilfe,« sagte Vit.

»Aber wer schreit denn hier so, als wenn ihm ein Messer an der Kehle säße?«

»Ach, das ist der verrückte Alte,« sagte Vit, »mit dem ist nichts anzufangen.«

»Kommt gefälligst etwas näher mit der Laterne,« sagte Vit zu dem Soldaten, »es entfiel mir ein Goldstück.«

Der Soldat stieg rasch die Stufen hinunter und leuchtete auf den Boden. Hermann und Vit fielen über ihn her, banden ihm die Hände auf den Rücken und sein Halstuch auf den Mund.

Als Vit das Tuch sah, sagte er: »Der Spitzbube hat es aus meinem Laden gestohlen. So, lieber Freund, jetzt verhalte dich ruhig, dann kommt auch bald der Augenblick deiner Befreiung. Hier lege ich dir das Goldstück hin, nimm es als Schmerzensgeld und Entschädigung für deinen Schrecken.« Dann wandte er sich an Hermann: »Kommt, es wird Zeit.«

Sie verschlossen die Türe und stiegen hinauf. Vit nahm die in dem Kleide des Mönches gefundene Börse zur Hand, und jeder Soldat, der ihnen in dem Gange begegnete, erhielt ein Goldstück in die Hand gedrückt. »Der Herr Leßlin will den Offizier Hermann etwas fragen, deshalb führe ich ihn zum Obersten,« raunte er den Soldaten zu. So kamen sie unbehelligt bis auf die Weiherstraße. Von hier aus schritten sie der Abtei zu.

»Wo gehen wir hin?« flüsterte Hermann.

»Zur Münsterkirche,« erwiderte Vit.

»Ich denke, wir gehen zu Eurer Wohnung. Der Hauptmann van Este wird da sein; und der wird schon für Euch sorgen.«

»Das wird wohl nichts werden,« sagte Vit, »wenn Ihr hingehen wollt, ich habe nichts dagegen; aber ich gehe nicht mit. Ich traue dem Landfrieden nicht hier in der Stadt.«

»Allein lasse ich Euch nicht fort.«

»Aber warum nicht? Wenn Ihr glaubt, daß der Hauptmann van Este mächtig genug ist, Euch zu schützen, dann vertraut Euch ihm an. Für mich ist er jedenfalls nicht stark genug.«

Verschiedene Bekannte waren Vit begegnet, aber keiner erkannte den Mönch mit der blauen, plattgehauenen Nase.

»Nein, ich gehe mit Euch,« sagte Hermann, »Ich lasse Euch nicht allein gehen.«

Sie schritten der Münsterkirche zu.

»Gut, wenn Ihr mit mir gehen wollt, ich habe nichts dagegen, kommt nur. – Wo mag nun meine arme Eva stecken? Hoffentlich wird sie gut untergebracht worden sein.«

Sie traten jetzt in die Kirche ein und schritten durch den unterirdischen Gang unbehelligt ins Freie.

»Gott sei Dank, wir sind wieder frei,« sagte Vit aufatmend. Sie schritten sofort auf Kleinenbroich zu, und als sie anlangten, begaben sie sich zu Peter Krumm.

»Ist der Jakob Born mit meiner Eva angekommen?« fragte Vit zuerst, nachdem er sich zu erkennen gegeben hatte.

»Nein,« sagte Peter, »wir haben von der Eva nichts gesehen. Born ist jedoch erschossen im Walde aufgefunden worden.«

Vit fuhr zurück. »Wie, Eva nicht hier?! Nun steht mir der Verstand still. Es ist ja, als ob die Hölle sich gegen das arme Kind verschworen hätte! Aber gleichviel – dann geht's morgen sofort wieder auf die Suche.«

»Ich begleite Euch,« sagte Hermann.

»Mir recht, denn Hilfe kann ich gebrauchen.«

»Wer mag den Born erschossen haben?« sagte Vit nachdenklich, »und wo mag das Mädchen geblieben sein? – Wo fand man Born?«

»Diesseits Korschenbroich in dem Unterholze. Er lag im Grase, und eine Kugel hatte ihm die Brust durchbohrt. Seiner Lage nach zu schließen, war er vom Pferde gestürzt, nachdem er den Schuß erhalten hatte,« erzählte Peter.

Vit kratzte sich hinter den Ohren und schüttelte ärgerlich den Kopf. »Was hift's, ob ich mir den Kopf zerbreche,« brummte er, »am besten ist's, wir schlafen einmal darüber und überlegen dann morgen in Gottes Namen weiter.« Damit zog er die Mönchskutte aus und legte seine andern Kleider wieder an. »Ich bin müde,« sagte er, »und möchte gerne früh zur Ruhe gehen, geh denke, Hermann, wir nehmen einen Imbiß, plaudern dann noch etwas und begeben uns zur Ruhe.«

Jetzt kam Hans, der Sohn Peters, eilig in die Stube gelaufen und sagte: »Vater, was fangen wir an? Vierzig hessische Soldaten, zwölf zu Pferde, sind im Dorfe. Sie wollen das ganze Dorf durchsuchen, und wenn sie den Flüchtling, der einen Sattel verborgen haben soll, nicht finden, wollen sie das ganze Dorf in Grand stecken. Was fangen wir an?«

»Alle Wetter«, sagte Vit aufspringend, »die suchen mich! Wo sind die Soldaten?"

»Sie sind an der Kirche. Ein Offizier zieht dort Erkundigungen ein. Den Schmied Georg haben sie aus der Schmiede geholt; der soll mit einem schweren Hammer alle Türen einschlagen, welche nicht freiwillig geöffnet werden.«

»Da werden wir wohl fliehen müssen,« meinte Hermann. »Vierzig gegen zwei, das wäre doch etwas zuviel.«

»Ei, was fällt Euch ein, fliehen? Niemals. Die Hessen würden den Leuten die Häuser über dem Kopfe anzünden und alles Vieh fortstehlen und nach Gladbach führen. Entweder müssen sie mich gefangennehmen und – – – –"

»Nichts von gefangennehmen, Vit,« unterbrach ihn Peter Krumm. »Dich sollte man hier in Kleinenbroich gefangennehmen? Meinen alten treuen Kriegskameraden, der mir schon einmal das Leben rettete?! Nein, alter Junge, da kennst du die Kleinenbroicher aber schlecht. Wir hauen das ganze Volk in die Pfanne«

»Ja, Freund,« sagte Vit, wenn das In-die-Pfanne-Hauen so leicht ginge! Die warten nicht, bis wir hauen. Aber wenn du meinst, wir sollten losschlagen, ich habe nichts dagegen. Dann aber schnell einen kleinen Kriegsplan gemacht. Wo stehen die Pferde, Hans?«

»An der Tränke.«

»Wieviel Soldaten sind dabei?«

»Vier oder fünf Wann.«

»Wieviel Mann kannst du in einer Viertelstunde zusammenschaffen, und welche Waffen werden sie haben, Peter?«

»Fünfundzwanzig Wann mit allerlei Waffen, und mit fünf oder sechs Flinten.«

»Es sind auch sechs Bauernjungen von Büttgen hier, Peter Kluth und seine Freunde; die sitzen beim Hommers,« sagte Hans.

»Ah, das ist ja prächtig!« sagte Vit. »Die helfen mit. also nun gib acht, Peter! Schaffe mir die Leute rechts und links am Wege in die Häuser, die in der Nähe liegen, wo die Soldaten sind. Dort bleibt, die Waffen in der Faust, liegen, bis ihr zwei Schüsse hört. Die Sprache meiner Flinte kennst du ja. Ich werde also sorgen, daß die Hessen alle auf der Straße zusammenlaufen, und dann fallt ihr über sie her und schlagt alles nieder, was euch vor die Klinge kommt. Nur ein einziger müßte am Leben bleiben, nämlich der, welcher die Botschaft nach Gladbach bringt, wie es den Soldaten ergangen ist.«

»Das ist nun gerade nicht nötig,« meinte Peter. »Der Leßlin würde uns dann die ganze Besatzung auf den Hals schicken um sich an uns zu rächen.«

»Hm, das ist wahr,« sagte Vit. »Dann laßt alles über die Klinge springen. Nun aber fort und aufgepaßt!«

Peter verließ mit seinem Sohne das Haus.

»Wenn die Geschichte nur gut abläuft,« äußerte Hermann bedenklich.

»Ihr sollt ja gar nicht mitgehen. Ihr braucht Euch die Geschichte nur anzusehen. Die läuft schon gut ab, verlaßt Euch drauf!«

»Ich darf ja auch eigentlich nicht gegen die Hessen kämpfen.«

»Ist auch gar nicht nötig. Gebt einmal acht, wie wir mit ihnen umspringen!«

Hermann zog sich einen weiten Rock von Peter an, setzte sich eine Mütze auf und begleitete Vit zuerst zum Söller.

»Kommt!« sagte Vit, »wir wollen zunächst den Sattel einmal untersuchen.« Beide besahen ihn von allen Seiten, konnten aber nirgendwo eine Stelle bemerken, welche sich öffnen ließ. Endlich drehte Vit an einem kleinen kupfernen Knopf, der den Sattelknopf bildete, und es löste sich unter demselben eine handgroße Platte.

»Ah,« sagte Vit, »da kommen ja die »teuren Andenken« und zog, hübsch in Wolle verpackt, zehn Rollen Goldstücke heraus. Großartig, da hätte ich ja auf einmal eine Kriegskasse! So, der Sattel ist jetzt bedeutend leichter. Nehmt Ihr ihn mit hinunter. Ich will das Gold verbergen.« Er steckte die Rollen auf dem Speicher in der Mauer zwischen zwei Balken und ließ eine Rolle in seine Tasche gleiten. »So, nun habe ich wenigstens Geld, um Krieg führen zu können. Das ist fürwahr ein teures Andenken, Herr Leßlin!« Dann stieg er die Treppe hinunter und sagte: »Hermann, Ihr könnt mir nachkommen,« nahm den Sattel unter den Arm, die Flinte über die Schulter und schritt ins Dorf hinein. In der Nähe der Kirche stand ein Haus in Flammen, und mehrere Leute kamen ihm entgegengelaufen, ängstlich rufend:

»Wer hilft uns, die Hessen stecken alles in Brand und schlagen alles tot?!«

»Nur ruhig,« sagte Vit und hielt die Leute an. »Wir werden schon sorgen, daß die Hessen nichts mehr anzünden.«

Einer von den Leuten, namens Kobes, sagte: »Die Schufte haben eben zwei kleine Kinder lebend in die Flammen geworfen und mehrere Mädchen erstochen. Was soll das werden?!«

»Still, es ist gut, das Maß ist voll! Du, Kobes, jetzt ein wenig Mut! Hier, nimm diesen Sattel und gehe dort zu den Soldaten, die an der Tränke bei den Pferden stehen, da ist jedenfalls ein Trompeter darunter. Dem sagst du, du wolltest den kostbaren Sattel, den sie suchten, bringen. Der Kerl wird dir den Sattel abnehmen und die Soldaten zusammenrufen. Willst du das tun?«

»Gewiß, sofort.« Er nahm den Sattel und schritt der Tränke zu.

»Du, Bohmer, hast du dein Gewehr geladen?« fragte Vit einen Bekannten.

»Ja, es steht geladen in der Stube. Komm herein, Vit, wir gehen durch meinen Garten ungefähr bis an die Schwemme.«

Sie waren kaum durch das Haus in den Garten getreten, als mehrere Trompetenstöße die Soldaten zusammenriefen. Der Trompeter hatte Kobes den Sattel aus den Händen gerissen und aus Leibeskräften in die Trompete gestoßen.

»Hallo!« rief er den auf ihn zueilenden Soldaten entgegen.

»Hier, der Sattel ist zur Stelle!«

»Teufel!« schrie Grov, der den Trupp kommandierte, »wo der gewesen ist, da wird auch der alte Spitzbube sein, und ich schwöre es, alles soll hier niedergemacht werden, wenn wir den Alten nicht kriegen!«

Vit war auf Schußweite mit Bohmer näher gekommen und flüsterte diesem zu: »Nun passe auf, Bohmer, du schießt den Trompeter nieder, ich nehme den Offizier. Gib acht, wenn ich sage: »Feuer!« dann sofort abdrücken. Aber, Mensch, du hast ja gar kein Pulver auf der Pfanne und hältst das Gewehr, als ob du den Mond herunterschießen wolltest. Doch jetzt still und aufgepaßt!«

»Der Halunke, der Spitzbube, der Bandit!« schimpfte Grov, als er den Sattel untersuchte und leer fand.

»Ich danke recht sehr für die Komplimente,« flüsterte Vit lächelnd.

»Auf, Leute, rief Grov, fallt in die Häuser ein, steckt alles in Brand, schlagt und stoßt alles nieder, was euch in den Weg kommt!«

»So, jetzt Feuer!« gebot Vit.

Zwei Schüsse krachten, die den Offizier Grov niederstreckten. Der Trompeter hatte einen Schuß durch den Arm erhalten. Die größte Bestürzung bemächtigte sich der Soldaten, jetzt krachten noch acht Schüsse von verschiedenen Seiten, und dann fielen die dreißig Burschen mit Äxten und Säbeln über die Soldaten her und hieben alles nieder, was sie erreichen konnten. Die Soldaten gaben einige Schüsse ab, von denen mehrere Burschen getroffen wurden. Sie konnten aber in dem Handgemenge die Gewehre nicht gut gebrauchen, und hieben mit Kolben und Säbeln um sich. Vit blieb außerhalb des Gartens stehen und sagte zu Bohmer: »Komm, du mußt laden, wenn ich geschossen habe. Ah, jetzt! Warte Bursche, das gibt nichts! Richtig, der Kerl hat sich auf ein Pferd geschwungen.« Vit legte das Gewehr an die Wange, ein Knall und der Reiter stürzte vom Pferde, welches, wild geworden, nun dem Walde zusprengte. Noch einer war zu Pferde gestiegen, während Vit den andern mit den Augen verfolgte. Er schickte ihm eine Kugel nach, die das Pferd getroffen zu haben schien. »Bohmer, schnell meine Flinte her, sonst ist der Kerl außer Schußweite!« Ein kurzes Zielen, dann krachte der Schuß, und Vit meinte: »Das war aber die höchste Zeit!«

Die Soldaten hatten sich wie die Verzweifelten gewehrt, aber die handfesten Bauernburschen wüteten wie die Löwen und in einer guten Viertelstunde lagen die Hessen alle an der Erde. Einige atmeten noch; ihnen gab der Schmied den Gnadenstoß. Fünf von den Bauernburschen waren totgeblieben, unter ihnen einer aus Büttgen; verwundet waren fast alle.

»Aber wie siehst du denn aus?" fragte Vit den Peter Krumm, der sich fortwährend das Blut aus dem Gesichte wischte.

»Ich hatte mir einen Kerl gefaßt und fiel mit ihm zur Erde. Der Lump riß mir ein Stück aus der Nase. Mein Hans kam aber noch rechtzeitig, um ihm mit der Axt den Schädel einzuschlagen.«

»Der Überfall ist ausgezeichnet gelungen; sobald der Führer fehlte, ließen die verdutzten Hessen sich niederhauen wie die Ochsen,« sagte Vit.

»Wir sind dir großen Dank schuldig, Vit,« sagte Peter, »daß du uns geholfen hast, wir wären allein nicht mit ihnen fertig geworden.«

»Unsinn,« sagte Vit, »wenn ich nicht hier gewesen wäre, dann wären die Hessen auch nicht ins Dorf gekommen. Der Dank gebührt euch, denn ihr habt mich gerettet! Ihr seid tapfere Leute!«

»Ei,« sagte Hans, »könnt Ihr nicht einige von uns mitnehmen? Ihr streift doch jetzt umher und sucht die Eva.«

»Gewiß, warum nicht! Wer Lust hat und von Hause abkommen kann, mag mitgehen, ich zahle guten Sold. Wer aber keinen Mut hat, der bleibe lieber zu Hause. überlegt euch das bis morgen früh. – Aber was machen wir mit den Toten?«

»Wir haben im Baumgarten eine große Grube,« sagte Bohmer, »da werfen wir sie alle hinein und decken die Grube zu.«

»Das ist gut. Nun aber die Pferde, geh denke, wir warten damit bis morgen früh, denn wenn junge Leute mit mir wollen, dann müssen sie auch ein Pferd haben.«

Die Toten wurden begraben, und die Stelle, wo das Blutbad stattgefunden, mit Sand beworfen, so daß keine Spuren mehr sichtbar waren.

Jetzt trat Hermann auf Vit zu, drückte ihm die Hand und sagte: »Das muß ich Euch sagen, Alter, Ihr versteht etwas vom Kriegshandwerk! Ehe ich mich aber so übertölpeln ließ – –! Wahrhaftig, es ist eine Schande! Lassen sich da vierzig kriegsgeübte Soldaten von nicht einmal soviel Bauernburschen überfallen und niedermachen wie eine Herde Schafe!«

»Mit Leuten umzugehen, wie es die Hessen sind,« erwiderte Vit, »dazu gehört keine besondere Kunstfertigkeit. Etwas Überlegung und kaltes Blut. Wer rückt denn aber auch mit einer Truppe von vierzig Mann in ein Dorf ein, ohne die Hälfte wenigstens schußfertig zusammenzuhalten und vorher Posten auszustellen?! And dann, wer fällt so über friedliche Bewohner her, die völlig wehrlos sind?! Nur die Hessen!«

Jetzt schritt Vit wieder mit seinem Sattel nach dem Hause Krumms. Peter, Hermann und Hans begleiteten ihn. Nach einem kräftigen Abendbrote wurde noch ein Krug Bier getrunken. Vit hatte ein Faß Bier aus der Schenke holen lassen und bewirtete nun die Männer und Burschen, die so wacker dreingeschlagen hatten. Die fünf Toten waren junge Burschen, und Vit schickte den Eltern am Abend je 5 Goldstücke, welche aber nur von zwei Familien angenommen wurden. Die anderen 15 Goldstücke wurden ihm zurückgebracht, jedoch nahm Vit sie nicht an, sondern übergab sie dem Peter Krumm zur Verwendung für die Armen. Am Abend, als sie zur Ruhe gingen, zeigte Vit dem Peter seinen Schatz, den er auf dem Speicher verborgen hatte, und sagte ihm, wenn er um Geld zu ihm schicken würde, solle er davon nehmen, denn er wolle nicht viel mitnehmen, da dieses ihm zu bedenklich schien, am andern Morgen meldeten sich acht Burschen, welche sich Vit zu einem Streifzug anschließen wollten. Es waren lauter kräftige Leute, prächtige Gestalten; Mut und Entschlossenheit blitzten aus ihren Augen. Als Vit sie gemustert hatte, sagte er: »Das laß ich mir gefallen, mit solchen Leuten werde ich schon etwas ausrichten. Jeder von euch hat doch ein Gewehr?« Alle bejahten die Frage.

»Es ist gut,« sagte Vit. »Geht nach Hause und sagt euren Leuten Lebewohl, und über eine Stunde seid ihr wieder hier. Wann wir zurückkommen, wissen wir nicht, und ob wir zurückkommen, wissen wir auch nicht; das weiß unser Herrgott allein! Also bis gleich.«

»Da hätten wir ja im ganzen zehn Mann zusammen. Nun, damit läßt sich etwas unternehmen. Kommt, Hermann, wir reiten schnell einmal zu der Stelle, wo der Born erschossen worden ist, um zu sehen, ob wir keinen Anhaltspunkt finden, wohin die Räuber das Mädchen gebracht haben.« Sie kamen an die Stelle. Das Gras war zertreten, aber weiter konnte man nichts entdecken. Vit sah prüfend hin und her und sagte: »Hier von der Weide hat man einige Zweige abgerissen und damit wahrscheinlich das Mädchen gefesselt. Es scheint, die Pferde haben die Richtung auf Gladbach zu eingeschlagen.« Sie kehrten dann zu Krumm zurück. Nachdem Vit Abschied genommen, saßen alle auf und verschwanden auf einem Fußpfad in den Wald.

Vor einem Heiligenhäuschen am Waldwege hielt Vit an und sagte: »Kommt, Jungens, wir wollen hier ein Vaterunser beten, wer weiß, vielleicht ist's für manchen von uns das letzte!«

Alle stiegen ab, knieten nieder und verrichteten ihr Gebet.

»So,« sagte Vit, »in Gottes Namen vorwärts! Wir müssen zuerst auf Umwegen Gladbach zu erreichen suchen, dort will ich sehen, ob ich etwas über Eva erfahren kann. Hans, du reitest nach Venn, kommst aber sofort zurück und meldest mir, ob die Eva dort ist. Es ist ja nicht unmöglich, daß sie wieder bei Gieten ist.«

»Er ist doch noch ein unerfahrener Junge, der Hans,« meinte Gerd Klingen, ein kräftiger Bursche, »soll ich nicht mit ihm reiten, Meister Vit?«

»Ich habe nichts dagegen, obgleich ein Bursche von 18 Jahren einen solchen Auftrag allein ausführen könnte, und wenn er das nicht kann, muß er es lernen. Aber jedenfalls schadet es nicht, wenn ihr zusammengeht. Laß euch aber nicht fangen und nach Gladbach schleppen, ich habe wahrhaftig wenig Lust, euch da herauszuholen. Das heißt: am Strick hangen lasse ich euch doch nicht. ... Also geht in Gottes Namen, ihr trefft uns am Gen-Holt am Pohl!«

Die beiden ritten von dannen. Vit schlug mit seinen Leuten eine andere Richtung ein und kam ungehindert bis zu dem Hohlwege, welcher von Gladbach auf Ohler zuführte. Hier wurde haltgemacht, nur Vit mit zwei Mann nahmen ihre Flinten, um auf Kundschaft auszugehen. Sie stiegen den Berg hinan und schlichen so hoch durch das Buschwerk, bis sie unten den Weg sehen konnten, welcher am Weiher vorbei auf Blumenberg und Holt Der jetzige Speick (vom Lat. specus die Höhle) bildete an der Seite, wo die Gerberei von C. Müllers stand, eine sehr hohe Erdwand, die mit Eichen bewachsen war. zugeht. Auf einmal fiel ein Schuß. Vit blieb stehen und lauschte.

»Der scheint bei unsern Leuten gefallen zu sein. Du, Tillmann, gehe schnell hin und sieh zu, was es gibt, aber rasch!«

Dann spähte er von einer Anhöhe aus nach dem Münsterplatze, um zu sehen, ob dort alles ruhig sei. Tillman kam zurück und meldete, daß dem Martin das Gewehr durch ein Unglück losgegangen sei.

»Der Tölpel!« sagte Vit ärgerlich. »Gehe zurück und sage, sie sollen alle aufsitzen, denn gleich werden wir bestimmt verfolgt werden. Die Hessen sind auch nicht taub und haben sicherlich den Schuß gehört!«

Tillmann entfernte sich.

»Da haben wir schon die Bescheerung!« sagte Vit, als ein Dutzend Hessen auf den Münsterplatz kamen und nach der Richtung hinauslugten, wo der Schuß gefallen war. Sie traten hart an den Abhang des Münsterplatzes, und ein Soldat zeigte nach der Gegend hin, wo Vit stand.

»Es ist alles besorgt,« flüsterte Tillmann dem im Grase liegenden Vit zu.

»Es ist gut,« erwiderte Vit. »Du, Jörg und Tillmann, kniet hier neben mir und schiebt das Gewehr durch die Sträucher. So ist's gut. Seht ihr oben die Soldaten? Es sind drei unter ihnen mit roten Halstüchern; jeder davon bekommt eine Kugel. Du, Tillmann, nimmst den rechts, ich nehme den Mittlern und du, Jörg, mußt den links wegputzen, also, eins – zwei – drei!« Drei Schüsse krachten, und jeder hatte auch seinen Mann getroffen.

»Es ist gut,« sagte Vit zufrieden, »jetzt wieder geladen! Seht ihr Jungens, wie sie durcheinanderlaufen, jetzt müssen wir uns aber auch fortmachen, denn sie wissen nun, wo sie die Schützen zu suchen haben, also flink zurück zum Trupp! Du, Tillmann, reitest mit vier Mann einige hundert Meter voraus, und wenn etwas Verdächtiges kommt, so melde es mir.«

»Gut,« sagte Tillmann, »dem Gerd Klingen wurde gesagt, er träfe uns am Plaate-Pohl Plaate-Pohl (Prälaten-Pfahl) hinter des Gastwirts Mankertz Haus steht heute noch da. War der Grenzstein des Engelshofes. am Gen-Holt. Sollen wir darauf zuhalten?«

»Nein,« sagte Vit, »haltet bis zur Landwehr-Wache Landwehrwache. Eine Wache an der Landwehr. und reitet auf der Sohle derselben nach Holt zu; dort wartet, bis wir bei euch sind.«


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